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Bundesratsbeschluss über

den Rekurs des J. C. Rütschi in Bütschwil, St. Gallen, betreffend Verweigerung eines Wirtschaftspatentes.

(Vom 22. März 1898.)

Der schweizerische Bundesrat

hat über den Rekurs des J. C. Rütschi in Bütschwil, St. Gallen, betreffend Verweigerung eines W i r t s c h a f t s p a t e n t e s , auf den Bericht des Justiz- und Polizeidepartements, folgenden Beschluß gefaßt: A.

In thatsächlicher Beziehung wird festgestellt:

1. J. C. Rütschi in Bütschwil, Kanton 8t. Gallen, reichte im Dezember 1897 beim Gemeinderat von Wil ein Gesuch um Bewilligung eines Wirtschaftspatentes für ein zu erstellendes Haus ein, dessen Pläne er beilegte.

2. Mit Schreiben vom 7. Dezember 1897 teilte der Gemeinderat von Wil dem Gesuchsteller mit, er könne auf sein Gesuch nicht eintreten, bevor eine in nächster Zeit stattfindende Gemeindeversammlung über Verhängung oder Nichtverlängerung einer sogenannten Wirtschaftssperre entschieden habe.

441 3. J. C. Rütschi rekurrierte den 17. Dezember 1897 gegen diese Verfügung an den Regierungsrat des Kantons St. Gallen, und diese Behörde beschloß den 4. Januar 1898, auf das Gesuch ebenfalls nicht einzutreten. Die Behandlung eines Wirtschaftspatentgesuches dürfe zwar nicht mit Rücksicht auf eine noch zu beschließende Wirtschaftssperre abgelehnt werden, schon deshalb nicht, weil einem Wirtschaftssperrebeschluß keine rückwirkende Kralt zukäme. Dagegen könne nach st. gallischem Wirtschaftsgesetze ein Wirtschaftspatent erst dann erteilt werden, wenn die zur Wirtschaft bestimmten Lokale gebaut seien.

4. Gegen diese Verfügung hat Fürsprech V. Villiger in Wattwil, namens J. C. Rütschi, mit Eingabe vom 3. Februar 1898 den staatsrechtlichen Rekurs an den Bundesrat ergriffen, folgendes vorbringend: Seitdem den Gemeinden das Recht zusteht, zu jeder Zeit die Wirtschaftssperre zu verhängen, ist es allgemein üblich geworden, jeweilen vor Erstellung eines neuen Wirtschaftsgebäudes gleichzeitig mit der Einreichung der Baupläne behufs baupolizeilicher Bewilligung auch das Gesuch der Wirtschaftspatentierung zu stellen ; so habe auch der Gemeinderat Wil kürzlich im Falle Berlinger auf vorgelegte Baupläne hin das Patent erteilt. Derjenige, der ein Wirtschaftsgebäude zu errichten beabsichtigt, muß sich vorher ein Patent sichern, wenn er nicht die Gefahr laufen will, durch eine während des Baues beschlossene Wirtschaftssperre zu großem Schaden zu kommen ; der Behörde steht ja jederzeit das Recht zu, das Patent zurückzuziehen, wenn die Wirtschaftsräumliohkeiten nicht plangemäß ausgeführt werden. Die vom Rekurrenten eingesandten Pläne entsprechen übrigens allen gesetzlichen Anforderungen.

5. In ihrer Vernehmlassung vom 4. März 1898 erwidert die Regierung des Kantons St. Gallen, daß die vom Rekurrenten behauptete Übung der Bewilligung von Wirtschaften auf Vorlegung der Baupläne hin nicht bestehe, und daß auch im Falle Berlinger nicht derart vorgegangen worden sei ; das zur Wirtschaft bestimmte Haus stand schon bei der Patenterteilung, und der Gemeinderat verlangte nur noch einige bauliche Veränderungen. Das kantonale Wirtschaftsgesetz setzt voraus, daß das Patent nur für bestehende Lokalitäten erteilt werde, deren vorschriftgemäße Beschaffenheit durch die begutachtenden Behörden konstatiert werden könne.

Wenn der
Regierungsrat auf bloße Baupläne hin Wirtschaftspatente erteilen müßte, würde der Mißbrauch nicht ausbleiben, daß sich Bauunternehmer zu Spekulationszwecken Patente verschafften. Die Wirtschaftssperre wird übrigens nicht durch den Gemeinderat,

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sondern auf Antrag dieses letzteren durch den Eegierungsrat nach Einholung des Gutachtens des Bezirksamtes beschlossen.

B.

In rechtlicher Beziehung fällt in Betracht: Die Regierung des Kantons St. Gallen bestreitet nicht, daß die Baupläne des Rekurrenten den Anforderungen, welche das kantonale Wirtschaftsgesetz an die Beschaffenheit der Wirtschaftsräumlichkeiten setzt, genügen ; sie bestreitet aber, daß sie rechtlich verpflichtet sei, auf Prüfung der Pläne hin, bei Erfüllung der übrigen gesetzlichen Voraussetzungen durch den Gesuchsteller, ein Wirtschaftspatent zu erteilen. Diese Auslegung des kantonalen Wirtschaftsgesetzes CArt. 4 und 9) scheint in der That dem Wortlaut desselben zu entsprechen ; sie steht jedenfalls mit Bundesrecht nicht in Widerspruch (vgl. Rekursentscheid des Bundesrates vom 21. Mai 1897 in Sachen Baumann). Wenn die Behauptung des Rekurrenten richtig wäre, daß es allgemein üblich sei, Wirtschaftspatente schon nach Vorlegung der Pläne des zu erstellenden Wirtschaftsgebäudes zu erteilen, so könnte die dem Rekurrenten zu teil gewordene Abweisung als eine ungleiche, willkürliche Behandlung erscheinen. Der Rekurrent hat aber für seine Behauptung keinen Beweis erbracht : der von ihm angerufene Präcedenzfall ist wesentlich verschieden vom vorliegenden.

Demnach wird

beschlossen:

Der Rekurs wird als unbegründet abgewiesen.

B e r n , den 22. März 1898.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: Ruffy.

Der I. Vizekanzler: Schatzmann.

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Bundesratsbeschluss über den Rekurs des J. C. Rütschi in Bütschwil, St. Gallen, betreffend Verweigerung eines Wirtschaftspatentes. (Vom 22. März 1898.)

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