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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend das Gesuch des Johann Gehrig, Kondukteur der S. 0. B., in Einsiedeln, um Erhöhung der Entschädigung an die Hinterlassenen des verunglückten GrenzwächterAbteilungschefs Friedrich Gehrig.

(Vom 1. April 1898.)

Tit.

Der Nationalrat hat uns durch Beschluß vom 10. Dezember vorigen Jahres eine an die Bundesversammlung gerichtete Eingabe des Herrn Johann Gehrig, Kondukteur der S. 0. B., in Einsiedeln, vom 7. Dezember vorigen Jahres zum Bericht überwiesen, worin letzterer an die Bundesversammlung gelangt, mit dem Gesuche um Erhöhung der den Hinterlassenen seines im August 1895 verunglückten Bruders, des gewesenen Grenzwächter-Abteilungschefs Friedrich Gehrig, vom Bundesrat bewilligten Entschädigung von Fr. 4000.

I. Der seit dem Jahre 1886, mit Unterbruch von 2 Jahren, beim Grenzwachtcorps gestandene Abteilüngschef (Wachtmeister) Friedrieh Gehrig, von Trueb, geboren 1860, hatte sich am 20. August 1895, nachmittags 4 1/2 Uhr, von Neumühle, Bern er Jura, wo er stationiert war, in dienstlichen Verrichtungen nach Lucelle und von da nach Charmoille begeben. Am Morgen des 21. August um 3 Uhr trat er von Lucelle aus den Heimweg an über den waldund schluchtenreichen sogenannten Richterstuhl, kam aber zu Hause nicht an, so daß angenommen werden mußte, daß er unterwegs

851 verunglückt sei. Es wurden unter Zuzug ortskundiger Männer sofort größere Expeditionen veranlaßt, um den Vermißten aufzusuchen, jedoch ohne Erfolg. Erst am 8. September fand man den Leichnam des Vermißten am Fuße einer cirka 12 Meter hohen, etwa 150 Meter abseits des. Weges befindlichen Felswand, über welche derselbe gestürzt sein muß. Der Tod ist infolge eines Schädelbruches eingetreten, den Gehrig beim Absturz erlitten hatte.

Nachdem die Gerichtsbehörden am 9. September den Thatbestand an Ort und Stelle festgestellt hatten, wurde wegen der stark vorgeschrittenen Verwesung von der zuständigen kantonalen Behörde die sofortige Bestattung angeordnet, welche am gleichen Tage in Pleigne, der nächstgelegenen Ortschaft, stattgefunden hat.

Gehrig war verheiratet und hat außer seiner Frau fünf Kinder hinterlassen, von denen das älteste 10, das jüngste l l/z Jahre alt war.

Das damals in Geltung bestandene eidgenössische Besoldungsgesetz vom 2. August 1873 gestattete die Entrichtung eines Besoldungsnachgenusses in der Höhe eines Jahresgehaltes im Maximum.

Indes glaubte der Bundesrat, obwohl eine Entschädigungspflicht des Bundes bei Unfällen, die das Zoll- und Grenzwachtpersonal erleidet, nicht besteht, in diesem Falle höher gehen zu sollen, da Gehrig seinen Tod durch einen Unglücksfall gefunden hatte, der ihm auf der Rückkehr von einer Diensttour zugestoßen ist. Andererseits kam aber in Betracht, daß Gehrig am Tage vor seinem Verschwinden sich starkem Weingenusse hingegeben und infolgedessen in einen Zustand hineingeraten war, bei dem ihm die klare Überlegung fehlte, ansonst er sich hätte bewußt sein müssen, daß ·es nicht geraten war, in seiner Verfassung jene Tour bei dunkler Nachtzeit zu unternehmen. Auch hat er durch Wirtshausbesuch in mehreren Ortschaften so viele Zeit versäumt, daß er erst um 3 Uhr morgens in Lucelle aufbrach, während er laut seiner Aussage schon um Mitternacht zu Hause hatte sein wollen. Sein Tod erscheint daher durch selbstverschuldete Umstände herbeigeführt worden zu sein.

Dessenungeachtet hat der Bundesrat den Hinterlassenen eine Entschädigung im Betrage von Fr. 4000 zuerkannt. Überdies wurden die erheblichen Kosten der Aufsuchung des Vermißten, des Transportes der Leiche nach Pleigne, sowie die Beerdigungsund Gerichtskosten von der Zollverwaltung bezahlt.

II. Die vorliegende
Eingabe bedarf vor allem der Richtigstellung in Bezug auf den Passus ,,ändern Tags erfolgte seine traurige Beerdigung in Pleigne, wo ihm kein von Kollegen begleitetes

852 Leichenbegängnis zu teil wurde, und kein Geistlicher ihm am Grabe einen Nachruf widmetea. Da zufolge der Anordnung der kantonalen Behörde die Beerdigung ohne Verzug vorgenommen werden mußte, so war es allerdings nicht möglich, eine größere Zahl seiner Dienstkameraden zu besammeln, wie es auch unmöglich war, einen protestantischen Geistlichen herbeizurufen, da der nächste aus dem mehrere Stunden entfernten Delsberg hätte herbeigeholt werden müssen. Gleichwohl hat die Beerdigung in Anwesenheit eines zahlreichen Leichengeleites, worunter sein unmittelbar Vorgesetzter, der Grenzwachtchef in Basel, sich befand,, in weihevoller Weise stattgefunden. An Stelle eines Geistlichen hat der Regierungsstatthalter von Pruntrut am Grabe eine den Umständen angemessene würdige Ansprache gehalten, so daß der Vorwurf einer ,,traurigen01 Beerdigung durch nichts begründet ist, Der katholische Geistliche in Pleigne hatte nicht amtieren wollen, weil der Verstorbene Protestant war.

In der vorliegenden Eingabe wird sodann entgegen dem Thatbestand, wie er oben mitgeteilt wurde, der Fall so dargestellt,, daß kein Selbstverschulden des Verunglückten vorliege und daß.

dem letzteren kein anderer Weg zur Verfügung gestanden habe,, als derjenige über den sogenannten Richterstuhl, da dem Grenzwachtpersonal verboten sei, in dienstlichen Verrichtungen ausländisches Gebiet zu betreten und Gehrig somit den auf deutschem Gebiet gelegenen, der Grenze entlang führenden direkten Weg von Lucelle nach Neumühle nicht habe benützen können. Dies ist nun nicht richtig, da dieser neutrale Weg von jeher durch die diesseitigen Aufsichtsorgane des Grenzwachtpersonales begangen werden durfte, was Gehrig wohlbekannt sein mußte. Der Verunglückte hätte daher seinen Heimweg ebensowohl auf diesem ungefährlichen und viel kürzern Weg als über den sogenannten Richterstuhl nehmen können. Er mag den letztern Weg gewählt haben, weil sich, wie in der Eingabe erwähnt ist, sämtliche von den Grenzwächtern zu bewachende Aufsichtspunkte auf diesem Bergrücken befinden und dort auch ein Grenzwachsposten besteht.

Auch mag nicht unerwähnt bleiben, daß er sich in Lucelle aus Gefälligkeit gegenüber dem dortigen Postenchef, dem er den Weg ersparen wollte, die Dienstbefehle für den Posten Richterstuhl hat mitgeben lassen, um sie daselbst abzugeben.

Wenn die Eingabe
sodann darauf abzielt, daß den Hinterlassenen des Gehrig eine gleiche Entschädigung gebühre wie den Eltern des ermordeten Postkondukteurs Angst --. denen eine Entschädigung von Fr. 5000 nebst einem Jahresgehalt als Besoldungs-

853 nachgenuß zugesprochen wurde -- mit dem Hinweis, daß Gehrig ebenso schuldlos und pflichtgetreu um sein Leben gekommen sei wie jener, so ist dieser Vergleich nicht zutreffend, indem es bewiesene Thatsache ist, daß der Tod des Gehrig denn doch nicht ohne dessen eigene Schuld veranlaßt worden ist, während Angst durch das Verbrechen eines Dritten sein Leben verloren hat.

Die in der Petition enthaltenen Bemerkungen über die knappen Verhältnisse der Witwe Gehrig haben sich im allgemeinen bestätigt gefunden.

Allein bei allem Bedauern mit ihrer Lage glaubt der Bundesrat hei der bewilligten Entschädigung allen billigen Ansprüchen Rechnung getragen zu haben, wobei wiederholt bemerkt wird, daß die eidgenössische Verwaltung zur Bezahlung einer Entschädigung für Unfälle, die das Zoll- und Grenzwachtpersonal erleidet, gesetzlich nicht verpflichtet ist. Der Bundesrat ist vielmehr bei Festsetzung der Entschädigung so weit gegangen, als es ihm nach der Lage des Falles angemessen erschien, und kann sich nicht veranlaßt finden, ein Mehreres zu befürworten. Wir stellen daher den Antrag : Es sei das vorliegende Gesuch abzulehnen.

Genehmigen Sie, Tit., die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

B e r n , den \. April

1898.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der B u n d e s p r ä s i d e n t : Ruffy.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Bingier.

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