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Schweizerisches

udesblatt.

Jahrgang III. Band HI.

Nro-

54.

Samstag, den 18. Oktober 1851.

Man abonnirt ausschließlich beim nächstgelegenen Posiamt. Preis für das Jahr 1851 im ganzen Umfange der Schweiz p o r t o f r e i Frkn. 3.

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Bericht über

den zwischen dem Königreich Sardinien und der schweizerischen Eidgenossenschaft abgeschlossenen Handelsvertrag, aberstattet von der zur Brüfung befraglichen Vertrags niedergesezten Nationalrathskommission.

(Im Juli 1851.)

Tit.

Da die von der Regierung des Königreichs Sardinien entfaltete Politik im Gebiete des Handels und allgemeinen Verkehrs sich in jüngster Zeit auf sehr freisinnige Weife umgestaltete, fo benuzten die beiden Regierungen von Großbrittanien und Belgien diese Umgestaltung und fchlossen mit Sardinien im Laufe dieses Jahres sehr vorteilhafte, die Interessen diefer Staaten sehr fördernde Handelstraktate Bundesblatt. Jahrg. III. Bd. III.

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156 ab. Wenn es nun dem kleinen wesentlich entfernten Belgien glükte, mit Sardinien in fo nuzbringende Handelsverbindungen zu treten, fo follte die Schweiz hiefür um so mehr Aussichten haben, da der Verkehr zwischen der Schweiz und Sardinien ein weitaus umfangreicherer ist, als zwischen Sardinien und Belgien und die erster« beiden Staaten schon seit 1815 und srüher verschiedene aus Niederlassung und andere Punkte bezügliche Verträge mit einander abgeschlossen hatten und die gleichartigen Interessen benannter Staaten gegenseitig es sich zur Pflicht machen sollten, in sreundschastlichen Beziehungen zu einander zu stehen. Der hohe Bundesrath ermangelte nicht, dem Wnnfche verschiedener Kantonsregierungen, mit Sardinien Namens der schweizerischen Eidgenossenschaft einen Handelsvertrag abzufchließen, mit aller Beförderung Rechnung zu tragen, und es bezeichnete Hochderfelbe den Herrn Nationalrath Bischoff und den schweizerischen Handelskonsul, Herrn Mürset in Turin, um zu diesem Behufe mit der Regierung von Sardinien sofort in Unterhandlung zu treten, welch' benannten Herren Abgeordneten es denn auch gelungen ist, unter gegenseitigem Ratifi'kationsvorbehält, Namens der Eidgenossenschaft mit Sardinien einen Handelsvertrag abzuschließen, der den kommerziellen und auch den agrikolen Jnteressen beider Länder aus höchst geeignete Weife entspricht und wodurch die Schweiz aus die Linie der am meisten begünstigten Staaten gestellt

wird. Durch die umsichtige Leitung dieser wichtigen Angelegenheit haben die beiden Herren Abgeordneten den ...Dank des Landes in hohem Maße sich erworben.

Nach diesem gedrängten einleitenden Worte gibt sich nun die berichtgebende Kommission im Weitern die Ehre, den in Frage liegenden Vertrag, namentlich in den einjelnrn Theilen, zu beleuchten.

157 Der Art. 1 des in Frage liegenden Vertrags behandelt die freie Niederlassung der beidfeitigen Staatsangehörigen.

Viele fchweizerifche Kantone l)nldigten in dieser Beziehung schon vor der neuen Bundesverfassung freisinnigen Grundsäzen, und warum sollte die Schweiz im Jahr 1851 sich scheuen, mit Sardinien in ein gegenseitiges vernünftiges Verhältniß zu treten, da ja mit Frankreich, das der Schweiz gar keine kommerziellen Vortheile einräumt, diese

Zustände schon längst geregelt sind. Angesichts des Punktes, daß ungesähr 70,000 Schweizer im Auslande und zwar bekanntlich in allen Theilen der Erde ihr Auskommen suchen, müßte ja die Schweiz ganz beschämt dastehen, wenn sie in diesem Punkte engherzigen Vorurtheilen huldigen wollte, und wenn auch vielleicht einzelne an Sardinien anstoßende Kantone mit sardinischen Staatsangehörigen überschwemmt und daraus verschiedene Befürchtigungen für benannte Kantone hergeleitet werden möchten, so haben diese Kantone nur von den in §. 41 der Bundesversassung liegenden Bestimmungen Gebrauch zu machen, um vor Nachtheilen dieser oder jener Art bewahrt zu werden.

Der A r t. 2 handelt über die Befreiung vom Militär-

dienst. Die in diefem Artikel liegenden Bestimmungen sind den Staatsangehörigen beider Staaten gleich nuzbringend und auch der Sache angemessen.

Der Art. 3 handelt über Heimathlofigkeit und Vaganten. Da die Schweiz mit höchst umfangreichen Opsern erst unter der gegenwärtigen Bundesverfassung zur voll-

ständigen Befeitignng der Heimathlosigkeit gekommen ist, fo ist es gewiß gut, wenn bei Abschließung von derartigen Verträgen Bestimmungen in dieselben aufgenommen werden, durch welche die Erneuerung dieses großen Uebels für alle Zukunft verhindert werden kann.

158 ..Der Art. 4 behandelt namentlich die Zugeständnisse der Schweiz in Bezug auf Einführung von Lebensmitteln

in die Stadt Genf.

Faßt man hierüber den §. 8 der Bundesverfassung in Bezug auf den Grenz- und Marktverfehr in's Auge, betrachtet man mit möglichster Unbefangenheit die ganz ausnahmsweise Lage der Stadt Genf, fo hätte man, ohne diesen in Frage liegenden Vertrag, an Genf diefe nicht sehr umfangreichen Konzefsionen mit der Zeit bewilligen müssen. Uebrigens sind unfers Wissens in Bezug aus den Grenz- und Marktverkehr die in befraglichen Verträgen enthaltenen Grundsäze, gestüzt auf die vom Zolldepartemente gemachten Erfahrungen, in den Entwurf zu einem revidirten Zollgeseze im Zolltarife größtentheils aufgenommen worden. In Bezug auf die zollfreie Einfuhr von 10,000 Zentnern Wein ist nur zu bemerken, daß dieser Wein den Waadtländerweinen keine gefährliche Konkurs renz bilden wird, indem diefes Weinqnantum ausfchließlich in der Stadt Genf verbraucht werden dürfte. Wiegt man die Konzefsionen, die die Schweiz an Sardinien macht, mit denjenigen ab, die Sardinien der Schweiz gewährt, fo muß man gestehen, daß die Schweiz gegenüber von Sardinien in eine vortheilhafte Stellung kommt; büßt ja Sardinien nur auf den 30,000 Zentnern Schweizerkäfe, die aus den Kantonen Wallis, Waadt, Bern und der Urfchweiz in Sardinien eingeführt werden, die große Summe von 75,000 Franken jährlich ein, und wird

nicht die Schweiz in Bezug ihrer industriellen Produkte mit den begünstigtsten Staaten ganz auf die nämliche Linie

gestellt. Auch ist nicht zu übersehen, daß die sardinifche Regierung von der Absicht auszugehen scheint, in nicht serner Zukunft den Zolltarif auf's Neue zu revidiren und

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sich vollltändig an das Freihandelssystem anzuschließen, oder wenigstens demselben sich sehr zu nähern.

Der Art. 5 behandelt dann namentlich die schon angedeuteten, ab Seite Sardiniens der Schweiz eingeräumten Begünstigungen, durch welche namentlich die so bedeutende schweizerische Industrie in Baumwolle und Seide in Piemont Abzugsquellen findet, die ohne diesen Vertrag, was nämlich das Königreich Sardinien betrifft, vollständig versiegt wären und wodurch dem schweizerischen Handel eine sehr empfindliche Wunde versezt worden wäre, was man um so mehr hätte beklagen müssen, da die übrigen italienischen Staaten, angetrieben von einer benachbarten ©roßmacht, immer mehr in ein engherziges Schuzsystem ju versallen scheinen. Uebrigens erstreken sich die von Sardinien gemachten Konzessionen nicht allein auf induftrielle Produkte, sondern namentlich auch aus solche der Land- und Alpenwirthschast, so daß in dieser Beziehung die Kantone sowohl, die hauptsächlich aus Jndustrie ange-

wiefen sind, als diejenigen, die sich hauptfächlich auf Landund Alpenwirthschaft gelegt haben, gleichmäßig begünstigt werden.

Der Art. 6 behandelt namentlich die Transitfreiheit über den Simplon. Diefer schon in der Wienerkongreßakte zum Vorschein kommende Punkt, der fchon im revidirten Zolltarif größtentheils geregelt wird, fowie dieden beiden Provinzen von Chablais und Faneigny eingeräumten höchst untergeordneten Begünstigungen sind kaum der Rede werth.

Der A r t. 7 handelt über die Grenzzollstätten. Durch Diesen Artikel wird der Grenzverkehr auf erwünschte Weise zwischen beiden Staaten geregelt.

Der A r t. 8 handelt über die Eisenbahnen. Schon vor 1848, als Oesterreich in Sardinien äußerlich und in Bezug

160 auf die innere Staatspolitik auf einem fehr freundschaft« lichen Fuße zu einander stuhnden, strebten beide Staaten dahin, eine Hauptverbindungslinie vom Mittelmeere nach dem Herzen Deutschlands und der Nord- und Ostfee zu erhalten, um dadurch einerseits Venedig und Triest und anderseits Genua zu Hauptstappelpläzen sür den Handel im Herzen von Europa zu erheben. Um nnn diesen großartigen Plan zu verwirklichen, hat nun Sardinien bekanntermaßen eine Eisenbahn von Turin nach Genua erstellt, welche Bahn nun bis zum Langensee fortgefezt werden soll. .-Daß Sardinien nun dringend wünscht, daß vom Langensee diese Bahn über Schweizergebiet fortgesezt und mit den süddeutschen Bahnen in Verbindung gebracht werde, oder daß überhaupt von Sardinien ans durch die

Schweiz eine Verbindungslinie nach Süddeutfchland zu Stande komme, ist gewiß am Plaze, und deshalb ist denn auch dieser Artikel in befraglichen Vertrag hineingekommen; es sind aber hierüber die Ansdrüke fo allgemein gehalten und fo unverfänglich gegeben, daß daraus für die Schweiz niemals Gefahren diefer oder jener Art entspringen können.

Läßt sich irgend eine Aktiengesellschaft herbei, eine derartige Eisenbahnlinie z« übernehmen, fo kann und muß dieses für die Schweiz nnr erwünscht sein und durch die

Art. 21 und 28 des eidgenössischen Expropriationsgesezes sind auch hiefür die Wege einigermaßen geebnet.

Der Art. 9 verpflichtet auf wohlthätige Weife beide Staaten, gegenseitig ihre Gewerbserzeugnisse mit keinen weiteren oder höheren Gebühren zu belegen, als denjenigen, welche die am meisten begünstigte Nation für ihre Waaren und gleichartigen Produkte bei der Einfuhr zu be.»

zahlen hat. Es steht übrigens in Aussicht, daß Sardinien seine Einfuhrzölle in der Zukunft noch mehr er-

161 mäßige, und daß die Schweiz an diefer nuzbringenden Veränderung ebenfalls betheiligt werden dürfte.

Der Art. 10, handelnd über Aufstellung von Konsutaten, bedarf keiner weitern Beleuchtung und Anempseh-

lung.

Der Art. 11 enthält den Punkt, daß dieser Vertrag schon mit dem 11. Juli in's Leben gerufen werden foll, vvas auch durch eine Verfügung des hohen Bundesrathes gefchehen ist, welche Verfügung wir nur billigen, indem es sehr wohl gethan war, daß durch das in Kraft treten diefes Vertrages dem sonst darnieder liegenden fchweizerischen Handel und dem handeltreibenden Publikum schon .mit dem 1. Juli diejenigen Wohlthaten zugesichert worden sind, in deren Besiz das handeltreibende Publikum von England und Belgien schon am 1. Juni dieses Jahres gekommen ist.

Der Art. 12 enthält nur den Akt der Ratifikation.

Zum Schlüsse unsers Berichtes schreitend, müssen wir die Abfchließung dieses Vertrages mit eben so großer Freudigkeit begrüßen, wie denjenigen, der im lezten Jahr mit den vereinigten Staaten von Nordamerika zu Stande gekommen ist, wobei noch hervorgehoben werden dars, daß der nachstehende Vertrag für den fchweizerischen Handel von größerem Nnzen ist, als der mit Nordamerika abgeschlossene. Auch finden wir uns veranlaßt, noch auf Folgendes aufmerksam zu machen: Während der 33jährigen Dauer des Bundes von 1815 ist den Vororten und der Tagfazung nie oder nur höchst selten gelungen, auch nur einen einzigen wahrhaft nuzbringenden Handelsvertrag mit kleineren und größeren Staaten zum Abschlüsse zu bringen, gegentheils wurde ja

im Jahr 1844 die Schweiz von Belgien lachend mit den Worten abgewiesen ; ,,die Schweiz gewährt uns ja Alles,

162 sur was sollen wir ihr Konzessionen machen, trozdem daß die Schweiz alljährlich von Belgien für viele Millionen Franken Waaren bezieht;" und welche Figur die 10 Kantonsabgeordneten machten, die im Frühjahr 1847 nach Wien pilgerten, nmlmit Oesterreich Postverträge abznschließen, ist Jedermann bekannt. Diese Vergleichungen und dasjenige, was unter der gegenwärtigen Bundesversassung und den gegenwärtigen Bundesbehörden angestrebt und erreicht worden ist, wirft auf dieselben ein höchst er-

sreuliches Licht.

Da wir finden, daß der mit Sardinien abgeschlossene Handelsvertrag in den wahren Interessen des gefammten schweizerischen Vaterlandes liege, vor welchem allgemeinen vaterländischen Jnteresse untergeordnete, vereinzelte, kantonaleJnteressen verstummen müssen; da es für das fchweizerische Vaterland nur ehrenvoll ist, mit einem Nachbarjjaate in freundfchaftliche Verbindungen zu treten, mit einem Nachbarstaate, der so kräftig und ausdauernd aus dem Wege eines vernünftigen Fortschrittes sortwandelt; da die fardinifche Depntirtenkammer mit einer an Eininuth grenzenden Mehrheit diesen Vertrag ratifizirt hat: fo wünschen wir, daß ab Seite des Nationalrathes hierÜber Folgendes beschlossen werde: 1) ,,Es sei der zwischen dem Königreich .Sardinien und ,,der schweizerischen Eidgenossenschaft unter dem 8.

,,Juni 1851 abgeschlossene, in 12 Artikeln bestehende ,,Handelsvertrag zu ratisiziren," 2) ,,Sei die vom Bundesrathe getroffene Maßregel, nach ,,welcher die Bestimmungen des Vertrags schon mit ,,dem 1. laufenden Monats in Kraft getreten sind, ,,ebenfalls zu genehmigen."

Bern, im Juli 1851.

Namens der niedergesezten Kommission: Jenni, Nationalrath.

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Bericht über den zwischen dem Königreich Sardinien und der schweizerischen Eidgenossenschaft abgeschlossenen Handelsvertrag, aberstattet von der zur Prüfung befraglichen Vertrags niedergesezten Nationalrathskommission. (Im Juli 1851.)

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