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Schweizerische Bundesversammlung,

Die gesetzgebenden Räte der Eidgenossenschaft sind am 5. Dezember 1898 zur ordentlichen Wintersession zusammengetreten.

Neugewähltes Mitglied : Nationalrat.

Herr G o t t o f r e y , Vincent, Kantonsgerichtspräsident, von Estavayer-le-lac, in Freiburg.

Im N a t i o n a l rat eröffnete Herr Präsident A. Thélin dio Session mit folgenden Worten : Meine Herren !

Der gestrige Tag bedeutet einen Tag der Trauer für den Kanton Genf und für die Schweiz. Das Genfer Volk, die Vertreter der eidgenössischen Räte und der Kantonsregierungen waren nach Genf gekommen, um Herrn Alexander Gavard, Mitglied des Ständerates und des Staatsrates von Genf, dessen Präsident er soeben noch gewesen war, die letzte Ehre zu erweisen und ihn zur letzten Ruhestätte zu geleiten. Alexander Gavard, geboren in Perly, Kanton Genf, am 25. März 1845, als Sohn eines bescheidenen, tüchtigen Primarlehrers, zeigte früh schon große Freude am Studium und wurde schon im Alter von 19 Jahren an die Stelle eines Lehrers am Kollegium von Carouge berufen. Seine ausnahmsweisen pädagogischen Fähigkeiten verschafften ihm bald darauf die Stelle eines Klassenlehrers am Genfer Kollegium. Im Jahre 1872 zum Sekretär des Departements des öffentlichen Unterrichtes ernannt, blieb er auf diesem Posten bis 1877, in welchem Jahre er von seinen Mitbürgern als Nachfolger des verstorbenen Herrn Ormond in den Staatsrat gewählt wurde. In dieser Behörde saß er bis 1889.

Im letzten Jahre berief ihn das Genfer Volk neuerdings in die Regierung. Dem Genfer Großen Rat gehörte Gavard von 1874 mit einer Unterbrechung von zwei Jahren bis zu seinem Tode an.

Auf eidgenössischem Boden wurde Gavard im Jahre 1885 in den

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Nach einer Unterbrechung von sieben Jahren trat er zum zweitenmale in den Staalsrat, diesmal direkt vom Volke mit imposanter Mehrheit gewählt. Während der letzten Periode hat er in hohem Maße dazu beigetragen, in der Diskussion über die Versicherungsentwürfe eine Verständigung mit den GegenseitigkeitsGesellschaften der französischen Schweiz herbeizuführen. Obschon seit mehreren Monaten krank, schien Gavard doch nicht so bald von uns gehen zu müssen. Man lebte gern der Hoffnung, einige Wochen der Ruhe in einem milderen Klima würden hinreichen, um seine Gesundheit wieder zu kräftigen. Es sollte nicht sein !

Gavard ist unvermutet Mittwoch den 30. November, morgens, in Nizza dahingeschieden. Die Trauerkunde von dem Ableben des hervorragenden, uneigennützigen Mannes traf wie ein Blitzschlag in Genf ein und fand einen schmerzlichen Wiederhall in der ganzen Schweiz. Die Presse aller politischen Parteien ist einig darin, ihrem tiefen Beileid und ihrem Bedauern über den grossen Verlust Ausdruck zu geben. Mögen diese Kundgebungen aufrichtiger Sympathie dazu beitragen, die Familie des Dahingegangenen in ihrem tiefen Schmerze zu trösten. In allen seinen Lebensstellungen hat Alexander Gavard seinem Kanton und seinem schweizerischen Vaterlande gewissenhafte Dienste geleistet. Meine Herren, ich lade Sie ein, zu Ehren des Verstorbenen sich von Ihren Sitzen zu erheben !

Im S t ä n d e r a t hielt bei der Sessionseröffnung Herr Präsident Hildebrand iolgende Ansprache : Geehrte Herren Ständeräte !

Erlauben Sie mir, meine Herren, vor Eintreten auf die Verhandlungen mit einigen Worten derjenigen Ereignisse zu gedenken, welche seit Beendigung der außerordentlichen Herbstsession in unserem Vaterlande sich zugetragen und der Erwähnung wert sind: Am verflossenen 13. November ist der erste entscheidende Schritt gethan worden, um ein seit Jahren gestelltes Postulat, für

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dessen Förderung seit langem die nötigen Vorarbeiten gemacht worden sind, endlich zur Erfüllung bringen zu können. Am bezeichneten Tage hat das Schweizervolk dem Bunde das Recht zur Gesetzgebung auf dem Gebiete des Civilrechtes und des Strafrechtes übertragen. Unerwartet groß war die Mehrheit derjenigen Schweizerbürger, welche dieser Erweiterung der Kompetenzen des Bundes zustimmten.

Zahlreich waren die Gründe, welche diese große Anzahl der Schweizerbürger bewogen haben, sich für Umgestaltung der bisherigen Rechtsordnung auszusprechen : Vorerst war es das Ideal, den Bund der Eidgenossen zu kräftigen, das Bewußtsein der Zusammengehörigkeit der verschiedenen schweizerischen Völkerschaften zu stärken und das Ansehen der Schweiz im Auslande zu mehren.

Sodann war es die Erwartung, daß dadurch der Verkehr aller Volksklassen von Thurgaus schönen Gefilden bis zur reichen Stadt am Leman und vom Jura bis an die Grenzen der bündnerischen Berge derart erleichtert werde, daß jedweder Schweizer, der ferne wohnt am Orte wo seine und seines Vaters Wiege stand, sich doch heimisch fühlt auf jedem Fleck schweizerischer Erde.

Ferner war es die Hoffnung, daß soweit möglich im neuen schweizerischen Rechtsgebäude ein passender Raum angewiesen werde den Gewohnheiten und den bisherigen Rechtsauffassungen der verschiedenartigen Kreise der Bevölkerung.

Schließlich war es bei Vielen auch die Zuversicht, daß Nichts in diese Gesetzgebung ein/ließe, was geeignet wäre, die religiösen Anschauungen eines Teiles des Volkes zu verletzen.

Wenn der Gesetzgeber alle berechtigten bei dieser Volksabstimmung gestellten Postulate bei Ausarbeitung der Gesetze berücksichtigt, wenn er ein eigentliches Volksrecht schafft, so wird das Reis, welches auf den Boden der Bundesverfassung verpflanzt worden ist, rasch und gesund sich entwickeln und bald diejenigen Früchte zeitigen, welche alle Freunde der Rechtseinheit erwarten.

Um dieses zu erreichen, bedarf es des Zusammenwirkens aller Freunde des Vaterlandes, auch derjenigen, welche aus mancherlei Befürchtungen der am 13. November beschlossenen Verfassungserweiterung gegenüber sich ablehnend verhielten. Hoffen wir, daß Keiner, der berufen ist, mitzuhelfen am Ausbau der civil- und strafrechtlichen Gesetzgebung, seine Mitwirkung versage.

Nachdem der entscheidende Schritt gethan und das Gesetzgebungsrecht für Privat- und Strafrecht dem Bunde übertragen ist,

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wird eine Stagnation in der bezüglichen kantonalen Gesetzgebung eintreten, die zu Unannehmlichkeiten verschiedener Art führt, wenn der Bund nicht bald von seinem Gesetzgebungsrecht Gebrauch macht.

Hoffen wir daher, daß diese Gesetzgebungsarbeiten von den Bundesbehörden zwar bald begonnen, aber nicht mit Hast, sondern in ruhiger Überlegung zum Wohle des Vaterlandes durchgeführt werden.

Geehrte Herren Ständeräte !

Schon letztverflossene Session war unser Kollege Herr Ständerat Gavard wegen Krankheit verhindert, an den Sitzungen des Rates teilzunehmen.

Am 27. November noch richtete derselbe ein eigenhändiges Schreiben an Ihren Herrn Präsidenten, um seine Abwesenheit in der Dezember-Session zu entschuldigen, weil er zur Wiederherstellung seiner Gesundheit nach dem Süden reisen müsse.

Schon am 30. November verbreitete sich in Genf die Trauerkunde, daß Staatsratspräsident Gavard in Nizza plötzlich gestorben sei, und diese Kunde verbreitete sich rasch im ganzen Schweizerland, denn weit über die Grenzen seines Heimatkantons hinaus war der Name Gavards bekannt; war bekannt dessen herkulische Gestalt, dessen energische Physionomie, war bekannt seine enorme Arbeitskraft, von der er einen großen Teil dem Dienste des Vaterlandes opferte.

Alexander Gavard war geboren den 25. März 1845. Er genoß eine vortreffliche Bildung, war aber stetsfort unermüdlich, um den Umfang seines Wissens zu erweitern.

Von Jugend auf widmete er sich dem Lehramtsfache und war, auch als er sich im Lehrerberuf nicht mehr bethätigte, besonders darauf bedacht, für Hebung der Volksbildung das möglichste zu thun. Es war sein Ideal bis an sein Lebensende, die Volksbildung zu vervollkommnen.

Gavard trat, nachdem er einige Zeit hindurch das Sekretariat im Departement des Erziehungswesens seines Heimatkantons besorgt hatte, 1873 in den Staatsrat ein. In demselben hatte er sich durch sein Talent und seine Arbeitskraft bald eine führende Rolle erworben.

Von 1885 bis 1889 war Gavard Mitglied des Ständerates und wurde im Jahre 1887 als Präsident desselben gewählt.

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Trotz seiner hervorragenden Leistungen im Gebiete seines Heimatkantons und im schweizerischen Parlamente unterlag er im Jahre 1889 bei den genferischen Wahlkämpfen.

Aber seine Verdienste blieben der genferischen Bevölkerung unvergessen. Der Beweis dafür liegt in dem glänzenden Zutrauensvotum, welches ihm 1896 erteilt wurde und welches ihn veranlaßte, wieder in den Ständerat und in den Staatsrat zurückzukehren.

Das Volk des Kantons Genf weiß die hohen Verdienste, welche sich Herr Gavard um das öffentliche Wohl erworben hat, zu schätzen. Es hat den Beweis geleistet durch die allgemeine Trauerkundgebung anläßlich dessen Hinscheides.

Aus einfacher Familie entstammend hat sich Herr Gavard durch seine umfassenden Kenntnisse, seine rastlose Thätigkeit, seine hervorragende Beredtsamkeit emporgearbeitet und eine ehrenvolle Stellung erworben.

Auch dessen politische Gegner anerkennen seine namhaften Leistungen und seine Verdienste um das Vaterland.

Er war ein eifriger, guter Patriot, ein hervorragender Eidgenosse.

Zur Kundgebung der Teilnahme an der Trauer seiner Familie und seines Heimatkantons beantrage ich die Erhebung von den Sitzen.

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07.12.1898

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