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Bundesblatt 99. Jahrgang.

Bern, den 9. Oktober 1947.

Band in.

Erscheint wöchentlich Preis »8 Franken im Jahr, 15 Franken im Halbjahr, zuzüglich Nachnahme- and Postbestellungsgebühr Einrückungsgebühr 50 Rappen die Petitzeile oder deren Baum. -- Inserate franko an Stämpfli * Oie. In Bern.

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Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung zum Beschlussesentwirf über Beiträge des Bundes an die Unterstützung bedürftiger Emigranten und Flüchtlinge in der Schweiz.

(Vom 8. Oktober 1947.)

Herr Präsident!

Hochgeehrte Herren!

Die Schweiz hat während des Krieges 295 406 Flüchtlinge, Emigranten und Internierte aufgenommen, die für kürzere oder längere Zeit in unserm Lande Asyl suchten. Die überwiegende Mehrheit von ihnen hat unser Land wiederum verlassen. Mehrere tausend wurden aus dem Emigranten- oder Flüchtlingsstatut entlassen und haben eine ordentliche fremdenpolizeiliche Bewilligung erhalten. Heute leben noch 11 052 Ausländer in der Schweiz, die den Vorschriften für Emigranten und Flüchtlinge unterstehen. Das ist im Vergleich mit den vielen hunderttausend Entwurzelten in Nachbarländern an sich keine grosse Zahl, wohl aber mit Rücksicht auf die Übervölkerung und die engen Grenzen unseres Landes, insbesondere wenn berücksichtigt wird, dass neben diesen mehrere tausend Ausländer ebenfalls heimat- oder zum mindesten schriftenlos sind und sich in einer ähnlichen Lage befinden.

Der Bundesrat hatte sich veranlasst gesehen, mehrfach in Verordnungen festzulegen, dass unser Land für die Flüchtlinge und Emigranten nur Durchgangsland sein könne ; denn ein kleines und übervölkertes Land wie die Schweiz kann nicht dauernd eine grosse Zahl von Flüchtlingen aufnehmen. Seine Eolle muss vielmehr darin liegen, soweit als möglich Flüchtlingen ein erstes Asyl zu bieten, um ihnen zu ermöglichen, in Buhe und Geborgenheit ihre Weiterreise vorzubereiten. Wir leisten damit der Menschheit einen weit grösseren Dienst, als wenn wir eine beschränkte Zahl für dauernd in unserm Lande aufnehmen. Dieser an internationalen Konferenzen über Flüchtlingsfragen vertretene Standpunkt wurde immer anerkannt und gewürdigt.

Bundesblatt. 99. Jahrg. Bd. III.

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Wir dürfen auch heute nicht von dem Grundsätze abgehen, dass die Ausländer, die bei uns Zuflucht gesucht haben, ihre Weiterreise vorbereiten müssen und nur vorübergehend bei uns Asyl gemessen können. Dabei soll jedoch auf die besondere Lage jedes Einzelnen Bücksicht genommen und ihm genügend Zeit gelassen werden, seine Weiterwanderung vorzubereiten. Keiner, der sich des Asyls würdig erweist, soll gehalten werden, unser Land zur Unzeit zu verlassen, wenn ihm die Ausreise nicht oder noch nicht möglich oder zumutbar ist.

Anderseits hat es sich aber gezeigt, dass an dem Grundsatz der Weiterreise nicht durchwegs und für alle Kategorien festgehalten werden kann und muss. Namentlich für ältere und kranke Flüchtlinge und Emigranten ist die Ausreise besonders schwierig, wenn nicht überhaupt unmöglich. Sie besitzen in der Kegel die Kraft zum Aufbau einer neuen Existenz in einem ihnen fremden Lande nicht mehr, und in ihre frühere Heimat können sie nicht mehr zurück^ kehren. Auch für einzelne andere Flüchtlinge drängt sich eine Ausnahme von der Begel auf. Wir denken an solche mit besonders engen Beziehungen zu unserrn Land oder solche, die auf irgendeinem Gebiete der Kunst, Wissenschaft oder Technik Hervorragendes geleistet haben. Auch für verlassene Kinder, die zum Teil in ihre neue Umgebung in der Schweiz nun weitgehend hineingewachsen sind, wäre es hart, wenn sie verhalten würden, unser Land zu verlassen.

Der Bundesrat hat deshalb am 7. März 1947 nach Konsultation der Vollmachtenkommissionen einen in der Junisession 1947 von den eidgenössischen Bäten genehmigten Beschluss erlassen, wonach Ausländern, die bisher den Sonderbestiminungen über Emigranten und Flüchtlinge unterstellt waren, das dauernde Verbleiben in der Schweiz gestattet werden kann, wenn dies wegen ihres Alters, Gesundheitszustandes oder andern besondern Umstanden geboten erscheint. Die näheren Bestimmungen hierüber hat das Justiz und Polizeidepartement mit Zustimmung des Bundesrates erlassen. Danach kommen für eine solche Zusicherung des dauernden Verbleibens (Dauerasyl) unter gewissen Voraussetzungen Flüchtlinge und Emigranten des Jahrgangs 1889 und ältere, kranke und gebrechliche, verlassene Kinder bis zu 16 Jahren, Flüchtlinge und Emigranten mit engen verwandtschaftlichen Beziehungen zu Schweizerbürgem und solche mit besondern, namentlich
wissenschaftlichen, kulturellen, künstlerischen, humanitären oder wirtschaftlichen Leistungen und Verdiensten in Betracht. Die Kantone können ihnen, auch wenn sie keine anerkannten und gültigen heimatlichen Ausweispapiere besitzen -- sie erhalten eine Urkunde über die Zusicherung des Dauerasyls -- für die Dauer des Beschlusses auch Aufenthaltsbewilligung erteilen. Jedenfalls sollte ihnen aber eine ordentliche fremdenpolizeiliche Bewilligung erteilt werden. Nach dem gleichen Bundesratsbeschluss soll das Anwesenheitsverhältnis von Ausländern, die bisher den Sonderbestimmungen über Emigranten und Flüchtlinge unterstellt waren, aber nicht zur baldigen Ausreise verhalten werden, öbschon das dauernde Verbleiben in der Schweiz, für sie nicht in Beträcht kommt, ebenfalls nach den Bestimmungen des Bundesgesetzes über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer geregelt werden, wenn ein Kanton zur Erteilung einer

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fremdenpolizeilichen Bewilligung bereit ist. Alle andern Ausländer, die eine Toleranzbewilligung als Emigranten haben oder die als Flüchtlinge gestützt auf Art. 14 des Bundesgesetzes über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer interniert sind und denen also weder das dauernde Verbleiben in der Schweiz gestattet noch eine ordentliche Bewilligung für einen befristeten Aufenthalt erteilt wird, haben die Schweiz bei zumutbarer Gelegenheit zur Eück- oder Weiterwanderung zu verlassen.

Leider konnte der Bundesratsbeschluss bisher noch nicht in dem Masse verwirklicht werden, wie wir es gerne gewollt hätten- Einmal brauchte es vorerst eine gewisse Aufklärung, bevor überhaupt Gesuche eingereicht wurden.

Die Schweizerische Zentralstelle für Flüchtlingshilt'e hielt darauf, dass die Gesuche über sie und die Hilfsorganisationen an die Behörden eingereicht werden.

Sie arbeitete ein umfangreiches Gesuchsformular aus. Das alles benötigte Zeit.

Vor allem aber hielten die Kantone, denen nach den Eichtlinien des eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements die Gesuche zur näheren Abklärung und Stellungnahme zu unterbreiten sind, mit ihren Entscheiden zurück, weil sie vorerst über die finanzielle Tragweite ihrer Zustimmung orientiert sein wollten. Da das Armenwesen ausschliesslich Sache der Eantone ist, haben die Kantone grundsätzlich die unerlässliche Hilfe an unterstützungsbedürftige Ausländer, denen sie eine. fremdenpolhseiliche Bewilligung erteilt hatten, zu leisten. Aus diesem Grunde zeigten sich die Kantone bisher im allgemeinen nicht gewillt, Anträgen zum Dauerasyl für Emigranten und Flüchtlinge zuzustimmen, wenn nach menschlicher Voraussicht nicht jedes Eisiko, dass der Kanton später einmal Armenlasten übernehmen müsste, ausgeschlossen war.

Die volle Verwirklichung des Bundesratsbeschlusses vom 7. März 1947 hängt somit davon ab, dass die finanziellen Auswirkungen in einer den Umständen nach zweckentsprechenden Weise geregelt werde. Dazu ist ein neuer Erlasa nötig, der die Frage auf lange Sicht iegelt und der nur auf dem ordentlichen Gesetzgebungswege geschaffen werden kann.

Bisher wurden die bedürftigen Emigranten von den privaten Flüchtlingshilfsorganisationen und die Flüchtlinge von der Polizeiabteilung des eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements, also aus Bundesmitteln, unterstützt. Die
Polizeiabteilung richtet Barunterstützungen an Flüchtlinge aus, die irgendwo privat untergebracht und interniert sind, und trägt die Kosten für die Flüchtlinge in Heimen, Schulungs- und Umschulungslagern. Die Ansätze sind .verschieden, je nach den Bedürfnissen, und variieren von Fr. 2 bis Fr. 6 pro Tag und Person. Die Heimunterbringung kommt meistens teurer zu stehen.

Noch höber sind in der Eegel die Kosten für Sanatoriumspatienten. Die Hilfsorganisationen unterstützen bedürftige Emigranten mit Barbeträgen und Naturalien verschiedenster Art, Für Flüchtlinge leisten sie zudem zusätzliche Beiträge, so vor allem für die berufliche Ausbildung, für Studium, spezialärztliche Behandlung, Taschengeld usw. Wohl haben die Hilfswerke seinerzeit für eine Eeihe von Emigranten vor deren Einreise den Kantonen gegenüber die Verpflichtung übernommen, für den Unterhalt aufkommen zu wollen.

248 Zum grössten Teil leisten Hilfswerke ihre Unterstützung jedoch freiwillig.

Sie sind zum mindesten rechtlich dazu nicht gezwungen. Seit längerer Zeit geben sie Jahr für Jahr mehrere Millionen aus. Dafür und für die. unermüdliche Tätigkeit und restlose Hingabe im Dienste der Flüchtlingsbetreuung gebührt ihnen unserer aller Dank.

Die Zusammenarbeit zwischen der privaten und staatlichen Hilfe in der Fürsorge für die Flüchtlinge hat sich bewährt. Sie sollte auch in Zukunft bei der Betreuung der bedürftigen Emigranten und Flüchtlinge, denen das dauernde Verbleiben in der Schweiz gestattet wird, fortgesetzt werden. Auf unsere Anfrage hin haben die Zentralstelle für Flüchtlingshilfe und die ihr angeschlossenen Hilfsorganisationen sich sofort bereit erklärt, in einem angemessenen und tragbaren Bahmen mitzuwirken. Es muss allerdings in Erwägung gezogen werden, dass die meisten dieser Hilfswerke keine Dauerinstitutionen sind, sondern erst mit dein Zustrom der Flüchtlinge in den unmittelbaren Vorkriegsjahren geschaffen worden sind und wenigstens teilweise auch wiederum aufgelöst werden. Ferner darf nicht ausser acht gelassen werden, dass die Hilfsgesellschaften ihre Mittel teilweise aus öffentlichen Sammlungen beziehen und das Ergebnis dieser Sammlungen, wie die Erfahrung zeigt, Jahr für Jahr zurückgeht. Es ist zu befürchten, dass die Besultate der künftigen Sammlungen immer geringer ausfallen werden. Allerdings erhalten einzelne der Hilfswerke auch beträchtliche Gelder aus dem Ausland. Wenn sie auch hoffen dürfen, weiterhin mit solchen Zuschüssen rechnen zu können, besteht hierfür keine Gewissheit. Die Leistungsfähigkeit der Organisationen in der Zukunft ist also recht unsicher, so dass trotz des guten Willens der Hilfswerke nicht die volle Gewähr besteht, dass sie dauernd in der Lage sein werden, ihren Anteil zu tragen.

Immerhin stehen hinter manchen Hilfsorganisationen grosse religiöse Gemeinschaften, die es sich zur Pflicht machen werden, ihre Glaubensgenossen weiterhin zu unterstützen. Sofern z. B. die Schweizerische Israelitische Flüchtlingshilfe aufgelöst werden sollte, wird zweifellos der Schweizerische Israelitische Gemeindebund die Nachfolge antreten, und für die Evangelische Flüchtlingshilfe wird der Evangelische Kirchenbund sich für die weitere Unterstützung einsetzen. Die Caritas wird weiter
helfen, auch wenn die besondere Flüchtlingsabteilung aufgelöst werden sollte. Es ist zudem zu erwarten und bereits zugesichert worden, dass Kirchgemeinden Patenschaften übernehmen und dauernd für einzelne Flüchtlinge sorgen werden. So wird der Beitrag der privaten Hilfe dauernd von wichtiger Bedeutung bleiben. Die Hilfswerke haben sich grundsätzlich bereit erklärt, einen Drittel der notwendigen Unterstützung eines Flüchtlings zu tragen. Das wird ihnen zur Zeit bestimmt und nach den obenstehenden Ausführungen wohl auch in Zukunft möglich sein.

Damit das Ziel, Emigranten und Flüchtlingen, für die die Voraussetzungen erfüllt sind, das dauernde Verbleiben in der Schweiz zu ermöglichen und ihnen ein ordentliches Anwesenheitsverhältnis zu verschaffen, erreicht werden kann, ist die Mitwirkung der Kantone unerlässlich. Denn nach Gesetz sind allein die kantonalen Behörden zuständig, ordentliche fremdenpolizeiliche Anwesen-

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heitsbewilligungen zu erteilen. Die Kantone werden aber mindestens teilweise auch die finanziellen Auswirkungen aus der Erteilung von fremdenpolizeilichen Bewilligungen übernehmen müssen. Dies kann nicht als unbillig erscheinen; denn der Bund hat bisher rund Fr. 125 000 000 für die Flüchtlinge ausgerichtet, während die Kantone finanziell noch kaum belastet worden sind. Während des Krieges sah sich der Bund genötigt, die Aufnahme und Betreuung der Flüchtlinge zentral zu regeln. Das entsprach auch dem Wunsche der Kantone, die angesichts des gewaltigen Flüchtlingszustroms sich ausserstande erklärten, diese Aufgabe zu übernehmen. Wenn es nun darum geht, einzelnen dieser Flüchtlinge dauerndes Asyl in der Schweiz zu bieten, kann das nicht ohne Mitwirkung der Kantone verwirklicht werden. Nur dann, wenn ein Flüchtling in einem Kanton und in einer Gemeinde aufgenommen ist, wird er das Gefühl los werden, nicht mehr «nur Flüchtling» zu sein. Es liegt auch in der Struktur unseres Staatswesens, wenn Kantone und Gemeinden in erster Linie eingeschaltet werden. Die Kantone haben sich seinerzeit grundsätzlich und mehrfach einverstanden erklärt, in bestimmtem Ausmasse Emigranten und Flüchtlingen das dauernde Verweilen in unserm Lande zu gestatten.

Wir beehren uns, Ihnen hiermit einen Beschlussesentwurf zu unterbreiten, der diesen Überlegungen Bechnung trägt. Art. l des Entwurfes umschreibt vor allem den Personenkreis, der in den Genuss von Bundesbeiträgen kommen soll. Es kommen nur Ausländer in Frage, die den Emigranten- oder Flüchtlingsvorschiiften unterstanden haben und denen im Sinne des Bundesratsbeschlusses vom 7. März 1947 das dauernde Verweilen in der Schweiz gestattet worden ist. Alle diese Ausländer erhalten eine ausdrückliche Verfügung in Form einer Urkunde. Andere Ausländer werden sich nicht auf den Bundesbesohluss berufen können. Es wird also mit dem Bundesbeschluss nicht etwa generell die Unterstützung von Ausländern vorgesehen. Art. 2 sieht vor, dass Bund, Kanton und Hilfswerke je einen Drittel der notwendigen Unterstützungen übernehmen, wobei ausnahmsweise, namentlich wenn die privaten Hilfswerke nicht in der Lage sind, ihren Anteil zu leisten, die Bundesbeiträge bis zu zwei Drittel der Kosten gehen können. Nach Art. 8 wird der Bund Flüchtlinge, deren Unterhalt schon bisher ganz oder teilweise aus
Bundesmitteln bestritten worden ist, auch weiterhin allein unterstützen.

Der Beschlussesentwurf sieht vor, dass die Unterstützung in den Fällen, in denen bereits bisher der Unterhalt ganz oder teilweise durch Beiträge aus Bundesmitteln bestritten wurde, weiterhin ganz zu Lasten des Bundes gehen wird. Das betrifft die Flüchtlinge, die zurzeit noch auf Kosten des Bundes in den Heimen der Polizeiabteilung oder aber irgendwo privat untergebracht sind. In allen andern Unterstützungsfällen sollen die Kantone wenigstens einen Drittel der ihnen schon grundsätzlich zukommenden finanziellen Lasten übernehmen, während auch die privaten Hilfswerke einen Drittel an die Auslagen beisteuern werden. Dies betrifft in erster Linie die Emigranten, die bisher allein von den Hilfswerken unterstützt worden sind, sowie die Emigranten und Flüchth'nge, die bisher aus eigenen Kräften für ihren Unterhalt aufkommen

250 konnten oder die von Verwandten oder Freunden unterhalten werden und möglicherweise künftig auf die Hilfe von dritter Seite angewiesen sein werden.

Soweit es sich nicht um bereits heute unterstützte Emigranten handelt, ist in diesen Fällen vorerst überhaupt kerne finanzielle Aufwendung nötig; es besteht lediglich ein gewisses Eisiko, später einmal für allenfalls notwendig werdende Unterstützungen teilweise in Anspruch genommen zu werden. Es ist anzunehmen, dass in der Eegel auch in Zukunft keine öffentliche Unterstützung notwendig werden wird.

Diese Regelung wird für die Hilfsorganisationen insofern eine gewisse Entlastung bedeuten, als sie für Emigranten, die zum Dauerasyl zugelassen werden, nun nur noch einen Drittel, gegenüber bisher den vollen Unterstützun'gskosteii, zu zahlen hätten. Da aber die Mittel der Hilfsgesellschaften, wie erwähnt, ständig zurückgehen und sie überdies für die Unterstützung der nicht zum Dauerasyl zugelassenen Flüchtlinge und Emigranten weiterhin grosse Beträge aufwenden müssen (Vorbereitung der Auswanderung, Auswanderungskosten usw.), sind sie nach wie vor in bedeutendem Masse in Anspruch genommen.

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Würde vorgesehen, dass die Kantone auch wenigstens einen Teil der Kosten für die Flüchtlinge, die heute allein vom Bunde unterstützt werden, zu übernehmen hätten, falls sie diesen eine ordentliche fremdenpolizeiliche Bewilligung erteilen, hätte dies zweifellos zur Folge, dass sich kaum ein Kanton bereit fände, solchen Ausländern eine Aufenthaltsbewilligung zu erteilen.

Es bliebe dann wohl bloss übrig, die Flüchtlinge auf Grund eines neuen Heimatlosengesetzes zwangsweise den einzelnen Kantonen zuzuteilen. Abgesehen davon, dass der Vorschlag zu einem solchen Gesetz heute wohl kaum Aussichten auf Erfolg haben könnte, halten wir dafür, dass eine Lösung ohne solchen Zwang eine würdigere Erledigung des Problèmes darstellt. Wir sind überzeugt davon, dass die Kantone auf Grund einer zweckmässigen Regelung bereit seih werden, freiwillig den in Frage kommenden alten und kranken Menschen eine dauernde Hermstätte zu gewähren. Voraussetzung dazu ist aber, dass der Bund die Kosten für diejenigen Flüchtlinge, die heute allein von ihm unterstützt werden, weiterhin trägt (Art. 8 des Beschlussesentwurfes).

Die Kantone können die Tragweite ihrer Verpflichtungen leicht überblicken,
da sie nur für Kostenfälle belastet werden, in denen sie ausdrücklich ihre Zustimmung zur Erteilung des Dauerasyls gegeben haben. In Fällen, in denen die Pohzeiabteilung bisher schon die Unterstützung getragen hat, was im Einzelfall den Kantonen mitgeteilt wird, werden die Kantone nicht belastet.

Wir erwarten aber, dass sie in diesen Fällen den Flüchtlingen eine ordentliche Anwesenheitsbewilligung erteilen.

Die finanziellen Auswirkungen des Beschlusses lassen sich nicht genau vorausberechnen. Immerhin ist es möglich, einigermassen die obere Grenze der voraussichtlichen Belastung für die Öffentliche Hand zu schätzen. Für den Bund wird sich vorerst bloss eine gewisse Verlagerung der Ausgaben ergeben.

Für die Flüchtlinge, die bisher bereits aus Bundesmitteln unterstützt worden

251 sind, wird der übliche Kredit für die Flüchtlingsbetreuung entlastet werden.

Neu wird der Bund nur einen Drittel der Unterstützungskosten für die Fälle übernehmen, für die bisher noch keine Bundesunterstützung notwendig war, also namentlich für Emigranten.

Es lässt sich nicht voraussagen, wie gross die Zahl der Emigranten und Flüchtlinge sein wird, denen schliesslich das dauernde- Asyl im Sinne des Bundesratsbeschlusses vom 7. März 1947 erteilt wird. Nicht nur .hängt der Entscheid von der Prüfung im Einzelfall ab, sondern es ist durchaus auch ungewiss, ob alle diejenigen, für die nach den vom Justiz- und Polizeidepartement erlassenen Eichtlinien die Voraussetzungen zur Erteilung des Dauerasyls erfüllt wären, auch tatsächlich ein entsprechendes Begehren stellen werden. Wie die Erfahrung zeigt, reisen immer noch-ältere Leute aus, für die an sich die Voraussetzungen des Dauera'syls erfüllt gewesen wären.

Die Polizeiabteilung unterstützt heute noch rund 1400 Flüchtlinge, wovon 400 privat und rund 1000 in Heimen, zum Teil auch in Schulung»- oder Umschulungslagern untergebracht sind. Von diesen kommen 800 bis 1000 für daß Dauerasyl in Frage und müssen weiterhin von der Polizeiabteilung unterstützt werden. Von den andern, die zum Dauerasyl zugelassen und zur Zeit nicht aus Bundesmitteln unterstützt werden müssen, werden voraussichtlich kaum mehr als 1000 der Beihilfe bedürfen. An deren Unterstützung hätte der Bund nun einen Drittel zu bezahlen.

Die Unterstützungsansätze werden sich im allgemeinen im bisherigen Bahmen bewegen. Wo sie zu gering sind, wird eine Erhöhung nicht zu umgehen sein. Soweit die Kantone einen Teil der Lasten tragen, wird auf die Fürsorgeleistungen an Bedürftige in dem betreffenden Kanton abgestellt werden müssen. Wenn wir mit einem durchschnittlichen Unterstützungsansatz von Fr. 200 pro Monat und Person rechnen, werden wir wohl die maximale Belastung eingesetzt haben, selbst wenn wir berücksichtigen, dass Leute in Sanatorien und Spitälern mit den Arztkosten grössere Auslagen erfordern.

Auch wird bei der Unterstützung eines Ehepaares der Ansatz reduziert werden können, ebenso, wenn ganze Familien Beiträge erhalten. Nach den bisherigen Erfahrungen ist anzunehmen, dass dieser Durchschnittsansatz nicht erreicht wird und dass wir mit vielleicht Fr. 150 bis Fr. 180 auskommen
werden. Bei maximaler Belastung würde der Bund im voraussichtlich ungünstigsten Falle für 1000 Flüchtlinge die volle Unterstützung tragen müssen, was im Monat Fr. 200 000 und im Jahre 2,4 Millionen Franken ausmachen würde. Für die andern 1000 hätte der Bund einen Drittel dieses Betrages zu leisten, d. h.

rund Fr. 800 000. Die dem Bund verbleibenden Unterstützungslasten würden somit rund 3,2 Millionen betragen und selbst beim Eintreten ausserordentlicher Verhältnisse 4 Millionen nicht übersteigen. Die Kantone hätten ihrerseits mit einem Drittel von 2,4 Millionen zu rechnen, also mit rund Fr. 800 000, was für die einzelnen Kantone keine untragbare Belastung bedeuten dürfte.

Das eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement hat diese Fragen am 29. Mai 1947 an einer Konferenz mit den kantonalen Polizeidirektoren ein-

252 gehend besprochen. Damals haben sich die Vertreter der Kantone nicht gegen den Gedanken ausgesprochen, dass sich auch die Kantone in gewissem Masse an den Kosten beteiligen. Die Verteilung der Lasten zu je einem Drittel auf Bund, Kanton und Hilfsorganisation stiess auf keinen entschiedenen Widerstand, wenn auch allerlei Vorbehalte vorgebracht wurden. Nachdem eine zwangsweise Zuteilung der Flüchtlinge an die Kantone von vornherein als ausser Betracht fallend erkannt worden war, fand an dieser Konferenz auch die Lösung, wonach die Gesamtkosten der Betreuung der Flüchtlinge und Emigranten, denen das dauernde Verbleiben in der Schweiz gestattet werden soll, nach einem bestimmten Schlüssel auf die Kantone zu verteilen wären, keine Zustimmung. Eine solche Lösung wäre technisch und administrativ zwar einfacher gewesen, hätte aber die Zustimmung sämtlicher Kantone bedingt, da die. Kantone nicht durch einen Bundesbescbluss zu finanziellen Leistungen auf diesem Gebiet verpflichtet werden können.

Am 28. August 1947 unterbreitete das Justiz- und Polizeidepartement den Kantonen den Ihnen nun vorliegenden Beschlussesentwurf zur Stellung nähme. Bisher hat nur ein Teil der Kantone schriftlich Stellung genommen.

Die Auffassungen sind uneinheitlich. Während sich drei Kantone mit den Vorschlägen grundsätzlich einverstanden erklären, sind ebenso viele der Meinung, dass die Kosten der Unterstützung ganz zu Lasten des Bundes gehen sollten. Ein Kanton schlägt die Verteilung nach einem zu bestimmenden Schlüssel vor, was anlässlich der Konferenz vom 29. Mai generell abgelehnt worden war. Ein zustimmender Kanton knüpfte die Zustimmung an den Vorbehalt, dass seine Auffassung vom Kantonsrat und vom Volk geteilt wird, woran allerdings kaum zu zweifeln ist. Eine Reihe von Kantonen hat vermutlich auch deshalb noch nicht Stellung genommen, weil ähnliche verfassungsmässige Schwierigkeiten bestehen. An der Konferenz der kantonalen Justizund Polizeidirektoren vom 19./20. September in Glion, an der das Problem wiederum zur Sprache kam, war die Stellung der Begierungsvertreter wiederum uneinheitlich. Es haben sich im wesentlichen die gleichen Kantone für oder gegen die Vorlage geäussert, die bereits schriftlich ihre Stellungnahme abgegeben hatten.

In der Presse und in Aufrufen sind verschiedentlich Mitglieder kantonaler
Regierungen für die entgegenkommende Behandlung von Flüchtlingen und die weitherzige Erteilung des Dauerasyls eingetreten. Der Bundesrat darf erwarten, dass die Unterzeichner dieser Aufrufe und Resolutionen die kantonalen Behörden gewinnen werden, bei der Verwirklichung des Dauerasyls und dessen Finanzierung mitzuhelfen.

Wir sind überzeugt, dass auch die Kantone, die sich grundsätzlich gegen die vorgesehene Lösung aussprechen, im Einzelfall ihre Mitwirkung nicht versagen werden, selbst wenn sie ein gewisses Eisiko übernehmen oder sich an der Unterstützung beteiligen müssen. Sie werden sich dem Appell, armen Heimatlosen in ihrem Gebiet den Aufenthalt zu gestatten, nicht verschliessen können. Die im Bundesbeschluss vorgesehene Mitwirkung des Bundes sollte

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ihnen den Entscheid wesentlich erleichtern. Das ist das Ziel des Bundesbeschlusses. Die Kantone sollen auf freiwilliger Basis für die Mitwirkung gewonnen werden, ohne dass sie grosse Lasten übernehmen müssen.

Die Kosten, die dem Bund im Sinne des Beschlussesentwurfes verbleiben, werden nicht die einzigen Aufwendungen des Bundes für Flüchtlinge sein.

Nach wie vor werden für Flüchtlinge, die nicht zum Dauerasyl zugelassen werden können, beträchtliche Mittel für Unterstützung, ärztliche Pflege, Auswanderungsvorbereitung, Auswanderungsbeiträge und Schulungskosten aufgewendet werden müssen. Diese Auslagen werden allerdings immer mehr .zurückgehen. Anders ist es bei den auf Grund des Bundesbeschlusses benötigten Mitteln. Wenn auch mit den Jahren selbstverständlich nach den Gesetzen der Natur mit einer progressiven Verminderung der Leistungen für alte und kranke Flüchtlinge gerechnet werden kann, werden doch auf viele Jahre hinaus erhebliche Mittel aufgewendet werden müssen. Der Bund wird für diese Kosten aber ohnehin aufkommen müssen. Die Flüchtlinge sind da und werden kaum zur Ausreise verhalten werden können. Es ist kein Dritter vorhanden, der rechtlich zum Unterhalt verpflichtet wäre.

Der Bundesratsbeschluss vom 7. März 1947, der sich auf die Vollmachten stützt, ist auf 2 Jahre befristet. Vor Ablauf dieser Frist muss die Frage geprüft werden, inwieweit die in diesem Vollmachtenbeschluss festgehaltenen Grundsätze in die ordentliche Gesetzgebung übernommen werden sollen und ob allenfalls sogar weitergegangen werden kann. Die Vorbereitungen dazu sind eingeleitet. Das eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement hat bereits auch mit den Kantonen Fühlung genommen. Der Bundesrat wird der Bundesversammlung zu gegebener Zeit eine entsprechende Vorlage unterbreiten.

Die Frage der Finanzierung des Dauerasyls muss jedoch dringlich behandelt werden. Es kann nicht abgewartet werden, bis die Eevisionsvorschläge für das Bundesgesetz über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer bereinigt sind.

Die Eevision des Gesetzes wirft naturgemäss eine Eeihe von Fragen auf, deren Prüfung längere Zeit in Anspruch nimmt. Es besteht aber keine Notwendigkeit, die beiden Probleme Finanzierung des Dauerasyls und Eevision des Gesetzes gleichzeitig zu behandeln.

Wir hoffen, mit dem vorhegenden Beschlussesentwurf die nötigen
Voraussetzungen zu schaffen, dass das Dauerasyl verwirklicht und in gerechter Weise durchgeführt werden kann. Die vorgeschlagene Lösung liegt im Interesse der Flüchtlinge, entspricht aber auch schweizerischer Tradition. Sie nimmt auch Eücksicht auf die verfassungsmässigen Grundlagen unseres Staatswesens und bringt eine angemessene Verteilung der Lasten.

Wir beantragen Ihnen deshalb, den beihegenden Beschlussesentwurf anzunehmen.

254 Genehmigen Sie, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

Bern, den 3.Oktober 1947.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der B u n d e s p r ä s i d e n t : Etter.

Der Bundeskanzler: Leimgruber.

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(Entwurf.)

Bundesbeschluss Beiträge des Bundes an die Unterstützung bedürftiger Emigranten und Flüchtlinge in der Schweiz.

Die B u n d e s v e r s a m m l u n g der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht in eine Botschaft des Bundesrates vom 8. Oktober 1947, beschliesst :

Art. 1.

Der Bund leistet an die Unterstützungskosten, die den Kantonen und Gemeinden durch die dauernde Aufnahme von Emigranten und Flüchtlingen im Sinne von Art. l des Bundesratsbeschlusses vom 7. März 1947 entstehen, Beiträge.

Art. 2.

In der Eegel übernimmt der Bund lja der mit seiner Zustimmung ausgerichteten Unterstützungsbeiträge.

Ausnahmsweise kann im Einzelfall die Vergütung bis auf 2/3 der Kosten gehen. Dies ist namentlich datin der Fall, wenn trotz aller Bemühungen von den privaten Hilfsworken keine Beiträge erhältlich sind.

Art. 3.

Flüchtlinge, deren Unterhalt schon bisher ganz oder teilweise aus Bundesmitteln bestritten worden ist, werden auch weiterhin vom Bund unterstützt.

Art. 4.

Der Bundesrat wird mit dem Vollzug dieses Beschlusses beauftragt.

Das Justiz- und Polizeidepartement erlässt im Einvernehmen mit dem Finanzund Zolldepartement die zur Durchführung nötigen Weisunger», die namentlich

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den Kreis der Personen, die nach diesem Beschluss unterstützt, werden können, den Umfang der Unterstützungsleistungen und das einzuschlagende Verfahren im Verkehr mit den Kantonen und privaten Hilfswerken festlegen sollen.

Dio Bundesbeiträge werden durch die Polizeiabteilung des eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartementes ausgerichtet. Gegen deren Verfügungen kann an das Justiz- und Polizeidepartement rekurriert werden, das in letzter Instanz entscheidet.

Art, 5.

Der Beschluss tritt, als nicht allgemein verbindlicher Natur, sofort in Kraft.

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Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung zum Beschlussesentwurf über Beiträge des Bundes an die Unterstützung bedürftiger Emigranten und Flüchtlinge in der Schweiz. (Vom 8. Oktober 1947.)

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