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Schweizerisches Bundesblatt.

^. .Jahrgang. II.

Nr. 52.

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^. November .1858.

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der

Minderheit der ständeräthlichen Kommission in Sachen der Beschwerde St. gallischer Großräthe gegen das St. gallische Revisionsstatut.

(Vom ..^4. Juli ..8^8.)

Tit.!

.

Aus den Eröffnungen des H..rrn Berichterstatters der Majorität hat die h. Versammlung bereits entnommen , daß diejenige Eommission, welche Sie mit der Vorprüfung der in Frage liegenden Angelegenheit beehrten, in ihren Anschauungen sich nicht hat einigen können.

Vier Mitglieder beantragten Jhnen, über die Reeursbeschwerde der 7.. St. Gallischen Großräthe zur Tagesordnung zu sehreiten. Es weicht dieser Antrag vom sachbezüglichen Beschlusse des Nationalrathes nur darin ab , daß ex Jhnen zumnthet , den zu gebenden Entscheid nicht zu motiviren,..

während der Nationalrath den seinigen begründet hat.

Das sünfte Eon.missionsmitglied hat sich diesem Antrag nicht anschließen können. Der Referent ist daher der vereinzelte Träger ei..er Minoritätsansicht, welche aus den Reeurs e i n t r e t e n will, und erlaubt sich nun in dieser Stellung, die Gesichtspunkte, von denen aus er zu seinen abweichenden Schlüssen gelangte, des Nähern zu begründen.

Vorerst scheint es Jhrer Minderheit nothwendig, einige geschichtliche Daten vorauszuschicken.

Behufs Revision der Verfassung rourde durch Deeret des Großen Rathes von St. Gallen, d. d 17. Dezember 1830, ein Vexfassungsrath aufgestellt. Die Wahl dieses Verfassungsrathes erfolgte in 44 Kreisen, und zwar so, daß auf je 1000 Bewohner ein Mitglied, zusammen 14.^ Mitglieder, g e n a u nach der V o l k s z a h l zu ernennen waren. Dem ehemaligen Kreise St. Gallen, zusammenfallend mit dem jetzigen Bezirk...

Bundesblatt. Iahrg. ^. Bd. II.

^5

534 St. Galleu, traf es in dieser Weise 9 Mitglieder in den Verfassungsrat.^ Nach der Verfassung von 1814 hatte ex fich im friihern Großen Rath^ uoch einer Vertretung von 24 aus 150 Mitglieder erfreut. Die vermin^ derte Repräsentation im Versassungsrathe sollte den Vorschriften der n e u e n Verfassung über die künftige Vertretung , über die zu beobachtende Parität^ Stimm.. und Wahlfähigkeit u. s. w. durchaus unvorgxeiflich fein.

Aus dem Schoße des so zusammengesetzten Kollegiums gieng dann.

das gegenwärtig noch bestehende Grundgesetz des Kantons St. Gallen.

hervor und trat am 1. Mäxz 1831 in Kraft.

Besonders hervorzuheben ist der Artikel 46 desselben. Diesem gemäß.

wurde der Große Rath aus t 50 Mitgliedern bestellt, und hievon sind dem Bezirk St. Gallen 15 zugeschieden worden statt der 9 Repräsentanten, welche es ihm genau nach der Volkszahl getroffen hätte. Die übrigen 13.^ ^ Mitglieder wurden in genauem Verhältniß zur Zahl der im Eanton befind^ lichen Kantvnsbürger und der daselbst niedergelassenen Schweizerbürger..

mit Beobachtung der Parität nach gleicher Berechnung, aus die andern 14

Bezirke vertheilt.

Ju Bezug auf Revision enthielt der Art. 143 die Vorschrift.

.,Nach^ sechs Jahren kann eine Revision vorgenommen werden, inso^ fern sich die Mehrheit der Bürger in den politischen Gemeinden dafü^ ausfpricht.^ Nach Verfiuß dieser 6 Jahre lehnte jedoch das Volk eine Revision ab.

Um nun den Mangel eines Revifionsartikels zu ersetzen, erließ de..^

Große .Rath im Jahre 1838 ein Revisionsstatut, welches am 29. Juli die Genehmigung des Volkes erhielt. Dieses Statut enthält im Art. 31 die Vorschrift.

..Wird die Revision einem Verfassungsxath übertragen, fo hat da.^ Volk die Mitglieder desselben an einem vom Kleinen Rath zu bestimmenden Tage , spätestens 6 Wochen nach der Abstimmung über die Revisionssrage , an den Bezirksgemeinden zu wählen , und z w a r auf die gleich^ W e i f e und in der g l e i c h e n A n z a h l , wie die jedem Bezirke durch die Verfassung zugeschiedenen Mitglieder des Großen Raths...

Eine im Jahr 1856 versuchte Abänderung dieses Statuts, deren Entwurf indessen die gleiche Vorschrift wieder enthalten hatte, wurde von^ Volke verworfen, und es ist ..lso dasselbe, auf den Fall eine Verfassung^ xevifion beschlossen werden sollte, annoch maßgebend.

Gegen obeitirten Art. 31 dieses Statuts ist die Beschwerde dex P^ .tenten gerichtet, und sie findet ihren Ausdruck in dem Gesuche .

,,es wolle die Bundesversammlung erkennen, daß der Axt. 3l des

St. Gallischen Statuts über die Verfassungsrevision, vom 29. Juli 1838, sich mit Art.

4 der Bundesverfassung im Widerspruch

finde,

und da^

ein allsällig zu wählender Verfassungsrath genau im Verhältnisse der Volkszahl der einzelnen Wahlbezirke, nach gegenwärtig gültiger eidg. Bevöl^ kernngsliste, mit Aufhebung des Wahlvorxechtes des Stadtbezirks St.^ Gallen, zu wählen sei...

53^ Die Peteuten behaupten also.. in der Vorschrift des allegirten Art. 3^ des Revisionsstatuts liege ein Repräsentanzvorrecht für den Stadtbezirk St.

Gallen, und von der Erwägung geleitet, daß ein solches Vorrecht im Widerspruch stehe mit Art. 4 der Bundesverfassung, verlangen sie dessen Aufhebung und Festsetzung der Repräsentation auf dem Fundamente völ^ liger Rechtsgleichheit aller Bezirke, nach deren Volkszahl und auf Grundlage der gegenwärtig gültigen eidg. Bevölkerungsliste.

Bei Prüfung dieses Gesuches hat sich nun Jhre Minderheit vor allem aus^die Frage aufgedrängte

Schließt der Art. 3l des St. Gallischen Revifionsstatnts , über welchen Klage geführt wird, wirklich ein Repräsentanzvorrecht für den Stadtbezirk St. Gallen in sich...

Herr Kap pel er hat es nicht gewagt, diese Frage bestimmt zu vermeinen; Jhre Minderheit glaubt sie entschieden bejahen zu müssen, gestützt auf folgende Gründe .

Die geschichtliche Einleitung hat nachgewiesen, daß es dem damaligem Kreise, resp. dem letzigen Bezirk St. Gallen, nach dem genauen Maß-

stabe der Volkszahl im Jahr 1830 neun auf 149 Mitglieder in den Verfassung.^rath traf. Unmittelbar hernach aber, im März 1831, erhöhte die Verfassung in ihrem .^. 46 die Vertretung aus 15 im Verhältnis^ zu 150 Mitgliedern. Sie wich also offenbar von der Grundlage der Bevöl^ kerungszahl ab, und zwar einzig und ausschließlich zu Gunsten e i n e ^

Bezirks, der Stadt St. Gallen. Alle übrigen Bezirke in ihrer Gelammt-

heit mußten fich mit dem Rest der Vertretung begnügen , der ihnen nach e r h ö h t e r Z u f c h e i d u n g d e r S t a d t S t . Gallischen R e p r ä s e n t a t i o n in der Zahl von I35 Mitgliedern annoch verblieb. Folgerichtig hatte sonach die Stadt St.. Gallen im Jahre 1831 eine, diejenige der

sämmtlichen Land^ezirke verhältnißmäßig

um 6 Mitglieder überragende

Vertretung in der gesetzgebenden Behörde des Kantons.

Die Mehrheit hat hiegegen eingewendet. seit 1830 seien 28 Jahre abgelaufen; inzwischen habe die Bevölk.^rungszahl sich geändert, und zwar im Stadtbezirk nach weit stärkern Proportionen, als in den Landbezirken.

Daraus wird dann der Schluß gezogen : die Begünstigung von 1830 hestehe entweder gar nicht mehr, oder sei doch auf ein Minimum reduzirt.

Dieser Schluß ist unrichtig ; der Nachweis hält nicht schwer.

Es fand im Jahr 1850 eine neue schweizerische Volkszählung statt..

Nach derselben hat der Kanton St. Gallen eine Gesammtbevölkerung von 169,625 Seelen, darunter eine schweizerische Bevölkerung von 166,367 Seelen. Der Bezirk St. Gallen zählt eine Gesammtbevölkerung von

11,234 und eine schweizerische Bevölkerung von 10,179 Seeleu. Es

bleibt sonach den übrigen 14 Bezirken noch eine Totalbevölkerung von 158,391, beziehungsweise von 156,188. Theilt man nun die Zahl der Repräsentanten, und zwar auf der bisherigen Basis von 150, in die Bevölkerungszahl, so wählen im Bezirk St. Gallen je 749, beziehungs-

536 weise 678 Seelen ein Mitglied iu den Großen Rath, resp. in einen Verfassungsrath , während in den übrigen 14 Bezirken nur je auf I173, beziehungsweise 1156 Seelen ein Mitglied gewählt werden kann. Es bedarf also in den Landbezirken des Kantons St. Gallen 424 , beziehungsweise 478 Bewohner m e h r , um zum Rechte der gleichen politischen Vertxetung in der gesetzgebenden und konstituirenden Versammlung des Kantons St. Gallen zu gelangen, um je ein Mitglied in den Großen Rath und den Verfassungsrath wählen zu können, als es deren im Stadtbezirk St.

Gallen bedarf.

Dieses Verhältniß auf die Zahl der Vertreter angewendet, würde es auf 1130, beziehungsweise 1109 Bewohner je ein Mitglied treffen, und

hievon dem Stadtbezirk St. Gallen abermal 9, höchstens 10 Mitglieder

zufallen.

Damit ist wohl klar nachgewiesen, daß auch im Jahre 1850 noch der

Stadtbezirk St. Gallen der Volkszahl nach im Vortheil einer um .. 6

Mitglieder zu starken Repräsentation sich befand.

Ju den letzten 8 Jahren mag nun die Stadtbevölkerung wieder fich vermehrt haben. Das Gleiche ist aber auch von einzelnen Laudbezirken vorauszusetzen, so daß mit Rü^sicht auf ein vorausgegangenes 20jähriges Durchfchmttsergebniß das relative numerische Verhältniß wesentlich kein anderes sein wird.

Und nun erlaubt sich das referir^nde Eo.nmifsionsmitglied die Frage .

Leisten die angeführten Zahlen nicht den klaren,.. untrüglichen Beweis, daß

die politische Berechtigung des Stadtbezirks St. Gallen gegenüber allen

Landbezirken eine erhöhte ist.. Liegt darin nicht offenbar die Bevorzugung des einen Bezirke^ gegenüber allen andern, eine persönliche Höhertaxirung der Bewohner der Stadt gegenüber denjenigen des ganzen übrigen Landes

mit Bezug auf die politische V^rtr^tung . Besteht nicht ein Vorrecht des O r t e s und der P e r s o n e n ^ Schwerlich werden diese Fragen mit innerer Ueberzeugung verneint werden dürfen.

Diese Ungleichheit in der Vertretung ist übrigens selbst offiziell znge-

standen.

Jn der Proklamation , welche Landammann und Kleiner Rath des Kantons St. Gallen an sämmtiiehe Bewohner desselben am 8. Januar 18.^1 erlassen, findet sich folgende Stelle..

,,Eine Revision der Verfassung , früher oder später, ist schon dar...m unvermeidlich geworden, weil naeh der im Jahre 1850 auf Anordnung der Bundesversammlung vorgenommenen Volkszählung das gegenwärtige Repräfentationsverhältniß mit der Bevölkerung der Bezirke in allzugroßem Widerspruche steht. So wählt nach der jetzigen Ver-

fassung der Bezirk St. Gallen mit einer Bevölkerung von 11,234

Seelen 15 Mitglieder in den Großen Rath, während der Bezirk

Oberrheinthal mit einer Bevölkerung von 15,418 nur 14 Mitglieder in denselben wählen darf.^

537 Und der Kleine Rath bemerkt selbst in feiner Vernehn.lassung auf die ^eute vorliegende Beschwerde..

,,Die Verkeilung der wieder aus 150 bestimmten Mitglieder des Großen Rathes geschah mit Rücksicht auf die besondern Verhältnisse der Stadt und die Niederlassung in derselben , im Uebrigen nach dex Volkszahl und mit Beachtung eines billigen Maßstabes unter Katholiken und Protestanten.

,,Die Verhandlungen über die Repräsentation, die dem Stadtbezirk einzuräumen sei, waren sehr einläßlich. Allerdings wurden seitens.

einer Minderheit Anträge gestellt, nach welchen auch für diesen Bezirk die Repräsentation ausschließlich nach dem Bevölkerungsmaßstabe aufgestellt werden sollte. Eine überwiegende große Mehrheit erkannte aber in der Feststellung einer etwas stärkern Mitgliederzahl von 15 für den Bezirk der Hauptstadt nur eine billige und gerechte Berücksichtigung der besondern Verhältnisse desselben, seiner ökonomischeu nicht nur, sondern seiner allgemeinen, gewerblichen und intellektuellen Schwerkraft, sowie insbesondere seiner Niederlassungsverhäitnisse und seiner zentralen , allseitigen Bedeutung für den Kanton. ^ Damit glaubt nun die Minderheit den ausreichenden Beweis geleistet zu haben, daß in Bezug auf die Vertretung in der gesetzgebenden Behörde

der Stadtbezirk St. Gallen gegenüber allen Landbezirken Vergünsti-

g u n g e n genießt, und daß dieses selbst offiziell anerkannt und zugegeben ist.

.^ Dieses festgestellt, ist nun die weitere Frage zu erörtern .

Begründet diese Begünstigung ein Vorrecht des Ortes und der Personen, und säl.lt sie daher unter den Begriff des Artikels 4 der BundesVerfassung .^ ^ Der allegirte Artikel lautet: ,,Alle Schweizer sind vor dem Gesetze gleich. Es gibt in der Schweiz kein Vorrecht des Orts, der Geburt, der Familien oder Personen...

Trotz dieser sehr positiv lautenden Vorschrift streitet man sich doch viel über das Verständniß und die Tragweite des Artikels, und man hat es auch heute versucht, dessen Bedeutung dadurch zu schwächen, daß mau

ihm jede Originalität absprach, daß man ihn hinstellte gleichsam als eine

Ruine aus alter Zeit, als eine Bestimmung, die nur noch ihres schönen Klanges wegen Aufnahme in der Bundesverfassung gefunden habe.

Diese Vorschrift -- fo sagt man --. bestund schon in der Mediationsund in der Fünszehner^Verfassung, und doch blühten daneben die Vorrechte der Städte und der Aristokratie.

Die Minderheit kann das nur bedingt zugeben; sie bestreitet die VorAussetzung, daß diese Vorrechte n e b e n der erwähnten Vorschrift zu R e c h t bestunden. Die Thatfache beweist in ihren Augen nur, t aß die Macht .des Bestehenden zeitweise noch eine überwiegende war, daß die alten Zu^

^38 stände im Kampfe lagen mit den Begriffen uud Forderungen der Neuzeit ..

sie thut bloß dar, daß die Jdeen einer fortschreitenden Demokratie, die ueuern Begriffe der Gleichheit aller Bürger vor dem Gefetz nur alln.älig sich Eingang zu verschaffen, r.ur langsam sich Bahn zu brechen vermochten uber die Vorurtheile einer alten Zeit und über die zähe Widerstandsfähigteit, welche in der durch lange Angewöhnung festgewurzelten , durch geistige und materielle Hebel gesteigerten Kraft der städtischen Gemeinwesen und ^es Patriziato lag.

Bestunden also zeitweise noch solche Vorrechte neben der allegirten ^erfassungsvorschrift, so bestunden fie nicht zu Recht,soudern sie wurden ^ n der H a n d dex V e r f a s s u n g fort und fort bekämpft; man vermochte aber nicht auf einmal, man vermochte nur allmälig, unterstützt von der fortschreitenden ^eit, ihrer Meister zu werden.

Beweife für die Richtigkeit diefer^Auffassnng liegen zur Genüge iu ^.en fortgefetzten Kämpfen der letzte.. Jahrzehnte, durch welche, k r a f t der ^ i tir te u V o r s c h r i f t , nach und nach, Schritt für Schritt, die politi^ schen Vorrechte einzelner Städte und Familien in den Kantonen Zürich, Bern, Freiburg, Luze.^n u. s. w. beseitigt worden sind. H e r s t e l l u n g g l e i c h e r p o l i t i s c h e r R e c h t e für a l l e B ü r g e r war das Ziel dieser .Kämpfe, Repräsentation nach der Volkszahl das Mittel zur Erreichung derselben, und die Vorschrift des heutigen Artikels 4 die Grundlage, welche ^i.ses Vorgehen gestützt hat.

Jn diesem Sinne handelten die Kantone^ und diese Auffassung theilte

^die h. Tagsatzung, welche in den Kantonen Schwyz, Wallis und Basel

.auf der Grundlage und mit der Forderung völliger Rechtsgleichheit inter^ ^enirte.

Jn diesem und keinem andern Sinne fand der Artikel wieder Auf^.

^.ahme in der neuen Bundesverfassung, obwohl im Jahr 1848 längst weder Unterthanenverhältnifse, noch Patrizierherrschaft mehr bestanden. Da^ für sprechen die Verhandlungen der Revisionskommission , und es liegen .Beweise in der Thatsaehe, daß auch die Bundesverfassung selbst überall, .^o es sich um Feststellung der Rechte des Volkes handelte , den Grundsatz der Rechtsgleichheit festhielt und durchführte.

Es steht daher gewiß außer allem Zweifel , daß die Vorschriften des Art. 4 auch heute noch ihre volle Berechtigung haben.

Diese Auffassung ist eine so allgemeine , so bestimmt ausgeprägte, daß, wenn selbst Sie, Tit., diesen Grundsatz in oben entwickeltem Sinne nicht anerkennen , wenn Sie dem Art. 4 eine solche Auslegung und Tragweite ^icht zugestehen sollten, derselbe vor ein.m andern Forum dennoch diese Geltung finden wird, ich meine vor dem Forum der öffentlichen Meinung .^es Volkes. Jhre Minderheit darf getrost appelliren an den Befund der schweizerischen Bevölkerung , in deren Herzen das Prinzip der Gleichberech^igung tiefe Wurzeln geschlagen, für das es seit einer langen Reihe von.

^...hren -- oft mit großen Opfern für Einzelne - mit unbezwingbare^

.

^

Ausdauer gestritten hat , und es ist meine innige Ueberzeugung , daß auch ^m Kanton St. Galleu heute oder morgen, srüher oder später, und aller Schwierigkeiten ungeachtet, die .mau ihm bereiten mag -- das Volk das

^Palladium der Rechtsgleichheit dennoch sich erringen wird. Es gibt das

selbst der verehrl. Berichterstatter der Majorität zu und gesteht damit ein, daß deren Antrag gegen die Volksanschauung und den. Volkswillen eutschieden sich verstößt.

Nach der Ansieht des Sprechenden will also der Artikel 4 der Buu^esverfassung seinem Wortlaute, wie seinem Sinne und Geiste nach, gleiches politisches Recht für alle Bürger und Anwendung dieses Grundsatzes namentlich da, wo der Souverän seine Rechte an.die von ihm zu ernennenden VerKreter in die konstituireude und gesetzgebende Behörde zu übertragen hat.

Nun fragt fich - entspricht der Artikel 31 des angegriffenen Revisionsstatus den vorhin entwickelten Begriffen.^ -

Durchaus nicht.

Einmal ist bereits srüher aktenmäßig und mit Zahlen nachgewiesen woxdeu, daß die Art, wie die St. Gallische Vertretung in der Konstituante durch

Diesen Artikel festgestellt wird, dem Stadtbezirk St. Gallen gegenüber deu ....andbezirken eine Repräsentation von 6, mindestens von 5 Mitgliedern mehr zuscheidet, als es ihn nach der Bevölkerungszahl treffen würde. Ob Sie diesem Verhältnisse den Namen Begünstigung zulegen, ob Sie es .Berechtigung und billige Ausgleichung ausnahmsweifer Zustände nennen wollen, wie es die Regierung von St. Gallen thut, soviel ist unwidex^prechbar, daß der Stadtbezirk mehr Rechte hat, als die Landbezirke, ..daß der Grundsatz der R e c h t s g l e i c h h e i t eingebrochen ist.

Er verletzt aber die Rechtsgleichheit auch noch in anderer Rich^tung. Er räumt den N i e d e r g e l a s s e n e n des Stadtbezirkes mehr Rechte ein, als denjenigen der Landbezirke, ja mehr, als den eigenen Kantonsbürgern in diesen Landbezirken.

Jn der Stadt St. Gallen bilden die Niedergelassenen die Mehrheit, .gegenüber den eigentlichen Stadtbürgern., das Verhältniß ist I2 gegen 8, ....der eirea ^ gegen ^. Es sind also eigentlich diese N i e d e r g e l a ss e n e n . welchen das Recht vermehrter Vertretung in der verfassungsgebeu^en Behörde zu gut kommt.

Nun will die Bundesverfassung allerdings -- ich eitire den Art. 4I

Ziff. 4 , -- daß der Niedergelassene alle Rechte der Bürger des Kantons genießt, in welchem er sich niedergelassen hat; sie will, daß auch die ^Gesetzgebung deu Niedergelassenen dem eigenen Bürger gleich halte; fie wil.l

mit einem Worte die politische Gleichberechtigung derselben. Wie fie ihu aber nicht m i n d e r n Rechtes wissen will, so räumt sie ihm auch nicht .mehr exe Rechte ein, als dem Kantonsbüxgex selbst, sondern fie sagt-

in ihrem Artikel 42 ..-- ausdrücklich, daß er in eidgenössischen und kau-

Zonalen Angelegenheiten die politischen Rechte im Niederlassungskantou nur ut.rter den nämlich en B e d i n g u n g e n ausüben könne, wie der Bürger ^es Kantons selbst.

540 Es ist aber eben der Nachweis geleistet worden , daß es im Stadt^ bezirke einer g e r i n g e r e n A n z a h l N i e d e r g e l a s s e n e r zur Wahl.

.eines V e r t r e t e r s in den V e r f a s f u n g s r a t h b e d a r f , als in deu ....andbezirkeu ; es befitzen also die Niedergelassenen der Stadt m e h r Rechte, als diejenigen der Landbezirke, mehr Rechte, als die dortigen Bürger selbst, und es besteht demnach auch in dieser Richtung ein Vorrecht, welches.

fich mit den allegirten Artikeln 41. und 42 der Bundesverfassung kaum.

verträgt.

Daß dieses Verhältniß gegeu die Vorschriften der Bundesverfassung.

fich verstoße, ist übrigens wieder offiziell anerkannt. Jch verweise Sie,.

Tit. , auf die schon einmal berührte Proklamation des St. Gallischen..

Kleinen Rathes vom Jahre I85I. Sie werden dort folgendes Geständniß..

finden .

,,Eines der wichtigsten konstitutionellen Verhältnisse hat fich in neueste^ Zeit in unserm Kanton als widersprechend mit den Bestimmungen der neuen^ Bundesverfassung, mit den nun überall in unserer Schweiz zur Geltung gelangten republikanischen Grundsätzen, sowie mit der neuesten Volkszähluug.

herausgestellt, wir meinen das Repräfentationsverhältniß...

Es erklärt also die Regierung selbst, erklärt es zu Handen des gesammten St. Gallischen Volkes, mit aller nur wünschbaren Bestimmtheit, das Repräse^tationsvexhältniß der dortigen Bezirke stehe im Widerspruch mit den Bestimmungen der neuen Bundesverfassung ebensowohl, als mit den nun überall in unserer Schweiz zur Geltung gelangten republikanischen Grundsätzen. Wie sie dann nach einer solchen Erklärung dazu kommen kann , die Abweisung eines Begehrens zu bevorworten , das aus Beseitigung dieses selbst anerkannten Widerspruches dringt, isl freilich weniger

zu begreifen. Die Mehrheit hat denn das auch gefühlt; es liegt für fie

denn doch etwas Unbequemes in diesem Artikel 4. Um dessen los zu.

werden , will sie diesen Artikel nur eine ganz sekundäre Rolle spielen lassen, indem sie sagt.. dieser Artikel komme eigentlich hier gar nicht in Betracht.

Jn Bezug auf die Garantie der Verfassungen sei einzig der Artikel .^ maßgebend. Der fordere aber nicht , daß die Repräsentation genau nach de.^ Volkszahl festzustellen sei; er verlange nur, daß die Verfassung die Ausübung der politischen Rechte nach republikanischen - repräsentativen oder demokratischen -- Formen sichexe.. Das thue die St. Galler Verfassuug, und es .sei deßwegen für den Bund Grund zum Einschreiten nicht vor^ .handen.

Die Mehrheit übersieht aber bei dieser Behauptung gänzlich, daß der Artikel 4, der alle Schweizer vor dem Gesetze gleich erklärt und alle Vorrechte verpönt, einen H a u p t g r u n d f a t z enthält, welcher dem allegirten Artikel 6 v o r a u s g e h t , und sie übersteht, daß der gleiche Art i k e l 6 s e l b s t als erstes Erforderniß behufs Garantie der Verfassungen .^.das vorausschickt, daß fie nichts den Vorschriften der Bundesverfassung .Zuwiderlaufendes enthalten sollen. Es darf also aus dem letzteitirten Artikel

54.^ ^icht ein einzelnes Littera beliebig herausgerissen , sondern es muß derselbe im Zusammenhang aufgefaßt, mit dem Artikel 4 in Verbindung gebracht und den Forderungen dieses Artikels v o r a u s entsprochen werden.

Man bestreitet dann das Vorhandensein eines solchen Vorrechtes übex^ haupt, einmal aus dem Grunde, weil das Volk in seiner Mehrheit dur..^ Annahme der Verfassung und des Revisionsstatus mit demselben sich ein^ ^erstanden erklärt habe.

Darauf erwidere ich :

Einmal geschah das ursprünglich zu einer Zeit, wo die gegenwärtige Bundesverfassung noch nicht zu Kraft bestand.

Sodann schiene es mir sehr gewagt, wenn man den Kantonen da..^ absolute Recht zugestehen wollte, mehrheitlich, vielleicht auf dem Wege von Eoalitionen der verschiedensten Art , ganz nach eigenem Belieben die^ Repräsentation in den konstituirenden und gesetzgebenden Behörden zr...

modeln, unter der einzigen Bedingung, daß dabei noch eine r e p u b l i M a n i s c h e F o r m gesichert bleibe, ohne der garantirenden Oberbehörde zu-.

gleich das Recht der Einsprache zu wahren , wenn durch solche Bestimmung gen auch bei Einhaltung der ä u ß e r n Form, das i n n e r e W e s e n des republikanischen Prinzips, die Gleichheit aller Bürger vor dem G e s e t z , verletzt würde. Ein solches Zugeständniß könnte möglicherweise sehr weit führen ; es könnte durch Manipulationen allerlei Art einer Hauptstadt, oder diesem oder jenem Landestheil Berechtigungen in die Hände^ spielen , die sich von den Vorrechten einer srühexn Zeit vielleicht durch eine^ mehr demokratische Benennung unterscheiden , im Wesen aber denselben s.^ gleichen würden, wie ein Ei dem andern gleicht. Es könnte, und ich.

gebe das wohl zu bedenken, einmal in das schweizerische Staatsrecht niedergelegt, zu einer Waffe werden, deren Spitze später gegen diejenigen.

sich kehren möchte, welche sie, wenn auch in ganz anderer Absicht, dem Gegner in die Hand gegeben. Sei dem aber wie ihm wolle, so ist unte^ allen Umständen die Voraussetzung eines solch' sreiwilligen Einverständnisses sobald nicht mehr vorhanden, und es muß deßhalb ein folches Vorrecht sobald dahinsallen, als ein Bevölkerungstheil gegen derlei Begünstigungen Beschwerde erhebt.

Ob die Begünstigung größer oder kleiner sei, kommt hiebet nicht i.^ Betracht. Es handelt sich nicht um das Mehr oder Minder, der Grundsatz allein steht in Frage, und ein Abweichen von demselben ließe unmöglich die Grenze erkennen, wo Recht und wo Vorrecht ihre Scheidung fänden.

H e r r K a p p e l e r hat von Rücksichten gesprochen, die man dem Stadtbezirk auf Grund hervorragender Jntelligenz, Steuerlast und stärkerer Nieder.^ lassung schulde. Rii.kfichten dieser Art können nicht zugegeben werden..

Die Jntelligenz gilt in St. Gallen nicht als allgemein e s Wahlprinzip,.

und abgesehen davon, daß es etwas weit gehen hieße, Jntelligenz und^ .Bildung voraus nur der Stadt St. Gallen zuzuerkennen , würden solche .Zugaben wieder nur zu einer neuen Aristokratie, zu derjenigen des G e l d^.

^4..^

sa ck s führen, und die Gleichheit der politischen Rechte des Gesammtvolke....

wäre dahin. Jntelligenz, Bildung und Vermögen werden sich auch bei der striktesten Einhaltung des Grundsatzes der Rechtsgleichheit in unseru Gemeinwesen immer noch einen hervorragenden Einfluß sichern; die stärkere Niederlassung aber findet ihre natürliche und rechtliche Berücksichtigung iu der durch erhöhte Volksz..hl vermehrten Repräfentanz des Bezirkes oder der Gemeinde selbst. Auch die Hinweifung auf die Repräsentanz im Ständerathe und die in einigen Kantonen annoch bestehenden abweichenden Verhältnisse, z. B. die i n d i r e k t e n Großrathswahlen , scheint mir, weil hier nicht zutreffend, außer Betracht zu sallen. Erstere beruht auf einem .Verfassungsprinzip , welches 22 souveräne Staaten anerkannte und in Achtung historischer Grundlagen allen die gleiche Vertretung gewährte.

Die Wahl der letztern aber stützt sich nicht auf ein Vorrecht einzelner Bezirke, fondern sie ist der Ausfluß der auf der Grundlage der Rechts..

Gleichheit erfolgten Vertretung aller Bezirke. Sie ist auch nicht beschränkt auf die Bürger eines Bezirks, fondern sie ist frei unter allen Bürgern des g a n z e n Kantons. Uebrigens auch angenommen -- nicht zugegeben -diese indirekten Großrathswahlen, oder ähnliche in den Kantonen annoch bestehende Verhältnisse, würden eine R e c h t s n n g l e i c h h e i t begründen, so wird die Bundesversammlung auch dieses Verhältnis,. sobald untersuchen, als man von irgend einer Seite mit Bezug hierauf bei ihr Beschwerde

führt.

Nachdem die Minderheit Jhrer Kommission nun in solcher Weise die Existenz eines im Artikel 31 des St. Gallischen Revisionsstatuts liegenden Vorrechtes und dessen Widerspruch mit der Bundesverfassung nachzuweisen ^ersucht, schreitet fie zur Erörterung der weitern Frage: H a t d e r B u n d e i n Recht, g e g e n d i e f e s V o r r e c h t einzus c h r e i t e n u n d a u f d e s s e n B e s e i t i g u u g h i n z u w i r k e n , u n d soll er v o n d i e s e m R e c h t e .Gebrauch m a c h e n d Die Minderheit bejaht auch diese Fragen. Maßgebend zur Beurtheilung scheint ihr der .Artikel 4 ^ Lemma 2 der Uebergangsbeftimmungen zur Bundesverfassung, welcher also lautet: ,,Diejenigen Vorschriften der Eentralverfassungen , welche mit den übrigen Bestimmungen der Bundesverfassung im ^iderspruche stehen, sind vom Tage an, mit welchem diese letztere als angenommen erklärt wird, aufgehoben.^ Nach der Ansicht Jhres Referenten hat diese Vorschrift, wenn auch klar ^an und für sich, dennoch eine Lücke in Bezug auf deren V o l l z i e h u n g .

Während nämlich der Artikel 6 der Bundesverfassung die Kanton^ Verpflichtet, für ihre Verfassung die Gewährleistung des Bundes nachzuBuchen , macht der obeitirte .Artikel 4 der Uebergangsbestimmungen hievon ^ine Ausnahme zu Gunsten derjenigen Verfassungen , welche bei Erlaß der .Bundesverfassung (am 12. Herbstmonat 1848) schon in Kraft bestunden.

.In Bezug auf letztexe hat also eine einläßliche Prüfung auf G rund lag...

54.^ der V o r s c h r i f t d e r n e u e n B u n d e s v e r f a s s u n g nicht s t a t t g e ^ .funden.

Es liegt aber außer allem Zweifel, daß verschiedene Kantonsversassangen ältern Datums noch eine Menge Vorschristen enthalten, die durch ^die neue Bundesverfassung entkräftet find; dahin gehört namentlich auch

die St. Gallische , von de.. die dortige Regierung in mehreitirter ProklaDation wörtlich sagt.

,,Durch die neue Bundesverfassung sind viele Artikel in unserer Kau..

tonalverfassung aufgehoben worden.^ So lange nuu über die Frage, ob irgend ein Artikel solcher Ver^ fassnngen annoch zu Kraft bestehe, oder aber als durch die neue BundesVerfassung ausgehoben zu betrachten sei, kein Zwist entsteht, hat der Mangel Deiner Vollzugsbestimmung keine wesentliche Bedeutung.

Anders gestaltet sich aber die Sache, wenn hierüber Zweifel und ungleiche Ansichten hervortreten, oder wenn gar bestimmt formulirte Klagen einlangen.

Wem steht in einem solchen Falle das Urtheil über Erheblichkeit oder .Unbegründetheit solcher Beschwerden zu.. Wer hat zu entscheiden über Fortbestand oder Aushebung der eingeklagten Verfassungsvorschxift .^ Nach der Anficht des Sprechenden ist es der Bund, der hierüber entscheidet; denn er ist e...., welcher die Verfassungen der Kantone garantirt, .welcher die Freiheiten und die Rechte der Eidgenossen schützt und sie deu

Behörden gegenüber gewährleistet (Art. 2, .^ und .^,, es ist der Bund,

welchem die Jntervention in Folge dieser Garantien zukommt, und welcher ^alle diejenigen Maßregeln zu treffen hat, welche die Handhabung der Bundesverfassung, die Garantie der Kantonalverfassungen, die Erfüllung ^er bundesmäßigen Verpflichtungen und den Schutz der durch den Bund

.gewährleisteten Rechte zum Zwecke haben. (Art. 74, Ziff. 7 und 8.)

Diese Anschauung, angewendet auf den vorliegenden Fall, wird sich ^.ann vom rechtlichen Standpunkt aus die Sachlage so gestalten : Der Artikel 31 des Revisionsstatuts, abgeleitet aus dem Artikel 4^ der .Kantonsverfassung , behält mit letzterm iu Folge der von der hohen Tagsatzung der Verfassung des Kantons St. Gallen ertheilten Garantie und in Anwendung von Art. 4 , Lemma 1 der Uebergangsbestimmungen gegenbärtiger Bundesverfassung , so lange seine Geltung , bis er durch die zuständige Behörde - die hohe Bundesversammlung -- als mit den an^er..

weitigen Vorschriften dieser Bundesverfassung unvereinbar erklärt wird.

Für die Bundesversammlung aber tritt das Recht und die Pflicht des Versuches und der Entscheidung , ob das allegirte Statut als rechtskräftig annoch fortbestehen könne oder nicht, ein, sobald dessen Gültigkeit von irgend einer Seite durch förmliche Beschwerde Anfechtung erleidet, und es ^st in diesem Falle die im Artikel 4 der Uebergangsbestimmungen vorhan^ene Lücke jeweilen durch einen speziellen Entscheid zu ergänzen.

^4 Ju dieser Auffassung liegt dann zugleich die Erwiderung auf de^ Einwurf, es hätte das fragliche Repräsentationsverhältniß -- wenn e^ überhaupt mit der Verfassung im Widerspruch stehe -- bei Erlaß ders e l b e n schon aufgehoben werden müssen.

Allerdings wäre nach der Ansicht Jhres Referenten diese Nothweu^ digkeit damals schon eingetreten , wenn der Bundesversammlung durch.

erfolgte Klage Anlaß und Ursache geboten worden wäre zu einer Untersuchung. Das geschah aber damals nicht ; die f r a g l i c h e V e r f a s s u n g sB e s t i m m u n g blieb d a h e r g a r a u t i r t u n d damit auch d i e d a r a u s ^hervorgehenden Zustände rechtskräftig.

Die Behauptung und die Befürchtung, als ob durch die Erklärung

der Unvereinbarkeit des Artikels 3I des Statuts mit Artikel 4 der Bundes-

verfassung alle seit 1848 erlassenen Gesetze und die gegenwärtigen Zustände

St. Gallens als illegal erklärt würden, ist sonach eine zu weit gehend^

und unbegründete. Der durch dieses Statut, resp. durch Artikel 46 der Verfassung geschaffene Zustand bestand bona fide und ist daher so lange als zu Recht bestehend anzuerkennen, bis die einschlägige Bestimmung auf legalem Wege aufgehoben und ein neuer Zustand süx die Zukunft begründet wird. R ü c k w i r k e n d e K r a f t aber k ö n n t e einem bezügliche^ B e s c h l u s s e u n t e r k e i n e n Umständen b e i g e m e f s e n w e r d e n .

Umgekehrt kann dann aber aus dem Umstande, daß die Klage erst^ j e t z t einlangt, auch nicht zu U n g u n f t e n der Petenten gefolgert werden:^ das Klagrecht steht jederzeit offen und eine Verjährung tritt hier nicht ein.

Jm Gegensatz zur Anschauung der Mehrheit vindizirt demnach Jhre Minderheit der Bundesversammlung das Recht und hält es in dereu Pflicht begründet, auf die Beschwerde einzutreten, und zwar will sie da^ in der Weise thun , daß an den hohen Stand St. Galten die Einladung

gerichtet werde, sein Revisionsftatut vom 8. Juni 1838 mit Artikel 4

der Bundesverfassung in Einklang zu fetzen.

Herr K a p p e l e r hat gefragte Warum soll nur das Revisioniate geändert werden und nicht auch ^. 46 der Kantonsverfasfung , in welchen.^ der Widerspruch mit der Bundesverfassung in ganz gleicher Prägnanz vorhanden ist^ Die Antwort liegt schon in den frühern Erörterungen de.^ Minderheit. Die Minderheit will nicht weiter gehen, als die ^lage selbem reicht. Wenn sie auch zugesteht , daß in der Genehmigung des Minvritätsantrages ein Präeedens läge, dessen Anwendung aus ^. 46 der Kantonsverfassung gegebenen Falles kaum zweifelhaft fein dürfte, so trägt sie dennoch im Hinblick ans die für die St.. Gallische Verfassung annoeh bestehende Garantie gerechtes Bedenken , diese Anwendung früher eintreten zu lassen,.

als sie durch bestimmte Klageführung dazu veranlaßt wird.

Der Referent ist dagegen mit der Mehrheit darin einverstanden, daß.

der Kanton St. Gallen von Bundeswegen nicht verpflichtet werden kan.^ .und soll, einen^ Verfassungsrath nach gegenwärtig gültiger eidgenössischem

..Bevölkerungsliste zu wähleu.

....45 Jst einmal der Grundsatz gleicher Repräsentation fiir alle Bezirke im Verhältnisse der Volkszahl festgestellt und durchgeführt, so muß es Sache ^.es souveränen Kantons bleiben , zu erklären , ob die künstige Vertretung auf eine schon zu Kraft bestehende, oder auf eine neue Volkszählung sich ^fußen soll. Es muß dem freien Ermessen St. Gallens überlassen werden, ..oh es die gegenwärtigen Wahlkreise beibehalten, oder ob es deren neue Schaffen will ; es ist seine Sache , zu bestimmen , ob fortan die Zahl der Aktivbürger oder die Seelenzahl als Basis der Vertretung dienen, ob nur .die schweizerische oder auch die nichtschroeizerische Bevölkerung mit in Berechnung fallen soll. Aber alle diese Bestimmungen und Verfügungen ^nüssen ausgehen und getragen werden von dem Prinzip g l e i c h e r Behand.lung a l l e r Bürger durch a l l e Wahlkreise des Kantons. Geschieht das, so ist dem Artikel 4 der Bundesverfassung Rechnung getragen, ohne der Souveränetät des Kantons zu nahe zu treten, und es bleibt dem letzteru immerhin noch ein freier und genügender Spielraum zur Berücksichtigung ..igenthümlicher, von den Zuständen anderer Kantone abweichender Ver^ältnisse.

Wenn aber auch die Minderheit in dieser Richtung das Gesuch der .Petenten, als zu weit gehend betrachtet, so stellt sie sich damit keineswegs ^auf den rein sormellen Standpunkt, dadurch das Begehren auch in den ^Punkten abzulehuen, wo die. Bundesversammlung nach ihrer Ansicht einzuSchreiten das Recht und die Pflicht hat. Die Bundesversammlung ist nicht .an die starren Formen eines Gerichtshofes gebunden , in dessen Entscheiden ..es allerdings vorkommen mag, daß auf dem Klepper trockner Formalisti^ .das materielle Recht zu Tod.^ geritten wird; sie hat einen höhexn Stand.punkt einzunehmen; sie hat dem konstitutionellen Recht da Geltung zu verschassen , wo immer ü.^er dessen Verletzung begründete Klage geführt wird.

Weise demnach die Bundesversammlung das Gesuch zurück, so weit sie .einzuschreiten keine Veranlassung hat; ^er lasse sie ihm Recht widerfahren in dem Theile, wo sie es als begründet erkennen muß. Lassen wir uns auch nicht durch di.. Auffassung leiten, es sei ein bestimmtes Klagobjekt^ noch gar nicht vorhanden, indem es sich noch nicht um A n w e n d u n g des

eingeklagten Artikels handle. Die Möglichkeit der Anwendung des an-

gesochtenen Status ist eine gegebene ; die Revision kann jeden Augenblick anbegehrt und auch beschlossen werden , und sür diesen Fall ist eine^ der Bandesoersassung widersprechende Vollzugsbestimmung eben schon vorhanden. Die T h a t s a c h e d i e s e s B e s t a n d e s ist in den Augen der Minderheit durchaus genügend , um eine Jntervention des Bundes zu rechtfertigen, ohne daß dieser den Moment der A n w e n d u n g dieser Bestimmung erst abzuwarten braucht.

Die Mehrheit^ ^it., empfiehlt Jhnen dann Abweisung des Begehrens, o h n e i r g e n d w e l c h e M o t i v e . Sie beruft sich hiebei auf eine Anzahl von Fällen , in denen die Bundesversammlung das gleiche Verfahren eingehalten habe. Die Minderheit kann eben so viele Fälle .aufzählen, wo die Bundesversammlung den umgekehrten Standpunkt ein-

546 uahm. Jndem fie nun im Voraus die Analogie jener Fälle mit dew vorliegenden bestreitet, erlaubt sie sich zu sagen, daß fie eine unmotivixte Tagesordnung kaum vereinbar hält mit der Wichtigkeit des zu gebenden Entscheides und mit der Würde der hohen Versammlung , kaum vereinbar mit deren Stellung gegenüber den Petenten, hinter denen ein Großtheil

der St. Gallischen Bevölkerung steht und mit der Stellung, gegenüber

dem Schweizervolke, das gewiß vollends berechtigt ist, für die Entseheidungen seiner Vertreter Gründe zu verlangen.

Falls Sie dieses Nichteintreten erkennen wollten, so hegt die Minderheit die Hoffnung, daß Sie mindestens Jhren Beschluß motiviren, und daß Sie namentlich darüber einen unumwundenen Entscheid geben werden, ob eine Verletzung des Arti^ kels 4 der Bundesverfassung vorliege oder aber nicht.

Es hat dann schließlich dem Herrn K a p p e l e r gefallen , auch die politische und konfessionelle Seite der Frage mit in den Bereich der Dis-

kussion zu ziehen. Die Minderheit solgt ihm nicht aus dieses Gebiet.

Rücksichten und Berechnungen dieser Art bestimmen ihre Anschauung nicht ; sie haben in der Regel auch keinen festen Boden. Wie die Stimmung jedes einzelnen Menschen öfterem Wechsel unterworfen ist, so ändern iu erhöhtem Grade die politischen Anschauungen ganzer Völkerschaften. Das hat uns der Kanton St. Gallen selbst ^schon mehr als einmal bewiesen.

Unwandelbar fest bleiben aber in .^. diesel Strömungen die Grundsätze

des Rechts. G l e i ch e s R echt soll der g a n z e n St.^ Gallische^ Bevölkerung werden^ ...lus di^n Standpunkt stellt sich die Minorität.

Politische Sympathien un.^ Antipathien sind ihr dabei fremd. Ob die Pe...

tenten im Kanton .^t. (^ll^ di.^ Minderheit oder Mehrheit bilden, ob

diefelben aus der Veränderung des ..Statuts Vortheil oder Nachtheil ziehen, kommt für sie nicht in Betracht. Herstellung der Rechtsgleichheit für alle, das und kein anderes ist d^s Zi^ d^ si^ mit voller Ueberzeugung anstrebt. Besteht ein.u^ Re.^tsgleichheit , so mögen sich auf diesem Boden

.die abweichendsten politischen Meinungen frei bethätigen. Dieses Ziel hosst die Minderheit zu ..rr^ich^.. durch d^. .^ ihr gestellten Antrag, sie em^.

^fiehlt Jhnen sonach denselben bestens zur Annahme.

B e r n , .den 24. J.^li 1858^ Die E o m m i s s i o n s m i u d e r h e i . ^ A. ^chwerzmann.

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Bericht der Minderheit der ständeräthlichen Kommission in Sachen der Beschwerde St.

Gallischer Großräthe gegen das St. Gallische Revisionsstatut. (Vom 24. Juli 1858.)

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