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Bericht des

schweizerischen Bundesgerichts an die Bundesversammlung über seine Geschäftsführung im Jahre 1897.

(Vom

12. März 1898.)

Herr Präsident!

Hochgeehrte Herren!

Wir haben die Ehre, Ihnen nach Vorschrift des Art. 47 des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege über unsere Geschäftsführung im Jahre 1897 Bericht zu erstatten.

A. Allgemeines.

Der am 10. Januar 1897 erfolgte Hinscheid des Herrn Bundesrichter Andreas Bezzola wurde schon in unserem letztjährigen Geschäftsbericht erwähnt. Als seinen Nachfolger wählte die Bundesversammlung am 25. März Herrn Dr. Leo Weber, Abteilungschef für Gesetzgebung und Rechtspflege am eidgenössischen Justizdepartement, in Bern; er trat sein Amt am 1. Juni an und wurde der II. Abteilung zugeteilt.

Der zum Bundesrat gewählte Herr Dr. Ernst Brenner in Basel mußte in seiner Eigenschaft als Ersatzmann des Bundesgerichts ersetzt werden. Die Bundesversammlung wählte am 24. Juni an seine Stelle Herrn Dr. Paul Scherrer, Ständerat, in Basel.

Ein anderer Ersatzmann, Herr Dr. Heinrich Häberlin, Nationalrat, in Frauenfeld, ist im Oktober gestorben ; das Bundesgericht hatte mehrfach Gelegenheit, seine Dienste als Ersatzmann schätzen zu lernen. Er wurde am 16. Dezember durch Herrn Dr. Alfred Fehr, Nationalrat, in Frauenfeld ersetzt.

227

Abgesehen von der schon im letztjährigen Geschäftsberichte mitgeteilten Ernennung des Herrn Dr. Theodor Weiß zum Sekretär, ist der Bestand des Kanzleipersonals derselbe geblieben wie im Vorjahre.

Das 6-eschäftsreglement des Bundesgerichts vom 7. September 1893, das schon am 13. Januar 1896 infolge der Zuteilung der Oberaufsicht über das Schuldbetreibungs- und Konkurswesen abgeändert werden mußte, wurde im Berichtsjahre neuerdings in einigen Punkten ergänzt. Am 19. Januar wurde beschlossen, die Prozesse betreffend Haftpflicht der eidgenössischen Post gemäß Art. 18 bis 23 des Bundesgesetzes betreffend das Postregal, vom 5. April 1894, der II. Abteilung zuzuweisen. Nach einem Beschlüsse vom 18. Dezember fällt die Entscheidung sowohl der Streitigkeiten der Eisenbahngesellschaften gegen die Beschlüsse des Bundesrates gemäß Art. 12, 16 und 20 des Bundesgesotzes betreffend das Rechnungswesen der Eisenbahngesellschaften vom 27. März 1896, als auch der Streitigkeiten zwischen den Eisenbahngesellschaften und dem Bunde betreffend die Rückkaufsentschädigungen oder andere auf den Rückkauf bezüglichen Fragen (Art. 21 leg. cit.) in den Geschäftskreis des Gesamtgerichts. Ein anderer Beschluß, der sich auf die Prozesse betreffend das Bundesgesetz vom 9. Dezember 1850 über die Verantwortlichkeit der eidgenössischen Behörden und Beamten bezieht, wird weiter unten mitgeteilt werden.

Für die Statistik der Betreibungen, Konkurse und Nachlaßverträge wurde von den eidgenössischen Räten in der Sommersession von 1897 der für dieses Jahr vom Bundesgerichte nachgesuchte Kredit bewilligt. Das Bundesgericht hat daraufhin durch Kreisschreiben vom 30. Juli 1897 den kantonalen Aufsichtsbehörden für Schuldbetreibung und Konkurs den im Dezember 1896 festgestellten vorläufigen Entwurf vereinfachter Formulare für diese statistische Erhebung mitgeteilt und dieselben ersucht, ihre sachbezüglichen Bemerkungen und Abänderungsanträge bis Mitte Oktober 1897 einzusenden. Nachdem bis Ende Oktober die Bemerkungen der Mehrzahl der Aufsichtsbehörden eingegangen waren, wurden, unter Berücksichtigung dieser Bemerkungen, die Formulare einer neuen Bearbeitung unterworfen und sodann ebenso wie die sachbezügliche Instruktion endgültig festgestellt. Dieselben sind nunmehr gedruckt, und es ist die Erhebung für das Jahr 1897 angeordnet worden. Obschon
nicht zu verkennen ist, daß dieser statistischen Erhebung mit Rücksicht insbesondere auf die Verschiedenartigkeit der Verhältnisse und der Behördenorganisation in

228 den Kantonen nicht unerhebliche Schwierigkeiten entgegenstehen, so ist doch zu hoffen, daß nunmehr dieselbe zu einem Abschlüsse werde gebracht werden können. Sie wird, wenn durchgeführt, wertvolle Aufschlüsse über die Wirksamkeit des Schuldbetreibungsund Konkursgesetzes liefern, welche für eine spätere Weiterbildung der Gesetzgebung von Bedeutung sein werden.

Anläßlich der Aufstellung der Formulare für die Betreibungsund Konkursstatistik hat die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer auch die Frage erörtert, ob nicht die Buchführung der Betreibungsund Konkursämter in einigen Teilen einer Umänderung unterworfen werden sollte, um dieselbe dem praktischen Bedürfnisse besser anzupassen und insbesondere den Betreibungsämtern die Lieferung der von ihnen verlangten statistischen Daten zu erleichtern. Zu einem Abschlüsse sind die hierauf bezüglichen Untersuchungen noch nicht gediehen, doch wird dies voraussichtlich im laufenden Jahre, nachdem vorher noch die Meinungsäußerungen der kantonalen Aufsichtsbehörden eingeholt worden sind, geschehen.

In betreff der sehr komplexen Frage einer Revision des Gebührcntarifs, hinsichtlich welcher auseinandergehende Wünsche geäußert worden und ganz verschiedenartige Verhältnisse zu berücksichtigen sind, ist das weitschichtige Material einer vorläufigen Bearbeitung unterworfen worden; zu einem endgültigen Antrage ist indes die Schuldbetreibuugs- und Konkurskammer noch nicht gelangt.

Dio der Aufsicht der Schuldbetreibungs- und Konkurskamraer unterstellte, übrigens in ihrer Rechnungsführung von dem Rechnungswesen des Bundesgerichts gänzlich getrennte Verwaltung der Betreibungsformulare hat im Berichtsjahr regelmäßig funktioniert und scheint einem wirklichen Bedürfnisse zu entsprechen. Anläßlich des notwendig gewordenen Neudrucks einzelner Formulare wurden an denselben kleine Abänderungen, welche die Erfahrung als zweckmäßig erscheinen ließ, vorgenommen.

Wie wir schon im letztjährigen Geschäftsberichte mitteilten, hat das Bundesgericht beschlossen, von den Bänden IX, X, XI und XIII (Jahrgänge 1883, 1884, 1885 und 1887) der amtliehen Sammlung der Entscheidungen einen Neudruck zu veranstalten.

Der Neudruck des Bandes IX ist vollendet, für dio ändern wird er fortgesetzt. Die fortwährende Vermehrung der Geschäfte und demgemäß der in die Sammlung aufzunehmenden Entscheidungen und der daher immer mehr anschwellende Umfang der einzelnen Jahrgänge hat das Bundesgericht veranlaßt, die Frage, ob die Art

229 und Weise der Herausgabe der Sammlung zu modifizieren sei, einer Prüfung zu unterziehen. Ein diesbezüglicher Beschluß wird demnächst gefaßt werden, damit der neue Modus schon für den Jahrgang 1898 zur Anwendung kommen kann. Bei dieser Gelegenheit wird das Bundesgericht auch den im Schöße des Nationalrats geäußerten Wunsch, es möchte eine Separatausgabe der Entscheidungen der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer veranstaltet werden, auf seine Realisierbarkeit prüfen.

Die Herausgabe eines zweiten Bandes des Generalregisters, die Jahre 1884 bis 1893 umfassend, ist schon vor einigen Jahren beschlossen worden und befindet sich in Arbeit. Leider kann der damit betraute Kanzleibeamte sich nur außerhalb der Bureauzeit dieser langwierigen Arbeit widmen. Gleichwohl zählen wir darauf, daß wenigstens der erste Teil dieses Registers (Zusammenstellung der Entscheide nach den GesetzesbestimmungenJ, von dem schon eine Anzahl Bogen gedruckt sind, im Laufe des Jahres erscheinen wird.

Die Gesamtzahl der vom Bundesgericht im Berichtsjahre abgehaltenen Sitzungen beläuft sich auf 217, die sich wie folgt verteilen : Sitzungen des Gesamtgerichts 20, I. Abteilung 79, H. Abteilung 80, Schuldbetreibungs- und Konkurskammer 35, Kassationshof 3. Die Anklagekammer, die Kriminalkammer und das Bundesstrafgericht hatten im Berichtsjahre keine Geschäfte zu behandeln.

Als Ersatzmänner abwesender oder verhinderter Kollegen wurden in erster Linie die beiden der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer angehörenden Mitglieder gemäß Reglement verwendet, und zwar sowohl in der I. als in der II. Abteilung. Das eine Mitglied saß in dieser Eigenschaft 15mal in der I., 44rnal in der II. Abteilung; das andere 6mal in der L, 29mal in der H. Abteilung.

Überdies wurden diesen beiden Mitgliedern auch zuweilen die Instruktion eines Prozesses und Referate auch in diesen beiden Abteilungen zugeteilt. Die Zuziehung eines Ersatzmannes des Bundesgerichts erwies sich im Berichtsjahre nur in einem einzigen Falle als notwendig.

B. Specieller Teil.

I. Civilrechtspflege.

Folgende Tabelle giebt eine Übersicht der Civilsachen, mit denen das Bundesgericht im Jahre 1897 befaßt war:

230

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Natur der Streitsache.

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1. Erst- und letztinstanzlich zu beurteilende Civilsachen . . . . 39 26 65 30 35 2. Rekurse gegen Entscheide eidg.

Schätzungskommissionen .

226 102 328 216 112 3. Berufungen gegen Urteile kantonaler Gerichte 24 237 261 248 13 4. Revisions- und Erläuterungs7 7 7 begehren 2 -- 1 1 2 5. Kassationsbegehren 6 . Moderationsbegehren . . . . -- 4 4 4 -- Total 290 377 667 507 160 Ad 1. E r s t - und l e t z t i n s t a n z l i c h zu b e u r t e i l e n d e Ci v i l s a e h e n .

Diese 65 Prozesse setzen sich zusammen aus: 15 Prozessen zwischen dem Bunde als Beklagten und Privaten oder Korporationen als Klägern; 26 Prozessen zwischen Kantonen einerseits und Privaten oder Korporationen anderseits; 2 Bürgerrechtsstreitigkeiten zwischen Gemeinden verschiedener Kantone ; 1 Heimatlosenstreitigkeit zwischen einem Privaten und einem Kanton ; 2 Prozessen zwischen Eisenbahngesellschaften aus Art. 33, Abs. 4, des Bundesgesetzes über Bau und Betrieb der Eisenbahnen, vom 23. Dezember 1872 ; l Prozesse zwischen Eisenbahngesellschaften aus Art. 30 des nämlichen Gesetzes; l Prozesse betreffend Verbindungsgeleise (Bundesgesetz vom 19. Dezember 1874); 7 Klagen aus Art. 23 des Bundesgesetzes betreffend die Abtretung von Privatrechten, vom 1. Mai 1850; l Prozesse aus Art. 47 desselben Gesetzes ; 8 Prozessen, in denen das Bundesgericht als vereinbarter Gerichtsstand angerufen wurde ;

231

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1. Prozesse Privater als Kläger gegen den Bund als Beklagten 2. Prozesse zwischen Kantonen einerseits und Privaten oder Korporationen anderseits 3. Bürgerrechts - Streitigkeiten zwischen Gemeinden verschiedener Kantone .

4, Heimatlosen-Streitigkeiten .

5. ProzessezwischenEisenbahngesellschaften aus Art. 33 des Gesetzes von 1872 .

6. Prozesse zwischen Eisenbahngesellschaften aus Art. 30 des nämlichen Gesetzes .

7. Prozesse betreffend Verbindungsgeleise 8. Klagen aus Art. 23 des eidg.

Expropriationsgesetzes .

9. Klagen aus Art. 47 eod.

10. Prozesse, in welchen das Bundesgericht als vereinbarter Gerichtsstand angerufen wurde 11. Klagen .aus dem Bundesgesetze betreffend die Verantwortlichkeit der eidg. Behörden und Beamten Total

I .O
Pendent 1 geblieben. 1

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Natur der Streitsache.

Inkompetenz 1 Oder sonstiges 1 Nichteintreten. | Ganz 11 oder teilweise II flutgehelssen. ||

l Klage aus Art. 43 des Bundesgesetzes betreffend die Verantwortlichkeit der eidgenössischen Behörden und Beamten, vom 9. Dezember 1850.

Über die Art d e r E r l e d i g u n g dieser Civilsachen giebt folgende Tabelle Aufschluß :

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2

2

3

2

6

15

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3

7 10

26

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1

4

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2 1

1 7 1

8

1 -- -- 9 35 ~6ET

232 Von den 9 im B e r i c h t s j a h r e e r l e d i g t e n P r o z e s s e n g e g e n den B u n d betrafen 3 Haftpflichtklagen von Arbeitern der eidgenössischen Munitions- oder Waffenfabrik, gestützt auf das Bundesgesetz betreffend die Haftpflicht aus Fabrikbetrieb ; 2 davon, wurden abgewiesen, l teilweise gutgeheißen. Bine Schadenersatzklage von Eigentümern von Liegenschaften, welche in der Benutzung derselben durch die Schießübungen der Artillerie aul dem Waffenplatze Frauenfeld beeinträchtigt wurden, hieß das Gericht ebenfalls im Prinzipe gut, sprach aber einen weit unter dem geforderten bleibenden Betrag zu. Ein fünfter Fall betraf eine Schadenersatzklage der Jura-Simplon-Bahngesellschaft aus Art. 14 des Bundesgesetzes betreffend den Bau und Betrieb der Eisenbahnen, welche sich darauf stützte, daß die Gesellschaft auf Anordnung des Bundesrates im Interesse der Landesverteidigungeinige Stationen hatte vergrößern müssen. Den vom Bunde anerkannten Betrag erhöhte das Bundesgericht um ein Geringes. Von den zwei Fällen, auf welche das Bundesgericht nicht eintrat, betraf' der eine eine Schadenersatzklage gegen den Bundesrat, in welcher das im Bundesgesetz vom 9. Dezember 1850 vorgeschriebene Verfahren nicht beobachtet worden war; der zweite beschlug eine Klage der Nordostbahngesellschaft betreffend Nichtgenehmigung einer Statutenänderung durch den Bundesrat; der letztere Entscheid wird in der amtlichen Sammlung veröffentlicht werden. Eine achte Klage, erhoben von einem durch einen Postunfall verletzten Reisenden, fand ihre Erledigung durch Vergleich. Die neunte, gestellt von einem Künstler, dessen Werke nicht zur Kunstausstellung in München, Abteilung Schweiz, zugelassen worden waren, wurde zurückgezogen.

Von den 16 im B e r i c h t s j a h r e e r l e d i g t e n Prozessen zwischen K a n t o n e n einerseits und Privaten oder K o r p o r a t i o n e n a n d e r s e i t s betrafen 6 Schadenersatzklagen aus'behaupteten unerlaubten Handlungen kantonaler Beamten oder Behörden; l eine Schadenersatzklage eines Lehrers, dessen Stelle infolge Verschmelzung zweier Schulen aufgehoben worden war'; l die Haftpflicht des Kantons für die Betreibungsbeamten ; l die Haftpflicht aus Gewerbebetrieb ; l die Haft der Amtsbürgen eines öffentlichen Beamten; 2 Fischereirecht; l die Verpflichtungen des Konzessionärs
einer Saline ; l die Nichtigkeit eines Beschlusses der Generalversammlung einer Aktiengesellschaft; 2 eine Sehiedsvertragklausel.

Die oben als erledigt erwähnte H e i m a t l o s e n s t r e i t i g k e i t wurde angestrengt von einem Privaten gegen einen Kanton, mit

233

dem Begehren, den letztern für den Verlust der deutschen Reichsangehörigkeit des Klägers verantwortlich zu erklären und ihn zu verpflichten, dem Kläger ein schweizerisches Bürgerrecht zu verschaffen. Das Bundesgericht konnte auf diese Klage nicht eintreten, da nach dem Bundesgesetz vom 3. Dezember 1850 es Sache des Bundesrates ist, darüber zu entscheiden, ob eine Person als heimatlos zu erklären ist und ob die Einbürgerung derselben von einem Kanton verlangt werden kann.

Der im Jahr 1897 erledigte P r o z e ß b e t r e f f e n d V e r b i n d u n g s g e l e i s e bezog sich auf die zwischen zwei Gewerbetreibenden vorzunehmende Verteilung der Kosten der Verlegung eines Verbindungsgeleises, welche infolge Umänderung der Nachbarstation notwendig geworden war.

Von den zwei durch V e r e i n b a r u n g der P a r t e i e n an das B u n d e s g e r i c h t g e b r a c h t e n und im Jahr 1897 erledigten Prozessen rührte der eine aus Kauf-, der andere aus Dienstvertrag her.

Die Klage aus Art. 43 des V e r a n t w o r t l i c h k e i t s g e s e t z e s endlich, auf welche das Bundesgericht nicht eintreten konnte, betraf folgenden Fall : Nach Art. 43 des genannten Gesetzes sind Civilklagen, welche von Privaten gegen vom Bundesrat ernannte Beamte wegen gesetzwidriger Amtsführung erhoben werden, zunächst beim Bundesrat anzubringen ; verweigert dieser seine Zustimmung, so kann der Kläger den beklagten Beamten aut dem Civilwege belangen ; er muß aber in diesem Falle vorerst für die entspringenden Kosten eine Kaution leisten, welche vom Bundesgerichte bestimmt wird. Nun glaubte eine fremde Firma, gestützt auf diese Bestimmungen, ihre Schadenersatzklage gegen einen Zolldirektor direkt vor dem Bundesgerichte anhängig machen zu können, davon ausgehend, daß diese Behörde, weil zur Bestimmung der Kaution berufen, auch zum Entscheide in der Sache selbst zuständig sein müsse. Das Bundesgericht hielt aber dafür, daß in Ermanglung einer Gesetzesbestimmung, welche ihm eine derartige Kompetenz zuteilen würde, die kantonalen Gerichte zuständig seien, da deren Gerichtsbarkeit für Streitigkeiten zwischen Privaten die Regel bildet.

Gleichzeitig beschloß das Bundesgericht, die aus dem Verantwortlichkeitsgesetz an dasselbe gelangenden Streitigkeiten, sowie die daraus entspringenden Kompetenzfragen und die Kautionsbestimmung
der II. Abteilung zur Behandlung zuzuweisen.

Die erst- und letztinstanzlich beurteilten Civilsachen verteilen sich folgendermaßen unter die z w e i A b t e i l u n g e n :

234 1. Abteilung. 2. Abteilung.

Von 1896

Total.

herübergenommene

Prozesse 15 24 39 Im Jahr 1897 neu eingegangene 10 16 26 Total 25 40 65 Im Berichtsjahre erledigt . .

15 15 30 Pendent gebliebene 10 25 35 Von den 35 nicht beendigten Fällen ist einer anhängig seit 1888, einer seit 1889, einer seit 1893, zwei seit 1894, einer seit 1895 und 14 seit 1896; die 15 übrigen sind im Berichtsjahre anhängig gemacht worden. Die Gründe der Verspätung der Erledigang der am längsten anhängigen Streitigkeiten sind schon in unserem letztjährigen Geschäftsbericht erwähnt worden.

Ad 2. R e k u r s e g e g e n E n t s c h e i d e der e i d g e n ö s sischen S c h ä t z u n g s k o m m i s s i o n e n in E x p r o p r i a t i o n s Streitigkeiten.

Die Gesamtzahl der Rekurse, welche gegen die Schätzung oder das Verfahren der durch das Bundesgesetz vom 1. Mai 1850 betreffend Abtretung von Privatrechten eingeführten eidgenössischen Schätzungskommissionen ergriffen wurden, belief sich im Berichtsjahre auf 328, wovon 326 gerichtet gegen die Schätzung, 2 gegen das Verfahren. Davon wurden 226 Fälle (225 Rekurse gegen die Schätzung und eine Beschwerde über das Verfahren) aus dem Vorjahre übernommen; 102 Fälle (101 Rekurse und eine Beschwerde) sind neu eingegangen.

Diese Fälle verteilen sich folgendermaßen unter die mit dem Expropriationsrecht ausgerüsteten Anstalten : B u n d (Waffenplätze etc.)

43 Rheinkorrektion 6 Ejjisenbahng es ellschaft en: Nordostbahngesellschaft 161 Gotthardbahngesellschaft 50 Schweiz. Centralbahngesellschaft 17 Vereinigte Schweizerbahnen 7 Rhätische Bahnen 19 Spiez-Erlenbach 20 Arth-Rigi-Bahn 2 Sihlthalbahn l Burgdorf-Thun l -Jungfrau-Bahn l 328

235

Die Art d e r E r l e d i g u n g dieser Fälle ist aus folgender Tabelle ersichtlich: Rückzug oder Gegenstandslosigkeit des Rekurses . . .

19 Erledigung durch Vergleich 3 Erledigung durch Annahme des Urteilsantrages der Instruktionskommission 175 Erledigung-durch Urteil des Gesamtbundesgerichts . . .

17 Gutheißung der Beschwerde l Gegenstandslosigkeit der Beschwerde l Auf das Jahr 1898 übertragene Fälle 112 ~32S Von den im Berichtsjahr nicht erledigten 112 Fällen stammen zwei aus dem Jahre 1895, 50 aus dem Jahre 1896 ; der Rest (60) ist im Jahre 1897 eingegangen.

In den Fällen, wo das Gesamtbundesgericht zu urteilen hatte, ward -- mit Ausnahme eines einzigen -- der Urteilsantrag der Instruktionskommission zum Urteil erhoben.

Ad 3. B e r u f u n g e n g e g e n C i v i l u r t e i l e k a n t o naler Gerichte.

Folgendes war die N a t u r d i e s e r 261 S t r e i t s a c h e n ; Durch das eidgenössische Recht geregelte Materien: Ehescheidungen 21 Haftpflicht der Eisenbahn- und Dampfschiffahrtunternehmungen 10 Haftpflicht aus Fabrik- und Gewerbebetriebe . . . .

31 Obligationenrecht : Simulation l Furchterregung 2 Unerlaubte Handlungen (Art. 50 ff. O.-R.) . . 40 Ungerechtfertigte Bereicherung l Verrechnung l Verjährung l Solidarhaft l Eigentum 5 Pfandrecht 4 Retentionsrecht l Kauf 27 Miete 6 Übertrag 90 62

236 Übertrag Darlehen Kontokorrent Dienstvertrag Werkvertrag Auftrag Maklervertrag Anweisung Handlungsvollmacht Hinterlegung Bürgschaft Einfache Gesellschaft Kollektivgesellschaft Kommanditgesellschaft Aktiengesellschaft Unbenannte Verträge Wechselrecht Firmenrecht Lebensversicherung Unfallversicherung . , Viehversicherung Feuerversicherung

90 3 2 15 8 6 · l l l 2 3 6 l 2 2 3 2 2 l 3 l l

Fabrik- und Handelsmarken Erfindungspatente Muster- und Modellschutz Civilrechtliche Verhältnisse der Niedergelassenen etc. .

Anfechtungsklagen Andere das Schuldbetreibungs- und Konkursgesetz betreffende Fälle

62'

156 2 2 3 l 5

7 238

Durch das k a n t o n a l e oder ausländische Recht geregelte Materien

23 261

Folgende Tabelle giebt Auskunft über die Art der Erl e d i g u n g und die H e r k u n f t der im Berichtsjahre behandelten Berufungen :

2 --

Rückweisung 1 an die kantonale 1 Instanz.

|

1 --· -- 1

Abgewiesen. 1

Ganz 1 oder teilweise 1 gutgehelssen. |

Kantone.

RUckzug 1 oder Vergleich. 1

Inkompltenz oder sonstiges Nichteintreten.

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|

Aargau Appenzell A.-Rh. . .

Appenzoll I.-Rh.

Baselland . . . .

Baselstadt . . . .

Bern (deutscher Teil) ,, (franz. Teil) . .

Freiburg Genf Glarus Graubünden . . . .

Luzern Neuenburg . . . .

Nidwaiden . . . .

Obwalden . . . .

Schaffhausen Schwyz Solothurn . . . .

S t . Gallen . . . .

Tessin Thurgau Uri Waadt Wallis Zug Zürich . . .

Total

_ -- 1 1

2 2 4 -- 1 --· 1 1 1 4 1 --

14 1 -- -- 2 1 4 17 3 11 1 5 7 3 6 14 -- 1 2 2 5 9 1 4 2 -- -- -- 1 2 -- -- 1 3 1 5 1 2 1 1 1 -- 7 11

2 1 3 2 2 1 1 2 -- .-- 1 2 -- 1 -- 2 -- 1 1 2 1 -- -- 2 3 2 -- · 1 -- 1 1 5 6 6 16

--

41

23

53 126

1 -- -- 1 -- 2 1

20 1 1 5 25 21 7 12 28 3 6 18 9 5 2 5 2 5 8 6 5 2 24 3 4 34

13

261

2 -- -- -- -- -- -- 1 1 -- -- --.

-- --

3 -- 2 -- -- -- 1 1

-- -- -- -- -- 1 -- -- --

5

--

Mit Ausnahme einer einzigen, im Oktober eingegangenen, datieren alle anhängig gebliebenen Berufungen aus dem Dezember 1897.

Die 41 Fälle, in welchen das Bundesgericht wegen Inkompetenz oder aus andern Gründen aut die Berufung nicht eintreten konnte, verteilen sieh folgendermaßen:

238

In 19 Fällen war k a n t o n a l e s (15) oder a u s l ä n d i s c h e s (4) Kecht anwendbar. In 11 Fällen richtete sich die Berufung nicht gegen l e t z t i n s t a n z l i c h e kantonale Urteile oder nicht gegen H a u p t u r t e i l e im Sinne des Organisationsgesetzes (z. B.

gegen Rechteöffnungsurteile, Urteile betreffend Arrest oder Nachlaßvertrag). In vier weiteren Fällen erreichte der S t r e i t w e r t nicht das gesetzliche Minimum, in zwei ändern war die Berufung v e r s p ä t e t , in den fünf letzten endlich n i c h t in gesetzlicher F o r m e i n g e l e g t , indem der Berufungskläger die Berufung direkt an das Bundesgericht anstatt an die kantonale Instanz gerichtet, oder keine bestimmten Anträge gestellt, oder endlich -- in den im schriftlichen Verfahren zu beurteilenden Sachen -- die Beilegung einer die Berufung begründenden Rechtsschrift unterlassen hatte. In 35 von diesen 41 Fällen erwies sich die Bestellung eines Referenten nicht als notwendig und wurde die Sache der damit befaßten Abteilung direkt vom Präsidenten derselben unterbreitet.

Von den 53 Fällen, in welchen das kantonale Urteil abgeändert wurde, beschlugen : 5 Ehescheidung; 4 Haftpflicht der Eisenbahn- und Dampfschiffahrtunternehmungen ; 12 Haftpflicht aus Fabrik- und Gewerbebetrieb; 28 Obligationenrecht (unerlaubte Handlungen 10; Eigentum 2: Kauf 4 ; Miete l ; Dienstvertrag 2 ; Werkvertrag 4 ; Auftrag l ; Kommanditgesellschaft l ; unbenannte Verträge l : Unfallversicherung 2) ; l Fabrik- und Handelsmarken; l Erfindungspatente; l Anfechtungsklage; l andere Klage aus dem Schuldbetreibungs- und Konkursgesetz., 53

Von den 5 an die Vorinstanz z u r ü c k g e w i e s e n e n Fällen betrafen : l eine Schadenersatzklage aus unerlaubter Handlung ; 2 Dienstvertrag ; l Handlungsvollmacht ; l Viehversicherung.

Das s c h r i f t l i c h e V e r f a h r e n , das für Sachen, deren Streitwert Fr. 4000 nicht erreicht, vorgeschrieben ist, kam in 66 Fällen zur Anwendung.

Die Berufungen verteilten sich folgendermaßen unter di& b e i d e n A b t e i l u n g e n des Bundesgerichts :

239 1. Abteilung. 2. Abteilung.

Total.

Aus dem Vorjahre herübergenommene Fälle . . . .

N e u eingegangen . . . .

16 ' 182

8 55

24 237

Total Im Berichtsjahre erledigt . .

Pendent geblieben

198 185 13

63 63 --

261 248 13

Was die b u n d e s g e r i c h t l i c h e P r a x i s im eidgenössischen Privatrecht betrifft, so verweisen wir auf unsere A m t l i c h a S a m m l u n g , Band XXIII.

Ad 4. R é v i s i o n s - und E r l ä u t e r u n g s b e g e h r e n .

Das Bundesgericht hatte sich im Berichtsjahre mit 6 Révisions- und l E r l ä u t e r u n g s b e g e h r e n gegen von ihm erlassene Civilurteile zu befassen.

Von den 6 R e v i s i o n s b e g e h r e n wurden zwei verspätet eingereicht, so daß auf sie nicht eingetreten wurde ; 3, wovon eines ein Urteil in einer Bürgerreehtsstreitigkeit zwischen Gemeinden verschiedener Kantone betraf, wurden abgewiesen ; das sechste wurde als begründet erklärt, und es wurde das angefochtene Urteil aufgehoben. Zwei dieser Fälle wurden von der ersten, vier von der zweiten Abteilung behandelt.

Das E r l ä u t e r u n g s b e g e h r e n , welches an das Bundesgericht, und zwar an die zweite Abteilung gelangte, wurde abgewiesen.

Ad 5. K a s s a t i o n s b e g e h r e n .

Auf die beiden im Sinne des Art. 89 des Organisationsgesetzes an das Bundesgericht gelangten Kassationsbegehren trat das Gericht nicht ein, da dieselben nicht gegen ein H a u p t u r t e i l gerichtet waren.

Das eine bezog sich auf einen Beschluß der bernischen Verwaltungsbehörde, das andere auf einen Entscheid der schwyzerischen Nachlaßbehörde, welche nicht als Gerichtsbehörde angesehen werden kann (vgl. Art. 23, Ziff. 3, des Bundesgesetzes betreffend Schuldbetreibung und Konkurs).

Beide Fälle waren bei der ersten Abteilung anhängig.

Ad 6. M o d e r a t i o n s b e g e h r e n .

In vier Fällen wurde die zweite Abteilung des Bundesgerichts zur Festsetzung der Honorare von Anwälten, welche Klienten vor dem Bundesgericht vertreten hatten, angerufen. In dreien dieser

240 Fälle, herrührend aus den Kantonen Nidwaiden, Freiburg und Thurgau, war der Anwalt der die Festsetzung verlangende Teil; im vierten Falle, stammend aus dem Kanton Baselstadt, war es der Klient. Eines der Begehren bezog sich auf eine staatsrechtliche Streitigkeit, die anderen auf Civilstreitigkeiten.

Das Bundesgericht kann nicht umhin, bei dieser Gelegenheit die Bundesversammlung auf das Nichtübereinstimmen des französischen und deutschen Textes des Art. 222, Abs. 3, des Organisationsgesetzes aufmerksam /.u machen : während nach dem französischen Texte das Bundesgericht nur dann zur Festsetzung des Honorars berufen ist, wenn keine Vereinbarung darüber zwischen dem Klienten und dem Anwalte getroffen worden ist, kennt der deutsche Text eine derartige Einschränkung nicht. Aus der Entstehungeschichte des Gesetzes geht indessen hervor, daß der Gesetzgeber trotz der am Texte des früheren Gesetzes (Art. 17 des Gesetzes vom 25. Juni 1880) angebrachten Redaktionsänderung den frühem Grundsatz nicht aufgeben wollte und daß daher, falls eine Vereinbarung zwischen dem Klienten und dem Advokaten betreifend das diesem geschuldete Honorar existiert, diese Vereinbarung zu Grunde zu legen ist.

Beim Bundesgerichte waren im Berichtsjahre weder Rekurse gegen Entscheide des Massaverwalters in Z w a n g s l i q u i d a t i o n e n ,von E i s e n b a h n g e s e l l s c h a f t e n , noch B e s c h w e r d e n b e t r e f f e n d d i e A m o r t i s a t i o n v o n O r d r e - oder I n h a b e r p a p i e r e n anhängig.

II. Strafrechtspflege.

Die A n k l a g e k a m m e r , die K r i m i n a l k a m m e r und das B u n d e s s t r a f g e r i c h t hatten im Berichtsjahre nicht in Thätigkeit zu treten.

Dagegen waren beim K a s s a t i o n s h o f sechs Fälle anhängig, von denen einer aus dem Jahre 1896 übertragen wurde, die ändern fünf neu eingingen. Alle sechs Fälle wurden im Berichtsjahre erledigt. Zwei Begehren betrafen den Schutz der Fabrikund Handelsmarken ; davon wurde das eine, gegen ein Urteil der Luzerner Gerichte, abgewiesen, das andere, gerichtet gegen ein Urteil des Kantonsgerichtes von Schwyz, als unzulässig erklärt, da der Kassationskläger keine bestimmten Anträge gestellt hatte. Zwei bezogen sich auf das Bundesgesetz betreffend das Urheberrecht; sie waren gerichtet das eine gegen ein Urteil der Luzerner, das

241 andere gegen ein solches der Waadtländer Gerichte ; beide wurdea abgewiesen. Ebenso wurde abgewiesen ein Kassationsbegehren des Bundesanwaltes gegen ein Urteil eines Neuenburger Gerichtes, das den Urheber einer Zollübertretung wegen Verjährung freigesprochen hatte. Auf das sechste Begehren, gerichtet gegen ein Urteil der Polizeikammer des Kantons Bern betreffend das Bundesgesetz über Patenttaxen der Handelsreisenden, wurde wegen Verspätung nicht eingetreten.

III. Staatsrechtliche Streitigkeiten.

1*

Natur der Streitsache.

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£| 1. Kompetenzkonflikte zwischen Bundes- und kantonalen Behörden .

2. Staatsrechtliche Streitigkeiten zwischen Kantonen 3. Auslieferungen 4. Beschwerden von Privaten oder Korporationen 5. Einsprachen gegen. Verzichte auf das Schweizerbürgerrecht .

6. Streitigkeiten zwischen dem Bundesrate und den Eisenbahngesellschaften betreffend das Rechnungswesen der letztern 7. Revisionsbegehren Total

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Pendent geblieben.

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Neu 1 eingegangen. |

Die vom Bundesgericht im Jahre 1897 behandelten staatsrechtlichen Streitigkeiten verteilen sich folgendermaßen:

1

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273 320 280 40

Adi. K o m p e t e n z k o n f l i k t e z w i s c h e n B u n d e s - u n d kantonalen Behörden.

Der oben erwähnte Kompetenzkonflikt wurde vom Großen Rate des Kantons Luzern gegen den Beschluß des Bundesrates über Bundesblatt. 60. Jahrg. Bd. II.

16

242 den Wahlrekurs der HH. F. G. Gut und Konsorten in Sursee angehoben. Da diese Sache erst im Oktober 1897 einging und die Instruktion derselben ziemlich weitläufig ist, mußte sie auf das Jahr 1898 übertragen werden.

Ad 2. S t a a t s r e c h t l i c h e S t r e i t i g k e i t e n z w i s c h e n Kantonen.

Die eine dieser im Berichtsjahre erledigten vier Streitigkeiten ist der seit 1894 anhängig gewesene Konflikt zwischen den Kantonen Zürich und Schaffhausen betreffend ihre Hoheitsrechte am Rhein. Das Urteil des Bundesgerichts vom 9. November 1897 (das in der amtlichen Sammlung erscheinen wird) hat sich dahin ausgesprochen, daß sich das Hoheitsrecht des Kantons Scharfhausen von der badischen Grenze oberhalb Schaffhausens bis zu einem etwas unterhalb dieser Stadt, aber noch oberhalb des Rheinfalles gelegenen Punkte, an dem sich ehemals das ,,Urwerf befand, über die ganze Breite des Rheins erstrecke, von diesem Punkte stromabwärts dagegen bis zum ,,Nohla die Grenze zwischen den Kantonen Zürich und Schaffhausen durch die Mitte des Stromes gebildet werde. Dieser Entscheid stützt sich im wesentlichen auf die Auslegung eines Schiedsspruches, der am 7. August 1555 von eidgenössischen Abgeordneten erlassen und von beiden Teilen angenommen worden war.

Von den drei ändern staatsrechtlichen Streitigkeiten zwischen Kantonen betraf eine den Gerichtsstand in Erbschaftssachen, eine die Unterstützungspflicht gegenüber einem zwei Kantonen angehörenden Almosengenössigen, die dritte ein Auslieferungsbegehren von Kanton zu Kanton. Letztere wurde auf gütlichem Wege erledigt, die beiden ersteren durch Urteil.

Ad 3. A u s l i e f e r u n g e n .

Die 8 Auslieferungen, mit denen sich das Bundesgericht zu befassen hatte, wurden verlangt : 2 von Deutschland, l von Baden, l von Frankreich, 3 von Italien, l von Rußland. Die 7 ersten wurden bewilligt, die letzte mußte verweigert ·werden, "weil nicht erwiesen war, daß das Auslieferungsdelikt im Zufluchtskanton des Angeschuldigten eine Strafe von mehr als einem Jahre Gefängnis nach sich ziehen würde, wie es der Auslieferungsvertrag zwischen der Schweiz und Rußland verlangt (vgl. A. S. XXIH, 107 ff.).

Ad 4. B e s c h w e r d e n von P r i v a t e n oder K o r p o r a tionen.

243

Die 295 im Berichtsjahre vom Bundesgericht behandelten staatsrechtlichen Streitigkeiten betrafen : Neu eingegangen.

2 .

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33

184

217

192

25

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27

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1

9

10

7

3

249

295

259

36

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a. Verletzung der Bundesververfassung b. Verletzung von Bundesgesetzen c. Verletzung von Kantons Verfassungen oder kantonalen Gesetzen d. Verletzung von Staatsver-

46

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n

a. Von diesen 217 Rekursen wegen Verletzung der Bundesverfassung bezogen sich auf: Art. 4 (Gleichheit vor dem Gesetze, Rechtsverweigerung) 121 ,, 45 (Niederlassung) 14 ,, 46 [Doppelbesteuerung) 29 ,, 49 und 50 (konfessionelle Artikel) 7 ,, 54 (Recht zur Ehe) l ,, 55 (Preßfreiheit) 11 ,, 58 (Gewährleistung des natürlichen Richters und Verbot von Ausnahmegerichten) 6 ,, 59, Abs. l (Gewährleistung des Gerichtsstandes des "Wohnsitzes für persönliche Ansprachen) . . . . 17 ,, 59, Abs. 2 (Aufhebung des Schuldverhafts) . . . .

3 ,, 61 (Vollziehung von Civilurteilen) 4 ,, 5 der Übergangsbestimmungen (Ausübung der wissenschaftlichen Berufsarten) 4 217

244 b. Die 27 Rekurse wegen Verletzung von Bundesgesetzen betrafen : Bundesgesetz betreffend die Auslieferung von Verbrechern etc.

2 ,, ,, den Civilstand und die Ehe . . . 2 ,, ,, Handlungsfähigkeit 11 Obligationenrecht l Bundesgesetz betreffend die civilrechtlichen Verhältnisse der Niedergelassenen etc 11 27

c. Die Rekurse wegen Verletzung von Kantonsverfassungen lassen sich nicht leicht nach Materien gruppieren, einerseits, weil die verfassungsmäßigen Gewährleistungen je nach den einzelnen Kantonen verschiedenartig sind, anderseits, weil die Rekurrenten sehr häufig die Verletzung nicht einer, sondern mehrerer Verfassungsbestimmungen geltend machen. Die meisten Fälle beziehen sich auf die Gewährleistung des Eigentums oder anderer wohlerworbenen Rechte, auf die Trennung der Gewalten, auf den Grundsatz nulla poena sine lege und auf die den Gemeinden gewährleisteten Rechte.

d. Von den 10 Rekursen wegen Verletzung von S t a a t s v e r t r ä g e n beschlagen : den Niederlassungsvertrag mit Deutschland , 4 den Niederlassungsvertrag mit den Vereinigten Staaten . .

l den Niederlassungsvertrag mit Italien l den Gerichtsstandsvertrag zwischen der Schweiz und Frankreich vom 15. Juni 1869 4 10

Herkunft und Art der Erledigung der 295 in diesem Titel besprochenen Rekurse geht aus folgender Tabelle hervor :

Aargau Appenzell A.-Rh.

Appenzell I.-Rh.

Baselland Baselstadt Bern Freiburg Genf Glarus Graubünden Luzern Neuehburg Nidwaiden Obwalden . . . . .

Schaffhausen Schwyz Solothurn St. Gallen Tessin Thurgau Uri Waadt Wallis Zug Zürich Total

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1

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1 ?, ?, 1

Pendent 1 geblieben, j

Abgewiesen.

Gutgeheissen.

Kantone.

Rückzug oder Gegenstandslosigkeit.

Nichteintreten.

245

5 ?, 1 1

8 2

3 2 ?, 1 1 1

1 4 2 3 1 3

36

2l l 1 1 10 10 45 14 18 3 16 29 4 8 3 5 3 9 6 22 13 11 15 2 4 22 295

Von den 36 p e n d e n t g e b l i e b e n e n R e k u r s e n rührt einer aus dem Jahre 1896 her. Er betrifft einen Fall, in welchem das Bundesgericht durch Vorentscheid den Rekurrenten an den Civilrichter wies und inzwischen das staatsrechtliche Verfahren sistierte. Die übrigen 35 gingen im Jahre 1897 ein, und zwar 3 im April, 3 im Mai, 3 im August, 2 im September, 6 im Oktober, 6 im November und 12 im Dezember. In 6 von diesen Fällen, u. a. auch in den 3 aus dem April herrührenden, haben

246

die Rekurrenten gleichzeitig mit dem staatsrechtlichen Rekurs an das Bundesgericht den Rekurs an den Bundesrat ergriffen, und es haben sich diese beiden Behörden dahin verständigt, daß die Priorität dem Bundesrat zukomme ; da nun in den erwähnten Fällen der Entscheid des Bundesrates am Ende des Jahres noch ausstand, konnte das Bundesgericht sich noch nicht mit der Instruktion derselben befassen. In den ändern schon älteren Fällen erklärt sich die lange Dauer der Instruktion aus der Schwierigkeit der Sache, die eine Replik und Duplik nötig macht, oder daraus, daß der staatsrechtliche Rekurs im Zusammenhange mit einem Civilprozesse steht, der noch nicht rechtskräftig erledigt ist.

Die Gründe des N i c h t e i n t r e t e n s in den 17 obenerwähnten Fällen waren folgende : in 9 Fällen Verspätung, in 2 zu frühzeitiges Ergreifen des Rekurses; in 2 Fällen waren die Beschwerdegründe derart, daß ein Rekurs im Sinne von Art. 178 des Organisationsgesetzes nicht als zulässig erschien, und in l Falle war die Beschwerde nicht gegen eine Verfügung oder einen Erlaß im Sinne der genannten Gesetzesstelle gerichtet; in l Falle hatte der Rekurrent seine Aktivlegitimation nicht dargethan, in einem weiteren war der Rekurs nicht substanziiert, in einem letzten endlich war nicht das Bundesgericht, sondern der Bundesrat zuständig.

Von den 54 als b e g r ü n d e t erklärten Rekursen waren gerichtet: 2 gegen Erlasse der kantonalen gesetzgebenden Behörde, 36 gegen Beschlüsse der Vollziehungs- oder Verwaltungsbehörden, und 16 gegen Beschlüsse oder Erkenntnisse der gerichtlichen Behörden.

Betreffend die N a t u r der S t r e i t s a c h e bezogen sich diese Fälle : 14 auf Art. 4 der Bundesverfassung (RechtsverWeigerung), 5 ,, ,,45 ,, ,, (Niederlassung), 10 ,, ,, 46 ,, ,, (Doppelbesteuerung), 2 ,, n 49 und 50 der Bundesverfassung (konfessionelle Artikel), l ,, ,, 54 der Bundesverfassung (Recht zur Ehe), 3 ,? ,, 59, Abs. l, der Bundesverfassung (Gerichtsstand des Wohnortes), 1 ,, ,, 61 derBundesverfassung(VollziehungvonCivilurteilen), 3 ,, ,, 5 der Übergangsbestimmungen zur Bundesverfassung (Ausübung der wissenschaftlichen Berufsarten), 8 ,, Verletzung von Kantonsverfassungen, 2 ,, das Bundesgesetz betreffend die Auslieferung von Verbrechern etc., 49 Übertrag.

247

49 Übertrag.

l auf das Bundesgesetz betreffend Handlungsfähigkeit, l ,, ,, ,, ,, civilrechtliche Verhältnisse der Niedergelassenen etc.

l ,, den Niederlassungsvertrag mit den Vereinigten Staaten.

1

l

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-n -n f> Italien.

,, Gerichtsstandsvertrag zwischen der Schweiz und Frankreich vom 15. Juni 1869.

54

Die meisten der auf diese Rekurse bezüglichen Entscheidungen linden sich in unserer amtlichen Sammlung abgedruckt, auf welche wir verweisen. Immerhin wollen wir nicht unterlassen, Sie auf die relativ hohe Zahl der gutgeheißenen Rekurse betreffend Doppelbesteuerung aufmerksam zu machen : gutgeheißen wurden 10 von 29, anstatt im Jahr 1896 nur 3 von 18, im Jahr 1895: 2 von 10, im Jahr 1894: 6 von 12, 1893: 5 von 21, 1892: 4 von 9, 1891: 2 von 9. Es dürfte angesichts der zahlreichen großen industriellen Unternehmungen, die häufig gewisse Produkte in diesem, gewisse andere in jenem Kanton herstellen, angezeigt sein, die Steuerrechte der Stände auf dem Wege der Gesetzgebung zu regeln. Bei diesem Anlasse könnten auch Steuerverhältnisse gewisser Unternehmungen, die ihrer Natur nach regelmäßig successive auf dem Gebiete mehrerer Kantone betrieben werden, wie Schlafwagen, Restaurationswagen, Dampfschiffrestaurationen u. dgl., gesetzlich geordnet werden.

In 20 Fällen, in welchen der Rekurs sich von vornherein als unzulässig oder als unbegründet erwies, wurde die Bestellung eines Referenten nicht als notwendig erachtet, und die Sache der zweiten Abteilung direkt von ihrem Präsidenten unterbreitet.

Beim Präsidenten der zweiten Abteilung gingen überdies 45 Gesuche betreffend v o r s o r g l i c h e V e r f ü g u n g e n im Sinne des Art. 185 des Organisationsgesetzes ein. Davon wurden 13 abgewiesen, 28 bewilligt (24 deshalb, weil die Gegenpartei nicht opponierte), auf 4 wurde, weil gegenstandslos geworden (3) oder aus ändern Gründen nicht eingetreten.

Ad5. Einsprachen gegen Verzichte auf das Schweizerbürgerrecht.

Wir glauben die durch Art. 7 des Bundesgesetzes betreffend den Erwerb und Verlust des Schweizerbürgerrechts vom 3. Juli 1876 und Art. 180, Ziff. l, des Organisationsgesetzes dem Bundesgerichte

248

zugewiesenen Streitigkeiten betreffend die Entlassung aus dem Schweizerbiirgerrecht in einer besondern Rubrik erwähnen zu sollen, da sie sich nicht als eigentliche Rekurse darstellen, sondern dem Bundesgericht von Amtes wegen zu übermitteln sind. Von den drei hierher gehörigen, im Berichtsjahre behandelten Fällen wurden zwei, herrührend aus den Kantonen Schwyz und Graubünden, durch Abweisung der Einsprache der Heimatgemeinde erledigt ; es handelte sich um Schweizer, die nach den Vereinigten Staaten ausgewandert waren. Der dritte Fall, der erst im Dezember beim Bundesgericht eingelaufen war, mußte auf das Jahr 1898 hinübergenommen werden.

Ad6. Rechnungswesen der Eisenbahngesellschaften..

Die einzige im Berichtsjahre vor das Bundesgericht gebrachte diesbezügliche Streitigkeit konnte nicht erledigt werden. Es ist dies ein Rekurs der Gotthardbahngesellschaft betreffend Einlagen in den Erneuerungsfonds.

Ad 7. R e v i s i o n s b e g e h r e n .

Von den 8 Revisionsbegehren, die sich auf staatsrechtliche Urteile bezogen, wurden 5 durch Abweisung, 2 durch Nichteintreten erledigt, das achte auf das Jahr 1898 übertragen.

IY. Oberaufsicht über das Schuldbetreibungs- und Konkurswesen.

Die Gesamtzahl der im Berichtsjahre anhängigen Rekurse betrug 191 ; davon waren aus dem Vorjahre übernommen 6, im Laufe des Jahres eingegangen 183. Erledigt wurden im Jahre 1897 185 Beschwerden, so daß auf das Jahr 1898 übertragen wurden 6 Fälle.

Was die Natur der Beschwerden anbelangt, so bezogen sich : 3 auf die Organisation der Betreibungs- und Konkursämter oder die Pflichten der betreffenden Beamten, 11 auf Rechtsverweigerung oder Rechtsverzögerung, 4 auf die Art der Betreibung, 7 auf den Ort der Betreibung, 2 auf die Ferien und Rechtsstillstände, 10 auf Zahlungsbefehle, 7 auf Rechts verschlag, 6 auf Rechtsöffnung, 50 Übertrag.

249 50 Übertrag.

34 auf Pfändung, Vollziehung derselben, und unpfändbare Gegenstände, 17 auf Lohnpfändung, 4 auf Anschlußpfändung, 9 auf Eigentums- oder Pfandansprachen am Pfändungsgegenstand, 8 auf Verwertungsbegehren, 4 auf Verwertung beweglicher Sachen oder Forderungen, 12 auf Verwertung von Liegenschaften, 2 auf Kollokation und Verteilung im Pfändungsverfahren, 5 auf die gewöhnliche Konkursbetreibung, 3 auf Wechselbetreibung, 3 auf Konkurserkenntnisse, 10 auf Konkursverwaltung, 12 auf Verwertung der Konkursmasse, l auf die Verteilung im Konkurse, 3 auf Arrest und seine Vollziehung, 4 auf besondere Bestimmungen über Pacht und Miete, 5 auf Nachlaßvertrag, l auf Verlustschein, 3 auf Betreibungskosten, l auf die Übergangsbestimmungen zum Schuldbetreibungs- und Konkursgesetz.

191

Über die V e r t e i l u n g der Geschäfte nach K a n t o n e n und über das S c h i c k s a l der Beschwerden giebt die folgende Tabelle Auskunft :

Aargau Appenzell A.-Rh Appenzell I.-Rh Baselland Baselstadt Bern (deutscher Teil) Bern (französischer Teil) Freiburg Genf Glarus Graubünden Luzern Neuenburg Nidwaiden Obwalden Schaffhausen Schwyz Solothurn St. Gallen Tessin Thurgau Uri Waadt Wallis Zug Zürich Total

Begründet erklärt.

Kantone.

RUckzug oder Gegenstands- 1 losigkeit.

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Nichteintreten.

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6 191

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251 Die Gründe, aus welchen die Schuldbetreibungs- und Konkurskamrner in 28 Fällen auf die Beschwerde nicht eintrat, waren folgende: in 16 Fällen I n k o m p e t e n z der Kammer (weil es sich um Beschwerden gegen Entscheidungen von Gerichts- oder Nachlaßbehörden oder auch von Verwaltungsbehörden handelte oder nicht die Beschwerde, sondern gerichtliche Klage das zutreffende Rechtsmittel war), in 4 Fällen V e r s p ä t u n g der Beschwerde; in 6 Fällen sonstige f o r m e l l e M ä n g e l derselben (Nichteinhaltung des Instanzenzuges u. s. w.), in 2 Fällen m a n g e l n d e Legitimation des Beschwerdeführers.

Die 31 für b e g r ü n d e t ' e r k l ä r t e n Beschwerden betrafen folgende Gegenstände: 3 Rechtsverweigerung, bezw. ungerechtfertigtes Nichteintreten der kantonalen Aufsichtsbehörde auf die Sache, 1 die Art der Betreibung, 2 den Ort der Betreibung, 2 Zahlungsbefehle, 2 Rechtsvorschlag, 1 Rechtsöffnung, 12 Pfändung, deren Vollzug, Unpfändbarkeit gewisser Sachen, 2 Lohnpfändung, l Wechselbetreibung, 1 Verwertung von beweglichen Sachen oder Forderungen, 2 ,, Liegenschaften, fl l Betreibungskosten, l besondere Bestimmungen über Miete und Pacht.

JE

In fünf dieser Fälle mußte die Sache an die kantonale Aufsichtsbehörde zur Ausfällung eines neuen Entscheides unter Zugrundelegung des Urteils der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zurückgewiesen werden.

Hinsichtlich der R e c h t s s p r e c h u n g der Schuldbetreibungsund Konkurskammer verweisen wir auf die Amtliche Sammlung der bundesgerichtlichen Entscheidungen, wo die Entscheidungen, welche ein allgemeines Interesse besitzen, abgedruckt sind. Über ·die Wirksamkeit des Betreibungs- und Konkursgesetzes versprechen wir uns, wie bereits bemerkt, wertvolle Aufschlüsse von der eingeleiteten eidgenössischen Betreibungsstatistik. Zur Zeit möchten wir nur bemerken, daß es der Erwägung wert sein dürfte, zu untersuchen, ob nicht die L o h n p f ä n d u n g (ähnlich wie dies in

252

ändern Staaten geschehen ist) e i n e r e i n g e h e n d e m , s p e c i a l g e s e t z l i e h e n R e g e l u n g u n t e r w o r f e n werden sollte, wobei gleichzeitig auch zu bestimmen wäre, ob und inwieweit noch nicht verdienter Arbeitslohn gültig abgetreten werden kann. Eine specialgesetzliche Regelung dieser Materie läge wohl im Interesse aller Beteiligten und speciell im Interesse einer einheitlichen Rechtsanwendung.

Außer den angeführten Rekursen hatte die Schuldbetreibungsund Konkurskammer sich noch mit einer größeren Anzahl von Gesuchen um Wegleitung und sonstigen Anfragen, die teils von Privaten, teils von Betreibungs- und Konkursämtern ausgingen, zu beschäftigen. Dieselbe hat diesen Gesuchen und Anfragen gegenüber stets an dem Standpunkte festgehalten, daß sie dieselben materiell nicht beantworten könne, sondern sich auf die Entscheidung der im gesetzlichen Wege an sie gelangten Beschwerden beschränken müsse. In der That wäre es ja auch mit der Stellung der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer als Rekursinstanz nicht vereinbar, wenn dieselbe ihre Ansicht über Fälle, welche im Beschwerdewege an sie gebracht werden können, außerhalb des gesetzlichen Verfahrens, auf Anfrage von Privaten oder Betreibungsund Konkursämtern aussprechen würde ; es wäre dies um so mißlicher, als bei solchen Anfragen der Thatbestand erfahrungsgemäß recht häufig in unrichtiger oder doch unvollständiger Weise dargestellt wird. Eine, auf Veranlassung einer kantonalen Regierunggestellte Anfrage des eidgenössischen Justiz- und Polizei départements, ob in Kantonen, wo Betreibungs- und Konkursamt getrennt organisiert sind, eine einzelne durch das Bundesgesetz den Konkursämtern zugewiesene Funktion (die Bereinigung erbloser Verlassenschaften) kantonalrechtlich den Betreibungsämtern zugewiesen werden könne, hat das Bundesgericht verneinend beantwortet.

Eine größere Anzahl von Beschwerden, welche unter Umgehung der kantonalen Instanzen direkt an die Schuldbetreibungsund Konkurskammer gerichtet wurden, sind (unter Benachrichtigungdes Beschwerdeführers) kurzer Hand den zuständigen kantonalen Behörden übermittelt worden.

T. Freiwillige Gerichtsbarkeit.

Die Erledigung der Liquidation der Brieiiz-Rothhorn-Bahn, die wir im Berichtsjahre erhofft hatten, war leider noch nicht möglich, weil die privilegierten Gläubiger sich nicht geneigt zeigten, die anhängigen Prozesse auf ihre Rechnung durchzuführen. Der Liqui-

253

dator glaubte unter diesen Umständen einfach auf die Durchführung verzichten zu sollen. Sein Schlußbericht ging in den letzten Tagen des Monats Dezember beim Bundesgericht ein, mit der Liquidationsrechnung. Bericht und Rechnung wurden inzwischen von einem Experten nachgeprüft und richtig befunden, so daß deidefinitive Schluß der Liquidation demnächst wird erklärt werden können.

Im Monat November teilte die Elektrische Straßenbahn-Gesellschaft von St. Moritz (Engadin) dem Bundesgericht mit, daß ihre Passiven ihre Aktiven übersteigen. Gleichzeitig bat sie, die Zwangsliquidation und die Ernennung eines Liquidators möchten verschoben werden, da zwischen den Hauptbeteiligten Unterhandlungen betreffend Rekonstituierung der Gesellschaft auf einer ändern Grundlage schwebend seien. Das Bundesgericht entsprach diesem Verschiebungsgesuche, da die sich mit demselben einverstanden erklärenden Gläubiger nahezu 99 °/o des gesamten Passivums repräsentierten, und die Straßenbahn im Winter überdies nicht im Betriebe steht. Inzwischen hat es jedoch den Kreispräsidenten von Oberengadin damit beauftragt, über die notwendigen vorsorglichen Maßnahmen zu wachen.

Endlich ist unter dieser Rubrik noch zu erwähnen, daß das Bundesgericht im Berichtsjahre sieh mit einem, gemäß Art. l des Garantiegesetzes vom 23. Dezember 1851 und Art. 15 des Organisationsgesetzes, gestellten Gesuche um Bewilligung der strafrechtlichen Verfolgung zu befassen hatte. Das Gesuch wurde als ein mutwilliges abgewiesen.

Tl. Zusammenstellung und mittlere Dauer der Streitsachen.

Folgende Tabelle giebt eine Übersicht über die beim Bundesgericht im Berichtsjahre anhängigen Sachen, verglichen mit dem Vorjahre, sowie über die im gleichen Jahre erledigten Geschäfte :

254 Gesamtzahl der Geschäfte.

Erledigt.

Natur der Streitsachen.

I. Civilsachen : 1. Erst- und letztinstanzliche Prozesse 2 . Expropriationen . . . .

3. R ekursegegen Entscheide des Massaverwalters in Zwangsliquidationen von Eisenbahnen 4. Berufungen 5. Revisions- und Erläuterungsbegehren 6. Kassationsbegehren .

7. Moderationsbegehren .

II. Strafsachen: 1. Kassationsbeschwerden .

III. Staatsrechtliche Streitigkeiten: L. Kompetenzkonflikte zwischen Bundes- und kantonalen Behörden 2. Staatsrechtliche Streitigkeiten zwischen Kantonen .

3 . Auslieferungen . . . .

4. Beschwerden von Privaten und Korporationen 5. Verzicht auf das Schweizerbürgerrecht ') 6. Rechnungswesen der Eisenbahnen 7. Revisionsbegehren *) .

IV. Beschwerden betreffend das Schuldbetreibimgs- und Konkurswesen .

1896.

1897.

1896.

1897.

61

506

65 328

22 280

30 216

10 247

-- 261

10 223

-- 248

8 4 --

7 2 4

8 3 --

7 2 4

6

6

5

6

2

1

2

3 6

4 8

2 6

4 8

248

295

202

259

4

3

4

2

1

1 8

1

7

200 185 1 2 V. Freiwillige Gerichtsbarkeit .

3 970 979 Total 1315 1187 ') Im Geschäftsberichte für das Jahr 1896 waren diese Geschäfte unter Rubrik 4 (Beschwerden von Privaten und Korporationen) aufgezählt.

206

191 3

255

Aus dieser Zusammenstellung geht hervor, daß die G e s a m t z a h l der G e s c h ä f t e des Berichtsjahres um 128 hinter derjenigen des Vorjahres zurückbleibt. Diese Verminderung rührt wesentlich davon her, daß die Anzahl der Expropriationen im Berichtsjahre geringer war als im Vorjahre ; für die übrigen Fälle übersteigt die Zahl pro 1897 diejenige für das Vorjahr um 50, indem sie im ganzen 859 (anstatt 809) beträgt.

Erledigt wurden im Berichtsjahre 979 Geschäfte, gegenüber 970 im Vorjahre, also 9 mehr.

' Nach den drei N a t i o n a l s p r a c h e n verteilen sich die im Jahre 1897 behandelten Geschäfte folgendermaßen : Gesamtzahl der behandelten Geschäfte: Deutsche Schweiz . . 919, d.h. 77 Va % Französische Schweiz . 218, d. h. 18 Va % Italienische Schweiz .

50, d. h. 4 %

1187

100 °/o

Behandelte Geschäfte abzüglich der Expropriationen: Deutsche Schweiz . .

595, d. h. 69 % Französische Schweiz *) . 218, d. h. 26 % Italienische Schweiz .

46, d. h. 5 °/o 859

100 %

Was die m i t t l e r e D a u e r der Streitsachen anbetrifft, so hat die mit der Prüfung des letztjährigen Geschäftsberichts des Bundesgerichts betraute ständerätliche Kommission mit Recht hervorgehoben, daß aus den bisherigen diesbezüglichen Tabellen nicht genau zu ermitteln war, wie lang im allgemeinen die Dauer der Geschäftsbehandlung ist. In der That können Geschäfte sehr lange Zeit, andere ausnahmsweise kurze Zeit anhängig sein, und es ist nicht gesagt, daß gerade das aus der Anhängigkeit aller Geschäfte gezogene Mittel für die Mehrzahl der Geschäfte die wirkliche Dauer der Anhängigkeit anzeige. Wir haben daher für den Geschäftsbericht für das Jahr 1897 die verschiedenen Kategorien der Streit') Aus dem französischen Landesteil sind im Berichtsjahre keine Expropriationen eingegangen.

256

Sachen in verschiedenen Gruppen, die je eine bestimmte Zeitdauer der Erledigung umfassen, untergebracht; die Prüfung dieser Zusammenstellung dürfte unseres Erachtens zeigen, daß die Streitsachen, deren Erledigung lange Zeit in Anspruch nahm, relativ selten sind. Übrigens haben wir im Vorhergehenden auseinandergesetzt, von wann die auf das Jahr 1898 übertragenen Geschäfte datieren und weshalb für einige derselben (speciell für erst- und letztinstanzliche Prozesse) die Erledigung verzögert werden mußte.

Die nachfolgende Tabelle zeigt die Dauer der im Berichtsjahre erledigten Geschäfte :

Dauer bis zum Urteil

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Natur der Streitsachen.

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£ esi I. Civüsachen.

1. Erst- und letztinatanzliche Prozesse .

. . .

2. Expropriationen 3. Berufungen 4. Revisions- und Erläuterungsbegehren 5 . Kassationsbegehren . . . .

6. Moderationsbegehren . . .

11. Strafsachen.

Kassationsbeschwerden . . .

IH.StaatsrechtlicheStreitigkeiten.

1. Zwischen Kantonen . . .

2 Auslieferungen 3. Beschwerden von Privaten and Korporationen . . . .

4. Verzicht auf das Schweizer-

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7 2 -- -- 4 IV. Beschwerden betr. Schuldbetreibungs- und Konkurswesen 185 8 -- -- 78 49 50 _ V. Freiwillige Gerichtsbarkeit , 1 -- -- li- -- Total 979 152 196 218 150 31 37 Verhältnis 100% 16°/o 20°/o.22°/o 15°/o 3°/o;4°/o

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Aus dieser Übersicht ergiebt sich, daß von den im Berichtsjahre erledigten Geschäften mehr als l/a im Laufe eines Monats nach ihrem Eingang erledigt wurden, mehr als die Hälfte in zwei Monaten, ungefähr 2/s in sechs Monaten, und daß die Fälle, -welche länger als ein Jahr anhängig waren l/io der Gesamtzahl der Geschäfte ausmachen.

Es mögen noch einige Bemerkungen betreffend die ausnahmsweise lange anhängig gebliebenen Fälle hier Platz finden.

Von d e n e r s t - u n d l e t z t i n s t a n z l i c h e n P r o z e s s e n beanspruchte der oben erwähnte Prozeß der Jura-Simplon-Bahu gegen den Bund die längste Dauer (32 Monate 15 Tage), die zweitlängste (29 Monate 3 Tage) ein Prozeß zwischen Stadt und Kanton Zug, betreffend Fischereirecht auf dem Zugersee. In beiden Fällen waren Expertisen notwendig ; ebenso in einigen ändern Geschäften, die mehr als ein Jahr anhängig waren.

Die lange Dauer einiger E x p r o p r i a t i o n e n (l 1/a Jahre, 2 Jahre und mehr) beruht hauptsächlich auf folgenden Gründen : Vorerst kann der Augenschein, den die Instruktionskommission des Bundesgerichts aufnehmen muß, mit Nutzen nur in der guten Jahreszeit stattfinden, so daß sie bei einer Expropriationssache, die am Anfang des Winters eingeht, fast immer bis zum Frühjahr mit dem Augenschein warten muß. Sodann verzögert sich bisweilen der Eingang der Expertenberichte. Endlich ist es in gewissen Fällen, z. B. wenn es sich um die Ermittlung des Minderwerts einer von einer Eisenbahn durchschnittenen Liegenschaft handelt, empfehlenswert, die vollständige Beendigung der Arbeiten vor Fällung des Urteils über die Entschädigung abzuwarten.

In den zwei Fällen, wo B e r u f u n g e n in Civilsachen länger als 6 Monate anhängig geblieben, waren vorerst durch andere Gerichtsbehörden konnexe Fragen zu entscheiden.

Die für die staatsrechtlichen S t r e i t i g k e i t e n zwischen Kantonen angegebene Maximalziffer (43 Monate 18 Tage) bezieht sich auf den Prozeß zwischen den Kantonen Zürich und Schaffhausen, betreffend Hoheitsrechte am Rhein. Die Redaktion und Zustellung des sehr umfangreichen in dieser Sache gefällten Urteils nahm beinahe vier Monate in Anspruch, und dieser Umstand hat die in der Tabelle angegebene mittlere Dauer für die ändern Fälle beträchtlich erhöht.

Bei den staatsrechtlichen Beschwerden von Privaten oder K o r p o r a t i o n e n betrifft die Maximaldauer (25 Monate 15 Tage) einen Fall, in welchem der Rekurrent gleichzeitig an

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den Bundesrat und an das Bundesgericht gelangte. Da die Priorität der erstem Behörde zuerkannt wurde, blieb das Geschäft beim Bundesgerichte anhängig, ohne instruiert werden zu können. Der Entscheid des Bundesrates lautete für den Rekurrenten günstig, so daß er schließlich seine beim Bundesgerichte eingelegte Beschwerde zurückzog. Eine analoge Sachlage kam noch in ändern Fällen vor und schob auch dort den Zeitpunkt der Urteilsfällung für das Bundesgericht hinaus.

Überdies werden die Bemühungen des Bundesgerichts, dit; Instruktion der Geschäfte zu beschleunigen, nicht immer von den Parteien unterstützt. Aber auch abgesehen von diesen, ober seltenen Fällen können Zufälligkeiten, wie Tod oder Konkurs einer der Parteien, Zusammenhang der vor das Bundesgericht gebrachten Streitsache mit einer vor einer ändern Behörde anhängigen, endlich Krankheit des Instruktionsrichters oder eines Experten, unvermeidliche Zögerungen verursachen.

Genehmigen Sie, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, die Versicherung unserer ausgezeichneten Hochachtung.

L a u s a n n e , den 12. März 1898.

Im Namen des Schweiz. Bundesgerichts, De r P r ä s i d e n t : Charles Soldan.

Der Gerichtsschreiber : Honegger.

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Bericht des schweizerischen Bundesgerichts an die Bundesversammlung über seine Geschäftsführung im Jahre 1897. (Vom 12. März 1898.)

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1898

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26.03.1898

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