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Schweizerisches

III. fiondi.

ro.

Freitag, den 13. Juui 1851.

Mi-m abonnirt ausschließlich beim nächstgelegenen Postamt. Preis süt: bas Iahr 1851 im ganzen Umfange der Schweiz p o r t o f r e i Ftkn. 3.

Jnferate sind f r a n k i rt an die Expedition einzufenden. Gebühx 1 Batzen per Zeile oder deren Raum.

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Entwurf eines

Strafgesezbuches, für die eidgenössischen Truppen.

(Fortsezung.)

«Bicrter ...Eitd.

Organisation und Kompetenz der außeror-

deutlichen Kriegsgerichte.

A. Für a b g e s c h n i t t e n e S o x p s.

Art. 255. Wenn ein Truppencorps, bei dem wenigftens sechs Kompagnien stehen, von aller Verbindung mit einem Kriegsgerichte abgeschnitten ist, und die Umstände den Verschub der Untersuchung und Beurtheilung eine.3 Straffalles nicht gestatten, so kann der Kommandant desselben ein außerordentliches Kriegsgericht für diese.,..

Truppencorps niedersezen. Dasselbe ist aufgelöst., so.bald entweder der Fall beurtheilt, oder die Verbindung ..Bundesblatt. Jahrg III. Bd. I.

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582 tmit einem ordentlichen Kriegsgerichte fo weit hergestellt ist, daß die Gefangenen demselben überliefeict werden können. Es foli daher in diefem Falle das Protokoll und die übrigen Akten sogleich durch den Kommandanten des Truppeneorps an den obersten Kommandirenden versenden.

Welcher über die Fortseznng des Verfahrens und die Ablieferung der Gefangenen verfügt.

Dagegen hat das wirklich ausgefällte Urtheil des außerordentlichen Kriegsgerichts dieselbe Geltung, wie bei einem ordentlichen Kriegsgericht.

Art. 256. Ein außerordentliches Kriegsgericht besteht aus einem Großrichter, zwei Üiichtern, zwei Ersazmännern, acht und beziehungsweise zwölf Geschwornen (Art. 218), einem Gerichtsschreiber und einem Auditor.

Art. 257. Der Kommandant des abgeschnittenen Truppeneorps, welcher in keinem Falle in dem außer.ordentlichen Kriegsgerichte sizen kann, ernennt den Großrichter und den Auditor, wo möglich ans den Osfiziereu des Justizstabes und die Richter und Ersazmänner aus den übrigen Osfizieren.

Er bildet auch die Geschwornenliste nach Anleitung.

der Art. 228 u. solg.

Art. 258. Der Großrichter ernennt auf den Vorschlag des Auditors den Gerichtsschreiber, und der Auditor bestellt die nöthigen Gefangenwärter.

Der Gxoßrichter verlangt von dem 'Kommandanten ber abgeschnittenen Korps die nöthigcn Ordonnanzen, Wachen und Bedeknngcn, die während dieses Dienstes unmittelbar unter seinem Befehle stehen.

Art. 259. Nach erfolgter Beeidigung bleiben die Er..tannten bis zur Auflösung des Gerichts an ihren Stellen.

Jedoch kann der Kommandant des abgeschnittenen Korps Su jeder Zeit den Großrichter, die Richter und Ersaz«

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männer auf ihr Begehren, den Auditor aber auch ohne dieß entlassen und die erledigte Stelle neu befezen.

Art. 260. Die Kompetenz des außerordentlichen Kriegsgerichtes erstrekt sich auf alle zu dem abgeschnittenen Truppeneorps gehörigen Personen.

Art. 261. Wenn ein abgeschnittenes Truppencorps oder Detaschement nicht wenigstens sechs Kompagnien enthält, so ist über vorkommende Verbrechen oder Vergehen ohne Niederseznng eines Kriegsgerichts lediglich die VorUntersuchung zu sühren. Nach Vollendung derselben sollen die Akten und die allfällig verhafteten Personen bis zur Herstellung der Verbindung mit einem Kriegsgerichte

(Art. 255), oder bis das abgeschnittene Eorps zu der vorgeschriebenen Stärke angewachsen ist, daß ein außerordentliches Kriegsgericht niedergesezt werden kann, aufbehalten werden.

B. Für 33 e r b r e c h e n des G e n e r a l s , des .Shefs des Generaljiabs u n d d e r K o m m a n d a n t e n g r ö ß e r e r -.âeeresab* theilnngen.

Art. 262. Der General, der Chef des Generalstabes und die Kommandanten eines Armeecorps, einer Division oder einer Brigade werden für Verbrechen und Vergehen t>or ein außerordentliches Kriegsgericht gezogen.

Art. 263. Dasselbe besteht ans einem Großrichter

und acht Mitgliedern, nämlich vier Militär- und vier Zivilpersonen. Die Wahl der Mitglieder, welche sowohl als Richter wie als Geschworne handeln, jedoch bloß den Gerichtseid (Art. 280) zu leisten haben, geschieht aus SSeranstaltung des Bundesrathes, wie folgt: Die Militärpersonen werden aus allen eidgenössischen Obersten in gedoppelter Anzahl ausgelotet, worauf der Angeklagte und der Anfläger, jeder zwei derselben, alter?

584 nativ zu refnsiren haben. Die Zivilpersonen werden aus d en fämmtlichen Präsidenten der Obergerichte fo gewählt, daß die Gefammtzahl durch alternative Reknfation, zuerst des Angeklagten und dann des Anklägers, auf vier re-

duzirt wird.

Der Bundesrath bezeichnet, sobald Truppen in den Felddienst eintreten, ans dem Jnstizstabe den Großrichter, welcher bei dem außerordentlichen Kriegsgerichte zu sunktioniren hat.

Art. 264. Die znlezt reknsirten zwei Miliitär- und zwei Zivilpersonen sind, mit Ausnahme des im Art. 220 vorgeschriebenen Falles, die Erfazmänner des Gerichts.

Sie sind nöthigen Falls nach der umgekehrten Ordnung ihrer Rekusation so einzuberufen, daß das Zahlenverhältniß zwischen den Militär., und Zivilperfonen, welche das Gericht bilden sollen, stets beibehalten wird.

Art. 265. Dem obersten Kommandirenden, und wenn dieser selbst der Angeschuldigte ist, dem Bundesrathe, steht die Anhebung und Führung der Voruntersuchung zu. Er ernennt zu diesem Behuf die erforderlichen Kommissarien für die Verrichtungen eines Untersuchungsrichters und eines

Anklägers.

Art. 266. Der Anklagezustand wird von dem ober...

jien Kommandirenden, und wenn dieser selbst oder der

Ehef des Generalstabes der Angeschuldigte ist, von dem

Bundesrathe ernannt.

Art. 267. Das Bundesgericht beurtheilt Kc;ssationsgesuche, welche gegen eine Entscheidung des nach Art. 261 3u bestellenden außerordentlichen Kriegsgerichtes einlausen.

Um gültig uriiheilen zu können, muß das Bundesgericht »ollständig besezt sein.

Wenn nicht wenigsten..! sieben Stimmen für die

585 Kassation sich ergeben, so ist das Kassationsgefuch abzu=weisen.

Art. 268. Für das Verfahren, sowohl bei dem außerordentlichen Kriegsgericht als der Kassationsbehörde (Art.

266), gelten im Ganzen die Vorschriften des gegenwärtigen Gesezbuches.

Art. 269. Wenn die Kassationsbehörde eine Kassation ausspricht, und zugleich versügt, daß die Sache von einem andern Gerichte aufs Neue zu behandeln sei (Art. 254), so wird ein neues außerordentliches Kriegsgericht gebildet nach Anleitung der Art. 262 und 263; in demselben dürfen aber weder Mitglieder des ersten außerordentlichen Kriegsgerichts, noch der außerordentlichen Kassationsbehörde (Art. 266) sizen.

.JUttfiìeE

...Eitel.

Befngniffe des obersten Ko m m and ir end en und.

des O b e r a u d i t o r s .

Art. 270. Der oberste Kommandirenbe hat die allgemeine Oberaufsicht über die Rechtspflege bei den eidge.nöfsischen Truppen, die unter seinem Befehle stehen. Auf das Einzelne des Verfahrens und auf den Jnhalt der zu fällenden Urtheile steht ihm kein Einfluß zu. ' Art. 271. Wenn der oberste Kommandirende nicht mehr im Dienste steht, oder wenn derselbe nicht wenigstens eine Division befehligt, so werden die ihm durch das Gesez zugeschriebenen Besugnisse von dem Bundesrathe

ausgeübt.

Art. 272. Der oberste Kommandirende, wenn er den Grad ein.es eidgenössischen Generals besizt, hat zum Ge-

.Pilsen für alle Gegenstände, welche in die Rechtspflege einfchlagen, den Oberauditor. Hat er dagegen bloß den Grad eines eidgenössischen Obersten, so steht es jederzeit

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im Ermessen des Bundesrathes, ihm entweder den Obers auditor beizugeben, oder auf feinen Vorschlag einen an= dern Auditor als seinen Stabsanditor zu bezeichnen.

Der Oberauditor ist der Chef des Justizstabes , und wird von dem Bundesrathe ernannt.

Art. 273. Unter der Leitung des Oberauditors oder des Stabsauditors stehen alle Auditoren der Gerichte bei den Truppen, die der oberste Kommandirende befehligt; er führt im Namen des leztern und unter feiner eigenen Unterfchrift die nöthige Korrespondenz über alle Gegenstände der Rechtspflege mit allen Behörden, welche einen Zweig der Rechtspflege verwalten; er untersucht vorläufig alle Gegenstände dieser Art, welche an ihn selbst, oder an den obersten Kommandirenden gelangen, stattet demselben Bericht darüber ab und sertigt die Besehle oder Weifungen des obersten Kommandirenden, die in das Fach der Rechtspflege einschlagen, unter desselben Unterfchnft oder unter derjenigen des Ct)efs des Generalstabes ans; er stellt mit Genehmigung des obersten Kommandirenden

die nöthige Hilfe bei feiner Kanzlei an.

Art. 274. Der Oberanditor wird nach Anweisung des.

obersten Kommandirenden durch einen Offizier des Justizstabes vertreten.

Art. 275. Der oberste Kommandirende, oder wenn derfelbe selbst betheiligt ist, der Bundesrath, maß jedes Urtheil behnss der Vollziehung mit seinem Vollziehungsbefehl versehen. Bei einem abgefchnittenen Corps kommt diese Befngniß dem Kommandanten desfelben zu.

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Dritter Abschnitt.

Allgemeine ·'·Borschriften für die -Organisation und Kompetenz der ©erichtsbehorden.

Art. 276. Jede bei der Armee angestellte Person ist schuldig, der Ernennung an eine militärische Gerichtsstelle Folge zu leisten, gleich wie dem Kommando zu einer andern Dienstverrichtung.

Art. 277. Wenn nicht alle Gerichtspersonen die Sprache des Angeschuldigten verstehen, oder der leztere die Sprache der erster« nicht, so soll für diesen Fall ein Dollmetscher angestellt und beeidigt werden.

Art. 278. Jede bei einer militärischen Gerichtsbehörde angestellte Person ist von allem andern Dienste srei, sobald sie zu der Behörde einberufen und bis sie entlassen wird. Sie steht während dieser Zeit einzig unter dem Befehl des Großrichters, bleibt aber auf dem Bestandetat ihres Korps nnd bezieht den Sold und die Vergütnng der Rationen bei demselben.

Art. 279. Alle Militärs, welche in irgend einer Eigenschaft bei der Rechtspflege mitzuwirken haben, werden für die Reifeanslagen nach dem Réglemente entschädigt.

Ueber diese Entschädigung und den Sold und die Verpflegung (Art. 278) hinaus , erhalten Subalternoffiziere einen Franken, Unteroffiziere, Korporale und Soldaten zwei Franken Zulage, welche ihnen nebst den Reisegeldern spätestens unmittelbar nach Beendigung ihrer Verrichtungen zu bezahlen ist.

Art. 280. Die Großrichter, Richter, Gerichtsschreibe..: und Auditoren sollen, wenn sie nicht schon als Offiziere

des Justizstabes beeidigt worden sind, den Gerichtseid schwören, bevor sie ihr Amt antreten.

588 Der Großrichter wird durch den Kommandanten der betreffenden Heeresabtheilung, oder durch einen von demselben hiemit beauftragten Offizier, die Richter, Ersazmänner nnd Auditoren werden durch den Großrichter, der Gerichtsschreibcr durch den Auditor beeidigt.

Der Präsident des Kassationsgerichts wird durch den .Bundesrath, die Mitglieder werden durch den Präsidenten

beeidigt.

Bei der Beeidigung wird die nachstehende Eidesformel laut und deutlich vorgelesen ; und der zu Beeidigende spricht stehend, mit aufgehobener Hand die Worte: ,,Jch schwöre es", oder wenn er einer Konfession angehört, welche den (jid nicht zuläßt: "Jch gelobe es."

Jede Beeidigung muß in das Protokoll der Bejjörde oder in das Ordrebuch des beeidigenden Komrnandanten eingetragen werden.

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,,Eidesformel:"

,,Es schworen die eidgenössischen Gerichtspersotien für ,,die militärische Rechtspflege: die.Pflichten und Verrich,,tungen ihrer Stelle gewissenhast zu erfüllen : stets nach "Vorschrift der Geseze zn handeln und zu richten, Nie,,manben zu Lieb noch zu Leib; sich alles angelegen sein ,,zu lassen, was zur pflichtmäßigen Ausübung ihres Awteö ,,und zur genauen Handhabung der Dienstpflicht gehört, ·valso daß sie es vor Gott und ihrem Gewissen verant-,,Worten mögen."

Art. 281. Die äußere Anordnung der ©izung der Militärgerichte ist so zu -..-reifen, daß der Großrichter mit Leichtigkeit das Ganze «berfteht, die ©eschwornen aber den Angeklagten und die Zcnäen vor Augen haben.

Die ©eschwornen nehmen ihre Pläzc nach dem Grade

589 oder Range ein, der ihnen zukommt. Vei Gleichheit de$ Grades oder Ranges sezen sie sich in alphabetischer Ordnung.

Der Ankläger und der Vertheidiger halten ihre Vorträge stehend, und der Angeschuldigte soll die Vorträge seines Vertheidigers stehend anhören, es sei denn, daß ihm der Großrichter aus besonderen Gründen erlaube, sich niederzusezen.

Art. 282. Die dem Militärstand angehörigen Gerichtspersonen, so wie die Geschwornen sollen den Sizungen in vollständiger Uniform, mit dem Seitengewehr beiwohnen. Die Kopfbedekung wird während der Sizung abgelegt. Die Zivilpersonen, welche in einem außerordentlichen Kriegsgerichte sizen (Art. 262), tragen schwarze

Kleidung, Degen und aufgeschlagenen Hut; die Mitglieder, welche dem Justizstab angehören, ihre Unisorm.

Art. 283. Bei allen öffentlichen Verhandlungen hat d.er Großrichter für vollkommene Ruhe und Ordnung zu sorgen ; er ist berechtigt, sür Bezengnngen von Beisall oder Mißfallen oder andere Störungen entweder Ordnungsstrafen aufzulegen und fofort vollziehen zu lassen (und zwar ohne Unterschied zwischen Zivil- und Militärperfonen), oder einzelne Personen verhasten oder wegweisen, oder sogar das Lokal gänzlich räumen zu lassen.

Jm leztern Falle müssen jedoch die Verhandlungen sür so lange eingestellt werden, bis dem Publikum der Zutritt zu denselben wieder gestattet werden kann.

Art. 284. Ueber alle Verhandlungen, Beschlüsse und Urtheile eines Militärgerichts soll durch die Kanzlei ein getreues Protokoll geführt und dem Gerichte, oder wenn dasselbe binnen zwei Tagen nach der fraglichen Handlung sich nicht versammeln würde, dem Großrichter zur Prüsung und Ratifikation vorgelegt werden. Ausgenommen

590 ·find die Verhöre in dem Hauptverfahren, von welchen bloße Notiz durch Angabe des Namens der Verhörenden und Verhörten genommen wird.

Alle Auefertigungen follen bei Vermeidung von Ord«ungsstrafen ohne irgend welche Zögerung geschehen.

Urtheile und Missive sind mit der Unterschrift des Groß-

richters und des Schreibers, bloße Protokollsanszüge hingegen nur mit der Beglaubigung des leztern zu verfehen..

Das Protokoll wird ' von dem Großrichter verwahrt und nach Auflösung des Gerichts in das eidgenössische

Archiv niedergelegt.

Art. 285. Die Zulage und Reifeentschädigungen für die Gerich.spersonen (Art. 279), so wie ihr Gehalt und die Vergütung der Rationen, wenn sie aus dem Justizstab gezogen sind, oder keinem im aktiven eidgenössischen Dienste stehenden Truppenkorps angehören; serner alle Ausgaben für materielle Einrichtungen, Kanzleibedürfuisse, Entfchädignngen der Zeugen, Besoldung der zum beständigen Dienste der Gerichtsbehörden nöthigen Personen und dergleichen : endlich die Kosten der Verpflegung der Gefangenen werden aus der Gerichtskasse auf Rechnung der eidgenössischen Kriegekasse bestxitten, welche hinwieder die Kosten bezieht, zu welchen die Schuldigen verurtheilt worden sind.

Den Gesangenen laust der Sold und die Vergütung der Rationen nach ihrem Grade bis zum Endurtheil, welches den Vollziehungsbefehl erhält, und wenn sie gänzlich freigefprochen werden, bis zu ihrer Entlassung, mit Jnbegriff der Marfchtage in ihre Heiinath. Die Löhnung eines Verhafteten wird aber für die Gerichtskosten auf Rechnung innebehalten, und daraus die Kosten seiner Verpflegung und der Prozedur vor allem erhoben, Wenn er zu deren Bezahlung verurtheilt wird, dem Frei-

591 gesprochenen hingegen nach Abzug seiner .Verpflegungstosten ausgeliefert.

Bis zur Verurtheilung bleibt der Angeklagte auf den Etats feines Korps, und der Sold, nach Abzug des Baarschusses in den Haushalt (Ordinäre), wenn er aus demselben feine Kost erhält, wird bloß innebehalten und in

die Gerichtskasse niedergelegt.

Die Nahrung eines Gefangenen soll bis nach dem 33ollziehungsbefehle für fein Urtheil die gewöhnliche eines Militärs feines Grades fein.

Art. 286. Jedes in den Schranken seiner Besngniß ausgesprochene Urtheil eines Offiziers über bürgerliche Rechtsstreitigkeiten, und jedes mit dem Vollziehungsbefehl des obersten Kommandirenden versehene Urtheil in Strafsachen ist nicht bloß bei dem Heere, sondern in der ganzen Eidgenossenschaft rechtsverbindlich, und jede Behörde in der Eidgenossenfchaft ist verpflichtet, zu feiner Vollziehung in ihrem Geschäftskreise mitzuwirken.

Art. 287.

Der Bundesrath hat über die Vollziehung

der Strafurtheile eines eidgenössischen Militärgerichts zu= Wachen.

Anijangetitel.

O r g a n i s a t i o n d e s Jnstizstabes.

Art. 288. Bei der eidgenössischen Armee soll ein Justizstob aufgestellt werden, als diejenige Abtheilung des Armeestabes, aus welcher für die Rechtspflege bei dem Heere die mit den erforderlichen technischen Kenntnissen versehenen Beamten gezogen werden können.

Art. 289. Der Justizstab besteht ans: einem Oberauditor, mit dem Rang eines eidgenössischen Obersten, als Chef des Stabs; drei Beamten mit dem Rang eidgenöfsischer Obersten;

592 fünf Beamten mit dem Rang von Oberstlieutenanten

im eidgenöfsischen Stab; fünf Beamten mit dem Rang von Majoren im eidgenöfsifchen Stab, und aus dreißig Beamten mit dem Rang von Hauptleuten im eidgenössischen Stab.

Wegen eintretenden besonderen Bedürfnissen kann der Justizstab durch eine Verfügung des Bundesrathes temporär vermehrt werden.

Art. 290. Nur wissenschaftlich gebildete und praktisch geübte Juristen können zu einer Beamtung des Justizstabes ernannt werden. Dem Bundesrath liegt es ob, sich für die Wahl oder den Vorschlag dießfalls cuf geeignetem Wege die erforderliche Gewißheit zu verschaffen.

Art. 291. Die Offiziere des Justizstabes werden von dem Bundesrathe ernannt und brevetirt.

Anstellungen zu einem bestimmten Amte finden höchstens aus eine Dauer von drei Jahren Statt. Die Abtretenden sind jedoch immer wieder wählbar.

Art. 292. Der Bundesrath oder eine von demselben zu delegirende Behörde beeidigt die Offiziere des Justizstabes.

...Die Kantonal-Kriegsgerichte.

Art. 293. Ein Kantonalkriegsgericht besteht aus einem oder mehreren Richtern und acht bis zwölf Gefchwornen.

Ueberdieß gehören zu einem solchen ein Gerichtschreiber und ein Anbitor.

Art. 294. Die Geschwornenliste soll gebildet werden, bevor ein einzelner Fall anhängig geworden ist. Dieselbe soll zur Hälfte aus Offizieren, zu einem Viertheile aus

593 Unteroffizieren und zu einem Viertheile aus Korporalen und der übrigen Mannfchaft bestehen.

Wer nicht von Amtswegen Gefchworner ist, kann entweder durch die Militärbehörden oder durch das LooHr?

dazu bezeichnet werden.

Art. 295. Die Geschwornenliste wird durch Rekusationen und nötigenfalls durch das Loos auf die im einzelnen Falle erforderliche Anzahl von Gefchwornen rednzirt.

Der Auditor und der Angeklagte sind mit Beziehung auf das Reknsationsrecht gleich zu halten. Jeder von beiden dars wenigstens sechs Geschworne ablehnen.

Art. 296. Für jeden Kanton besteht ein Kassationsgericht. -Es können indeß mehrere Kantone sich zur Aufstellung eines gemeinfamen Kassätionsgerichtes vereinigen.

Art. 297. Die Befugnisse des obersten Kommandirenden und des Bundesrathes stehen der Kantonsregierung zu.

Art. 298. Die nähere Ausführung diefer Vorschriften ist Sache der Kantone.

Drittes Buch.

Von dem Verfahren.

Einleitung.

Art. 299. Alle Verbrechen und Vergehen, welche das Gefez mit gerichtlicher Strafe bedroht, follen im Jnteresse der öffentlichen Sicherheit untersucht und bestraft werden, auch wenn keine Klage oder Aufforderung von Seite eines Beleidigten oder Geschädigten vorliegt. Jede anßergerichtliche Beseitigung solcher Fälle ist allen Militärpersonen bei eigener SSerantwortlichkeit untersagt.

Art. 300. Hiervon sind ausgenommen alle Ehrverlezungen. Wegen solcher soll nur iu Folge einer durch

594 den Beleidigten erhobenen Klage ein gerichtliches Verfahren eingeleitet, sodann aber hierbei wie in allen andern Fällen verfahren werden.

Art. 301. Alle Klagen und Verzeignngen werden an

den Strafpolizeibeamten (Art. 212) gerichtet, welchem die erste Einleitung jedes Straffalles obliegt (Art. 304 u. folg.)

Art. 302. Jeder Offizier, Unteroffizier oder Korporal, welcher einen oder mehrere Militärs, die ihm im Grade oder Range untergeordnet sind, bei Verübung einer strasbaren Handlung, oder unter Umständen, die eine folche besorgen lassen, antrisst, ist v e r p s l i c h t e t , dieselben zur Ordnung aufzufordern, und wenn sie nicht angenbliklich gehorchen, oder die Handlung schon begonnen oder voll* zogen ist, so soll er sie festmachen, und dem ersten Wachtposten oder der nächsten Patrouille zur Verhaftung überliefern. Er kann auch die Hilfe von Zivilpersonen oder von Militärs zu der Ergreisung ansprechen, und die leztern sind verpflichtet, dieser Aufforderung zu gehorchen.

Dieses Recht soll jeder eidgenössische Offizier, Unterosfizier und Korporal gegen die Untern im Grade oder Range von allen Korps der eidgcuöfsifchen Truppen aueüben, sobald er. seinen Degen oder Säbel trägt, oder ein Zeichen, daran sein Grad erkannt werden mag.

Der Wachtposten oder die Patrouille, welcher die Verhafteten überliefert worden sind, foll dem Offizier, unter deffen Befehle dieselben stehen, von dem Geschehenen so-

gleich Meldung machen.

Art. 303. Jeder Militär und jede Zivilperson ist b e r e c h t i g t , einen Verbrecher festzumachen, den sie auf frischer That ertappen; jedoch müssen sie eine Militärperson sogleich einem Wachtposten oder einer Paironille 3nr Verhaftung ausliefern, wovon dem Offizier, imtef

595 dessen Befehl der Thäter steht, Meldung zu machen iß, und eine Zivilperson muß sogleich der bürgerlichen Behörde, mit der Anzeige der That und ihrer Umstände, ausgeliesert werden, wenn sie durch Militär ergriffen ïvurde.

Art. 304. Wenn der Offizier, dem ein Verhafteter übergeben, oder eine Anzeige gemacht wird, nicht felbji

Strafpolizeibeamter (Art. 213) des mnthmaßlichen Thäter..*.

ist, fo foll er diesem Beamten sogleich die gehörige Meldüng erstatten.

Erster Abschnitt.

·QSon der Voruntersuchung.

Art. 305. Der Zwek der Voruntersuchung ist:

a. Ausmittlung des Thatbestandes und des Thäters bis zu einem ' solchen Grade von Wahrscheinlichkeit, da§ gegen den Verdächtigen vor Gericht Anklage erhoben werden kann;

b. vorläufige Sammlung der Beweismittel, so weit diese nöthig ist, um dem Hauptverfahren feinen Fortgang als einer ununterbrochenen Handlung zu sichern.

Art. 306. Die Voruntersuchung wird durch den Strafpolizei-Beamten (Art. 213) oder irgend einen von demselben damit zu beauftragenden Offizier geführt.

Art. 307. Die Voruntersuchung soll angehoben wer-

den, sobald die Wahrscheinlichkeit vorliegt, daß ein Verbrechen oder Vergehen begangen worden sei.

Sie ist nicht öffentlich.

Art. 308. Es ist Pflicht des. Auditors, der Vor..Untersuchung, von deren Anhebung ihm daher unverzüglich - Kenntniß zu g.eben ist, beizuwohnen; doch soll seine Ab.-

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,

ivesenheit die Vornahme der einzelnen Handlungen der«

selben nicht hindern. Er sowohl als der Verdächtige ist befugt, an den Strafpolizei-Beamten oder dessen Vertreter Begehren behufs Sammlung der Beweismittel für die Schuld und beziehungsweise Unschuld zu stellen.

Art. 309. Der Verdächtige soll in wichtigen Fällen immer, sonst aber nur wenn feine Entweichung zu besorgen ist, einstweilen in Verhaft gebracht werden. Von allen .Verhaftungen, welche der Strafpolizei-Beamte nicht felbst vornimmt, ist derselbe unverzüglich zu benachrichtigen.

Art. 310. Bei Verbrechen oder Vergehen, welche muthmaßlich durch Militärperfonen und Zivilperfonen getneinschastlich begangen worden, kann die Voruntersuchung mit der Zivilbehörde gemeinschastlich geführt werden, oder beide Behörden follen sich die von jeder derselben aufgenommenen Akten mittheilen.

Art. 311. Die Voruntersnchungsbehörde soll schleunig durch Anordnung von Wachen oder durch andere Mittel dafür forgen, daß die sichtbaren Spuren des Verbrechens nicht zufällig oder künstlich zerstört werden. Auch sind diese Spuren fogleich durch Augenschein und genauen Rapport zu den Akten zu erheben.

Art. 312. Wenn der Augenschein an Gegenständen vorgenommen wird, deren richtige Erkenntniß und Beur» theilnng besondere technische Kenntnisse und Erfahrungen »orausfezt, wie z. B. bei Tödtungen, Serwundungen, Verfälschungen, Erbrechnng von Schlössern, Schäznng eines Schadens «nd dergleichen, fo soll die Voruntersuchungsbthörde, je nach der Erheblichkeit des Falles, einen oder zwei Sachverständige beiziehen. Bei der Untersuchung von schweren Verwundungen und bei Leichen«ffnungen sott in der Regel ein Militärarzt, wenn ein

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solcher nicht in der Nähe sich befindet, ein bürgerlicher Arzt zugezogen sein.

Art. 313. Die Experten sollen ihren Befund entweder mündlich zu Protokoll abgeben oder schriftlich einreichen.

Jm erster« Falle gelten die Vorfchriften über die Einvernahme von Zeugen» Art. 314. Der Befund über die Sektion eines getödteten Menschen soll enthalten : a. die Angabe, wie und wo die Voruntersuchungsbehörde den Leichnam angetroffen ; b. die Angabe der Zeit und des Orte..?, wann und wo die Sektion verrichtet worden ; c. die Bezeichnung des Leichnams nach Geschlecht, ..Ülter,

Gestalt und Größe;

d. der Befund der innern und äußern Beschaffenheit des

Kopfes, der Brust und der Bauchhöhle, und die Art,

wie diefe Beschaffenheit wahrgenommen worden ist, mit Bemerkung der Ordnung, in welcher die Untersuchung abgehalten wurde; e. das Gutachten der Sachverständigen über die Beschaffenht.'.jt der Verleznng und über die Todesursache

mit Beifügung ihrer Gründe.

Art. 315. Der Leichnam darf erst dann bestattet werden, wenn der Auditor den ärztlichen Rapport eingefehen und genehmigt hat.

Wenn die Person des Verstorbenen unbekannt ist, so soll die Vorunterfuchungsbehörde sich so viel als möglich bemühen, dieselbe anszumitteln, bevor die Beerdigung stattfindet.

Art. 316. Sachverständige sind in Hinsicht aus die Verpflichtung, ihren Befund zu beschwören oder anderweitig zu erhärten, wie Zeugen anzusehen.

.·Sundesblatt. Iahrg. III. Bd. I.

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598

Art. 317. Ser Strafpolizeibeamte oder sein Stellvertreter ist berechtigt, die uöthigen Duartier- oder Haus.s fuchungen bei Personen anzustellen, welche der Militärs gerichtsbarkeit unterworfen sind. Wenn Haussuchungen bei Zivilpersonen stattfinden sollen, so müssen die betressenden bürgerlichen Behörden «m deren Veranstaltung angegangen werden.

Art. 318. Gegenstände, welche über die Art und Weise, wie die strasbare That verübt worden, Aufschluß geben können, wie die bei der That gebrauchten Jnstruniente, das durchbohrte Kleid eines Erstochenen und dergleichen, soll die Vorunterfuchungsbehörde sogleich in Beschlag nehmen, damit diese Wahrzeichen mit den Merk.malen der That verglichen und dem Gerichte vorgelegt werden können.

Art. 319. Der Strafpolizeibeamte verhört den ·Schuldverdächtigen und die Zeugen in derjenigen Reihensolge, welche ihm die angemessenste erscheint.

Als Zeugen sind alle Personen einzuvernehmen, von denen sich irgend ein Aufschluß über das Verbrechen und die Schuld oder Unschuld des Verdächtigen «rwarten läßt.

Dabei sollen auch die Umstände, welche den Grad der Glaubwürdigkeit der einzelnen Zeugen bestimmen, zu Protokoll erhoben werden, Art. 320, Jeder Zeuge ist vor seiner Einvernahme zu ermahnen, baß er in allem die Wahrheit reden und nichts, was ihm von der Sache bekannt sei, verschweigen werde. Dabei ist er auf die künftige Vereiidung auf·merksam zu machen.

Art. 321. Der Schuldverdächtige ist in Abwesenheit der Zeugen, und jeder Zeuge in Abwesenheit des Verdachtigen und der übrigen Zeugen «bîuhottn.

599 Art. 322. Es wird keine Konfrontation weder zwisehen den Zangen, noch zwischen dem Verdächtigen und den Zeugen vorgenommen, ausgenommen allfällig zur Erwahrung der Identität der Personen.

Art. 323. Die an den Angeschuldigten und die Zeugen gerichteten Fragen follen bestimmt, klar und unver-

fänglich sein.

Verweigert der Angeschuldigte beharrlich, auf die an ibn gestellten Fragen zu antworten, so wird ohne Rüksicht hierauf die Untersuchung fortgeführt.

Art. 324. Ueber "die Einvernahme der Zeugen und des Verdächtigen, fo wie über alle übrigen Handlungen der Vorunterfuchung wird ein genaues und fortlaufendes Protokoll geführt. Die an den Verdächtigen gerichteten Fragen sowie die Antworten desselben sollen, so viel möglich, wörtlich niedergeschrieben werden. Mit Beziehnng aus die Zeugenaussagen genügt es, daß der wesentliche Jnhalt derselben aufgezeichnet wird. Dem Einvernommenen ist das Protokoll zu verlefen, feine Erklärung

über dessen Richtigkeit zu gewärtigen, und diefe durch seine Unterschrift zu bezeugen.

Art. 325. Die Vorunterfuchung soll so schnell wie möglich geführt werden; der Strafpolizeibeamte ist für

jeden Verzug, der nicht durch die Akten gerechtfertigt ist, verantwortlich. Wenn ein verdächtiger verhaftet ist, so soll seine Einvernahme spätestens am Vormittage nach dem Tage seiner Verhaftung stattsinden.

Art. 326. Jn allen Fällen foll die Vorunterfuchung von ihrer Anhebung an ununterbrochen (einzig mit Vor-

behalt der nächtlichen Ruhestunden) bis zu Ende fortgeführt werden. Eine Ausnahme findet Statt, wenn äußere Hindernisse, wie die Herbeischaffung abwesender Zeugen

600 und dergleichen, eine Unterbrechung nothwendig machen.

Jn diesem Falle foll di., Fortsezung sobald als immer möglich vor sich gehen, und die Gründe der Unterbrechung sollen im Protokoll bemerkt werden.

Art. 327. Die Untersuchung ist zu schließen, wenn der im Art. 305 bezeichnete Zwek erreicht, oder die Mittel, ihn zu erreichen, erschöpft sind.

Art. 328. Wenn der Strafpolizeibeamte die Vorunterfuchrnig für vollendet hält, so übergibt er die fämmtlichen Akten dem Auditor.

Art. 329. Der Auditor ist ermächtigt, die ihm übermachten Akten zu vervollständigen. Hiebei ist er an die für den Strafpolizeibeamten aufgestellten Formen gebunden und er foll. überdieß den Gerichtsfchreiber zur Führung des Protokolls und einen Offizier als Urkundeperfon zuziehen.

Art. 330. Jst eine Vervollständigung der Voruntersuchung nicht erforderlich, oder hat dieselbe stattgesunden, fo überwacht der Auditor innerhalb vierundzwanzig Stunden die Aîten mit der Anklage (Art. 335) dem Großrichter oder wenn er die Anklage für unzulässig oder für zweifelhaft hält, mit einer dießfälligen Einsrage dem Oberauditor.

Art. 331. Jst der Oberauditor ebenfalls der Ansicht, daß auf Grundlage der Voruntersuchung keine Anklage erhoben werdest könne, so verfügt er, daß die Sache einstweilen auf sich beruhen solle.

Diese Verfügung wird durch den Auditor 'Dem Straf-

polizeibeamten mitgetheilt, und der Angeschuldigte, wenn

derselbe im Untersuchungsverhaste sich befindet, und keine andere Beschwerde gegen ihn vorliegt, auf freien Fuß gesezt.

601 Die Voruntersuchung ist jedoch wieder aufzunehmen, fobald neue Verdachtsgründe sich ergeben.

Art. 332. Findet hingegen der Oberauditor, daß ge-

nügender Grund vorhanden fei, den Angeschuldigten wegen eines oder mehrerer Verbrechen vor Gericht zu stellen, fo gibt er dem Auditor die erforderliche Anweifung, welche derfelbe genau zu befolgen hat.

Art. 333. Auf gleiche Weise soll der Auditor die An-

Weisung des Oberanditors einholen, wenn mehrere Personen in die Untersuchung verwikelt sind und bloß mit Beziehung auf einen Theil derselben der Anklage Bedenken entgegen stehen.

Art. 334. Mit Beziehung auf alle Perfonen, von denen sich aus der Voruntersuchung mit bedeutender

Wahrscheinlichkeit ergibt, daß sie an dem fraglichen Verbrechen Theil genommen haben, erhebt der Auditor bei dem Kriegsgerichte schriftlich die Anklage.

Art. 335. Die Anklageschrift bezeichnet in Kürze aber genau :

1) die Perfon des Angeklagten ; ,, 2) die Handlungen oder Unterlassungen, welche demfelben zur Last gelegt werden; 3) die Eigenschaft und die Absicht, in welcher er gehandelt,hat,- und die übrigen Umstände, welche mit der Handlung oder Unterlassung verbunden waren, foweit dieselben zu dem gefezlichen Thatbestande des Verbrechens gehören, mit Weglassung von bloßen Erfchwerungs- oder Milderungsgründen (Art. 33 n. ff. Art. 372); 4) die Gefezesartikel, durch welche diefer Thatbestand

mit Strafe bedroht ist.

Für den Fall der Verwerfung der Hauptanklage kann eine eventuelle Anklage erhoben werden, welche auf gleiche Weife abzufasssn ist. Dabei sind weder die Verdachts-

602 gründe anzuführen, noch irgend welche Rechtserörterungen oder Geschichtserzählungen einzuflechten.

Art. 336. Der Auditor Übermacht die Anklageschrift sammt den Akten dem Großrichter (Art. 330) und stellt ein Doppel der erster« dem .Mngeklagten zu, den er zugleich zur Bezeichnung eines Vertheidigers auffordert.

Art. 337. Der Angeklagte ist befugt, jeden rechtlichen Mann aus dem Zivil- oder Militärstande zum ..Serthcidiger anzusprechen; doch dars durch die Person des Vertheidigers feine Zögerung verursacht werden. Wenn die Entfernung des Wohnortes oder andere Verhältnisse des gewählten Vertheidigers eine folche besorgen lassen, so fann der Großrichter, welchem der Auditor in allen Fällen die getroffene Wahl unverzüglich einberichten soll, den ....Ingeklagten zu einer andern Wahl auffordern.

Zto-siEsir ÜI!H S8on dem Hauptverfahren.

Art. 338. Wenn der Angeklagte noch keinen Vertheidiger hat, fo wird ihm vor allein ein solcher durch den Großrichter bestellt. Jeder Angehörige der Truppenkor.pi..., für welches das Kriegsgericht aufgestellt ist, muß dieser Ernennung kraft feiner Dienstpflicht Folge leisten.

Art. 339. Der Verthcidiger hat freien Zutritt zu dem

Angenagten und Einsicht in die Akten.

Art. 340. Der Großrichter oder in seinem Namen einer der beiden Richter bildet nach Anleitung des Art.

229 und 234 die vierundzwanjig Gefchworne und vier Ersazmänner enthaltende engere Liste, theilt dieselbe dem

Auditor sowohl als dem Angeklagten abschriftlich mit und sezt beiden Parteien eine Frist von wenigstens fechs und

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höchstens vierundzwanzig Stunden an, um das ihnen nach Art. 232 zustehende Rekusationsrecht auszuüben.

Mündliche Ablehnungen werden von dem Gerichtsschreiber zu Protokoll genommen.

Art. 341. Aus den nicht rekusirten Geschwornen wird die Jury gemäß Art. 234 zusammengesezt.

Art. 342. Der Auditor sowohl als der Verteidiger haben dem Großrichter ein schriftliches Verzeichniß der Zeugen, deren Vorladung sie verlangen, einzureichen. Hiefür kann ihnen derselbe nöthigen Falls eine kurze Frist ansezen.

Art. 343. Der Großrichter bestimmt den Tag der Gerichtsverhandlungen und erläßt die erforderlichen Ladüngen an die Richter, die nach Art. 341 und 234 bezeichneten Geschwornen, deren Ersazmänner (Art. 235), den Auditor, den Angeklagten und den Vertheidiger, und eben so an alle Zeugen, welche von dem Ankläger oder dem Vertheidiger bezeichnet, oder in der Voruntersuchung bereits einvernommen worden sind, mit Ausnahme derjenigen unter den.leztern, von welchen keinerlei Aufschlug zu erwarten steht.

Der Großrichter kann auch von Amtswegen Perfonen vorladen, von denen er glaubt, daß sie Aufschluß zu ertheilen im Stande seien.

Art. 344. Experten, von denen sich schristliche Gutachten oder protokollirte Aussagen bei den Akten befinden, oder welche sonst vor Gericht einvernommen werden sollen, sind als Zeugen vorzuladen und zu behandeln.

Art. 345. Auch dem Geschädigten ist von dem Tage der Gerichtsverhandlung, behuss allsälliger Geltendmachung seiner Zivilansprüche Kenntniß zu geben.

Art. 346. Die gerichtliche Verhandlung, mit Ausnahme der Berathung des Gerichts, ist öffentlich. Sie

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soll in einem geräumigen Lokal gepflogen und dm in der Nähe befindlichen Truppen der Zutritt so viel als mög* lich erleichtert werden. Zu diesem Behuf foll .Die erforderliche Bekanntmachung geschehen und das Gerichtslokal während der ganzen Zeit der Verhandlung durch eine passende Ausschrift auf eine in die Augen fallende Weise ïennbar gemacht werden.

Art. 347. Die Verhandlung soll am frühen Vormittag beginnen und wo möglich an demselben Tage, ohne Unterbrechung, bis und mit der Eröffnung des Urtheils vollendet »erden. Wenn diefes nicht möglich ist, so darf die Unterbrechung bloß während der Nachtstunden stattfinden. Würde es wegen äußerer Hindernisse un·answeichlich, die Verhandlung auf einen oder mehrere Tage zu unterbrechen, fo soll dafür gesorgt werben, da§ die Fortfeznng so bald als möglich geschehe.

Art. 348. Die Verhandlung beginnt damit, daß der Großrichter den Angeklagten um seinen Namen, sein Alter, seine Berufs- und Familienverhältniffe und feinen Wohnort befrägt.

Art. 349. Hierauf werden die Gefchwornen aufgerufen. Haben sich weniger als acht oder beziehungsweise zwölf Gefchworne eingefunden, so ersezt der Großrichter die Fehlenden aus den ordentlichen Ersazmännern der gleichen Kategorie und nimmt nötigenfalls außerordent.liche Erfazmänner nach Art. 239 zu Hilfe.

Art. 350. Der Großrichter liest den Gefchwornen, welche sich von ih.ren Pläzen zu erheben haben, folgende Eidesformel vor: ,,Jhr schwöret vor ©ott und vor den Menschen, mit der größten Aufmerksamkeit die Anschuldigungen, welche gegen den Angeklagten erhohen werden, zu prüfen; bei Euern Verrichtungen weder durch Eigennuz, noch durch

605 Schwäche, weder durch Furcht, noch durch Hoffnung, weder durch Zuneigung, noch durch Haß Euch leiten zu lassen; weder die öffentlichen Interessen, noch diejenigen des Angeklagten Preis zu geben; Euern Entscheid einzig auf die Verhandlungen zu gründen und Euerm Gewissen und Eurer Ueberzeugung 'gemäß mit derjenigen Festigkeit und Unbefangenheit zu handeln, die einem freien und rechtschaffenen Manne geziemen; über den Gegenstand des Prozesses mit Niemanden außer mit den übrigen Geschwornen Rükfprache zu nehmen, fo lange nicht die Jury

ihren Spruch eröffnet, haben wird; endlich die Art, wie die Geschwornen gestimmt haben, geheim zu halten."

Jeder Geschworne hat einzeln auf die Aufforderung des Großrichters hin die Hand zu erhehen und die Worte auszusprechen: "Jch schwöre es" ("Jch gelobe es"

Art. 280).

Ein Geschworner, welcher sich' weigert, dieses zu thun wird mit der den ausbleibenden Geschwornen angedrohten' ©trafe (Axt. 238) belegt und durch einen Ersazinann vertreten.

Art. 351. Nach Beeidigung der Geschwornen wird die Anklageschrift (Art. 335) verlefen.

Art. 352. Der Auditor verhört in der ihm beliebigen Reihenfolge die von ihm bezeichneten Zeugen. Nach der Einvernahme eines jeden steht dem Vertheidiger das Recht zu, an denfelben im Jnteresse der Vertheidigung die erforderlichen Fragen zu richten.

Art. 353. Sodann verhört der Vertheidiger und allfällig auch der Angeklagte felbst, die weitern von seiner Seite bezeichneten Zeugen. Der Auditor ist seinerseits zur Ergänzung der Verhöre berechtigt.

Art. 354. Der Großrichter beaufsichtigt die Zeugeneinvernahme, schüzt die Zeugen vor Ungebühr, und er-

606 innert sie, wenn es nöthig, daß sie ihre Aussagen zu beschwören haben. Er hat das Recht, aus eigenen!! Antriebe oder auf Verlangen eines Richters oder Geschwornen, Fragen an die Zeugen einzuschieben oder nachzuholen. Den Richtern so wie den Geschwornen steht es zu, nach ganzlich vollendeter Einvernahme jedes Zeugen, beliebige Fragen an denselben zu richten.

Art. 355. Jeder Zeuge hat, wenn bei ihm die Be* deutnng eines Eides als bekannt vorausgesezt weuden kann, nach seiner Einvernahme folgenden Eid abzulegen: "Ihr werdet schwören, auf alle Fragen, die an Euch ,,als Zeugen gerichtet worden sind, der Wahrheit gemäß ,,geantwortet und nichts verschwiegen zu haben, so wahr "Jhr wünschet, daß Euch Gott helse." Dieses bekräftigt der Zeuge unter Aufhebung der rechten Hand durch die Worte: "Jch schwöre es." ("Jch gelobe es" Art. 280).

Art. 356. Einem Zeugen, welcher noch nicht verhört worden ist, soll nicht geftattet werden, den Verhandlungen beizuwohnen.

Art. 357. Zeugen, deren Aussagen einander widersprechen, können fonfrontirt werden.

9lrt. 358.

Jn der Regel ist kein Zeuge vor Beendigung der ganzen Verhandlung zu entlassen.

Art. 359. Nach der Einvernahme eines jeden Zeugen soll der Angeklagte besragt werden, ob er mit Beziehung aus dieselbe etwas zu bemerken habe.

Art. 360. Der Angeklagte wird durch den Auditor verhört. Die Bestimmungen des Art. 354 gelten auch für das Verhör mit dem Angeklagten.

Art. 301. Wenn der Angeklagte auf alle oder einzelne Fragen die Antwort verweigert, so findet dießfalls kein Zwang Statt und die Verhandlung nimmt ihren weitern Fortgang. Der Angeklagte ist darauf aufmerkfam

607 zu machen, daß die Verweigerung der Antwort einen Ver-

dachtsgrund gegen ihn bilden könne.

Art. 362. Jn Folge des Verhörs des Angeklagten können noch nachträglich Fragen an die Zeugen gestellt werden.

Art. 363. Bei der ganzen Verhandlung sollen die Gegenstände, welche als Wahrzeichen oder Werkzeuge des Verbrechens zu den Akten gebracht worden, vorliegen.

Art. 364. Die Akten der Voruntersuchung dürfen weder vorgelesen noch den Gesch.vornen znr Einsicht vorgelegt werden.

Von dieser Regel sind jedoch solgende Ausnahmen gestattet : a. Wenn ein Zeuge oder Experter verhindert ist, vor Gericht zu erscheinen, so kann das in der Voruntersuchung von demselben abgegebene Zeugniß oder,Gutachten verlesen wrrden; b. es ist erlaubt, Angaben, welche der Angeklagte in der Voruntersuchung gemacht hat, ihm vorzuhalten und ihn zu einer Erklärung über dieselben zu veranlassen.

Art. 365. Nach vollendeter Einvernahme der Zeugen und des Angeklagten hält der Auditor seinen Vortrag, betreffend die Frage der Schuld, wobei er weder Handlungen noch Umstände, die in der Anklageschrist nicht erwähnt sind, zum Gegenstande der Anklage machen darf. Hierauf folgt die Verteidigung, nach welcher der Angeklagte gefragt wird, ob er selbst derselben etwas beisügen wolle.

Dem Auditor steht die Replik und dem Vertheidiger die Duplik zu.

Art. 366. Wenn der Auditor oder der Vertheidiger bei dem bisher näher bestimmten Verfahren Fehler wahr-

608 zunehmen glaubt, insbesondere solche, welche die'Kassation begründen könnten, so sind sie verpflichtet, den Großrichter sogleich daraus aufmerksam zu machen, worauf derselbe das Nöthige verfügen oder einen Beschluß des Gerichts veranlassen wird.

Art. 367. Der Großrichter sezt den Gefchwornen die Ausgabe auseinander, welche sie zu lösen haben und stellt nach Anleitung der solgenden Artifel die von der Jury zu beantwortenden Fragen.

Art. 368. Die Fragen müssen alle Thatfachen umfassen, welche in der Anklageschrift (Art. 335) enthaltet.

sind. Diefelben sind so zu stellen, daß sie mit ,,Ja" oder ,,Nein" beantwortet werden können.

Art. 369. Bei einer Mehrzahl von Angeklagten müssen die Fragen für jeden Einzelnen besonders gestellt werden.

Ebenso, wenn dem Angeklagten mehrere Verbrechen zur Last gelegt worden, sind die Fragen mit Beziehung auf die verschiedenen Anklagepunfte auseinander zu halten.

Art. 370. Die eingeklagte Handlung oder Unterlassung, die Eigenschaft und Absicht des Handelnden und die übrigen, die Handlung begleitenden Umstände, ohne welche der Gattungsbegriff des Verbrechens gar nicht vorhanden wäre, sind «n Eine Frage zusammenzufassen.

Art. 371. Dagegen ist jeder Umstand, welcher bloß eine besondere Art des Verbrechens, oder ein anderes Maximum oder Minimum der Strafe, oder eine andere Strafart begründet, Gegenstand einer befondern Frage.

Die Beantwortung solcher Fragen ist nur erforderlich, wenn der Angeklagte des Verbrechens überhaupt für fchul-

dig erklärt worden ist.

Art. 372. Ueber das Vorhandensein von Verhältnissen, welche bloß auf die Ausmessung der Strafe tnner-

609 halb der gesezlichen ©ranzen Einfluß haben (Art. 33--36), sowie darüber, ob die'dem Angeklagten zur Last fallende Uebertretung besonders geringfügig oder befonders schwer sei, wird die Jury nicht befragt, selbst wenn die Beantwortung der leztern Frage den Richter berechtigt, unter oder über das gesezliche Minimum oder Maximum der Strafe hinaus zu gehen, bleibt dieselbe ausschließlich dem Richter anheim gestellt.

Wenn jedoch die Todesstrafe in Frage kömmt und die Anwendung derselben durch mildernde Umstände ausgeschlössen wird, so ist der Jury die Frage vorzulegen, ob mildernde Umstände vorhanden seien.

Art. 373. Eine eventuelle Anklage (Art. 386) bildet den Gegenstand eventueller Fragen, welche nur beantwortet zu werden brauchen, wenn mit Beziehung auf die Haupt-

anklage der Angeklagte für nicht fchuldig erklärt wird.

Art. 374. Wenn der Vertheidiger behauptet, daß die Strafbarkeit der eingeklagten Handlung durch eines der in den Art. 30 -- 32 vorgefehenen Verhältnisse ausgeschlössen sei, so ist hierüber eine besondere Frage an die Geschwornen zu richten.

Art. 375. Von Amtswegen, d. h. ohne eine in der

Anklageschrift (Art. 368,370 und 371) oder in der Vertheidignng (Art. 374) liegende Veranlassung darf der Großrichter keine Frage stellen, außer diejenige über das Vorhandenfein mildernder Umstände, unter der Voraus.-fezung des Art. 372, lemma 2, welche bei Vermeidung der Nichtigkeit gestellt werden muß.

Art. 376. Der Großrichter verliest in offener Sizung die von ihm in Schrift verfaßten Fragen. Der Auditor und der Angeklagte oder sein Vertheidiger können mit Beziehung aus die Fragenstellung dasjenige bemerken, was

610 sie sür gut finden. Jm Falle von ungleichen Ansichten entscheidet der Großrichter oder das Gericht. (Art. 228.)

Art, 377. Der Großrichter übergibt dem Vorstand der Jury (Art. 236) die geschriebenen Fragen, aber feinerlei Aîten. Hierauf ziehen sich die Geschwornen in ihr Berathungszimmer zurük. Jhr Vorstand soll ihnen vor Allem solgende Jnstrnktion vorlesen: "Das Gesez verlangt von den Geschwornen keine Rechenscha'ft über die Gründe ihrer Ueberzeugnng. Es gibt ihnen keine Vorschriften, nach denen sie die Vollständigkeit und Zulänglichfeit eines Beweises abzuwägen hätten.

Es schreibt ihnen vor, ihr Gewissen in stillem Nachdenken zu befragen, welchen Eindruk die für und gegen den Angeklagten geltend gemachten Beweife ans sie hervorgebracht haben. Das ©efez sagt ihnen nicht: "Jhr » e r d e t ,,jede durch e i n e b e s t i m m t e A n z a h l v o n Z e u g e n ,, b e k r ä f t i g t e T h a t s a c h e sür w a h r h a l t e n " ; es sagt ebensowenig: "Jhr w e r d e t nichts sür w a h r ,, h a l t e n , w a s nicht d u r c h e i n P r o t o k o l l , d u r c h " U r k u n d e n oder d u r c h e i n e b e s t i m m t e A n z a h l ,, v o n Z e u g e n oder durch b e s t i m m t e J n d i z i e n e r "wiesen ist. Das Gesez stellt bloß die eine den gan= zen Umfang ihrer Aufgabe bezeichnende Frage: ,,Was ist E u r e feste U e b e r z e u g u n g ? " Art. 378. Die Geschwornen dürfen ihr Berathungszimmer nicht verlassen, bevor sich nicht mit Beziehung auf die zu beantwortenden Fragen wenigstens die abfolute Mehrheit von fünf Stimmen .ergeben hat.

Art. 379. Während der Berathung darf Niemand das Zimmer der Geschwornen betreten, außer mit einer

schriftlichen Erlanbniß des Großrichters.

Art. 380. Der Großrichter soll die] .Ausgänge des Berathungszimmers der Geschwornen bewachen lassen.

611 Art. 381. Der Vorstand der Jury liest die gestellten Fragen vor und läßt die Gefchwornen über eine nach der andern in der Reihenfolge, in welcher dieselben gestellt sind, berathen und abstimmen.

Die Geschwornen eröffnen ihre Meinung und geben ihre Stimme in der umgekehrten Rangordnung ab, in welcher sie sizen (Art. 281).

Art. 382. Nach beendigter Berathung kehren die Geschwornen in den Sizungssaal des Gerichtes zuruk und nehmen ihre Pläze wieder ein.

Art. 383. Der Angeklagte wird vorgesührt und der Großrichter fragt die Gefchwornen, welches das Ergebniß ihrer Berathung fei.

Art. 384. Der Vorstand der Jury erhebt sich und

erklärt: Der Spruch der Jury lautet mit Beziehung auf die erste Frage (welche von ihm zu verlefen ist) "Ja" (oder ,,Nein"); mit Beziehung auf die zweite ebenfalls zu verlesende Frage: "Ja" (,,Nein") u. f. f.

Art. 385. Der Vorstand der Jury stellt diese Erklärnng mit seiner Unterschrst in Gegenwart der Geschwornen dem Großrichter zu, welcher dieselbe durch den Gerichtsschreiber unterzeichnen läßt.

Art. 386. Wenn der Angeklagte keines Verbrechens für schuldig erklärt worden ist, fo fpricht der Großrichter denselben srei und verfügt, daß er auf freien Fuß gefezt werden folle, wenn er nicht wegen einer andern Sache im Verhafte bleiben muß.

Art. 387. Wenn der Beklagte eines Verbrechens

schuldig erklärt worden ist, fo verlangt der Auditor die Anwendung des Gefezes und stellt nöthigenfalls mit Beziehung auf den Schadenersaz seinen Antrag. Jn lezterer Beziehung steht auch dem Geschädigten selbst das Wort zu.

612 Art. 388. Der Angeklagte und sein Vertheidiger können den Thatbestand nicht mehr ansechten, sondern bloß sich darauf berufen, daß derfelbe durch das Gesez nicht als Verbrechen cjualifizirt, oder daß die von dem Auditor angetragene Strafe nicht anwendbar fei.

Art. 389. Wenn die Handlung, deren der Angeklagte für fchnldig erklärt worden ist, durch kein Gefez mit Strafe bedroht sein sollte, so erfolgt die Freifprechnng.

Im entgegengesezten Falle verhängt der Großrichter oder das Gericht (Art. 227) die gesezliche Strafe und verfügt auch mit Beziehung auf Schadenerfaz, Kosten und andere Nebenpunkte das Geeignete.

Art. 390. Der Großrichter so wie das Gericht ist in keiner Beziehung an die Anträge des Anklägers gebunden, sondern es hat die Strafe innerhalb der Schranken des Gesezes nach genauer Würdigung des Falles überhaupt und der allfälligen Milderungs- oder Schärfungsgründe insbesondere zu bestimmen.

Art. 391. Wenn der Angeklagte in Beziehung ans das fragliche Verbrechen oder Vergehen zwar für nicht fchnldig erklärt und daher freigesprochen wird, der Großrichter aber oder das Gericht findet, daß er sich eines Ordnuttgsfehler..-!

schuldig gemacht habe, so ist der Fall dem zuständigen

Straspolizeibeamten (Art. 212) zur Beurtheilung zu über-

weisen.

Wenn eine solche Ueberweisung nicht stattfindet, so darf der Freigesprochene wegen der Handlung, wofür er vor Gericht gestellt worden ist, mit keiner Ordnnngsstrafe belegt werden.

Art. 392. Dem wegen eines Verbrechens oder Vergehens Vernrtheilten werden in der Regel di'e Kosten

ausgelegt. Dabei sind indessen bloß die Entschädigungen

der Zeugen und Experten in Rechnung zu bringen. Au.-..

613 befondern Gründen kann auch der Verurtheilte ganz oder thcilweise mit den Kosten verschont werden.

Die Gebühren für Skripturen, welche für den Ange-

klagten auf fein oder des Vertheidigers Begehren gefertigt werden, sind jederzeit besonders zu vergüten. (Ueber die Kosten der Verpflegung vergleiche Art. 285).

Einem Zeugen, der nicht in aktivem Militärdienste steht, sollen 70 Rappen Reisegeld per Stunde, sowohl der Her- als Heimreife, und 3 Franken für jeden Tag des

Aufenthaltes bezahlt werden.

Einem Experten follen 70 Rp. Reifegeld per Stunde, fowohl der Her- als Heimreise, und 3 bis 12 Franken, nach Ermessen des Großrichters, sür jeden Tag des Ansenthaltes verabreicht werden.

Zeugen und Experte, die im Militärdienste stehen, sind auf gleiche Weife zu entschädigen, wie Geschworne

(Art. 279).

Für Skripturen, die für den Angeklagten auf fein

oder des Vertheidigers Begehren gefertiget werden, sind 25 Rp. per Foliofeite zu berechnen.

Art. 393. Jm Falle von Freifprechung können die Kosten ganz oder theilweise der Zivilpartei auserlegt werden, wenn dieselbe auf arglistige oder muthwillige Weife das kriegsgerichtliche Verfahren veranlaßt hat.

Art. 394. Das Urtheil des Kriegsgerichts soll enthalten : a. eine Einleitung, worin die Namen des Großrichters, der Richter und der Geschwornen mit ihrem Range und Heimathorte, des Auditors, der allfälligen Zivilpartei, des oder der Angeklagten und des Verthei-

digers angegebensind; b. einen faktifchen Theil, worin der Offizier, welcher die Vorunterfuchung geführt, und der Zeitpunkt, in Bundesblatt. Jahrg. III. Bd. I.

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614 welchem diese begonnen und vollendet worden ist, so wie eine kurze Notiz von dem Hauptversahren, nämlich Ort und Zeit desselben, die Namen der Zeugen für Anklage und Verteidigung und der allfällig zugezogenen Experten u. f. w., enthalten sein

soll; c. Hinweifung auf die Schlüsse des Auditors und des Vertheidigers ;

d. das Erkenntniß über Schuld und Nichtfchuld ;

e. wörtliche Anführung der zur Anwendung kommenden Gefezesstellen ; f. das eigentliche Dispositiv, enthaltend die Strafe, Freisprechung, Bestimmungen über den Zivil-Punkt, Kosten und andere Nebenpunlîe ;

g. Verfügung über die Mittheilung des Urtheils ;

h. Datum und Unterschrift des Großrich.ers lind des

Sekretärs ; i. einen Anhang, durch welchen bezeugt wird, daß der Großrichter den Parteien die durch Art. 395 vorgeschriebene Eröffnung gemacht habe.

Art. 395. Unmittelbar nach der Auöfällung des Urtheils wird dasselbe dem Angeklagten, in Gegenwart des Auditors und des Vertheidigers in öffentlicher Sizung durch den Grogrichter eröffnet, und den beiden Parteien zugleich angezeigt, daß jede binnen zweimal vierundzwanzig Stunden bei ihm die schriftliche Erklärung, daß, und auf

welche Hauptpunkte gestüzt, fie das Rechtsmittel der Kassation gebrauchen wollen, einreichen, und daß der Verurtheilte für den Fall, daß das Kassationsbeäehren verworfen, oder daß ein folches gar nicht gestellt werden sollte, die Begnadigung nachsuchen könne und das dießfällige Gesuch innerhalb der gleichen Frist ebenfalls dem Großrichter zu übermachen habe.

615 Art. 396. Wenn binnen obiger Frist die Kassation von keiner Seite verlangt wird, so ist das Urtheil in Rechtskraft erwachsen, und wird fammt einem allfällig eingelangten Begnadigungsgesuche dem obersten Komman-

direnden mitgetheilt.

Dritter Wchmtt.

Allgemeine .iSorfchrifter, betreffend das Verfahren.

Art. 397. Es foll von den eidgenössischen Militärbehörden jeder schriftlichen Aufforderung einer eidgenössischen Zivilbehörde entsprochen werden, welche die Ausübung der bürgerlichen Rechtspflege erheischt, insofern diefes in ihrer Kompetenz steht, der Militärdienst die Entfprechnng erlaubt, und die Aufforderung den anerkannten Grundsäzen der Kompetenzausscheidung zwischen der Zivil- und

Militärgerichtsbarkeit (Artikel 205 und 206) nicht zuwider ist.

...Das Ansuchen muß jedoch an den Strafpolizeibeamten der betreffenden Person oder an einen militärischen Obern derselben gestellt sein, und es steht dem angefnchten Ofsizier frei, die -Befehle feiner unmittelbaren Obern darüber einzuholen.

Art. 398. Auf die gleiche Weife foll eine jede Zivilbehörde der schriftlichen Aufforderung entsprechen, welche der oberste Kommandirende, der Großrichter oder Auditor eines Militärgerichts, oder ein militärischer Strafpolizeibeamter in Sachen der .militärischen Rechtspflege an sie erläßt, insofern dieses in ihrer Kompetenz steht, und die Aufforderung den anerkannten Grundsäzen der Kompetenzausscheiduug beider Gerichtsbarkeiten nicht zuwider ist.

Der bürgerliche Beamte ist ebenfalls berechtigt, die Befehle feines unmittelbaren Obern darüber einzuholen.

616 Art. 399. Damit die Ladung einer Militärbehörde für eine Perfon des Bürgerstandes verbindlich fei, muß diefe Ladung von dem Richter des Wohnsizes des Vor-

zuladenden bewilligt sein, und die Ladung einer Militär.Person von dem militärischen Straspolizeibeamten, unter dessen Befehl der Vorzuladende steht, die Ladung mag von einer bürgerlichen oder militärischen Behörde ansgehen.

Der Offizier, welcher die Ladung eines seiner Untergebenen bewilligt, muß demselben zugleich allemal den nöthigen Urlaub für die Reise und Erscheinung ertheilen, und kann den Vorgeladenen durch eine Militärpcrson begleiten lassen, welche im Rang über denselben steht.

Die Behörde, welche die Ladung erläßt, wendet sich

selbst und schristlich mit dem Ansuchen um die Bewilligung an die Behörde, welche dieselbe ertheilen soll, und der Zwek, zu welchem die Person vorgeladen wird, muß

in der Ladung deutlich angezeigt sein.

Art. 400. Jsde Person des Militär- oder Bürgerstandes ist bei eigener Verantwortlichkeit verpflichtet, einer verbindlichen Ladung Folge zu leisten, die derselben ge..hörig insinuirt worden ist.

Ebenso ist Jedermann verpflichtet, sich in Stiaffachen als Zeuge abhören zu lassen, mit Ausnahme der im Art. 399 bezeichneten Personen.

Eine gehörig vorgeladene Person, welche dessennngeachtet nicht erscheint, ohne sich über ihr Ausbleiben ge-

hörig zu rechtfertigen, foll, wenn sie der Militärgerichts.barkeit unterworfen ist, unmittelbar, sonst aber durch Vermittlung der Zivilbehörde, gesänglich zur Stelle gebracht werden.

Gegen einen Zeugen, welcher sich ohne rechtmäßigen ·Grund (Art. 399) weigert, die ihm vorgelegten Fragen

617 zu beantworten, kann Verhaft bis auf längstens drei Monate verfügt werden.

Personen, welchen die Abhörung Reisekosten oder Zehrungskosten veranlaßt, sollen vor ihrer Entlassung eine angemessene Entschädigung erhalten.

Art. 401. Diejenigen Personen, welche mit dem Angeklagten oder Verdächtigten verehelicht, oder in auf- oder absteigender Linie, oder in dem ersten Grad der Seitenlinie verwandt (Geschwister) oder verschwägert (Schwager oder Schwägerin) sind, haben die Befugniß, die Einvernahme, fowohl in der Vor- als Hauptunterfuchung abzulehnen, und dürfen, auch wenn sie von diefer Befugniß keinen Gebrauch machen wollen, erst, nachdem ihnen dieselbe ansdrüklich zur Kenntniß gebracht worden, einvernommen und niemals zu irgend welcher Erhärtung ihrer Aussagen angehalten werden.

Art. 402. Die Kosten, zu denen eine Person vernrtheilt ist, sind von dem Gerichtschreiber zu verzeichnen.

Dem Großrichter steht die Ermäßigung zu.

Art. 403. Die Kantonsregierung des Verfällten sott

die Kosten für die eidgenössische Kriegskasse und die allfällige Entschädigung für den Geschädigten durch ihre Beamten einziehen, und zwar auf Kosten des erstem oder des betreffenden Kantons.

Art. 404. Jedes Urtheil, welchem der oberste Kom* mandirende seinen Vollziehungsbefehl beigefezt hat, sott durch den Oberauditor dem Bundesrathe in beglaubigter Abschrift überfendet werden, der dasfelbe der Kantonsregiernng des Vernrtheilten mittheilt. Die Urkunde, durch welche diese Mittheilung geschieht, bildet den Forderung-...1titel zu der Einziehung der Prozeßkosten oder der Entschä-

digung (Art. 400).

618 Art. 405. Wenn der oberste Kommandirenlje einem Urtheil seinen Vollziehungsbefehl beigesezt hat, so sendet er dasselbe nebst den allfällig an ihn gelangten Akten an den Großrichter zurük. Dieser veranstaltet die Vollziel)ung, oder läßt den Verurtheilten an die Behörden ausliefern, welchen die Vollziehung der Strafe zusteht.

Art. 406. Wenn der Angeklagte oder Verdächtigte sich flüchtig gemacht, oder fonst sich außer dem Bereiche des zuständigen Militärgerichtes befindet, so sollen die zur Herbeischaffung desselben erforderlichen Schritte gethan, auch die Vorunterfuchung in allen Beziehungen fo gut als möglich geführt werden.

Art. 407. Der Flüchtige kann durch den ©roßrichter in Verbindung mit den beiden Richtern auf Grundlage der Akten der .-Boruntersuchung des betreffenden Verbrechens für fchuldig erklärt und zu der gesezlichen Strafe verurtheilt werden. Sobald er jedoch ergriffen wird, oder sich freiwillig stellt, so soll auf sein Verlangen das Kontumazurtheil aufgehoben und das Hauptverfcthren vor einem ordentlichen Kriegsgerichte durchgeführt werden.

Ein freisprechendes Kontnmaznrtheil ist unter keinen Umständen zulässig. Wenn das Oericht die ©runde für die Verurtheilung des Abwefenden nicht für grnügend erachtet, fo soll es das Verfahren, für fo lange bis der Angeklagte zur Stelle gebracht fein werde, fuspendiren.

Vierter Abschnitt.

..Bon dem Kassationsverfahren.

Art. 408. Wenn von einer oder von beiden Parteien die Kassation angerufen worden ist, fo veranstaltet der Großrichter unverzüglich die Ueberweisnng aller Akten und Protokolle an die Kassationsinstanz.

619 Art. 409. Der Präsident des Kassationsgerichtes erössnet unmittelbar nach dem Empfange der Akten eine Frist zur schriftlichen Beantwortung des Kassationsbegehrens.

Zugleich ist der Großrichter zur Berichterstattung, wenn eine folche nothwendig ist, aufzufordern und das Kassationsgericht auf einen bestimmten Tag zur Ausfällung des Urtheils einzuberufen.

Art. 410. Die Kassation findet statt: a. wegen Inkompetenz des Gerichts; b. wegen Verleznng gefezlicher Prozeßformen im Hauptv e r f a h r e n , wenn sich mit Wahrscheinlichkeit ergibt, daß sie in Beziehung auf Schuld oder Strafe auf das Urtheil einen für die Sache des Kassationsbegehrenden nachtheiligen Einfluß gehabt habe; c. wegen unrichtiger Anwendung des Strafgesezes auf den vorliegenden Fall, d. h. wenn zum Nachtheil des Kassationsbegehrenden entweder eine andere als die vom Geseze bestimmt vorgeschriebene Strafe ausgesprechen, oder das gefezliche Maximum oder Minimum überschritten worden ist.

Art. 411. Die Annahme oder Nichtannahme des Beweises, so wie die Würdigung aller andern Punkte, welche auf das Erkenntniß über Schuld und Nichtschuld einwirken, können niemals die Kassation begründen.

Art. 412. Die Kassation besteht entweder bloß in der Aufhebung des Urtheils, foweit dasselbe den §!ngeschuldigten betrisst, für oder gegen welchen die Kassation begehrt wurde, oder sie begreift außerdem auch das dem Urtheile vorhergegangene Verfahren. Das Leztere ist regelmäßig bei dem ersten und zweiten, das Erstere bei dem dritten der im Art. 410 aufgezählten Kassationsgründe der Fall.

620 Art. 413. Der Zwef der Kassation ist Aufhebung des Fehlers, welcher die Kassation veranlaßte, mit allen feinen nachtheiligen Folgen. Hiernach hat daf Kassationsgericht in jedem einzelnen Falle zu bemessen und genau anszufprechen, inwieweit das vorliegende Urtheil und Verfahren aufgehoben werde.

Art. 414. An die eigentliche Kassation schließt sich jederzeit die Einleitung zur neuen Behandlung des Falles an. Das Gericht, welches sich damit zu befassen hat, soll durch das Kassationsurtheil bezeichnet werden.

Art. 4Î5. Diese Ueberweifung kann geschehen: a. an das 'Gericht, welches die Sache bereits behandelt hat; h. an ein anderes eidgenössisches oder kantonales Kriegsgericht ; c. an die bürgerlichen Gerichte im Sinne des Art. 3.

Art. 41G. Wenn die'Kassation nicht wegen Inkompetcnz des Gerichts stattfindet, so hängt es vom Ermessen des Kassationsgerichts ab, ob das neue Verfahren vor dem Gerichte, welches früher in der Sache gehandelt hatte, oder vor einem andern Kriegsgerichte der gleichen Kategorie stattfinden, und ob im erster« Felle das Gericht ganz oder theilweise neu bestellt werden folle.

Art. 417. Wenn zwar das Verbrechen an und für sich in die Kompetenz der eidgenössischen Kriegsgerichte einschlägt, allein bas Truppenkorps, welchem der Angeklagte angehört, zur Zeit der Ausfällung des Kassation.?nrtheils nicht mehr im Dienste steht, fo ist daö Kassationsgericht befugt, den Fall an das nach Analogie des

Art. 211 zuständige Kantonalgericht zu überweisen.

Art. 418. Wenn das Kassationsgericht bloß das kriegsgerichtliche Urtheil wegen falscher Anwendung des Gefezes

621 (Axt. 410, litt, c.) aufhebt, fo fällt es felbst an der Stelle des Kriegsgerichts das dem Geseze entsprechende Urtheil aus und die Ueberweifung an eines der in Ar-

tikel 415 bezeichneten Gerichte unterbleibt.

Art. 419. Das Urtheil, durch welches eine Kassation verhängt wird, muß den Grund oder die Gründe bestimmt angeben, welche die Kassation bewirkt haben.

Art. 420. Das Kassationsgericht theilt fein Urtheil dem Oberauditor zu Handen des obersten Kommandirenden und dem Großrichter mit; sosern durch dasselbe eine Kassation ausgesprochen wird, sind die Akten dem Oberauditor zu übermachen, damit die für das weitere Verfahren erforderlichen Einleitungen getroffen werden können.

Ist dagegen keine Kassation erfolgt, fo werden die Akten an den Großrichter gefchikt, welcher hierauf gemäß dem Art. 396 verfährt.

Art. 421. Jst die Sache an ein bürgerliches Gericht (Art. 415, litt, c.) gewiesen worden, so finden gegen das Urtheil desselben die Rechtsmittel Statt, welche die Kan-

tonalgesezgebnng mit sich bringt.

Art. 422. Gegen das neue Urtheil eines Kriegsgerichts hingegen kann, wie gegen das srühere, von beiden Parteien neuerdings die Kassation nachgesucht werden.

Fünfter Abschnitt.

93on der Begnadigung und der Rehabilitation.

Art. 423.

Jede durch rechtskräftiges Urtheil eines

eidgenössischen Kriegsgerichts verhängte Todes-, Zuchthaus-, Gefängniß- oder Landesverweifungsstrafe kann durch Begradigung gänzlich aufgehoben oder gemildert

622 werden. Das Leztere geschieht entweder durch Verwandlung der Strafart oder durch Abkürzung der fraglichen Freiheitsstrafe.

In keinem Falle kann sich die Begnadigung auf den

Zivilpunkt bezieh .m.

Art. 424. Die Ausübung des Begnadigungsrechts,

gemäß vorstehendem Artikel, steht dem obersten .fommandirenden zu, nachdem er sich mit den drei im Range zunächst auf ihn folgenden Offizieren und dem obersten Offizier des Juftizstabes in seinem Duartier, in einer Versammlung derselben, berathschlagt hat, und wenigstens zwei von den vier Offizieren nebst ihm für die Begnadigung stimmen.

Handelt es sich um die Begnadigung des obersten Kommandirenden, fo steht das Recht der Begnadigung allein der Bundesversammlung zu.

Art. 425. Ein zu einer Freiheitsstrafe, deren Dauer mehr als zwölf Monate beträgt, Verurtheilter kann bei der Bundesversammlung um Begnadigung einfommen.

Diefe darf jedoch höchstens den dritten Theil der Strafe nachlassen.

Art. 426. Jeder zum ersten Male zur Zuchthausstrafe Verurtheilte kann, nachdem er die Strafe, soweit ihm dieselbe nicht auf dem Wege der Begnadigung erlassen worden ist, erstanden hat, durch die Bnndesverjammlung in den Genuß des Aktivbürgerrechtes wieder eingesezt werden.

.Art. 427. Das dießfällige Gesuch darf frühestens drei Jahre nach gänzlicher Erstehung der Zuchthausstrafe bei der Bundesversammlung eingereicht werden.

Es sind demselben neben dem Urtheile auch gehörig beglaubigte amtliche Leumundszeugnisse über die seitherige gute Aufführung des Gesuchstellers beizulegen.

623 Art. 428. Ein abgewiesenes Gesuch kann erst nach Verfluß von zwei Jahren wieder erneuert werden.

Art. 429. Durch Beschluß der Bundesversammlung kann auch die Wiederanstellung eines entsezten Offiziers (Art. 11) gestattet werden.

Art. 430. Die Begnadigung oder Rehabilitation der durch die Kantonal-Kriegsgerichte verurtheilten Perfonen ist Sache der Kantone.

Sechster Abschnitt.

.QSon der Vollziehung der Strafen.

Art. 431. Jedes Urtheil soll von dem obersten Kom-

mandirenden mit dem Vollziehungsbefehl (Art. 275) versehen werden, sobald dasselbe in Rechtskraft erwachsen ist,

und keine Begnadigung stattfindet.

Bevor jedoch der oberste Kommandirende einem T odesurtheil den Söollziehungsbesehl beifezen darf, muß er von den in feinem Duartier auwefenden Militärpersonen die drei im Rang zunächst auf ihn folgenden Offiziere und den obersten Offizier des Justizstabes verfammeln, und der Vollziehungsbefehl darf nur beigefügt werden, wenn zwei von den vier Offizieren nebst dem Kommandirenden hiefür stimmen.

Wenn hingegen drei von den vier beigezogenen Offizieren nicht für Ausstellung des Vollziehnngsbefehls stim-

men, so findet sich die Todesstrafe in lebenslängliche Zuchthausstrafe umgewandelt.

Art. 432. Ausnahmsweifc dars jedes Urtheil eines ordentlichen oder außerordentlichen Kriegsgerichts unmittelbar nach seiner Ausfällung und ohne Rüksicht auf ein allfälliges Kassations- oder Begnadigungsbegehren voll-

624 zogen werden, wenn der oberste Kommandirende (oder der Kommandant eines abgeschnittenen Korps), die drei im Range zunächst auf ihn folgenden Offiziere und der oberste Offizier des Justizstabes in seinem Duartier in förmlich abgehaltenem Kriegsrathe einstimmig und bei ihrem Kriegseide erklären, der Dienst des Vaterlandes fordere es dringend, daß das Urtheil ohne Verschub vollzogen werde. Diese Erklärung muß dem Urtheil beigerükt und durch die Unterschriften der fämmtlichen obbenannten Personen bekräftigt werden.

Art. 433. Nachdem der Großrichter das Urtheil mit

dem Vollziehungsbefehle zurükerhalten hat, fendet er dasselbe dem Kommandanten, welcher der Polizeibeamte des betreffenden Korps ist (Art. 213), und stellt den Verurtheilten zu dessen Verfügung, damit die Strafe anf nachfolgende Weise nochmals verlündet und sodann »ollzogen werde.

Aus besondern Gründen kann jedoch der oberste Kommandirende eine andere' Form der Verfündnng des Urtheils vorschreibe«, als die nachstehende, und dasselbe an einem andern Orte vollziehen lassen, als bei der Truppe, zu welcher der Vernrtheilte gehört. Er stellt alsdann die nöthigen Befehle hiefür aus, die er dem Großrichter mittheilt. Das gleiche Recht hat auch der Kommandant eines abgeschnittenen Truppenkorps.

Art. 434. Der Kommandant des Korps soll ordentlicherweise das Urtheil innerhalb vierundzwanzig Stunden, bei außerordentlichen Umständen aber ohne irgend welchen Aufschub, verkünden und vollziehen lassen.

Art. 435. Die Verkündung des Urtheils geschieht bei der Todesstrafe anf folgende Weife: Das ganze Korps, bei welchem der Verurtheilte gestanden, rükt mit dem Gewehr ans und bildet ein ge-

625 schlossenes oder auf einer Seite offenes Ouarré. Ist dieses Korps nicht wenigstens zweihundert Mann stark, so wird es aus einem oder mehrern der nächsten Korps bis wenigstens auf diese Zahl ergänzt. Jn das Ouarré werden ein Tisch und sechs Stühle gefezt. Der Kommandant nimmt seinen Plaz oben am Tische, und links neben ihm der Aidemajor; die drei ersten Offiziere im Range bei dem Korps, mit Ausnahme desjenigen, welcher die Truppe kommandirt, und der Hauptmann des Vernrtheilten fezen sich auf beiden Seiten. Die Fahne

wird mit der Lanze auswärts auf den Tifch gelegt; der Kommandant zieht feinen .Degen und legt denfelben quer über die Fahne.

Auf den Befehl des Kommandanten wird der Verurtheilte ohne Fesseln, durch die Wache, unter Aufsicht des Profoßen und von einem Geistlichen feines Bekenntuisses begleitet, unten vor den Tisch gesührt. Bei dem Eintritte des Verurtheilten schultert die Truppe das Ge« wehr und die Tamboure schlagen den Bann.

Hieraus befiehlt der Kommandant dem Aidemajor, das Urtheil sammt dem Vollziehungsbefehl abzulesen. Die Truppe präsentirt das Gewehr während der Verlesung, die stehend und mit lauter Stimme geschehen soll. Es wird nach der Verlesung wiederum Bann geschlagen; die Truppe schultert, die Fahne wird in die Linie zurükgetra-

gen, der Tisch und die Stühle weggeschafft; der Kommandant übernimmt den Besehl über die Truppe; die vier Osfiziere treten in die Linie auf ihre Posten, und das Urtheil wird sofort vollzogen.

Art. 436. Wenn die T o d e s s t r a f e durch die E n t.hauptung vollzogen werden foll, läßt der Aidemajor den Verurtheilten durch die Wache aus dem Duarré oder bis auf den Flügel der Fronte führen, ruft dort den Schars-

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richtet.hervor und übergibt demfelbm den Vernrtheilten zur Hinrichtung, welche mit dem Schwerte vollzogen wird.

Der Hauptmann des Verurtheilten, oder wenn derselbe in keiner Kompagnie gestanden, der älteste Hauptmann des Korps, soll der Hinrichtung als Vollziehungskommiffär beiwohnen und dem Kommandanten fogleich nachher darüber schriftliche Meldung erstatten, die stufenweise an den obersten Kommandirenden, und von diesem an den Bundesrath gelangt. Ein hinlängliches Detache-

ment Truppen soll die Hinrichtung bedeken.

Die T o d e s s t r a f e durch E r f c h i e ß e n wird auf folgende Art vollzogen: Wenn das Bataillon* oder Korps nicht bereits zur Verkündung des Urtheils auf dem Richtplaz versammelt war, so marschirt es ans denfelben, nachdem der Verurtheilte einer Wache übergeben worden, die ans einem Offizier mit vierundzwanzig Gemeinen nebst den dazu gehörigen Unteroffizieren und Korporalen besteht und in zwei Züge abgelheilt wird. Der Verurtheilte marschirt zwischen beiden Zügen, neben ihm der Geistliche, vor ihm der Profoß seines Korps und hinter ihm zwei andere Profoßen oder Polizeidiener. Die Truppe formixt sich auf dem Richtplaze in Linie oder .Ouarré mit einer offenen- Seite.

Der Vernrtheilte wird vierzig Schritte vor die Fronte oder vor die offene Seite des Ouarre geführt und daselbst zum Niederknieen gebracht, worauf ihm der Profoß die Augen verbindet; follte er Widerstand leisten, fo wird er an einen Pfahl festgebunden.

Während diefer Zeit läßt der Aidemajor zwölf Gemeine mit scharf geladenem Gewehr, ohne Bajonnet, auf zwei Glieder vortreten. Das erste Glied nähert sich, mit gespanntem Hahn und das Gewehr hoch, dem Verurtheil-

627 ten bis laus ungefähr sechs Schritte, und zwei Schritte hinter dem ersten steht das zweite Glied in der gleichen Stellung; der Aidemajor stellt sich rechts vorwärts vor dem ersten Glied, daß ihn die sechs Mann sehen können.

Wenn er nun dem Geistlichen das Zeichen gegeben hat, sich zn^entsernen, so schlagen die sechs Mann des ersten Gliedes ohne Kommando an; und zwar die zwei in der

Mitte auf die Stirne, und die zwei auf jedem Flügel auf die Brust; und wenn der Aidemajor "Feuer" kommandirt, drüken sie fest los. Sollte der Hinzurichtende noch Zeichen des Lebens geben, so läßt man die sechs Soldaten des zweiten Gliedes vortreten, welche ihn je zwei vor den Kopf fchießen, lis er todt ist. Von dem Augenblik, wo der Verurtheilte aus der Mitte feiner Wache weggeführt wird, follen alle Tamboure Wirbel

schlagen.

Das Détachement, welche.... den Verurtheilten auf den

Richtplaz geführt hat, bleibt während der Hinrichtung vor der Mitte des Bataillons, Front gegen dasfelbe in Schlachtordnung, bis das ganze anwesende Korps bei dem Leichnam vorbeidefilirt ist, und schließt sich sodann an das Korps an.

Eine durch einen Wachtmeister befehligte Wache bleibt hierauf bei dem Leichnam, der fogleich mit Baumzweigen »der mit einem Tuche bedekt werden foll, bis er weggeuommen wird.

Der Leichnam soll in der Stille begraben werden.

Wenn zur Zeit, der Vollziehung eines Todesurtheils keine Truppen mehr im Dienste stehen, so ist das Korps, welchem der Verurtheilte angehörte, zum Behufe der Vollziehung ganz oder theilweise in den Dienst einzuberusen.

628 Art. 437. Wenn das Urtheil nicht auf die Todesstrafe lautet, und die Kassation desselben verlangt oder die Begnadigung nachgefucht worden ist, so eröffnet der Strafpolizei-Beamte, oder, wenn derselbe nicht mehr im Dienste steht, der Großrichter oder ein von demselben zu bezeich» nender Offizier oder Beamter das Urtheil des .Cassationsgerichtes und beziehungsweise den Entscheid des obersten Kommandirenden, betreffend die Begnadigung.

Art. 438. Ein jedes Strasurtheil eines eidgenössischen Militärgerichts muß bei allen Korps der Brigade, bei welcher das Korps des Verurtheilten steht, aus Befehl des Brigadekommandanten, bii dem Hanptappell des Tages bekannt gemacht werden. Vorbehalten bleibt jedoch die Bestimmung des Art. 439.

Art. 439. Die Strafe der E n t f e z u n g eines Ofsiziers, eines Unteroffiziers oder Korporals wird bloß bei dem Hauptappell des Tages der Truppe, bei welcher der Entfezte steht, mit der Ordre bekannt gemacht, und der Kommandant sorgt dafür, daß der Entfezte die Zeichen seines bisherigen Grades ablege, ohne daß dieß öffentlich

geschehen foll (Art. 438).

Ein entsezter Offizier wird hierauf von der Armee fortgewiefen, oder, eben so, wie jeder Militär eines mindern Grades, zur fernern Strafe abgeliefert, wenn ihm nebst der Entfezung eine solche auferlegt ist.

Art. 440. Die Strafe des F o r t j a g e n s von der Armee wird folgendermaßen vollzogen: Der Verurtheilte wird unbewaffnet und ohne seine Ehrenzeichen, falls er einen Grad bekleidete, durch-den Profoßen, einen Korporal und sechs Mann vor die Wacht» parade geführt. Daselbst erklärt der Aidemajor, daß der Mann zum Fortjagen verurteilt fei, laß. ihm feinen Tor«

629 nister geben und ihn durch das erwähnte Kommando und den Profoßen bis auf die Gränze des Lagers oder Kantonnements abfuhten, wo man ihn laufen läßt, oder ihn allenfalls an beauftragte Polizeidiener abliefert.

Art. 441. Die Vollziehung der Z u c h t h a u s - und

Gefängnißstrase geschieht so, daß der Verurtheilte nach Verkündung des Urtheils an den Strafort abgeführt wird.

Ein Reglement wird darauf hinwirken, daß jede Freiheitsstrafe auf möglichst gleichmäßige Weise in den verschiedenen Kantonen vollzogen werde.

Art. 442. Alle Strafen, welche ein eidgenössisches Militärgericht auferlegt hat, werden auf Kosten der Eidgenosscnschaft vollzogen.

Wenn der Kanton, zn dessen Kontingentstruppen der Vernrtheilte gehörte, oder in dessen Gebiet er feinen lezten ordentlichen Wohnsiz gehabt, falls er zu keinem Kontingente gehörte, entsprechende Strafanstalten besizt, so ist dieser Kanton verpflichtet, den Verurthciltcn gegen ein sperpflegungsgeld von einem Franken sur den Tag .aus der eidgenössischen ·Staatskasse in die durch das Urtheil bestimmte Strafanstalt aufzunehmen. Verurtheilte aus einem Kanton, welcher keine entsprechende Strafanstatt besizt, werden durch den Bundesrath auf dem Wege des Vertrages in einer solchen Anstalt eines andern Kantons untergebracht; und wenn ein Vertrag nicht zu Stande kömmt, so werden sie im Verhältniß der Mannschafteskala sur die Truppenkontingente ans die Strafanstalten derjenigen Kantone vertheilt, welche die enlfprechenden Strafanstalten bcsizen, und daselbst gegen ein angemessenes Verpflegungsgeld aus der eidgenössischen Staatekasse ausgenommen (Art. 285).

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Bundesblatt. Jahrg. III. Bd. I.

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630 Art. 443. Wenn ein Urtheil, welches vor Erledigung des Kassationsbegehrens zur Vollziehung gelangte (Art. 432), kassirt wird, fo foll die Vollziehung, sofern sie in diesem Zeitpunkt noch andauert, sofort sistirt werden.

Art. 444. Wird sodann durch das weitere Vcrsahren ein günstigeres rechtskräftigeres Urtheil herbeigeführt, fo sollen die Folgen, der zn viel erstandenen Strafe fo vollständig als möglich wieder aufgehoben werden.

Art. 445. Wenn daher dieses Urtheil gänzliche Frei-

sprechung enthält, so muß solches dem Angeklagten im Originale zugestellt werden; dasselbe foll anödrüklich erklären, daß er die über ihn verhängte Strafe schuldlos ausgestanden, daß ihm dieselbe an seiner Ehre durchaus unnachtheilig sein solle, und daß es Jedermann, bei der auf eine schwere Ehrverlezung angedrohten Strafe, untersagt sei, ihm seine Verurteilung oder die ausgestandene Strafe verweislich vorzuhalten. Dieses Urtheil soll auch bei allen dannznmal versammelten eidgenössischen Truppenkorps nnd an dem Hcimathorte und Wohnorte des Losgesprochenen öffentlich bekannt gemacht werden. Auch ist der Losgebrochene für die unschuldig erlittene Strase zu entschädigen.

Art. 446. Hat der Losgesprochene die Strafe der Entsezung oder des Fortjagens erlitten, so muß er aus der Wachtparads, zu welcher wenigstens eine Kompagnie des Truppenkorps, bei welchem er gestanden, zugezogen wird, wenn eine solche anwesend ist, durch den Kommandanten der Wachtparade neuerdings mit den Ehrenzeichen seines Grades versehen und der Truppe "als ein unbescholtener M i l i t ä r " vorgestellt werden, bei welcher er sogleich an seine Stelle eintritt.

631 Art. 447. Wird durch das fpätere Urtheil die Strafe bloß verringert, so folgt keine Entschädigung sür die ausgestandene härtere Strafe, die jedoch dem Verurtheilten vollkommen nnnachtheilig fein soll, und die in dem Art. 445 vorgefchriebene öffentliche Bekanntmachung hat nur dann statt, wenn das frühere Urtheil die Todesstrafe oder Zuchthausstrafe ausgesprochen hat, das spätere hingegen bloß Gefängniß oder eine noch geringere Strafe ansfpricht.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Entwurf eines Strafgesezbuches, für die eidgenössischen Truppen.

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Bundesblatt

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Jahr

1851

Année Anno Band

1

Volume Volume Heft

30

Cahier Numero Geschäftsnummer

---

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

13.06.1851

Date Data Seite

581-631

Page Pagina Ref. No

10 000 649

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