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Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung über die am 19. März 1897 in Venedig abgeschlossene internationale Konvention betreffend gemeinsame Schutzmaßregeln gegen die Pest.

(Vom 29. Marx 1898.)

Tit.

Im Februar und März vorigen Jahres hat in Venedig eine auch von uns beschickte internationale Sanitätskonferenz stattgefunden, um einheitliche Maßnahmen zur Abwehr der drohenden Bubonenpest zu vereinbaren. Das Resultat der Verhandlungen ist in einer Konvention niedergelegt, welche am 19. März 1897 von 18 der 23 vertretenen Staaten unterzeichnet worden ist. Wir beehren uns, Ihnen diese Konvention hiermit. vorzulegen, unter Beifügung folgender orientierender Bemerkungen.

I.

Während die Beulenpest von der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts unserer Zeitrechnung an über 1000 Jahre lang Europa in Atem gehalten und namentlich im 14. und 15. Jahrhundert unter dem Namen des schwarzen Todes ungeheure Opfer gefordert hatte -- nach Hecker sollen der Epidemie der Jahre 1347- -50 in Europa ungefähr 25 Millionen Menschen (*/4 der damaligen Bevölkerung) erlegen sein, eine Ziffer, die Hirsch als ,,gewiß nicht zu hoch" bezeichnet -- war man in neuerer Zeit gewohnt, diese Seuche als eine nur mehr für gewisse Pestgegenden in Asien und Bundesblatt. 50. Jahrg. Bd. II.

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Afrika in Betracht fallende Krankheit anzusehen. In der That ist die Pest in England seit 1665, in den Niederlanden und der Schweiz seit 1669--70, in Spanien seit 1681, in Deutschland und Skandinavien seit 1714, in Frankreich seit 1720--22, in Italien seit 1743 (Messina) bezw. 1815 (.Naja) un d auf der Balkanhalbinsel, wo sie von Zeit zu Zeit irnmerwieder eingeschleppt wurde und in größerer oder geringerer Verbreitung auftrat, seit 1844 vollständig verschwunden. Auch in Kleinasien, Sjrrien und Ägypten, welche bis dahin ständige Pestherde gewesen waren, ist die Seuche von dieser Zeit an nicht mehr beobachtet worden.

Die längere Ruhepause, die darauf folgte, ließ allmählich die Hoffnung aufkommen, die Menschheit sei endlich ganz von dieser Geißel befreit. Dem war aber nicht so. In Asien, ihrem eigentlichen Mutterland, war die Pest nie erloschen, wenn sie auch ihre verheerenden Seuchenzüge für einige Zeit eingestellt hatte. Im Jahre 1853 brach sie neuerdings in größerer Verbreitung aus in Arabien, 1856 in Tripolis, 1863 in Persien und 1866 in Mesopotamien; Proust verzeichnet seit 1853 etwa 60 größere oder kleinere Pestepidemien in Asien und Afrika, denen im ganzen cirka 250--300,000 Menschen, also durchschnittlich jährlich 6--7000, zum Opfer gefallen sind.

Von Persien oder Mesopotamien aus verschleppt, ist die Seuche im Oktober 1878 plötzlich in dem russischen Dorfe Wetlianka, an der Wolga im Centrum des Bezirks Astrachan gelegen, autgetreten und hat daselbst und in einigen umliegenden Dörfern gegen 600 Menschen dahingerafft. Den außerordentlich rigorosen Blaßregeln, die von den russischen Behörden ergriffen wurden, gelang es, die Epidemie einzuschränken und bereits im Jahre 1879 zum Erlöschen zu bringen. Sie hat aber immerhin bewiesen, daß ihr Auftreten in Europa durchaus nicht zu den Unmöglichkeiten gehört und daß sie an Bösartigkeit gegenüber früheren Zeiten noch gar nichts eingebüßt hat (von 1.837 Einwohnern Wetliankas, von denen noch viele geflohen waren, sind 372 dahingerafft worden).

Außer in Persien und Mesopotamien herrschte die Beulenpest während der zwei letzten Decennien namentlich in den südöstlichen Bezirken Chinas (Provinz Jünnan, Pakhoi) und trat dann 1894 plötzlich in Kanton und Hongkong auf. In Kanton (1,600,000 Einwohner) sollen auf der Höhe der Epidemie während 2 Monaten cirka
100,000 Personen der Seuche erlegen sein ; in Hongkong war die Mortalität geringer, indem auf eine Einwohnerzahl von 200,000 nur 2500 bis 3000 Pesttodesfälle kamen.

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"War die Aufmerksamkeit der europäischen Sanitätsbehörden bereits durch das Auftreten der Seuche in der Handelsstadt Hongkong, welche regen Verkehr mit dem Westen unterhält, wach geworden, so wuchs dieselbe in ganz erheblichem Maße, als die mörderische Krankheit im Sommer 1896 in der viel näher gelegenen indischen Hafenstadt Bombay ausbrach, offenbar durch verseuchte Schiffe von Hongkong dorthin verschleppt. Leider maßen die lokalen Behörden den ersten vereinzelten Fällen geringe Bedeutung bei, bezeichneten sie als wenig gefährliche ,,pcstähnliche Krankheitsfälle"' und versäumten infolgedessen auch die Anordnung energischer Schutzmaßregeln in nützlicher Zeit. So konnte die Seuche ungehindert festen Fuß fassen und sich alsdann um so leichter ausbreiten, als die aller Beschreibung spottenden insalubren Verhältnisse der von den Eingebornen bewohnten Quartiere und die Gewohnheiten und religiösen Gebräuche des Volkes die Verbreitung in jeder Hinsicht begünstigten*). Von Bombay aus griff die Epidemie rapid um sich, namentlich der Küste entlang und den Eisenbahnlinien folgend nach dem Innern des Landes. Vereinzelte Fälle wurden durch den Schiffsverkehr nach Kamaran, Suez und London verschleppt, ohne indessen an einem dieser Orte zu weitern Erkrankungen Veranlassung zu geben ; einzig in Djeddah, wo die Pest im Mai auftrat, kam es zu einer Epidemie mit cirka 60 gemeldeten Todesfällen.

II. .

Angesichts des starken Schiffsverkehrs zwischen Bombay und Europa war die Befürchtung einer Verschleppung der Pest nach den Hafenstädten des mittelländischen Meeres vollständig begründet, wie die erwähnten Beispiele trotz ihres guten Ablaufs übrigens hinreichend beweisen, und es ist daher nicht zu verwundern, daß die meisten europäischen Staaten Schutzmaßregeln ergriffen, sobald die ersten Zeitungsnachrichten von dem Ausbruch der Pest in Hombay offiziell bestätigt wurden. Dabei wiederholte sieh die schon 1892 beim Ausbruch der (Jholera in Hamburg beobachtete Erscheinung, nur vielleicht in etwas geringerem Maße, daß die von den verschiedenen Staaten getroffenen Maßnahmen infolge *) Vom 9. Juli bis zum 2-1. Dezember 1897 sind nach offiziellen Angaben in der Stadt und Präsidentschaft Bombay 35,072 Erkrankungen und 26,257 Todesfälle an der Pest vorgekommen. Die Gesamtzahl der vom Ausbruch der Epidemie (Juli 1896) bis zum 24. Dezember 1897 in Britisch Indien an der Seuche Gestorbenen wird amtlich auf 56,181 angegeben.

800 fehlender sicherer wissenschaftlicher Grundlagen und mangels sonstwie erzielten Einverständnisses sehr weit auseinandergingen und infolge ihrer Diskongruenz ähnliche schlimme Folgen für Handel und Verkehr herbeizuführen drohten, wie es damals der Fall gewesen ist.

Die außerordentlich günstigen Erfolge, welche die internationale Dresdener Sanitätskonferenz von 1893 durch den Abschluß einer Konvention betreffend einheitliche Maßnahmen gegen die Cholera zu Tage gefördert hatte, ließen die Einberufung einer analogen Konferenz zur Beratung und Feststellung möglichst einheitlicher Schutzmaßregeln auch gegen die Fest als höchst wünschbar erscheinen. Österreich-Ungarn ergriff, wie im Jahre 1893, so auch diesmal wieder die Initiative, indem es im Einverständnis mit der italienischen Regierung sämtliche europäischen und eine Anzahl außereuropäischer Staaten zur Beschickung einer diesbezüglichen Konferenz einlud. Diese Einladung fand allseitig günstige Aufnahme; auch wir nahmen dieselbe an und ernannten als unsere Delegierten die Herren Dr. Gaston Carlin, schweizerischen Gesandten in Rom, und Dr. Frieda1. Schmid, Direktor des schweizerischen Gesundheitsamts in Bern.

Die Konferenz trat am 16. Februar 1897 in Venedig zusammen. Außer der S c h w e i z waren an derselben durch Bevollmächtigte folgende 22 Staaten vertreten : Deutschland, ÖsterreichUngarn, Belgien, Dänemark, Spanien, Vereinigte Staaten Ameaikas, Frankreich, Großba-itannien, Griechenland, Italien, Luxemburg, Montenegro, Niederlande, Persien, Portugal, Rumänien, Rußland, Serbien, Schweden und Norwegen, Türkei, Bulgarien und Ägypten.

Als Grundlage der Verhandlungen wurde der von der österreichisch-ungarischen Delegation vorgelegte Programmentwurf angenommen, welcher folgendermaßen lautete : ,,7. Allgemeiner Teil.

Untersuchung über den Charakter der Pest auf Grund der neuesten Forschungen und Erfahrungen: a. bezüglich der Ursprungsstätten, b.

,, ,, Einbruchswege zu Wasser und zu Land, c.

,, ,, Inkubationszeit.

Anwendung des Ergebnisses dieser Prüfung auf Titel I bis IV und VII der Dresdener Konvention.

801 II. Maßregeln zur Abwehr des Einbruchs der Pest und sivar: 1. An den Ursprungsstätten zu ergreifende Maßregeln : a. im Land- und Seeverkehre in den Häfen selbst, b. bezüglich der Pilgerzüge zu Land und zur See naeh Mekka und Mesopotamien, c. bezüglich des Informationsdienstes aus diesen Gebieten (Aufstellung von ständigen europäischen Ärzten an den bedrohtosten Punkten -- Reform des Teheraner internationalen Sanitäts-Conseils).

2. im Seeverkehr mit den verseuchten Häfen zu ergreifende Maßregeln : a. für auslaufende Schiffe und zwar: a. Passagierdampfer, ß. Frachtdampfer, y. Pilgerschiffe, rf. andere Schiffe ; b. während der Überfahrt der ct. Passagierdampfer, ß. Frachtdampfer, y. Pilgerschiffe, o. anderen Schiffe.

Prüfung der Frage, ob und in welchen Zwischenhäfen etwa eine sanitäre Revision dieser Schiffe sich empfehlen würde : c. im Ankunftshafen der a. Passagierdampfer, ß. Frachtdampfer, y. Pilgerschiffe, a. .anderen Schiffe.

Bestimmung über etwaige Änderungen des Titels VIII Dresdener Konvention und namentlich wegen der Pilgerschiffe, wenn nötig, Modifikation der Venediger Konvention betreffs des Transits en quarantaine. -- Herbeiführung einer allgemeinen Annahme der Pariser Konferenxbeschlüsse.

III. Maßregeln zum, Sclmts yegen die Weiter verbreitmvj der in Europa eventuell aufgetretenen Krankheit.

Anwendung und eventuelle Modifizierung der Dresdener Konvention."

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Zur Durchberatung dieses Programms und zur Formulierung von Anträgen an die Plenarkonferenz wurden zwei Kommissionen gebildet, eine technische, aus den ärztlichen Delegierten bestehend, welche sich mit der Aufstellung der notwendigen sanitätspolizeilichen Vorschriften zu befassen hatte, und eine aus den diplomatischen Abgeordneten zusammengesetzte, deren Aufgabe es war, sich über die Mittel und Wege zur Ausführung der von der technischen Kommission vorgeschlagenen Maßnahmen zu verständigen.

Brstere teilte sich in der Folge, nachdem sie sich über die wissenschaftlichen Grundlagen (Ansteckungsquellen und Übertragungsart der Pest, Widerstandsfähigkeit der Pestbacillen gegen Desinfektionsmittel, Dauer der Ansteckungsfähigkeit der Krankheitsprodukte und der damit beschmutzten Gegenstände, Jnkubationsdauer, allgemeine Üchutz- und Desinfoktionsmaßnahmen) geeinigt hatte, welche alw Grundlage der weitem Verhandlungen dienen sollten, in zwei Subkommissionen, wovon die eine die außei'halb Europas zu ergreifenden Schutzvorkehren, die andere die in Europa zu treffenden Maßregeln vorberiet.

Die Verhandlungen wurden dadurch ganz wesentlich erleichtert und vereinfacht, als es sich nicht um die Ausarbeitung ganz neuer Vereinbarungen handelte, sondern vielmehr um die entsprechende Abänderung und Ergänzung der von den drei früheren Sanitätskonferenzen (Venedig 1892, Dresden 1893 und Paris 1894) aufgestellten, in den betreffenden Konventionen niedergelegten Vorschriften gegen die Cholera. Diesem Umstände ist es zu danken, daß die Arbeiten verhältnismäßig rasch zum Abschluß gelangten und bereits am 19. März die Unterzeichnung einer umfangreichen Konvention betreffend Schutzmaßnahmen gegen die Pest stattfand.

III.

Dio K o n v e n t i o n besteht aus dem eigentlichen Vertragsinstrument, welches bloß die formellen Vertragsbestimmungen, und einer Anlage, welche auf 35 Folioseiten die vereinbarten Blaßnahmen enthält und den Titel : ,,Allgemeines Sanitätsreglemcnt zur Verhütung der Einschleppung und der Weiterverbreitung der Pesta trägt.

Dieses S a n i t ä t s r e g l e m e n t umfaßt fünt Kapitel, von denen das erste sich auf die a u ß e r h a l b Buropas und das zweite auf die i n Europa zu treffenden Maßregeln bezieht; das dritte enthält eine Anweisung zur Desinfektion ; das vierte Ratschläge betreffend die zu ergreifenden Schutzmaßnahmen auf den Schiffen bei der Ab-

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fahrt, während der Seefahrt und bei der Ankunft, und das fünfte Bestimmungen hinsichtlich der Überwachung und Ausführung der vorgeschriebenen Maßnahmen im Roton Meer, im Persischen Golf und an der türkisch-persischen und russischen Grenze.

Da unser Land ein Binnenland ist, so hat der Inhalt der K a p i t e l I, IV und V, die sich auf den Schiffsverkehr und die Maßnahmen im Orient beziehen, nur ein indirektes Interesse für uns. Die in diesen Kapiteln enthaltenen Bestimmungen stützen sich im wesentlichen auf die internationalen Sanitätskonventionen von Venedig (80. Januar 1892) und Paris (3. April 1894) betreffend die gegen die Einschleppung der Cholera zu treffenden Schutzmaßnahmen im Schiffsverkehr, denen die Schweiz nicht beigetreten ist und von deren Inhalt wir erst vor kurzer Zeit, am 6., beziehungsweise 18. Dezember 1897 offiziell Kenntnis erhalten haben. Immerhin ist es für die Schweiz von großem Wert, zu wissen, daß und wie die umliegenden Seestaaten sich gegen die Einschleppimg der Pest zu schützen suchen und genau die getroffenen Maßnahmen zu kennen, weil wir bei unseren eigenen Schutzvorkehren darauf Rücksicht zu nehmen haben.

Von ganz besonderer Wichtigkeit ist ferner auch für uns die im I. Kapitel niedergelegte Bestimmung, wonach sämtliche der Konvention beigetretene Staaten verpflichtet sind, jeden auf ihrem Territorium konstatierten Pestfall den übrigen Staaten telegraphisch zu melden.

Im übrigen konzentriert sich unser Hauptinteresse auf das K a p i t e l II des Sanitätsreglements, welches von den Maßnahmen handelt, die in Europa zürn Schütze gegen die Pest zu ergreifen sind. Eine ausführliche Besprechung dieser Maßnahmen halten wir aber deswegen nicht für notwendig, weil dieses Kapitel sich eng an die auch von der Schweiz ratifizierte Dresdener Sanitätskonvention vom 15. April 1893, betreffend Maßnahmen gegen die Cholera, anlehnt (A. S. n. F., Bd. XIV, S. 137) und im Grunde genommen nur eine Kopie derselben mit den durch die Besonderheiten der Pest, ihrer Ätiologie, Übertragbarkeit und Inkubationsdauer, bedingten Abänderungen darstellt. Um daher nicht zu wiederholen, was wir in der Botschaft vom 16. Mai 1893, betreffend die Dresdener Sanitätskonvention (Bundesbl. 1893, III, 159), gesagt haben, beschränken wir uns auf die Hervorhebung der im Text der neun Abschnitte, welche das
vorliegende Kapitel ausmachen, angebrachten Änderungen.

Im e r s t e n A b s c h n i t t , der von der Anzeigepflicht handelt, wird vorgeschrieben, daß jeder konstatierte Pestfall und nicht bloß

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oin Seuchenherd, wie bei der Cholera, den übrigen Staaten auf kürzestem Wege zur Kenntnis gebracht werden soll.

Der f o l g e n d e A b s c h n i t t handelt von den Bedingungen, unter denen ein Bezirk (circonscription territoriale) als postvcrseucht oder als wieder pestfrei zu erklären ist. Als verseucht soll ein Bezirk angesehen werden, in dem offiziell das Vorhandensein von Pestfällen festgestellt ist, wobei aber bloß vereinzelte eingeschleppte Fälle, die isoliert bleiben und zu keinen weitem Erkrankungen Veranlassung geben, nicht in Betracht fallen. Als von der Pest befreit gilt ein Bezirk, in dem während 10 Tagen nach der Heilung oder dem Tod des letzten Pestkranken kein neuer Erkrankungsoder Sterbefall an Pest vorgekommen ist und außerdem die not·.vondigen Desinfektionsmaßregeln ausgeführt worden sind.

Unter der Voraussetzung, daß die Regierung eines Staates die notwendigen Vorkehren zur Verhinderung der Ausfuhr infektionsverdächtiger Waren aus den inländischen infizierten Bezirken getroffen hat, sollen nach der Vorschrift des d r i t t e n A b s c h n i t t s in gleicher Weise wie bei Cholera die von den übrigen Staaten ergriffenen Maßnahmen auf die Provenienzen der verseuchten Bezirke beschränkt werden. Provenienzen, welche wenigstens fünf Tage vor Konstatierung des ersten Pestfalles einen infizierten Bezirk verlassen haben, unterliegen keinerlei Prohibitivmaßrogeln.

Die wesentlichsten Veränderungen weist der erste Teil des v i e r t e n A b s c h n i t t s auf, welcher von der Ein-und Durchfuhr handelt, während der zweite Teil (Desinfektion) den gleichen Wortlaut besitzt wie in der Dresdener Konvention. Als Waren und Gegenstände, welche, als zur Verschleppung der Pest geeignet, von der Ein- und Durchfuhr ausgeschlossen werden können, werden bezeichnet : 1. Leibwäsche, alte und getragene Kleider und gebrauchtes Bettzeug.

Eine Ausnahme macht das Reisegepäck und das Umzugsgut, welche besondern Maßnahmen unterworfen werden.

Die von verstorbenen Soldaten und Matrosen hinterlassenen Effekten, welche in die Heimat zurückgesandt werden, sind speciell aufgeführt als Gegenstände, deren Einfuhr verboten werden kann.

2. Lumpen und Hadern ohne Ausnahme.

3. Gebrauchte Säcke, Teppiche und alte Stickereien.

4. Rohe Häute und Felle.

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5. Frische tierische Abfälle, Klauen, Hufe, Tierhaare, Borsten und rohe Wolle.

6. Menschenhaare Im f ü n f t e n A b s c h n i t t , worin von den Maßnahmen an der Landesgrenze und vom Reisendenverkehr die Rede ist, wird das Verbot der Landquarantänen auch für die Pest aufrecht erhalten; einzig Personen, welche Symptome der Pest darbieten, dürfen zurückgehalten und isoliert werden. Dabei ist aber jodcni Staate ausdrücklich das Recht vorbehalten, im Notfalle einen Teil seiner Grenze für den Verkehr vollständig abzusehließen.

Die Bestimmungen betreffend die Überwachung der Reisenden auf den Eisenbahnen und die sanitarische Revision derselben an den Grenzstationen und am Ankunftsorte, betreffend den Verkehr der Eisenbahn- und Postbeamten an dei- Grenze, betreffend dio Cirkulation der Personen-, Gepäck- und Postwagen und betreffend besondere Maßnahmen gegenüber gewissen Kategorien von Reisenden sind die nämlichen wie in der Dresdener Sanitätskonvention betreffend die Maßnahmen gegen die Cholera, mit dem einzigen Unterschiede, daß die sanitarische Überwachung der aus einem verseuchten Orte stammenden Personen statt den bei der Cholera vorgeschriebenen fünf Tagen zehn Tage, vom Datum der Abreise an gerechnet, dauern soll.

Die übrigen vier Abschnitte des II. Kapitels sind entweder gleichlautend wie diejenigen der Dresdener Konvention oder haben, wie der achte Abschnitt, der von den Maßnahmen in den Seehäfen handelt, und der neunte (der Anlage II der Dresdener Sanitätskonvention entsprechend), welcher Vorschriften betreffend den Schiffsverkehr auf der untern Donau enthält, nur ein sekundäres Interesse.

Das III. Kapitel des Sauitätsreglements enthält für uns nichts Neues, indem die darin aufgestellten Grundsätze betreffend die Desinfektion mit den in unsern diesbezüglichen Vorschriften niedergelegten übereinstimmen.

IV.

Die Konvention ist von folgenden 18 Staaten unterzeichnet worden: Schweiz, Deutschland, Österreich-Ungarn, Belgien, Spanien, Frankreich, Großbritannien (mit Einschluß von Brittisch-Iudien), Griechenland, Italien, Luxemburg, Montenegro, Niederlande, Persien, Portugal, Rumänien, Rußland, Serbien, Türkei. Die Delo-

806 gierten von Spanien, Griechenland, Persien, Portugal, Serbien und der Türkei haben ad referendum unterzeichnet, die Delegierten des Deutschen Reichs und unsere Delegation unter bestimmten Vorbehalten, die seither sowohl von uns als von selten der deutschen Regierung fallen gelassen worden sind.

Außerdem ließ die Regierung des Fürstentums Liechtenstein durch den ersten österreichisch-ungarischen Delegierten ihren Beitritt zur Konvention erklären.

Die Delegierten von Dänemark, von Schweden und Norwegen und der Vereinigten Staaten Amerikas nahmen die Konvention ad referendum entgegen ohne zu unterzeichnen.

Als Ratißkationsfrist wurde ein Jahr, vom Datum der Unterschrift an gerechnet, angenommen, und die Gültigkeitsdauer der Konvention auf fünf Jahre, von dem Tag des Austausches dei1 Ratifikationen an, festgesetzt. Von fünf zu fünf Jahren findet eine stillschweigende Verlängerung der Konvention statt, wenn nicht sechs Monate vor Ablauf dieser Periode seitens eines der kontrahierenden Staaten eine Kündigung erfolgt; die Wirkung der letztern beschränkt sich auf den kündigenden Staat.

In Rücksicht auf die dringende Notwendigkeit, Abwehrmaßnahmen gegen die Pest zu ergreifen, gaben die Delegationen von Deutschland, Österreich-Ungarn, Belgien, Frankreich, Großbritannien, Italien, Luxemburg, Montenegro, der Niederlande, von Portugal, Rumänien und Rußland die Erklärung ab, daß ihre Regierungen so bald als möglich, ohne den Ablauf der Ratifikationsfrist abzuwarten, die Bestimmungen der Konvention zur Anwendung bringen werden ; unsere Delegierten schlössen sich mit unserem Einverständnis dieser Erklärung an.

Wie schon bemerkt, lehnt sich der Inhalt der neuen Konvention eng an die erste Sanitätskonvention von Venedig (1892) und an diejenigen von Dresden (1893) und Paris (1894) an. Dies geht sogar so weit, daß an verschiedenen Stellen direkt auf Bestimmungen der frühern Konventionen als auch für die neue Geltung habend verwiesen wird. Diese Verweisungen hatten sich trotz den Bemühungen unserer Delegierten, solche bei der definitiven Redaktion zu eliminieren, nicht gänzlich vermeiden lassen.

Da aber die Schweiz an den Konferenzen von Venedig 1892 und Paris 1894 weder teilgenommen noch von dorn Resultat der betreffenden Verhandlungen offiziell Kenntnis erhalten hatte, so konnten wir unter diesen Umständen, allerdings aus rein formellen Gründen, unsere Delegierten zur Unterzeichnung der Konvention nur in Be-

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zug auf deren zweites Kapitel (Maßnahmen in Europa) ermächtigen, welches keine Verweisungen auf die erste Sanitätskonvention von Venedig und auf diejenige von Paris enthält.

Unser diesbezüglicher Vorbehalt gab die Veranlassung, daß uns inzwischen am 6. Dezember 1897 von Seiten der französischen Regierung eine authentische Kopie der Pariser Sanitätskonvention vom 3. April 1894 und einer ergänzenden Erklärung vom 30. Oktober 1897 und am 18. Dezember 1897 von Seiten der italienischen Regierung ein amtlich beglaubigtes Exemplar der Venediger Sanitätskonvention vom 30. Januar 1892 übermittelt worden ist. Da uns hierdurch die obenerwähnten formellen Bedenken beseitigt erschienen, so haben wir unterm 30. Dezember 1897 den schweizerischen Gesandten, Herrn Dr. Gr. Carlin, in Rom beauftragt, der italienischen Regierung zu Händen der beteiligten Mächte die Erklärung abzugeben, daß wir die obenerwähnte Reserve nunmehr fallen lassen und die Konvention in ihrem vollen Wortlaut annehmen.

Wir halten es für überflüssig, die große Bedeutung und die Vorteile der neuen Konvention für Europa und speciell auch für unser Land noch besonders zu beleuchten und empfehlen Ihnen die Genehmigung der Übereinkunft, indem wir einen diesbezüglichen Beschlußentwurf beifügen.

Genehmigen Sie, Tit., die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

B e r n , den 29. März 1898.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der B u n d e s p r ä s i d e n t : Ruffy.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Eingier.

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(Entwurf.)

Bundesbeschluss über

die am 19. März 1897 zwischen der Schweiz und siebzehn ändern Staaten abgeschlossene Konvention betreffend gemeinsame Schutzmassregeln gegen die Pest.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht 1. der von den Bevollmächtigten der Schweiz, von Deutschland, Österreich-Ungarn, Belgien, Spanien, Frankreich, Großbritannien und Brittisch - Indien, Griechenland, Italien, Luxemburg, Montenegro, der Türkei, der Niederlande, von Persien, Portugal, Rumänien, Rußland und Serbien am 19. März 1897 in Venedig abgeschlossenen Konvention betreffend gemeinsame Schutzmaßregeln gegen die Pest; 2. der bezüglichen Botschaft des Bundesrates, vom 29. März 1898, beschließt: Art. 1. Der genannten Konvention wird die Genehmigung erteilt.

Art. 2. Der Bundesrat wird mit der Ausführung dieses Beschlusses beauftragt.

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Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung über die am 19. März 1897 in Venedig abgeschlossene internationale Konvention betreffend gemeinsame Schutzmaßregeln gegen die Pest. (Vom 29. März 1898.)

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13.04.1898

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