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Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend das Begnadigungsgesuch des Konrad Bührer und Genossen in Bibern.

(Vom 12. April 1898.)

Tit.

Laut Urteil vom 1. Dezember 1897 hat das Kantonsgericht Schaffhausen gefunden : Es haben sich die Angeklagten Konrad Bührer, Präsident, von Bibern, Johannes Bührer, Gemeinderat, von Bibern, Gottfried Bührer, Gemeinderat in Höfen, sämtliche Mitglieder der Armenbehörde Bibern-Hofen, und Johann Bührer in Bibern, Aktuar der Armenbehörde, der Beihülfe zur Anwerbung in fremden Kriegsdienst nach Art. 3 des Bundesgesetzes betreffend die Werbung und den Eintritt in fremden Kriegsdienst, vom 30. Juni 1859, unter mildernden Umständen schuldig gemacht und zu Recht erkannt: 1. Es seien Präsident Konrad Bührer zu ein Monat Gefängnis I. Grades und Fr. 80 Buße verurteilt; es sei letztere im Falle der Nichteinbringlichkeit in weitere 16 Tage Gefängnis umzuwandeln.

2. Seien die übrigen Angeklagten mit je ein Monat Gefängnis I. Grades und je Fr. 40 Buße, eventuell je weiteren 8 Tagen Gefängnis, zu bestrafen.

3. Seien sämtliche Angeklagte nach erstandener Strafe auf die Dauer von zwei Jahren im Aktivbürgerrecht eingestellt.

4. Tragen dieselben die erwachsenen Kosten.

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Aus dem Urteil und den Untersuchungsakten ergiebt sich folgendes : Wilhelm Bührer, dessen Anwerbung in die algerische Fremdenlegion von den Angeklagten begünstigt wurde, ist eine übelbeleumdete, arbeitsscheue Person, welche der Armenbehörde seiner Heimatgemeinde viel zu schaffen machte. Geboren 1875, wurde er schon im August 1892 wegen strafbarer Unsittlichkeit verurteilt, [m Jahre 1896 erhielt er wegen Diebstahls und Skandalmachens eine sechsmonatliche Gefängnisstrafe zuerkannt, und im Februar L897 wurde er wieder wegen Unsittlichkeit mit zwei Monaten Gefängnis bestraft. Schon anläßlich der zweiten Verurteilung that die Armenbehörde Schritte, den Bührer in die Zwangsarbeitsanstalt Kalchrain zu verbringen, von welcher Maßregel indessen auf ein Bittgesuch desselben und ein günstig lautendes Zeugnis der Strafanstaltsdirektion damals abgesehen wurde. Als dann aber Bührer gleich nach seiner Entlassung ein weiteres Delikt beging und nach Verbüßung der bezüglichen Strafe, wie schon wiederholt, der Heimatgerneinde zugeführt worden war, sah sich die Armenbehörde veranlaßt, sich schlüssig zu machen, was nun gegen diesen unverbesserlichen Menschen zu thun sei. Da Bührer den sehnlichsten Wunsch geäußert habe, nach Algier auszuwandern, und die Armenbehörde zu der Annahme Veranlassung gehabt habe, Bührer werde in Kalchrain nicht besser und bei der ersten Gelegenheit entweichen, sei der Beschluß gefaßt worden, dem Bührer durch Bezahlung des Reisegeldes nach Algier behülflich zu sein. Da jedoch die mit einer Auswanderungsagentur gepflogenen Unterhandlungen ergaben, daß dieselbe keinerlei Garantie über die wirkliche Ankunft des Bührer in Algier übernehmen wollte, wurde, nachdem letzterer vor versammelter Behörde erklärt hatte, mit der Auswanderung nach Algier vollständig einverstanden zu sein, beschlossen, es sei dem Gesuch Bührers zu entsprechen, es sei für denselben aus der Armenkasse Bibern und Höfen das betreffende Reisegeld bewilligt, und es habe der Präsident die Begleitung Bührers bis nach Beifort zu übernehmen. In Ausführung dieses Beschlusses begleitete der Gemeindepräsident sub 4. Mai 1897 den Bührer nach Basel. Unmittelbar vor Abgang des Zuges nach Belfiori machte sich jedoch Bührer davon ; er wollte also nicht nach Algier auswandern, um in die Fremdenlegion eingereiht zu werden. Die Auswanderung war
geplant zum Zwecke der Anwerbung in die Fremdenlegion, und zwar nach der Darstellung der Armenbehörde im Einverständnis mit Bührer und auf ausdrücklichen Wunsch desselben. Bührer dagegen behauptet, der Gemeindepräsident habe

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ihm zuerst den Vorschlag gemacht, sich nach Algier anwerben zu lassen ; vor versammelter Armenbehörde sei ihm sodann von jedem einzelnen Mitglied zugeredet worden, dies zu thun ; er wäre nie auf den Gedanken gekommen, wenn nicht die Behörde auf ihn eingewirkt haben würde.

Das erwähnte Bundesgesetz bedroht die Übertretung des Art. 3 mit Gefängnis von einem Monat bis auf drei Jahre, sowie mit einer Geldbuße bis auf Fr. 1000 und Verlust des Aktivbürgerrechtes bis auf zehn Jahre.

Mit Eingabe vom 7. Februar a. c. an die Regierung des Kantons Schaffhausen zu Händen der Bundesbehörden suchen die Verurteilten um Begnadigung nach und erklären, daß sie in fraglicher Angelegenheit niemals auch nicht im entferntesten ahnten, eine Gesetzesübertretung zu begehen, indem der Gedanke für Auswanderung Bührers, und zwar nach Algier, ganz einzig und wiederholt von demselben ausging.

Die Regierung des Kantons Schaffhausen schließt sich diesem Gesuche an, und begründet mit Zuschrift vom 5. März in einläßlicher Weise ihre Auffassung.

Da es sich um ein Urteil handelt wegen Übertretung eines Bundesgesetzes, so steht die Begnadigung ausschließlich der Bundesversammlung zu.

Nach Prüfung der sämtlichen Akten sind wir zu der Ansicht gelangt, daß genügende Gründe vorliegen, auf das Begnadigungsgesuch einzutreten. Wenn sich auch die Petenten nicht auf Unkenntnis des Gesetzes berufen können, so darf doch mit der Regierung des Kantons Schaffhausen zugegeben werden, daß die Verurteilten, wie sie versichern, nicht das Bewußtsein hatten, etwas Unerlaubtes zu thun. Es kommt hinzu, daß es sich nicht um eine gewerbsmäßige Begünstigung der Anwerbung in fremden Kriegsdienst handelt oder um einen persönlichen Vorteil der Verurteilten ; die letztern waren bis jetzt durchaus unbescholtene Männer, die glaubten, als Beamte der Gemeinde im Interesse der letztern und richtig zu handeln, wenn sie dem Bührer die Mittel zur Reise nach Algier zur Verfügung stellten und dafür sorgen wollten, daß er auch wirklich an seinen Bestimmungsort gelange.

Schließlich wurde die Anwerbung durch die Flucht des Bührer vereitelt. Mit Rücksicht auf alle diese Momente erscheint die in Anwendung des Gesetzes ausgesprochene Strafe im gegebenen Falle als zu hart und eine Remedur des Urteils im Wege der Begnadigung als billig und den Anforderungen der Gerechtigkeit entsprechend.

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Immerhin würde sich ein gänzlicher Erlaß der Strafe kaum rechtfertigen lassen. Mit Recht hat der Richter in den Motiven seines Urteils erklärt, daß das Verhalten der in amtlicher Stellung befindlichen Angeklagten durchaus nicht entschuldbar sei, zumal ihnen die Gefahren, die in Algier ein Kriegsdienst für Gesundheit und Leben der Angeworbenen mit sich bringt, bekannt sein mußten.

Infolgedessen gelangen wir zu dem Antrage, es sei jedem der Petenten die Gefängnisstrafe, sowie die Einstellung im Aktivbürgerrecht in Gnaden zu erlassen, dagegen seien die vom Gerichte ausgesprochenen Bußen aufrecht zu erhalten.

B e r n , den 12. April 1898.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

Ruffy.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

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