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Schweizerisches

tSisndesiPißtt.

Jahrgang III.

Band I.

Nro. m1.

Dienstag, den 17. Juni 1851.

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Botschaft des

schweizerischen Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung zu dem Entwürfe eines Straf-

gesezbuches für die eidgenössischen Truppen.

(Vom 2. Juni 1851.)

Die gegenwärtig in Kraft bestehenden Sîrafgefeze für die eidgenössischen Truppen sind in den Jahren .1836 und 1837 durch die ausgezeichnetsten Juristen der Schweiz ausgearbeitet worden. Die Tagsazung ist damals den meisten Kantonalgesezgebungen in der Einführung des öffentlichen und mündlichen Verfahrens vorausgegangen und überdieß gebührt ihr auch der Ruhm, von einer allzu Bnndesblatt. Jahrg. in. Bd. i.

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634 ängstlichen Nachahmung der franzöfifchen Einrichtungen sich frei gehalten und das erste Beifpiel einer Beruïfichtigung der liberalen Grundsäze des englischen Rechtes ge= geben zu haben. Es kann ohne Uebertreibung behauptet werden, daß der schweizerische Militär-Rober mit Beziehung auf Vollständigkeit, Gründlichkeit und Freijtnnigkeit vor den meisten Militärgesezen fremder Staaten den Vorzug verdient. Es kann daher keine Rede davon sein, ein so vortreffliches Werk zu befeitigen und etwas ganz Neues an dessen Stelle zu sezen, sondern es wird sich bloß darnm handeln, dasselbe den jezigen Bundeseinrichtungen anzupassen; einzelne Härten, über welche hin und wieder geklagt worden ist, zu mildern; den Organismus mit Berüksichtigung der bei Gelegenheit der verschiedenen masse«haften Truppenaufgebote in den lezten Jahren gemachten Erfahrungen fo viel als möglich zu vereinfachen, und die für den Jnstruïtionsdienjî und die Rechtspflege bei den Kantonaltruppen erforderlichen Vorschriften beizufügen.

Jn diesem Sinne ist der vorliegende Entwurf ausgearbettet worden. Die Botschaft wird sich darauf beschränken, einzelne Pnnkte desselben, welche einer Beleuchtung zu bedürfen scheinen, herauszuheben; Alles Uebrige 'Der mündlichen Berathnng vorbehaltend.

©rstes Buch.

}. .Das ©traffystem.

1. Die K e t t e n s t r a f e u n d d i e L a n d e s v e r w e i f u n g .

Durch Weglassung der K e t t t e n s t r a f e und der L a n d e s v e r w e i s u n g ist das Strassystem theils gemil-dert, theils vereinsacht worden.

Es wäre nicht am Plaze, bei dieser Gelegenheit sich in eine Untersuchung der sogenannten Strasrechtetheorien zu

635 vertiefen. Wie die Geseze überhaupt, so müssen namentïich auch die Strasgefeze nach den Lebensverhältnissen, den Bedürfnissen, der Anschauungsweise und der Bildungsstuse des Volkes, für welches sie gegeben werden, sich richten.

Dabei dürfen weibische Sentimentalität und pedantische Schulweisheit nach der einen Seite hin eben so wenig den Ausschlag geben, als roher Materialismus, der auf

möglichst wohlfeile Weise durch mechanische Mittel zum Ziele zu gelangen sucht, ans der andern Seite. Immerhin aber ist es als ein großer Gewinn zu betrachten, wenn der Strafapparat vereinfacht und gemildert werden kann, ohne daß der Schuz, dessen die Gesellschast bedarf, ge-

mindert, oder das Rechtsgesühl des Volkes beleidigt oder geschwächt wird. Wie weit man in diefer Richtung gehen darf, läßt sich durch die Theorie nicht bestimmen; eine sorgfältige Beobachtung des Lebens kann allein dazu führen, das richtige Maß zu treffen. Die barbarischen Strafen, welche vor hundert Jahren noch an der Tagesordnung waren, würden heut zu Tage jedes menschliche Herz empören; die körperliche Züchtigung könnte in den Kantonen, in denen sie abgeschafft worden ist, nicht wieder eingeführt werden. Die Erfahrung wird zeigen, daß die K e t t e n s t r a f e eben fo entbehrlich ist, als die körperliche

Züchtigung.

Ganz andere Rüksichten sind es, welche dazu geführt haben, die L a n d e s v e r w e i f u n g aus der Reihe der ge-

sezlich zuläfsigen Strasübel anszustreichen. Daß kein Staat gemeine Verbrecher, anstatt dieselben zu bestrafen, einem Nachbarstaate zuweifen darf, und daß in einem folchen Verfahren eine grobe Verlezung der internationalen Pflichten liegen würde, darüber ist man allgemein einverstanden.

Die fragliche Strafe wäre alfo nur mit Beziehung auf rein militärifche oder politifche Verbrechen anwendbar..

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..Dazu kommt aber noch, daß die Landesverweifung je nach den Vermögens- und Erwerbsverhältnissen des Verbannten denfelben als ein herbes, fchweres Uebel oder als etwas ganz ©leichgültiges berühren oder auch sich als unausführbar erweifen kann. Deßhalb scheint die Verbannung sich gar nicht zu einer Strafe zu eignen. Dagegen mögen Fremde, welche sich eines Verbrechens schuldig gemacht haben, auf polizeilichem Wege fortgeschafft und an der Rükkehr verhindert werden; auch wird es immerhin möglich sein, die Begnadigung einer Person, deren Anwesenheit die Ruhe des Landes stören könnte, an die Bedingung zu knüpfen, daß der Begnadigte während einer bestimmten Zeit sich im Auslande aufhalte.

2. Die Kassation.

Die'Kassati o n ist zwar als nothwendige Folge der Zuchthausstrase beibehalte n, hingegen nirgends als selbstständige Strafe angedroht worden. Wo keine Zuchthausstrafe nothwendig ist, wird es auch genügen, anstatt der Kassation, Entsezwng und Einstellung im Aktivbitrgerrechte auszufprechen.

3. ..Die Z u c h t h a u s - und G e f a n g n i ß s t r o f e .

Es ist ein großer Uebelstand, daß der Bund keine eigenen Verhaftsanstalten besizt, sondern alle Freiheitsstrafen in den sehr verschieden eingerichteten Zuchthäusern, Gefängnissen u. s. w. der Kantone vollziehen lassen muß.

Unter diesen Umständen bleibt nichts Anderes übrig, als durch das Gesez selbst und durch ein dasselbe ergänzendes

Reglement so viel als möglich auf gleichförmige Behandlung der Sträflinge hinzuwirken.

Der Einfluß der Zuchthausstrafe auf die Fähigkeit, die rein politischen Rechte auszuüben, kann ohne alle Schwierigkeit duïch die Bundesgesezgebung bestimmt wer*

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den, und es ist nicht einzusehen, tveßhalb in dieser Beziehung die kantonalen Gefeze maßgebend sein sollten (Art. 15 des jezigen Gesezes). Bis dahin kam es vor, daß von zwei Angehörigen verschiedener Kantone, welche von dem gleichen Kriegsgerichte wegen des gleichen Verbrechens zum Zuchthause verurtheilt worden waren, der eine lebens-

länglich das Aktivbürgerrecht einbüßte, der andere hingegen im vollen Genüsse desselben blieb. Wie sehr eine solche

Erscheinung das Rechtsgefühl verlezt, braucht nicht erst

nachgewiesen zu werden. -- Was hingegen die privatrechtlichen Wirkungen der Zuchthausstrafe betrisst (z. B.

die Fähigkeit ein Zeugniß abzulegen, die Vormundschaft zu führen u. dgl.), fo sind diefelben einerseits von untergeordneter Wichtigkeit und anderseits follen sie nicht fo fast einen Bestandtheil oder Zufaz zu der Strafe bilden, als vielmehr dritten Perfonen einen gewissen Schnz gewähren. Daher kann es füglich der Kantonalgefezgebung überlassen bleiben, zu bestimmen, ob dergleichen Folgen .mit der Zuchthausstrafe verbunden fein follen, oder, nicht.

Das bisherige Maximum der Gefängnißstrafe von zwei Jahren ist offenbar zu niedrig. Es gibt Verbrechen rein militärifcher Natur, welche zwar keineswegs der Ausfluß einer niedrigen Gesinnung sind, und die Ehre des Schuldigen in der öffentlichen Meinung nicht befleken, aber wegen ihrer Gefährlichkeit nicht bloß mit einer Gesängnißsjrafe von höchstens zwei Jahren belegt werden können, während die Anwendung der Zuchthausstrafe wegen ihres entehrenden Charakters in der öffentlichen Meinung als eine allzugroße Härte erfcheinen würde. Diefe Betrachtung würde freilich konfeqnenter Weise dazu führen, für die Gefängnißstrafe das gleiche Maximum festzusezen wie sür die Zuchthausstrafe und die leztere bloß gegen gemeine

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Verbrechen anzudrohen. Ein solches System dürfte aber in der Ausführung auf Schwierigkeiten stoßen, da die Kantonalgefezgebungen Gefängnißstrafen von fo langer Dauer nicht kennen, und die vorhandenen Verhaftsanstalten sür gehörige Vollziehung derselben, wenn sie häufig vorkommen sollten, schwerlich sich eignen würden.

II. Der Kriegsfuß.

Jn Kriegszeilen oder wenn die Armee auf dein Kriegss fuße sich befindet, werden die meisten rein militärifchen Verbrechen weit fchwerer bestraft, als im Jnstruktionsdienste oder in einem vom bloßen Jnstrnktionsdienste ft'ch wenig unterscheidenden Felddienste. Das jezige Gesez enthält

aber keine Definition des Kriegsfußes und doch hat es sich in dem sogenannten Sonderbnndsseldzuge gezeigt, daß die Beantwortung der Frage, ob ein Verbrechen in triegszeiten oder zu einer Zeit, zu welcher sich die Armee auf dem Kriegsfüße befunden habe, verübt worden fei oder nicht, ziemlich fchwierig sein kann. Der neu vorgeschlagene siebente Titel der allgemeinen Bestimmungen ist dazu bestimmt, die fragliche Luke in der Gesezgebung ausjufüllen.

III. Die 9Serjcit)rung.

Die Verjährungsfrist kann für gemeine Verbrechen so gut wie für rein militärische durch die Bundesgefezgebung festgestellt werden, und es ist offenbar nothweridig, daß dieses geschehe, indem sonst möglicher SBeise von mehreren Personen, die zusammen ein Verbrechen verübt haben, die einen straflos ausgehen, die andern aber durch die volle Strenge des Gesezes betroffen werden können, wenn sie verschiedenen Kantonen angehören. Abgesehen hievon erscheint es als wünschbar, daß der Militär-Koder so viel

639 als immer möglich ein vollständiges und in sich felbst abgeschlossenes Ganzes bilde.

Die Unterscheidung zwischen der Strasklage und der Strafe felbst ist in der Natur der Sache gegründet und die Verjährungsfrist für die erstere darf um fo kürzer fein, da flüchtige Verbrecher nach dem vorliegenden Entwürfe auf ziemlich formlose Weise in contumaciam verurtheilt werden können.

IV.

.-.Das richterliche Ermessen.

Man hört nicht selten den Saz aufstellen, daß es im Wesen der Schwurgerichtsversassung liege, dem Richter bei Ausmessung der Strafe fo wenig Spielraum als möglich zu lassen, und daß man demselben jedenfalls nicht die Auswahl zwischen verschiedenen Strafarten gestatten, sondern bloß die nähere Bestimmung der Quantität nicht aber diejenige der Dualität der Strafe feinem freien Ermessen anheimstellen dürse; denn, wenn es dem Richter frei stehe, einen Angeklagten, der eines fchweren Verbrechras schuldig erklärt sei, milder zu bestrasen als einen andern, der bloß eines geringern Vergehens übersührt sei, so werde der Spruch der Jury mit Beziehung auf

die Schuld beinahe illuforifch. Bei dieser Beweissührung wird aber die Stellung des Richtos zur Jury salsch aufgefaßt; da die Jury bloß den Thatbestand festzustellen, der Richter hingegen das Gesez auf diefen Thatbestand anzuwenden hat und diese beiden Befugnisse in der Art von einander getrennt sind, daß in der Ausübung der leztern niemals ein Eingriff in die erstere liegen kann.

Es wird aber übersehen, daß eine einzelne Handlung, welche unter den Begriff eines schweren Verbrechens fällt, dennoch in den Augen eines jeden unbefangenen Menfchen weniger strafbar erscheinen kann, als eine andere Handlung, welche dem Begriffe nach sich bloß zu einem geringern

640 Vergehen ..fualifljirt. Es ist dem Gesezgeber unmöglich, den Einfluß, welchen jeder erschwerende oder mildernde Umstand auf das Strafmaß ausüben foll, zum Voraus zu bestimmen und auf diese Weise eine Scala auszustellen, welche das richterliche Ermessen ausschließen würde.

Und wenn sogar der Gesezgeber sich auf eine folche Kafuistik einlassen wollte und könnte, so müßte doch der Entfcheid der Frage, ob diese mildernden oder erschwerenden Umstände vorhanden feien oder nicht, wieder dem Richter übertragen werden, wenn man nicht die Aufrnerkfamkeit der Geschwornen durch eine Masse von Nebenpunkten zerstreuen und von der Hauptsache ablenken; ihre Berathnngen verwirren und das ganze Institut für feine Bestimmnng untauglich machen will. Es bleibt also nichts anderes übrig als entweder, Handlungen, die zwar unter den gleichen SSerbrechensbegriff fallen, im Uebrigen aber mit Beziehung auf die Strafbarkeit weit von einander abstehen, dennoch mit der gleichen Strafe zu bedrohen, oder dann dem richterlichen Ermessen einen gewissen Spielraum zu gewähren. Das leztere geschieht in fehr hohem Maße in der Heiimath der Jury, in England und in den vereinigten Freistaaten von Nordamerika, ungeachtet dort die Strafe in der Regel von Einzelnrichtern ausgefällt wird. -- .Immerhin aber wird die Vergleichung des jezigen Gefezes mit dem Entwurfe zeigen, daß der leztere überall sich bestrebt, die Gränzen des richterlichen Ermessens enger zu ziehen und daß namentlich forgfältig vermieden worden ist, dem Richter zwischen der Todesstrafe und einer bloßen Freiheitsstrafe einfach die Wahl zu lassen, wogegen dann allerdings für einige Verbrechen alternativ Zuchthausoder Gefängnißstrafe angedroht worden ist, weil man aus dem Geseze kein Prokrustusbett machen wollte. Bei dem Bestreben das Strafmaß enger zu begränzen, war nicht

641 die Einführung der Jury in den Organismus der Mili?

tärrechtspflege, fondern die Rüksicht darauf, daß in Zukunft ein Einzelner oder ein Kollegium von höchstens drei Richtern das Urtheil fprechen wird, während bis dahin diefe Funktion einem aus neun Perfonen bestehenden Kriegsrathe zukam, das leitende Motiv. Man kann sich näm-

lich nicht verhehlen, daß im größten Theile der Schweiz

kleine Richterkollegien und ganz besonders Einzelnrichter mit einem gewissen Mißtrauen angesehen werden, welches zwar durch die Erfahrung, wie sich dieß bereits in Genf gezeigt hat, leicht überwunden wird, einstweilen aber doch noch besteht.

Zweites Buch.

Die Organisation der Rechtspflege.

1. .-.Die ordentlichen Kriegsgerichte.

Der Justizstab verhält sich zur Armee wie der Juristenstand zum Volke. Da nun die Kriegsgerichte znr Zeit aus einem Offiziere des Justizstabes und acht andern Militärpersonen bestehen, so liegt der Gedanke sehr nahe, den leztern die Verrichtungen der Jury, dem erstern die Stellung des Richters anzuweisen, wie dieß durch den Entwurf vorgeschlagen wird. Ganz die gleichen Gründe,

welche bei der bürgerlichen Rechtspflege dazu geführt haben, die Anwendung des Gesezes und die Benrtheilung der Rechtsfragen einem oder wenigen juristifch gebildeten Richtern zu übertragen, den Entscheid der Thatfrage aber von der formlofen Ueberzeugung einer größern Zahl unbefangener und nnbefcholtener Männer, welche ohne besondere Wahl ans dem Volke herausgegriffen werden, abhängen zu lassen, rechtfertigen diese Einrichtung auch für die Militärjustiz. Dieselbe kann auch nur theilweife als eine Neuerung gelten, indem schon jezt diejenigen

642 Mitglieder des Gerichtes, welche nicht dem Justizftabe angehören, ausschließlich über die Schuld des Angeklagten urtheilen. Dagegen widerspricht es den Prinzipien, auf denen überall die Schwurgerichtsverfassung beruht, daß eben diese Mitgl.eder auch das Gesez auf den von ihnen als wahr anerkannten Thatbestand anzuwenden haben, und daß dem Großrichter gar kein Stimmrecht, fondern bloß die Leitung der Verhandlungen und die Belehrung der Richter zusteht. Es ist in der That kein Grund vorhanden, diefe Anomalie, welche 'auch in der Praxis hin und wieder schlechte Früchte getragen hat, serncrhin beizubehalten. Die Veränderung, welche in dieser Beziehung von dem Entwurse vorgeschlagen wird, sichert eine gleichmäßige und richtige Anwendung des Gesezes; vereinsacht

und erleichtert die Aufgabe der rechtsunkundigen Mitglieder

des Gerichtes unì.) dient eben deßhalb auch zur Abkürzung der Berathnngen derfelben, ohne die Gründlichkeit z« beeinträchtigen.

Jst man einmal dazu gelangt, den acht Militärpersonen, welche dem Großrichter beigegeben werden, nicht mehr die Stellung eines Gerichtes, sondern bloß diejenige, einer Jury anzuweisen, so kann man dieselben dann auch ganz unbedenklich nach den für die Znfammensezung der Schwurgerichte geltenden Regeln wählen lassen. Bei dem Systeme der allgemeinen Wehrpflicht bildet 'Das Heer den Kern des Volkes und das Korps der Offiziere und Unteroffiziere den Kern des Heeres. Es kann daher keinem Zweifel unterliegen, daß eine Jury, welche mittelst des Loofes und unter Anwendung des Ablehnungsrechtes aus allen unter der Jurisdiktion des betreffenden Gerichtes stehenden Truppen herausgezogen und zur Hälfte aus Offizieren, zur Hälfte aus Unteroffizieren und Soldaten zusammengesezt wird, ihrer Ausgabe völlig genüge und

643 mit Hinficht auf Unbefangenheit vor jeder auf andere Weife erwählten richterlichen Behörde den Vorzug verdiene. Diefe Art der Zusammensezung des Schwurgerichtes, die größtmögliche Freiheit der Vertheidigung und

strenge Durchführung des Grundsazes der Mündlichkeit mit Hinsicht auf. das Hauptverfahren, bilden auch eine so starke Garantie für einen unschuldig Angeklagten, daß man die Voruntersuchung und die Versezung in den Anklagezustand ruhig von manchen Formen losmachen kann, die bloß dazu dienen, den Prozeßgang zu verzögern, den Organismus zu verwikeln, die Kosten zu vermehren und darüber hinaus noch die Entdekung der Wahrheit zu erschweren.

Für die Ausübung des Ablehnungsrechtes ist diejenige Form gewählt worden, welche einerseits den Rüksichten der militärischen Disciplin am Besten entspricht, und

anderseits dem Angeklagten es möglich macht, dieses Recht ungescheut zu benuzen. Mancher Soldat würde es kaum wagen, einen ihm gegenüberstehenden Offi'zier von der Gefchwornenbank wegznweifen, auch hätte ein solcher Hergang für den Offizier etwas Verlezendes, die geheime Ablehnung hingegen. ist frei von diesen beiden Uebelständen.

Was die Beseznng des Gerichtes betrifft, so scheint kein Grund vorhanden zu sein, drei oder mehr Personen zu einer Verrichtung zu verwenden, welche, wie die Erfahrung auf unumstößliche Weise gezeigt hat, eben so gut von einem Einzelnen besorgt werden kann. Ueberhaupt hat der Entwurs überall den Grnndsaz befolgt, durch Beseitigung alles entbehrlichen Räderwerkes in dem Orga-

nismus der Rechtspflege so viel als immer möglich Zeit und Kosten zu ersparen, indem es einen schlimmen Eindruk auf die öffentliche Meinung macht, und scharsen Tadel

.644 hervorruft, wenn der Umfang der angewendeten Mittel in gar keinem Verhältnisse zu dem zu erreichenden Zweke steht. Dabei kommt aber alles darauf an, die Sparsamkeit nicht am unrechten Orte anzubringen. Die Jury z. B. muß nothwendig zahlreich besezt werden, da gerade hierin die hauptsächlichste Garantie sür die Richtigkeit ihres Anspruches., enthalten ist, was bei dem Gerichte sich offenbar ganz anders verhält.

II. ...Die .QSoruntersuchungsbehorde.

Nach dem jezigen Geseze wird jedem Kriegsgerichte ein Auditor, der die Voruntersuchung .zu sühren hat, und

ein Ankläger beigegeben, welche beide dem Justizstabe entnommen werden. Der Entwurf hingegen überträgt das Amt des bisherigen Anklägers dem Auditor, dasjenige des Auditors dem Strafpolizeibeamten oder einem von demselben zu bezeichnenden Offizier. Es ist dieß eine ziemlich wichtige Veränderung, welche ohne Zweifel auf Widerstand stoßen wird und daher einer Rechtfertigung bedarf.

Ursprünglich bestand der Justizstab aus einein Oberauditor, zwei Großrichtern, drei Kassationsrichtern und sechs Auditoren, welche theils zu den eigentlichen Verrichtungen der Auditoren, theils als Ankläger verwendet werden sollten. Durch die Beschlüsse der Tagsazung vom

14. August 1845, 8. August und 20. Juli 1843, ist die Zahl der Offiziere des Justizstabes auf neunzehn erhöht worden, unter denen acht sich befanden, die für die Auditor- und Anklägerstellen bestimmt waren. Gegenwärtig sind vierundvierzig Justizbeamte auf dem Verzeichnisse der eidgenössischen Offiziere eingetragen. Allein auch diese Zahl würde bei Weitem nicht hinreichen, wenn die ganze Bnndesarmee aufgestellt und für jede Brigade ecn Audi-

645 tor und ein Ankläger einberufen werden müßte. Eine weitere Vermehrung des Justizstabes ist aber durchaus nicht räthlich, indem dadurch die Ernennung zu andern

Offiziersstellen, welche weniger gefucht sind, beeinträchtigt werden.

Abgesehen hievon sprechen für das System des Entwnrfes noch andere Gründe, deren Gewicht kaum verkannt werden kann. Ein ganz mittelmäßiger Jnquirent,

welcher sich ausfchließlich Einer Untersuchung widmet, und dabei überdieß in der Lage ist, unmittelbar nach Verübung der in Frage liegenden That einzuschreiten, wird eher zum Ziele gelangen, als ein anderer, der mehr Fähigkeit oder Bildung besizt, aber seine Aufmerksamkeit einer größern Anzahl von Geschäften zuwenden mnß und eben deßhalb nnd weil er nicht an Ort und Stelle sich befindet, ohne feine Schuld nicht felten den günstigen Moment zum Entdeken der Wahrheit verfäumt. So gestaltet sich aber häufig das Verhältniß eines Strafpolizeibeamten, der bloß ein Jnfanteriebataillon oder eine Kompagnie Spezialwaffen unter sich hat, zu einem Ossiziere der einer ganzen Brigade oder einer größern Heeresabtheilung beigegeben ist; wobei sich dann überdieß keineswegs von felbst versteht, daß der leztere für feine Aufgabe besser befähigt fein wird, als der erstere. Wenn der Strafpolizeibeamte selbst keine Rechtskenntnisse besizt, so wird doch in der Regel ein anderer Offizier in seiner unmittelbaren Nähe sich besinden, der mit dem Strafgeseze hinreichend vertraut ist, um eine Voruntersuchung führen zu können. -- Denn man darf nicht aus dem Auge verlieren, daß gerade für diefes Geschäft weit weniger ©elehrfamkeit als vielmehr ein gewisser natürlicher Scharf-

blik, praktifches Gefchik und Menschenkenntniß erförderlich

ist. Uebrigens soll schon nach dem jezigen Geseze der

646 ©trafpolizeibeamte oder ein von demselben zu öeauftra.-gender Offizier wenigstens diejenigen Maßregeln treffen, die ohne Gefahr nicht so lange verfchoben bleiben, können, bis der Auditor anlangt. Gerade diese Maßregeln sind in der Regel die allerwichtigsten und es hängt von denselben nicht selten der Erfolg der ganzen Untersuchung ab.

Wenn man aber Jemanden notgedrungen das Wichtigere anvertraut, so sollte man sich nicht so sehr bedenken, ihm auch noch das Unwichtigere zu überlassen. Wenn schon bei der bürgerlichen Rechtspflege bei raschem Einschreiten die ersten Schritte des Jnqnirenten entscheidend sind, so ist dieß noch in weit höherem Maße bei der Militärjustiz der Fall, indem der Schuldige bei der strengen militärischen Zucht und Ordnung, welcher er unterworfen ist, weit weniger Gelegenheit hat, die Spuren der That zu verwischen. Diese Gelegenheit findet sich aber, wenn die Untersuchung zu spät angehoben wird, und was in dieser Beziehung einmal versäumt worden ist, kann sehr oft später nicht wieder gut gemacht werden.

Zu allem Gesagten kommt noch, daß ja auch nach dem Systeme des Entwurfes dem Auditor unverzüglich »on der Anhebung der Untersuchung Kenntniß gegeben werden, und da§ derselbe sich an Ort und Stelle verfügen, und an dem Verfahren in derjenigen Stellung, die bis dahin dem Ankläger eingeräumt war, mitwirken sott.

An Organen für diesen Theil der Prozedur fehlt es daher keineswegs. Diefelben werden um fo mehr genügen, da die Verbrechen, welche bei den Truppen vorkommen, gewöhnlich fehr einfacher Natur sind, und niit großer Leichtigkeit entdckt und konstatirt werden können. Auf die Form, in welcher dieses geschieht, kommt nicht sehr viel an, da mit aller Strenge in dem Hauptverfahren

der Grundfaz dîr Mündlichkeit durchgeführt ist, und da-

647 her weniger daran liegt, die Zeugenaussagen ausführlich und sorgfältig zu Papier zu bringen, als vielmehr dafür zu forgen, daß diefelben sobald als immer möglich vor dem Kriegsgerichte selbst wiederholt werden können. Jeder Verzug in dieser Beziehung ist mit aller Anstrengung zu vermeiden, da einerseits eine Strafe, welche der That auf dem Fuße nachfolgt, vortrefflich auf die Disziplin einwirkt unb anderseits, wenn das Hauptverfahren lange heransgefchoben wird, sehr leicht Dislokationen eintreten können, durch welche die Herbeifchaffung der Zeugen ungemein erschwert und der Kostenaufwand verdoppelt und verdreifacht wird.

III.

Der Ankläger.

Dem Auditor werden nicht bloß die Pflichten und Be-

fugnisse des bisherigen Anklägers, fondern größtentheils auch diejenigen der Anklagekammer übertragen.

Die Zwekmcißigkeit der Einrichtung einer Anklagekam-

mer ist felbst für die bürgerliche Strafrechtspflege nichts weniger als ausgemacht. Es ist dieses dem französischen Prozesse entlehnte Jnstitut nichts anderes als eine Metamorphofe der englischen Anklagejnry, die längere Zeit auch in Frankreich bestanden hat. Ohne ein solches Vorbild wäre man schwerlich dazu gekommen, ein Zwischenverfahren, betreffend die Zuläßigkeit der Anklage, vor einer eigens hiefür aufgestellten, zum Theil mit gerichtlichen, zum Theil mit polizeilichen Eigenschaften ausgerüsteten Behörde durchführen zu lassen. Es ist aber unter allen englischen Einrichtungen gerade die s. g. große Jury, welcher die Genehmigung der Anklageakte obliegt, am wenigsten geeignet, in dieser oder jener Nachbildung auf fremden Boden übertragen zu werden. Die große Jury

648 rührt aus einer Zeit her, in welcher die Handhabung der Polizei außerordentlich mangelhaft und von einer VorUntersuchung in -Der Art, wie sie jezt von den Friedensrichtern geführt wird, noch gar keine Rede war. Auch kamen damals die f. g. reisenden Richter (the justices in eyre) manchmal Jahre lang nicht in eine Grasfchast.

Eine Behörde, welche Verbrechen, die von Niemanden eingeklagt wurden, von Amtswegen verfolgte; die Zulässigkeit von Privatanklagen vorläufig prüfte nnd schuldlos Angeklagte auf freien Fuß fezte, war daher im höchsten Grade Bedürfniß. Jm Laufe der Zeit aber haben sich die Verhältnisse ganz anders gestaltet, und heut zu Tage hat die große Jury, wie dieses schon in' der Botschaft, betreffend Organisation der Bundesrechtspflege auseinandergesezt worden ist, keine sehr große Bedeutung mehr, wiewohl sie bei dem Mangel einer gehörig eingerichteten Staatsanwaltschaft, für welche das Jnstitnt der Friedensrichtet und der städtischen Polizeibüreaux keinen hinreichenden Ersaz leistet, doch nicht leicht entbehre werden kann. Jn Schottland, wo eigene Beamte zur Betreibung der öffentlichen Anklage aufgestellt sind; giebt es dagegen keine Anklagejury, vielmehr bedarf die von dem Lord« Advokat oder einem feiner fünf Stellvertreter verfaßte Anklageakte keiner weitern Sanktion, sondern hat ganz die gleiche Kraft, wie in England ein von einer großen Jury ausgegangenes Jndiktement. Der Lord-Advokat und seine Stellvertreter sind von den Gerichten ganz unabhängig und stehen unmittelbar unter dem geheimen Rathe.

Diese Einrichtung entspricht allein dem Grundfaze der Trennung der Gewalten, vereinfacht den Organismus und erfpart ein unnüzes Zwischenverfahren, bei welchem immerhin einige Zeit verloren geht, und ein gewisser Kostenaufwand unvermeidlich ist. Wenn die Staatsan-

649 waltfchast als mächtiger aber leidenschaftsloser Anklager dem Angeklagten gegenüber und zwischen ihnen ein unbesangener Richter steht, wozu bedarf es da noch einer befondern Behörde, welche gewissermaßen zwifchen die Staatsanwaltfchaft und das Gericht hinein geschoben wird ? Um den Angeklagten zu schüzen jedenfalls nicht, denn hiesür ist ja die Jury da, welche über seine Schuld oder Unschuld zu urtheilen bat ; um die Interessen der Gesellschaft zu wahren auch nicht, denn dieses ist ja gerade die ein...

zige Bestimmung und Aufgabe der Staatsanwaltfchaft, und wenn diefe nachläßig sein, oder den Amtseifer zu weit treiben follte, so ist es Sache ihrer Oberbehörde, Abhülse zu schaffen. Freilich sind die Beamten der Staatsa anwaltschast sowohl als ihre Vorgesezten Menschen, welche sich irren können ; aber das gleiche gilt auch von den Personen, ans denen die Anklagekammer besteht, und es bleibt immerhin etwas Unnatürliches, wenn die richterliche Gewalt eine Anklage ausnimmt, welche von der Staatsanwaltschast sür unstatthaft erklärt worden ist.

Dazu kommt noch die Schwierigkeit, die Zwifchenbehörde, welche den Anklagezustand erkennen soll, gehörig einzurichten. Eine -"(nklagejury müßte zahlreich besezt werden, und sie könnte nicht leicht auf Grundlage von schristlichen Akten urtheilen; sie müßte vielmehr, wie dieß in England und in den Vereinigten Staaten gefchieht, den Ankläger und seine Zeugen vor sich berufen und verhören.

Ein solches Versahren ist sehr umständlich, und wegen

seiner Einseitigkeit doch nicht besriedigend. Allein gerade diese Einseitigkeit läßt sich nicht vermeiden; denn wenn die Anklagejury den Angeklagten und die Entlastungszeugen vernehmen würde, so müßte ihr Spruch nothwendig den Prozeß beendigen und es wäre kein vernünstiger Grund vorhanden, das gleiche Verfahren vor einer andern Jurp Bundesblatt. Jahrg. III. Bd. I.

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2u wiederholen. -- Eine aus Richtern bestehende Anklage...

ïammer ist ganz gut am Plaze, um über juristische Bedenken, welche der Anklage entgegen stehen, z. B. über

die Einrede, daß die eingeklagte Handlung durch kein Gesez mit Strafe bedroht, daß die Klage verjährt, daß dieselbe durch ein freisprechendes Erkenntniß bereits beseitigt sei u. s. w., zu urtheilen. Es ist durchaus in der Ordnung, wenn dergleichen Fragen so rechtzeitig aufgeworfen und entfchieden werden, daß möglicher Weise die Weitläufigkeit eines öffentlichen und mündlichen Verfahrens »or demlGefchwornengerichte erspart werden kann, und »venn man den dießfälligen Entfcheid einer besoindern Abtheilung des Gerichtes übertragen und dieselbe "Anklageïammer" nenne,... will, so läßt sich gar nichts dagegen einwenden. Sobald man aber die Anklagekammer auch mit der Prüfung des Beweifes beauftragt, fo verwikelt man sich offenbar in einen Widerfpruch, indem man aus der einen Seite davon ausgeht, daß die Frage der Schuld nicht durch ein stehendes Gericht und nicht auf schriftliche Akten hin entfchieden werden foll, und auf der andern ©eite zugiebt, daß von einem kleinen Richter-Kollegium, das möglicher Weife die Sache vermöge der farbigen ·Brille einer Beweistheorie in einem Lichte erblikt, in welchem sie den Geschwornen kaum erscheinen würde, gejtuzt auf eine nothwendig mangelhafte Voruntersuchung der gegen den Angeschuldigten vorhandene Beweis für unzulänglich erklärt werden darf, eine Erklärung, die der Wirkung nach int den meisten Fällen einem frcifprechen-

den Verdikt gleich kommt. -- Besteht die Anklagekammer aus weniger Mitgliedern und gestattet man gegen ihren ......ntfcheid kein Rechtsmittel, fo bietet derselbe offenbar auch Jvenig Garantie -Dar; im entgegengesezten Falle bildet die Versezung in den Anklagezustand ein Präjudiz, das leicht

651 auf die Betrachtung der Jury einen stärkern Einfluß aus-

üben kann, als gut ist.

Diefes sind die Bedenken, welche gegen die Entrichtung einer Anklagekammer für die bürgerliche Strafrechtspflege erhoben werden können. Es hat sich nun zwar allerdings seiner Zeit in der Expertenkommission, welche die Organisation der Bundesrechtspflege vorzuberathen hatte, aus unzweideutige Weife gezeigt, daß solche Betrachtungen wenig Anklang finden, und daß es sehr schwer hält, die Grundsäze anzufechten, auf denen die französischen Einrichtungen beruhen. Es ist daher auch, wie die Vorlage betreffend die Bnndesrechtspflege hinlänglich zeigt, gegenwärtig gar keine Rede davon, den SBestand oder die Befugniffe der Anklagekammer des Bundesgerichtes anzutasten. Für die Militärjustiz aber ist ein rasches Verfahren und ein einfacher Organismus ein so unbestreitbares und dringendes Bedürfniß, daß wenigstens

mit Beziehung auf diefen Zweig der Rechtspflege die vorgefchlagene Vereinfachung nicht auf einen unüberwindlichen Widerstand stoßen sollte. Jn Frankreich selbst ist dieser Unterschied zwischen dem Verfahren der Kriegsgerichte und demjenigen der bürgerlichen Gerichte noch weit größer, indem jene bloß auf die schriftlichen Akten der Voruntersuchung und die mündliche Verteidigung des Angeklagten das Urtheil gründen, und in den Vereinigten Staaten

wird überall sür die im Kriegsdienste befindlichen Personen eine Ausnahme gemacht, so oft der Grundfaz aufgestellt wird, daß Niemand wegen eines Verbrechens vor Gericht gestellt werden dürfe, der nicht durch eine große Jury in Anklagezustand verfezt fei. Ueberfiaupt giebt es keine einzige Gefezgebung, welche nicht die Nothwendig-

keit gefühlt und anerkannt hätte, die Militärjustiz summarisch handhaben zu lassen und es enthält der vorliegende

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Entwurf troz der Aufhebung der Anklagekammer weit mehr schüzende Formen als andere Werke ähnlicher Art.

IV. Das Kassationsgericht.

Es ist in den vorberathenden Behörden die Frage aufgeworfen wurden, ob es nicht zwekmäßig wäre, alle Nichtigkeitsbeschwerden betreffend kriegsgerichtliche Urtheile

durch das für die bürgerliche Strafrechtspflege aufgestellte eidgenössische Kassationsgericht beurtheilen zu lassen. Allein auf der einen Seite würde durch diese Einrichtung keine Ersparniß weder an Zeit noch an Kosten erzielt, da das Bundesgericht und feine Abtheilungen eben so wenig als die Militäraerichte stehende Behörden sind, fondern gerade wie diefe für jeden einzelnen Fall besonders einberufen und mit Taggeldern entfchädigt werden müssen; und auf der andern Seite könnte es bei den Truppen einen übeln Eindrnk hervorbringen, wenn ein kriegsgerichtliches Verfahren durch eine aus lauter Civilperfonen bestehende Behörde kassirt würde. Es scheint daher das Natürlichste zu sein, sür die Militärjustiz eine besondere Kassationsinstanz auszustellen, und dieselbe zum Theit ans Offizieren und zum Theil aus Beamten des Justizstabes zusammen zu fezen.

V. Die außerordentlichen Kriegsgerichte.

Die gleichen Gründe, welche bei der Berathung des gegenwärtig geltenden Gefezes dazu geführt hauen, für den Fall einer gegen den General erhobenen Anklage ein außerordentliches Kriegsgericht bilden zu lassen, rechtfertigen wohl auch die Ausdehnung dieser Einrichtung auf die Beurtheilung derjenigen Ofsiziere, welche eine Brigade oder eine größere Hernöabtheilung befehligen. Jn solchen

653 Fällen wird es sich in der Regel um rein militärische Verbrechen und um Verhältnisse handeln, deren richtige Würdigung von Subalternen-Offizieren, Unteroffizieren und Soldaten nicht erwartet werden darf. Dazu kommt, daß auch höher gestellten Offizieren und Zivilbeamten eher die einem solchen Angeklagten gegenüber erforderliche

Festigkeit und Unabhängigkeit zuzutrauen ist, als einer gewohnlichen Jury. -- Mit Beziehung auf die Zufammensezung der außerordentlichen Kriegsgerichte sind die Bestimmungen des jezigen Gesezes beibehalten worden. Nichtigkeitsbeschwerden über das Verfahren und die Erkenntnisse derfelben sind nach dem Entwurfe durch das Bundesgericht zu beurtheilen, indem die Bildung irgend einer andern Kassationsbehörde mit ungemeinen Schwierigkeiten verbunden wäre.

VI. ...Die K a n t o n a lf ri e g s g e richt e.

Der Entwurf begnügt sich damit, die wichtigsten Punkte der Organisation der Kantonalkriegsgerichte zu bestimmen.

Die weitere Ausführung wird ganz den Kantonen anheimgestellt, da es der ..Bundesgefezgebung kaum möglich wäre, die außerordentliche Mannigfaltigkeit und Verfchiedenheit der kantonalen Verhältnisse hinreichend zu berüksichtigen.

Drittes Buch.

Das Verfahren.

I. Das Vorverfahren.

Schon in den Jahren 1836 und 1837 ist der Vor-

schlag gemacht worden, den Grnndsaz der Oeffentlichkeit auf das Vorverfahren auszudehnen. Ein in diesem Sinne ausgearbeiteter Entwurf nebst den Motiven findet sich in den Tagsazungsabschieden jener Jahre. Auch dießmal ist

654 in den vorberathenden Behörden ein ähnlicher Antrag gestellt worden und abermals in der Minderheit geblieben.

Da die Diskuffson dieser Frage sich immer um die gleichen Punkte dreht, so kann dieselbe füglich als bekannt vorausgefezt werden.

Das jezige Gefez fchreibt vor, daß der Auditor bei der Voruntersuchung zwei andere Offiziere als Urkundsper« sonen und den ©erichtsschreiber beizuziehen habe und daß die Mitglieder der Anklagekammer berechtigt seien, der Voruntersuchung beizuwohnen. Diese Bestimmung trägt natürlich zur leichtern und schnellern Entdekung der Wahrl)eit gar nichts bei, ist vielmehr geeignet, dieselbe zu erschweren, indem durch die Nothwendigkeit, eine Menge von Personen, welche nicht immer gleich zur Stelle sich befinden, zu jeder prozeßualifchen Handlung zuzuziehen, der Gang des Verfahrens häufig gehemmt wird. Auch ist es ein Uebelstand, wenn Offiziere ohne Noth ihren ordentlichen Verrichtungen bei den Truppen entzogen werden. Es läßt sich nicht verkennen, daß der einzige Zwek, den die Zuziehung von Urkundsperfonen im Auge haben kann, nämlich die Verhinderung ungebührlicher Handlungen des Jnqnirenten, mittels der Dcffentlichkeit der Voruntersuchung auf weit wirksamere Weife erreicht und zugleich das Eintreten der vorhin bezeichneten Uebelstände vermieden wird. Allein felbst bei dem geheimen Verfahren ist die Gefahr, daß der Verhörrichter auf unordentliche Weife zu Werke gehen könnte, fo entfernt und der Schaden, der ans einem widerrechtlichen Benehmen desselben entstehen würde, so leicht wieder gut zu machen, daß lästige unt> hemmende Präventivanstalten entbehrt n..erden können. Die Voruntersuchung bildet ja nicht die Grundlage, sondern bloß die Vorbereitung des Hauptversahrens und diefes ist fo eingerichtet, daß es dem Ange=

655

klagten allen möglichen Schuz gewährt. Eben deßhalb hat auch der Bundesrath kein Bedenken getragen, dem Auditor die Vervollständigung der Vorunterfuchung zu gestatten, während in der Expertenkommifsion eine Minderheit, zu welcher auch der Redaktor des Entwurfes gehörte,

sich zu der Ansicht hinneigte, daß es theoretisch richtiger wäre, dem Auditor, welcher nun in der Stellung des

bisherigen Anklägers sich befinde, gar keine derartigen Befugnisse einzuräumen, sondern ihn auf die Stellung von Anträgen und Aufforderungen zu befchränken.

II. Die Anklage.

Ueber die Aufhebung der Anklagekammer ist bereits der erforderliche Aufschluß gegeben worden. Es springt in die Augen, daß durch diese Vereinfachung des Organismus das Verfahren bedeutend abgekürzt wird, da die Einberufung der Anklagekammer, das ihr obliegende Studium der Akten, ihre Berathnng und die Mittheilnng ihres Befchlusses an den Ankläger immerhin ziemliche Zeit erfordert hat. Damit nun aber nicht durch Nachlässigkeit oder Parteilichkeit des Anklägers ein Schuldiger straflos ausgehen könne, fchreibt der Entwurf vor, daß diefer Beamte, wenn er gestüzt auf die Voruntersuchung die Stellung einer Anklage für unzulässig erachte, die Akten feinem Vorgesezten, dem Oberauditor, mitzutheilen und dessen Verfügungen zu gewärtigen habe. Man kann nun freilich einwenden, daß auf diese Weise ebensoviel und vielleicht noch mehr Zeit verloren gehe, als wenn die Sache vor eine Anklagekammer gebracht würde. Allein es ist nicht zu übersehen, daß der Auditor nicht oft sich veranlaßt finden wird, sich auf diese Weise an den Oberauditor zu wenden; daß gerade in den Fällen, in denen die Oberbehörde angegangen werden muß, der Zeitverlust

656 in der Regel wenig zu bedeuten hat; das die Prüfung der Akten durch den Auditor weit mehr Garantie für eine gleichmäßige und konfequente Handhabung der Justiz darbietet, als der Entscheid einer Anklagekammer ; daß bei der von dem Entwurfe vorgeschlagenen Einrichtung die Offiziere, welche bis dahin in die Anklagekammern. berufen werden mußten, in Zukunft dem Dienste bei den Truppen nicht entzogen werden, und daß endlich in den zahlreichen

Fällen in denen die Statthaftigkeit der Anklage keinem

Zweifel unterliegt, der Prozeß mit großer Schnelligkeit zu Ende geführt werden kann.

III.

Das -|)anptverfahren.

1. Die E i n v e r n a h m e der Z e u g e n und des

Angeklagten.

Bei der Anordnung des Hauptverfahrens kömmt Alles darauf an, daß jeder der handelnden Personen die rich-

tige Stellung und eine möglichst klare und einfache Aufgabe angewiesen werde. Alles Uebrige gibt sich dann beinahe von selbst. Jn diesem Sinne ist Nichts natürlicher, als den Vertreter der öffentlichen Jnteressen sowohl, als den Sachwalter des Angeklagten mit den besten Angriffs- und Vertheidigungswaffen auszurüsten, jedem von ihnen die energische Durchführung des Kampfes mit Anwendung aller ehrlichen Mittel zur Gewissens- nnb Ehrenfache zu machen ; dem Richter aber eine ganz unbefangene, ruhige und würdevolle Stellung zwifchen und über ihnen anzuweisen. So und nicht anders hat schon das jezige ©esez das Verhältniß aufgefaßt. Die Vorschriften desa selben haben sich in der Erfahrung bewährt, und werden sich je länger je mehr als wohlthätig beweisen, wenn sie (n dem gleichen ©eiste vollzogen werden, in welchem sie

657 erlassen worden sind. ..Die Aufgabe, welche das französifche Gesez dem Afsisenpräsidenten stellt, übersteigt die Kräfte der meisten Menschen. Er ist mit einer diskretionnären Gewalt ausgerüstet, vermöge welcher er Alles vornehmen darf, was ihm zur Entdekung der Wahrheit nüzlich zu sein scheint, und er wird sogar bei seiner Ehre und bei seinem Gewissen verpflichtet, mit aller Anstrengung aus dieses Ziel hin zu arbeiten. Er verhört nicht nur den Angeklagten, sondern auch alle Zeugen. Es versteht sich von selbst und die Erfahrung beweist es hundertsach, daß man nicht aus diese Weise in die Arena hinabsteigen, mit den Angeklagten und mit den Zeugen in ein Wortgesecht sich einlassen und dabei die Unbefangenheit bewahren kann. Verlezte Eitelkeit, Rechthaberei, Aerger und noch fchlimmere Gefühle bleiben bei solchen Reibungen selten aus, und der Angeklagte hat statt eines Richters

einen zweiten Ankläger. Ein Schriftsteller, welcher den englischen Strafprozeß aus eigener unmittelbarer Beobachtung sehr genau kennt, (Marquardsen, englisches Beweisrecht, S. 431) äußert sich hierüber folgendermaßen : "..Die ganze Stellung des Präsidenten bei dem neuen ,,deutsch-sranzösischen Verfahren widerspricht durchaus dem

,,Geiste des englifchen Prozesses. Es ist nicht die Macht ,,an sich, welche man dem Afsisenpräsidenten eingeräumt ,,hat, die Tadel verdient; der englische Richter hat eine ,,viel ausgedehntere Machtvollkommenheit (man denke nur ,,an sein freies Ermessen bei den Strafbestimmungen), ,,fondern daß man von der ersten Person des ganzen ,,Versahrens die meisten, gewöhnlichsten und ost sich wider"sprechendsten Geschäfte vornehmen läßt. Hat das eng«lifche Recht in seiner Annahme, daß jeder Zeuge mehr ,,oder minder einer oder der andern Partei zugewandt ,,ist, einen richtigen allgemeinen Erfahrungsfaz seinen An-

658

,,Ordnungen zu Grunde gelegt, so muß man zugeben, daß ,,zur Entdekung der Wahrheit kein Weg geeigneter ist, ,,als der von den englischen Juristen eingeschlagene. Der ,,Ze«ge ftird von beiden Parteien, von Freund und Feind, ,,über das Nöthige vernommen. Gegen die vielleicht zu ,,große Bereitwilligkeit, mit welcher er dem Jnteresse und ,,den Fragen der befreundeten Partei sich anfchmiegt, fällt ,,die größere Berechtigung in's Gegengewicht, welche der ,,kreuzverhörende Anwalt dem abgeneigten Zeugen gegen-,,über hat. Wie sich das Urtheil ans Gründen und Gegen,,gründen herausstellt, wird die thatfächliche Wahrheit am

,,Besten durch diese doppelte Thätigkeit der Parteien selbst ,,an's Licht gebracht. Ohne die Einsührung des Verhörs ,,und Kreuzverhörs durch die Parteien wird eine Nach,,bildnng des englischen Verfahrens bei uns nur ein ,,Scheinwerk sein und die ganze öffentliche und mündliche "Prozedur in der Persönlichkeit des verhörenden Präsi"denten ein Stük Jnquisition behalten. Man kann den "höchsten Resepett vor dem unparteiischen Charakter der ,,jezigen Assisenpräsidenten und das größte Vertrauen in ,,ihre Fähigkeit haben, aber dieß wird man uns zuge,,stehen müssen, daß es sür einen Einzelnen ganz nnmög,,lich ist, sich den verschiedenen Zeugen gegenüber so ver* ,,schieden zu verhalten, wie es die englischen Advokaten "im Verhör, Kreuzverhör und Wiederverhör zu Nuz und "Frommen der Gerechtigkeit thun. Ueberall Suggestiv,,fragen zuzulassen, wäre z. B. eben fo verkehrt, als sie "stets auszufchließen, und wer wollte von sich bîhaupten, ,,daß er, wenn ihm das Verhör aller Zeugen aufläge, ,,immer im Stande fein würde, die leitende Frage da, ,,wo sie der Gerechtigkeit dienlich wäre, anzuwenden, und ,,überall da sie zu vermeiden, wo sie dem Jrrthum und ,,dem Betrug Raum geben würde. Und für die Fehler

659

,,des Präsidenten giebt es fo gut wie gar keine Abhülfe.

,,Die beisizenden Afsisenrichter sind praktisch von geringer ,,Bedeutung und wie die Sache bei uns jezt steht, er,,scheinen die Mißgriffe (ost sind sie viel mehr) des Assisen"präsiöenten nur deshalb nicht als solche, weil man sich ,,daran gewöhnt hat, auf die alte Jnquirirkunst des ge"heimen schriftlichen Verfahrens als die richtige und "nöthige Vorschule des präsidirenden Richters zu bliken.

,,-- Was die politische Seite der Sache anbelangt, ist "die Staatsweisheit sehr kurzsichtig, welche glaubt, daß

,,eine sreie Thätigkeit des Anwaltstandes und die erhöhte, ,,würdigere Stellung des Richters sür das Staatswohl ,,gefährlich sein könnte. Jn dieser Beziehung ist bezeich-

"nend, daß in England, selbst in den schlimmsten "Zeiten der Anarchie, wie des Despotismus, das Recht "des freien Verhörs und Kreuzverhörs durch die Advokaten "niemals beftritten worden ist".

@o weit Marquardsen.

Bei dem Systeme des Entwurfes macht das Verhör des Angeklagten einige Schwierigkeit. Konsequenter Weife sollte vielleicht dem Vertheidiger das Verhör, und dem Ankläger das Kreuzverhör übertragen werden, wenn man nicht nach dem Beispiele des englischen Prozesses ganz darauf verzichten will, den Angeklagten zu befragen.

Jmmerhin hat der Entwurf die Befugnisse des Verhörenden so enge begränzt, daß nicht sehr viel darauf ankömmt, wem dieselben übertragen werden.

2. Bie Bestimmung der Aufg'abe der Jury durch den Großrichter.

Die Frage, in wie weit der Präsident bei Belehrung der Jury gehen, namentlich, in wie weit er feine eigene

Ansicht über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten

660

ausfprechen dürfe, wird durch die Doktrin sowohl als durch die Gesezgebungen auf verschiedene Weise becintwortet. Nach englischem Rechte sind die Befugnisse des Richters in dieser Beziehung unbeschränkt; doch wird derselbe in der Regel sich damit begnügen, die Beweise und Gegenbeweise aufzuzählen, und deren SSertft und Bedeutung zu bezeichnen. Auf gleiche Weife hc** wohl auch der Assifenpräsident nach der Vorschrift des Code d'instruction : ,,Jl fera remarquer auxjurés les principales preuves pour ou contre l'accusé" sich zu benehmen.

Le Graverend bemerkt hierüber : Le président; n« peut se dispenser de faire remarquer la valeur et la nature de ces preuves respectives, de les discuter môme si -la nécessité se fait sentir. Nach dem Geseze des Kantons Genf erklärt der Präsident einfach die Debatten für geschlossen und geht zur Stellung der Fragen über.

Der vorliegende Entwurf hält ebenfalls eine Rckapitulation der durchgeführten Verhandlungen für überflüfsig.

Es ist keineswegs ein Gefühl des Mißtrauens gegen den Großrichter, welches diefer Beschränkung seiner Befugnisse zu Grunde liegt, denn bei der Stellung, welche der Entwurs diesem Beamten anweist, ist nicht zu befürchten, daß er feine Unbefangenheit so leicht verlieren könne ; allein man hält dafür, daß die Gefchwornen ihren Spruch aus den unmittelbaren Eindruk gründen sollen, den die Verhandlungen auf sie selbst hervorgebracht haben, und daß sie diefen Verhandlungen auch um fo aufmerksamer folgen werden, wenn sie sich nicht des Ruhekissens einer Rekapitulation durch den Großrichter getrösten können.

Die Hauptfache besteht darin, das Verfahren felbii fo zu ordnen, daß es nicht einem Labyrinthe gleiche, in welchem man sich nur mit Hülfe eines Wegweisers zurechtfinden kann.

661 Sehr wichtig ist die Art der Fragenstellung. Die vorberathenden Behörden haben diesem Punkte besondere Aufmerksamkeit zugewendet. Wenn die Jury ihrem hohen Berufe genügen und in der Schweiz volkstümlich weri-jen soll, so ist es nothwendig, ihre Ausgabe so einfach als immer möglich zu stellen. So gut die analytische Me·f thode sür stehende Gerichte ist, so wenig tangt sie für die Jury.

Nach dem Code des délits et peines vom 3. brumaire IV. hatten die Geschwornen zuerst zu erklären, ob das in Frage liegende Verbrechen verübt worden fei, fodann ob

der Angeklagte Urheber desselben fei; hierauf folgten die

s. g. questions intentionelles und zulezt die Fragen betreffend die erschwerenden Umstände. Die Erfahrung hat bewiesen, daß der scheinbar auf Vereinfachung abzielende und deßhalb sogar durch Art. 250 der damals geltenden französischen Staatsverfassung sanktionirte Grundfaz: ,,II ne peut être posé aucune question complexe" zur größten Verwirrung, fuhrt; die jezige französische Gesezgebung hat diese Ersahrung zu Rathe gezogen ; dessen ungeachtet sind die Vorschriften des Code d'instruction

auch jezt noch nicht ganz befriedigend. Namentlich fcheint es zwekmäßig zu sein, die Jury bloß über diejenigen Umstände zu befragen, welche zum eigentlichen Thatbe= stand des Verbrechens gehören (circonstances constitutives); dagegen bloße Erfchwerungs- und Mildernngs.gründe in allen Beziehungen der Würdigung des Richters anheimzustellen. Die dießfällige Bestimmung des Entwurfes hat neben den innern Gründen auch die Autorität des unlängst erlassenen Strafprozeßgesezes des

Staates New-Dorf für sich, welches hierüber folgende ..Borschrift enthält: ,,Wenn der Angeklagte sich schuldig ,,bekennt, oder sür schuldig erklärt worden ist, so kann

662 ,,das Gericht auf die Bemerkung der einen oder andern ,,Partei hin, daß Umstände vorhanden feien, welche auf ,,das Strafmaß mildernd oder erschwerend einwirken kön,,nen, hierüber eine summarische Untersuchung veranstal,,ten. Solche Umstände sind durch Zeugen dai.'zuthun, ,,welche in öffentlicher Gerichtssizung abgehört werden sol,,len. Nur wenn ein Zeuge krank oder sonst verhindert ,,ist, zu erscheinen, kann die Deposition desselben durch ,,einen Beamten der Grafschaft erhoben und schriftlich bei,,gebracht werden."

3. Das Verdikt der Jury.

Gegenwärtig gilt die Regel, daß wenn vier Mitglieder des Gerichtes die Schuld, vier andere die Unschuld des Angeklagten behaupten, die Freisprechung desselben erfolgen muß. Dergleichen Vorschriften führen, wie die Erfahrung bereits gezeigt hat, nicht felten zu Ergebnissen, welche das Rechtsgefühl in hohem Grade verlezen und das Ansehen der Justiz herabwürdigen. Am Richtigsten wäre es vielleicht, wie in England Einstimmigkeit von der Jury zu verlangen. Der Entwurf geht nicht so weit, aber er schreibt doch wenigstens vor, daß die Berathung der Geschwornen so lange fortgefezt werden muß, bis für die eine oder die andere Ansicht sich die abfolute Stimrnenmehrheit ergeben hat. ...Dieses Refultatj wird leicht erhältlich sein. Zur Zeit als in Frankreich die Jury erst dann mit Stimmeitmehrheit entscheiden konnte, wenn sie während achtundvierzig Stunden nicht einmüthig geworden war, gelangten die Geschwornen in hundert Fällen 99 Mal zur Einstimmigkeit; die bloße Stimmenmehrheit wird natürlich noif weit weniger Schwierigkeit machen.

663 IV. Das Verfahren nach der Ausfallung des .Urtheil.,.!.

Vor dem Kassationsgerichte soll in Zukunft keine mündliche Verhandlung mehr stattfinden. Einfacher Schriftenwechfel wird vollkommen genügen, um die formellen Punkte die einzig in Frage kommen können, zu beleuchten. Jm Uebrigen bleibt das Kassationsverfahren in der Hauptfache unverändert, mit der einzigen Ausnahme, daß das Kassationsgericht in allen den Fällen, in denen der Spruch des Kriegsgerichtes wegen unrichtiger Anwendung des Straf.gesezes auf die vorliegende Sache vernichtet wird, in Zukunft das dem Gefeze entsprechende Urtheil selbst auszufällen hat, da die Ueberweifung an ein anderes Gericht sich in solchen Fällen als eine ganz unnüze Weitläufigkeit herausstellt.

Durch die Bestimmungen betreffend die Rehabilitation ist eine Luke des jezigen Gefezes ausgefüllt worden. Auch hat es nothwendig geschienen, gegen den Mißbrauch des Begnadigungsrechtes einige schüzende Vorschriften aufzunehmen.

664 Entwurf eines

Bundesgesezes über die Posttaren..

(Vom 4. Iuni 1851.)

Die B u n d e s v e r s a m m l u n g der schweizerischen Eidgenoffenschaft, in Betracht,- daß die Einführung des neuen Münzsußes eine Revifion des bisherigen Posttaxengefezes erfordert ;

nach Einficht des Vorschlages des Bundesrathes beschließt:

Briefpost.

Art. 1. Die Taxe für den Transport von Briefen, Schriftpaketen, Drukfchriften und Waarenmustern im Innern der Schweiz wird nach der E n t f e r n u n g und nach dem G e w i c h t e bestimmt. Die Entfernung ist nach der kürzesten Poststraße, die vom Aufgabspostbüreau bis zum Abgabspostbüreau führt zu bemessen.

Art. 2. Diefe Entfernung wird nach zwei Briefï r e i f e n berechnet. Der erste Briefkreis umfaßt die schweizerischen Postbüreaux, die nicht weiter als 10 Stunden, der zweite Briefkreis diejenigen, die über 10 Stunden vom Aufgabspostbüreau entfernt find.

Art. 3. Die Taxe eines Briefes, der keine Werth-' angabe enthält und weniger als ein Loth wiegt, beträgt : Im ersten Briefkreis 10 Rappen, " zweiten ,, 15 ,, Art. 4. gür schwerere Briefe wird für je ein L'oth und für den Bruchtheil eines Lothes eine einfache Taxe berechnet.

665

Art. 5. Lokalbriefe, die nicht über zwei Stunden von einem Postbüreau zum andern befordert werden müssen, so wie solche, die für den gleichen Bezirk eines Postbürean bestimmt sind, in welchem sie aufgegeben werden, können mit der Hälfte der für den ersten Briefkreis festgesezten Taxe srankirt werden. -- Unfrankirt unterliegen solche Briefe der ordentlichen Taxe.

Art. 6. Schrift p a k e t e ohne Werthangabe, wie j. B. Prozeßakten, Legitimationsfchriften, Wanderbücher und andere Urkunden, infofern fie das Gewicht von einem Pfunde nicht überschreiten, werden wie Briefe behandelt, sie unterliegen jedoch nur der Tare gewöhnlicher Pakete.

Der Einfchluß von Briefen, außer einem allfälligen Begleitfchreiben, wird als Verlezung des Postregals ange* sehen.

Art. 7. Einzuschreibende Briefe oder Schriftpakete sind mit der doppelten Taxe zu belegen und müssen frankirt werden.

Art. 8. Für D r u k s c h r i f t e n , L i t h o g r a p h i e n u. dgl., insofern fie außer der Adresse, dem Datum und der Namensunterschrift nichts Geschriebenes enthalten und daher Behufs der Prüfung unter Band aufzugeben und zugleich zu f r a n k i r e u find, findet folgende Taxermäßigung statt :

Bis auf 2 Loth . .

von 2 bis 4 ,,

. .

Erster Kreis bis auf 10 Stunden.

Zweiter Kreis über 10 Stunden.

Rappen.

2

Rappen.

5

10 20 ,, 8 £oth bis l Pfund . 15 30 Eine Ermäßigung dieser Tare kann bei zahlreichen Sendungen über 20 Stükeit, so wie bei regelmäßigen Bundesblatt. Jahrg, m. Bd. \.

50 ;

n

4 n

8

n

·

5

. 10

666

abonnirten Sendungen, gegen Vorausbezahlung gestattet werden.

Art. 9. . W a a r e n m u f t e r , die entweder allein oder mit einem einfachen Briefe versendet werden trnd als solche leicht erkennbar sind, werden bis auf das Gewicht von einem Pfunde wie Briefe behandelt, aber nach dem Tarif der Pakete tarirt.

Art. 10. Kleinere unverschlossene Pakete, die nicht über 16 Loth schwer sind, keine Werthangabe und keine Briefe enthalten, können bis auf die Entfernung von · 6 Stunden mit 10 Rappen frankirt werden und sind alsdann mit der Briefpost zu versenden.

.5 ah r p o st.

Art. 11. P a k e t e und W e r t h g e g e n s t ä n d e wer.» den im Innern der Schweiz nach der Entfernung in der Richtung der kürzesten Postftraße vom Aufgabspostbüreau bis zum Abgabsvostbüreau und nach dem Gewicht, oder nach dem Werthc, mit Hinzurechnung einer Bestellgebühr (Manipulationsgebühr) tarirt.

Art. 12. Von je 5 Wegstunden und von jedem Pfund des Gewichts oder bei Werthstüki.-n von je 50 Franken des Werthes ist eine T r a n s p o r t t a r e von 11/2 Rappen zu berechnen.

Art. 13. Zu dieser Transporttaxe wird für jedes gahrpoststük eine B e s t e l l g e b ü h r hinzugerechnet, die bei einer Entfernung bis auf 10 Stunden 10 Rappen, von 10 bis 20 Stunden 20 ,, über 20 Stunden 30 ,,

beträgt.

Art. 14. Ie-Der B r u c h t h e i l unter 5 Stunden wird für volle 5 Stunden, jeder Bruchtheil eines Pfundes

667 wird für ein gansée Pfund und jeder kleinere Betrag als 50 Franken für volle 50 Franken berechnet. Desgleichen wird jeder Bruchtheil der Tare unter 5 Rappen auf volle 5 Rappen ergänzt.

Art, 15. W e r t h f t ü k e werden in der Regel nach dem Werthe, wenn sich aber nach dem Gewichte eine höhere ..Taxe ergibt, nach dem Gewichte taxirt. Wenn mehrere Fahrpoststüke zu einer Adresse gehören, wird

für jedes einzelne Stük die Gewichts - oder die Werthtare selbstständig berechnet.

Adreßbriefe zu gahrpoftfendungen werden nicht mit Porto belegt, .wenn sie das Gewicht eines einfachen Briefes nicht übersteigen, gür fchwerere Briefe ist die ordentliche Taxe nach Art. 4 zu erheben.

Art. 16. Für den Transport von Paketen und Wertsendungen auf A l p e n p ä s s e n ist der ordentliche Tarif zu erhohen.

Art. 17. Das Aufgeben zufammengepakter Briefe zur Verfendung als gahrpostftüke wird aU Verlezung des Postregals behandelt.

Die Verfendung von Briefen im Einfchluß an ein Postbureau zur Vertheilung an die Adressaten ist ver* boten. Im eintretenden Falle find die Inlagen einzeln zu tarir en.

Zeitungen.

Art. 18. Für Z e i t u n g e n und andere p e r i o d i s c h e B l ä t t e r der Schweiz, welche a b o . n n e m e n t s w e i s e von den Verlegern versendet werden und denen weder Geschriebenes noch andere fremdartige Druksachen beigeschlossen werden dürfen, wird eine halb- oder vierteljährlich vorauszubezahlende ..transporttaxe von einem Rappen für ein Exemplar bis zu einem Gewichte von

668 2 Loth ohne Rücksicht auf Entfernung für die ganze Schweiz feftgesezt.

Für Sendungen, die über 2 Loth schwer sind, ist für jedes weitere Loth oder Bruchtheil desselben ein Rappen mehr zu entrichten.

Das Ungerade ist bei jedesmaliger Ausrechnung des ©esarnintbetrageo der ganzen Lieferung auf jî volle 5 Rappen zu ergänzen.

Der EinfchUtp von Geschriebenem wird aïs Verle* zung des Poftregals behandelt.

Art. 19. Ale n i e d e r s t e T r a n s p o r t t a x e für das Abonnement eines Iahres find zwanzig Rappen feftge-5 sezt. Alle Sendungen von Zeitungen und periodischen Blättern, die weder postamtlich abonnirt, noch durch die betreffenden Verleger abonnementsweise aufgegeben und frankirt werden, unterliegen der im Art. 8 verordneten Drukschrifttare.

Art. 20. Für jedes durch die Post besorgte Abon# nement, ohne Unterschied, ob für ein ganzes, halbes oder nur für ein Vierteljahr, bezieht die Postanstalt eine Abonnementsgebühr: a. von 20 Rappen für inländifche Blätter, b. von 40 Rappen für ausländische Blätter.

gür inländische Blätter ist. die Abonnementsgebühr

von den Verlegern zu entrichten ; für ausländifche Blätter

ist sie zu dem Bezugspreise hinzuzufchlagen.

G eldanweisungen.

Art. 21. Der Bundesrath ist ermächtigt, die erforderlichen Anordnungen zu treffen, um bis zu einer bestimmten Summe Baarzahlungen durch die Post bewerkstelligen zu lassen und die Tare hiefür festzufezen.

669

A u s l ä n d i f c h e Postsendungen.

Art. 22. Für Briefe, Schriftpakete, Drukfchristen, Waarenmuster, gewöhnliche Pakete, Geldsendungen und Zeitungen, welche von dem A u s l a n d e kommen oder dahin abgehen, hat der Bundesrath die Taren je nach den bestehenden Verträgen besonders festzufezen.

Personen.

Art. 23. Für den P e r s o n e n t r a n s p o r t im Innern der Schweiz "sind, folgende Taren für jede Wegstunde festgefczt :

gür einen Plaz im Coupé Rp. 80 ,, ,, " im Innern oder auf den Außenfizen ,, 65 Für Lokalkurfe oder wo befondere Verhältnisse es erfordern, kann der Preis der Pläze ermäßiget, für Schnellpoften erhöht werden.

Art. 24. Auf A l p e n p äffen hat der Reifende für jede Wegstunde zu bezahlen : gür einen Plaz im Coupé . . . gr. l Rp. 15 " " ,, im Innern oder auf den Außenfizen ,, l ,, -- Art. 25. Ieder Postreisende kann bis 40 Pfund

Gepäk frei mit sich führen, gür das Mehrgewicht des

Gepäks ist die vorgeschriebene Taxe der Pakete zu entrichten.

Scheingebühr.

Art, 26. Für Empfangfcheine, die im Postverkehr von den Postbüreanr auszustellen find, ist eine Taxe von 10 Rappen zu beziehen.

Stämpelsreiheit.

Art. 27. Scheine, Conti, Rechnungen u. dgl., die im Postverkehr von der Postverwaltung oder von Pri-

670

vaten ausgestellt werden, dürfen dem Kantonsstämpel nicht unterworfen werden.

Portosreiheit.

Art. 28. Von Entrichtung des Porto's find b e f r e i t : a. die Mitglieder der Bundesversammlung, während der Dauer der Sizungen, wenn sie am Bundesfizc sich befinden; b. die eidgenosfischen und Kantonalbehörden, jedoch nur in Amtssachen; 4 c. die Eidgenossenschaft und die Kantone für ihre amt-

lichen Blätter ; d. das im eidgenöffifchen und Kantonaldienfte stehende Militär, sowie das nicht im Dienste stehende Militär für die Konefpondenz mit seinen Obern in Dienstfachen.

Diese Portofreiheit dehnt sich nur auf die Geldfen* dungen aus, die an eidgenossische Behörden oder Militärperfonen gehen oder von denselben versendet werden, sowie auf die Gelder, die von den Behörden an Arme oder Armenanstalten versendet werden.

Art. 29. Die spezielle Bezeichnung der Behörden, welche die Portofreiheit genießen, und die Weise, wie die Portofreiheit ausgeübt und wie dem Mißbrauch vorgebeugt werden foll, ist durch eine besondere Verordnung näher zu bestimmen.

Anfangstermin.

Art. 30. Dieses Gesez tritt mit dem 1. Ianuar 1852

in Wirksamkeit. Der Bundesrath ist ermächtigt, einzelne Bestimmungen dieses Gesezes schon vorher in Aus-

sührung zu bringen.

Das Gesez vom 4. Brachmonat 1849 tritt mit diesem Zeitpunkt außer Kraft.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Botschaft des schweizerischen Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung zu dem Entwurfe eines Strafgesezbuches für die eidgenössischen Truppen.

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Bundesblatt

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Jahr

1851

Année Anno Band

1

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31

Cahier Numero Geschäftsnummer

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Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

17.06.1851

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633-670

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10 000 652

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