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Bimdesratsbeschhiss betreffend

die AllgemeinVerbindlicherklärung eines Gesamtarbeitsvertrages für die schweizerische Zivil-Herrenmaßschneiderei.

(Vom 27. Dezember 1946.)

Der schweizerische Bundesrat, nach Prüfung des Antrages des Schweizerischen Arbeitgeberverbandes für das Schneidergewerbe, des Zentralverbandes schweizerischer Schneidermeister, des Verbandes der Bekleidungs-, Leder- und Ausrüstungsarbeiter der Schweiz, des Schweizerischen Verbandes christlicher Textil- und Bekleidungsarbeiter und des Schweizerischen Verbandes evangelischer Arbeiter und Angestellter auf Allgemeinverbindlicherklärung einzelner Bestimmungen des unter ihnen abgeschlossenen Landesvertrages sowie desAibeitszeittarif es von 1936/1948, gestützt auf Art. 3, Abs. 2, des Bundesbeschlusses vom 23. Juni 1948/ 80. August 1946 über die Allgemeinverbindlicherklärung von Gesamtarbeitsverträgen, beachliesst-.

Art. 1.

Aus dem Landesvertrag vom 12, Mai 1944, abgeändert am 7. Juni 1945, 6. März und 4. November 1946, und dem Arbeitszeittarif von 1986/1943 für die schweizerische Zivil-Herrenmaßschneiderei werden die folgenden Bestimmungen allgemeinverbindlich erklärt:

I. Verhältnis zwischen Landesvertrag und Arbeitszeittarif.

Vorliegendem Landesvertrag liegt der Arbeitszeittarif für das schweizerische Schneidergewerbe zugrunde, wie er in den Verhandlungen vom August 1935 bis Februar 1936 und im Jahre 1942/43 von den unterzeichneten Kontrahenten festgelegt worden ist (Anhang).

II. Lohn.

1. Alle im Arbeitszeittarif nicht aufgeführten Arbeiten sind nach der aufgewendeten Zeit und den betreffenden Lohnsätzen zu bezahlen.

2, Die Furnituren müssen für alle Arbeiten, die in der Werkstatt gemacht werden, in natura gestellt werden; sie sind Eigentum des Arbeitgebers. Für Heimarbeiter beträgt die Furnituren-Entschädigung zurzeit 5 % des Stücklohnes.

64 3. Die Löhne sind nach Orts- und Geschäftsklassen gestaffelt; die Geschäftsklassen richten sich nach den Ansprüchen der Kundschaft, 4. Für Stückarbeiter in Tariflohn beträgt der Tarif stundenlohn: Tariiklussc I Zürich : Geschäftsklasse l Fr. 2.30 Geschäftsklasse 2 Fr. 2.10 Basel, Bern, Biel, La Chaux-de-Fonds, Davos, Genf, Lausaune, Luzern und Winterthur: Geschäftsklasse l Fr. 2.20 Geschäftsklasse 2 Fr. l. 95 Heimarbeitsentschädigung 10% Zuschlag Furnituren in natura oder 5 % Zuschlag Tarifklasse n Aarau, Baden, Bischofszell, Chur, Freiburg, Delsberg, Interlaken, Montreux, Neuenburg, Rorschach, St, Gallen,~ Solothurn, Thun und Vevey: Geschäftsklasse l Fr. 2.15 Geschaftsklasse 2 Fr. 1.90 Heimarbeitsentschädigung 8 % Zuschlag Furnituren in natura oder 5 % Zuschlag Tarifklasse m Burgdorf, Frauenfeld, Lugano, Ölten, Rapperswil, Romanshorn, Schaffhausen, Sitten und Zug, sowie alle oben nicht benannten Orto: Geschäftsklasse l Fr. 2.-- Geschäftsklasse 2 Fr. 1.70 Heimarbeitsentschädigung 6 % Zuschlag Furnituren in natura oder 5 % Zuschlag Für alle Arbeiter auf Stücklohn gelten obige Ansätze als fest.

5. In Betrieben, wo höhere Löhne festgelegt sind, müssen diese beibehalten werden. Für Stückarbeiter im Tag- und Wochenlohn und für Tagarbeiter (Pumpiers und Änderungsschneider) gelten obige Ansätze als Minimallohn.

6. Jugendliche Arbeitskräfte erhalten nach beendeter Lehrzeit einen Anfangslohn von 60 % im 1. Halbjahr, von 70 % im 2. Halbjahr und von 80 % im 3. Halbjahr des Normallohnes des qualifizierten Arbeiters derselben Tarif- beziehungsweise Geschäftsklasse, sofern sie zur Ausbildung im Tag- oder Wochenlohn verwendet werden. Für weibliche und nicht selbständige Hilfskräfte gelten folgende Minimallöhne in allen Tarifklassen in der 1. Geschäfts W asse Fr. 1,50 in der 2. Geschäftsklasse Fr. l. 35 Ungelernte oder mindererwerbsfähige Arbeitskräfte werden nach Einzelvereinbarung entlöhnt.

7. Für Atelierarbeiter gilt als Üherzeitarbeit die Verlängerung der ordentlichen Arbeitszeit, als Nachtarbeit die Zeit von 20 Uhr bis 6 Uhr morgens. Es sind hiefür folgende Zuschläge zu entrichten : für Überstunden + 25 %, für Nacht- und Sonntagsarbeit + 50 %.

65 8. Der Arbeiter ist verpflichtet, ein Lohnbuch zu stellen und zu führen und die Eintragungen selbst zu besorgen. Die Auszahlung des Lohnes erfolgt auf Grund dieser Eintragungen.

Der Richtigbefund ist durch den Arbeitgeber zu bestätigen; das Lohnbuch ist Eigentum des Arbeiters.

III. Arbeitszeit.

In Betrieben, die dem eidgenössischen Fabrikgesetz unterstellt sind, beträgt die Arbeitszeit 48 Stunden in der Woche bei freiem Sanistagnachmittag. Für Betriebe, die nicht dem eidgenössischen Fabrikgesetz unterstellt sind, beträgt die wöchentliche Arbeitszeit im allgemeinen 51 Stunden, mit Samstag - Werkstattschluss spätestens 13 Uhr, In ländlichen Verhältnissen beträgt die Arbeitszeit maximal 54 Stunden pro Woche.

Als ländliche Verhältnisse gelten für die Maßschneiderei sämtliche in Abschnitt II, Ziffer 4, nicht aufgeführten Ortschaften.

IV. Arbeitsverhältnis.

1. Der Arbeitgeber ist verpflichtet, die Arbeit jederzeit möglichst gleichmässig zu verteilen und dem Heimarbeiter unnütze Gänge zu ersparen.

2. Der Arbeiter ist verpflichtet, angefangene Arbeit nach tarifmässigen Ansätzen zur Fertigstellung zu übernehmen.

3. Arbeiter, die durch Krankheit oder unvorhergesehene Ereignisse verhindert werden, zu arbeiten, haben hievon dem Arbeitgeber Mitteilung zu machen.

4. Wo es bisher üblich war oder auf Verlangen ist der 1. Mai freizugeben, ebenso auf Verlangen die konfessionellen Feiertage ; sie brauchen aber nicht bezahlt zu werden.

5. Als Abrede im Sinne von Artikel 347--348 OR gilt folgendes: Für Stückarbeiter ist im ersten Jahre die Kündigungsfrist wegbedungen, nachher beträgt sie 14 Tage. Austritt und Entlassung soll mit der vertragsmässigen Ablieferung der Arbeit und der Lohnzahlung erfolgen.

Bei den Arbeitern im Tag- oder Wochenlohn beträgt die gegenseitige Kündigungsfrist im ersten Jahr eine Woche, nachher 14 Tage. Austritt und Entlassung erfolgt auf Ende der Woche.

Heimarbeiter auf Stück oder auf Reparaturen bedürfen nur bei überjährigen Dienstverhältnissen einer Kündigungsfrist, sofern der Heimarbeiter ausschliesslich für die gleiche Firma tätig ist und keine eigene Kundschaft hat. Die Kündigungsfrist beträgt in diesem Falle 14 Tage.

6. Obligatorischer Militärdienst darf nicht als Unterbrechung des Dienstverhältnisses betrachtet und kann auch nicht als Ferienzeit angerechnet werden.

V. Ferien.

1. Alle Arbeitnehmer, die während eines und mehr Jahren ununterbrochen für die gleiche Firma gearbeitet haben, haben Anspruch auf bezahlte Ferien gemäss folgender Skala: nach dem 1. bis und mit dem 4. Dienstjahr f> Tage im 5. bis 9. Dienstjahr 10 Tage im 10. bis 14. Dienstjahr 12 Tage nach 14 Dienst Jahren 15 Tage Bundesblatt. 99. Jahrg. Bd. I.

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Als Stichtag gilt der Eintrittstag. Erfolgt der Austritt während des Kalenderjahres, so hat der Arbeitnehmer nach dem l Dienstjahr Anspruch auf Ferien pro rata temporis.

2. Die Ferienentschädigung wird nach dem letzten Jahreslohn berechnet, dividiert durch 300 Arbeitstage. Zur Berechnung kommt nur der Arbeitslohn ohne Heimarbeiter- oder Furniturenzuschlag.

3. Die Ferienentschädigung \vird bei Antritt der Ferien ausbezahlt.

Die Ferienzeit wird im Einverständnis der Geschäftsleitung vereinbart und soll sich auf die stillen Saisonmonate verteilen.

4. Durch obligatorischen Militärdienst wie wegen Krankheit verursachte Erwerbsunfähigkeit erfährt bei der Berechnung der Ferienentschädigung gemäss Abs. 2 Berücksichtigung durch entsprechende Reduktion der Arbeitstage.

5. Während der Ferien ist jede Erwerbsarbeit verboten. Zuwiderhandelnden wird die Ferienentschädigung entzogen.

6. Bei Beteiligung der Arbeitnehmer an Streiks fällt ihr Ferienanspruch für das betreffende Jahr dahin.

7. Heimarbeiter, die nebenbei nachweisbar noch eigene Kundschaft bedienen, haben keinen Anspruch auf bezahlte Ferien.

Va. Feiertage.

Es werden pro Jahr 4 Feiertage bezahlt, nämlich Neujahr, Karfreitag oder Fronleichnam., Auffahrt und Weihnachten; Neujahr und Weihnachten jedoch nur, wenn sie auf einen Werktag fallen. Die Entschädigung pro Feiertag richtet sich nach der Ferienentschädigung. Die Auszahlung hat mit dem nächsten Zahltag zu erfolgen.

Via. Konttolle.

1. Die von den unterzeichneten Berufsverbänden eingesetzte paritätische Kommission für die Zivil-Herrerj.maßschneiderei kann bei allen von der Allgemeinverbindlicherklärung erfassten Betrieben Kontrollen über die Einhaltung der allgemeinverbindlich erklärten Bestimmungen durchführen.

2. Bei festgestellter Nichtbezahlung der allgemeinverbindlich erklärten Löhne, Zulagen, Ferien und Feiertage hat der Arbeitgeber den Arbeitnehmern diese sofort in vollem Umfange nachzubezahlen bzw. nachzugewähren. Überdies hat er sofort 25 % der geschuldeten Nachzahlung in die Kasse der paritätischen Kommission für die Zivil-Herrenmaßschneiderei der Schweiz einzubezahlen. Anspruchsberechtigt auf den vorerwähnten Betrag von 25 % sind die vertragsschließenden Verbände als Solidargläubiger, wobei die paritätische Kommission als zum Inkasso bevollmächtigt bezeichnet wird. Die eingehenden Beträge sind zur Deckung der Kosten der Allgemein verbindlich erklärung sowie für die Kontrollen über die Einhaltung der allgemeinverbindlich erklärten Bestimmungen zu verwenden.

3. Das Bundesamt für Industrie, Gewerbe und Arbeit hat das Recht, jederzeit die Kassenführung der paritätischen Kommission zu kontrollieren nnd nachzuprüfen, ob die 25 % ausscbliesslich für den vorgeschriebenen Zweck Verwendung finden.

Anhang: Arbeitszeit,Laiif (veröffentlicht im Bundcsblatt 1945, 711).

Anmerkung: Im Abschnitt I «Ausführungsbestimmungen » des Arbeitszeittarif es fällt der Titel «Ländliche Ausführung, Ausführung C, 17 Std. « weg.

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Art. 2.

Für den Arbeitnehmer gunstigere kantonale Gesetzes Vorschriften werden durch diesen Beschluss nicht berührt.

Art. 8.

Die Allgemeinverbindliehkeit gilt für das ganze Gebiet der schweizerischen Eidgenossenschaft.

2 Die Allgemeinverbindliehkeit erstreckt sich auf sämtliche Betriebe, die mindestens einen gelernten Arbeitnehmer (Atelier- oder Heimarbeiter) beschäftigen und die Massarboit der Zivil-Herrenschneiderei im Sinne des durch Art. l allgemeinverbindlich erklärten Vertrages herstellen. Betriebe, die an einen anderen, /wischen Arbeitgebern oder Arbeitgeberverbänden und Arbeitnehmerverbändon durch Vereinbarung aufgestellten Tarif gebunden sind, werden von der Allgemeinverbindliehkeit nur so weit erfasst, als sie Arbeiten ausführen, die ihrerseits nicht nach diesem anderen Tarif zu entlöhnen sind und Verrichtungen darstellen, wie sie üblicherweise von den Betrieben des Massschneidergewerbes ausgeführt werden.

* Von der Allgemeinverbindlicherklärung werden im Kahmen von Abs. 2 sämtliche männlichen und weiblichen Arbeitnehmer erfasst, die mit der Massarbeit zu tun haben, ausgenommen die Zuschneider, das kaufmännische und Speditionspersonal sowie die Lehrlinge, für die ein Lehrvertrag gemäss Bundesgesetz über die berufliche Ausbildung abgeschlossen wurde.

4 Die Allgemeinverbindliehkeit tritt am 1. Januar 1947 in Kraft und dauert bis 31. Dezember 1948.

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Bern, den 27. Dezember 1946.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Kobelt.

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Der Bundeskanzler:

Leiragruber.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bundesratsbeschluss betreffend die Allgemeinverbindlicherklärung eines Gesamtarbeitsvertrages für die schweizerische Zivil-Herrenmaßschneiderei. (Vom 27.

Dezember 1946.)

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1947

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09.01.1947

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