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Bundesratsbeschluss über

den Rekurs des Michael Riba in Derendingen (Solothurn), betreffend Verweigerung eines "Wirtschaftspatentes.

(Vom

3. Dezember 1897.)

Der schweizerische Bundesrat hat

über den Rekurs des Michael R i b a in Derendingen (Solothurn), betreffend Verweigerung eines Wirtschaftspatentes, auf den Bericht des Justiz- und Polizeidepartements, folgenden Beschluß gefaßt:

A.

In thatsächlicher Beziehung wird festgestellt: I.

Am 18. September 1894 mietete Michael Riba, von Espluga (Spanien), in Derendingen, bis zum 1. Oktober 1897 das Erdgeschoß des Hauses Arni, Nr. 243 daselbst, zum Zwecke des Betriebes einer Wirtschaft und erhielt am 25. Juni 1896 vom Regierungsrate des Kantons Solothurn ein bis zum 1. Juli 1899 gültiges Wirtschaftspatent.

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II.

Wie es das Gesetz verlangt, bezahlte Riba am 1. Juli 189B zum voraus die jährliche Patentgebühr und ebenso am 1. Juli 1897.

Nachdem ihm die Eigentümerin des Hauses, Frau Ärni-Glutz,, auf den 1. Oktober 1897 den Mietvertrag gekündigt hatte, stellte Riba an den Regierungsrat das Gesuch, es möchte ihm gestattet werden, das ihm verliehene Patent in einem ändern, an der Hauptstraße Solothurn-Subingen gelegenen Hause auszuüben.

III.

Der Gemeinderat von Derendingen begutachtete das Gesuch?

in günstigem Sinne, von der Ansicht ausgehend, es handle sich um die Fortführung einer schon bestehenden Wirtschaft.

Der Oberamtmann von Bucheggberg-Kriegstetten schloß sich diesem Antrage in der Voraussetzung an, daß nach § l, Absatz 2,, des Wirtschaftsgesetzes bei der Übertragung des Patentes auf eine andere Räumlichkeit die Einwilligung des Eigentümers der bisher benutzten Räumlichkeit nicht nötig sei.

IV.

Inzwischen hatte auch Frau Ärni-Glutz ein Gesuch eingereicht,, dahingehend, es sei das Patent des Riba auf ihre neue Mieterin,, Verena Jäggi-Wehrli, zu übertragen. Der Gemeinderat von Derendingen erblickte hierin die Errichtung einer neuen Wirtschaft und beantragte Abweisung, während der Oberamtmann von Bucheggberg-Kriegstetten anderer Ansicht war.

V.

Der Regierungsrat des Kantons Solothurn zog die beiden Gesuche in eine gemeinsame Beratung und beschloß am 7. September 1897, der Frau Verena Jäggi-Wehrli ein Wirtschaftspatent zu erteilen und das Übertragungsgesuch des Michael Riba abzuweisen.

,,Das in Frage stehende Wirtschaftspatent, welches übertragen werden soll," heißt es in der Begründung dieser Entscheidung, ,,lautet nicht bloß auf den Namen des Riba, sondern auch auf die Räumlichkeiten des Gebäudes Nr. 243.

,,Da sich nun der Regierungsrat gegenüber dieser doppelten Berechtigung vorbehalten muß, bei derartigen Übertragungsgesuchen alle Verhältnisse und Verumständungen jedes einzelnen Falles, insbesondere auch die den Interessenten erwachsenden ökonomischen

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Schädigungen nach seinem besten Ermessen in gerechte Berücksichtigung zu ziehen, hält er im vorliegenden Falle dafür, daß das bessere Recht zu gunsten der Hauseigentümerin zugestanden werden müsse, da andernfalls dieselbe die ungleich größere Schädigung zu erleiden hätte.u VI.

Gegen diesen Beschluß hat Fürsprech Fürholz in Solothurn namens des Michael Riba den staatsrechtlichen Rekurs an den Bundesrat ergriffen. In der Rekurseingabe vom 27. September 1897 wird im wesentlichen folgendes ausgeführt: Nach § 10 des Wirtschaftsgesetzes vom 29. November 1895 soll die Errichtung einer neuen, sowie die Erneuerung oder Übertragung eines Patentes für eine bestehende Wirtschaft verweigert werden, wenn das Entstehen oder die Weiterführung der Wirtschaft am betreffenden Orte dem lokalen Bedürfnisse und dem öffentlichen Wohle zuwider ist, und § 26 der Vollziehungsverordnung vom 9. April 1896 läßt alle bestehenden Wirtschaftspatente auf den 1. Juli 1896 eingehen. Wenn dem Rekurrenten trotzdem am 25. Juni 1896 ein Patent erteilt wurde, so waren offenbar Gemeinde- und Kantonsbehörden der Meinung, die Führung dieser Wirtschaft sei dem lokalen Bedürfnisse und dem öffentlichen Wohle nicht zuwider. Die Gründe, aus welchen dem Rekurrenten die Übertragung seines Patentes auf andere Lokalitäten verweigert wurde, nämlich die Rücksicht auf die materielle Schädigung der Eigentümerin der bisherigen Wirtschaftslokale, sind rein privatrechtlicher Natur ; der Bundesrat hat aber in seinen Entscheidungen vom 8. Januar 1890 in Sachen Jules Decroux (Bundesblatt 1890, V, S. 382) und vom 29. Juli 1890 in Sachen Gachoud (Bundesblatt 1890, IV, S. 76) erkannt, daß nur solche Erwägungen,, welche sich auf das Gesamtinteresse der Bevölkerung stützen^ Einschränkungmaßregeln gegen die Wirte rechtfertigen können.

Daß zu der Verlegung einer bestehenden Wirtschaft in andere Räumlichkeiten der Eigentümer der bisher benutzten einwilligen müsse, wird vom Gesetze nicht' verlangt. Das Patent begründet nicht ein dingliches Recht, sondern ein Gewerberecht; es wird nicht dem Eigentümer der Lokalitäten, sondern dem Wirte erteilt.

Die Bezeichnung der zur Wirtschaft bestimmten Räumlichkeiten enthält es nur, weil das Gesetz im öffentlichen Interesse bestimmte Vorschriften über die Beschaffenheit der Wirtschaftslokalitäten aufstellt. Von den im Gesetze vorgesehenen Gründen der Patentcntziehung lag keiner vor. Das wohlerworbene Recht des Rekurren-

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ten wurde zu gunsten von Privatinteressen zurückgesetzt; zudem war es seine Mitbewerberin, welche ihn durch die Kündigung des -Mietvertrages in die Notwendigkeit versetzt hatte, neue Lokalitäten .aufzusuchen.

VII.

Mit Eingabe vom 4. Oktober 1897 suchte Riba nachträglich die Bewilligung zur provisorischen Ausübung des Wirtschaftsgewerbes bis zum Entscheide des Bundesrates nach; nach Einsicht eines Vernehmlassungsschreibens der Regierung des Kantons Solothurn vom 12. Oktober lehnte der Bundesrat durch Beschluß vom 16. gleichen Monats das Gesuch ab.

VIII.

Auf den Rekurs selbst läßt sich der Solothurner Regierungsïat in seiner Zuschrift vom 22. Oktober 1897 wie folgt vernehmen: Nach § l, Absatz 2, des solothurnischon Wirtschaftsgesetzes vom 9. Februar 1896, welches am 1. Juli 1896 in Kraft getreten ist, lauten die Patente nicht bloß auf einen bestimmten Inhaber, sondern auch auf bestimmte Räumlichkeiten, welche im Patent genau zu benennen sind ; das Patent begründet daher eine Doppelberechtigung, des Wirtes und des Hauseigentümers.

Diese Auffassung hat von jeher der solothurnischen Praxis zu Grunde gelegen ; das bis 1896 in Kraft gebliebene Gesetz von 1832 enthielt sogar die Bestimmung, daß die Wirtschaftspatente nur auf den Namen der Hauseigentümer ausgestellt werden konnten.

Indem das neue Gesetz diese Bestimmung beseitigte, wollte es lediglich das Verfahren bei Patenterteilungen vereinfachen ; es ·wollte die Person des Hauseigentümers nicht gänzlich ignorieren, ^wie schon aus § 3, Absatz 2, der VollziehungsVerordnung hervorgeht, wonach jede Gesuchstellung eines Dritten von der schriftlichen Zustimmung des Hauseigentümers begleitet sein muß.

Das neue Wirtschaftsgesetz stellt an die Beschaffenheit und Einrichtung der Wirtschaftslokale in hygieinischer Hinsicht hohe Anforderungen. Welcher Hauseigentümer wollte noch die finanziellen Lasten der Herstellung seiner Räume zu Wirtschaftszwecken auf sich nehmen und diese Räume einem Wirte vermieten, wenn es diesem gestattet wäre, mit seinem Patent von einem Haus ins andere zu ziehen? Der Hausherr wäre der Willkür seines Mieters preisgegeben.

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Der Regierungsrat muß sich vorbehalten, bei Gesuchen um Patentübertragung alle Verhältnisse in gerechte Berücksichtigung zu ziehen.

Im vorliegenden Falle nun waren die begutachtenden Behörden und der Regierungsrat darüber einverstanden, daß eine neue Wirtschaft in Derendingen, welches bei einer Einwohnerzahl von cirka 2000 deren schon 18 besitzt, nicht bewilligt werden dürfe. Nur um dies zu verhindern, beantragte der Gemeinderat von Derendingen die Abweisung des zweiten ihm vorgelegten Gesuches. Der Regierungsrat entschied sich zu gunsten der Frau Ärni-Glutz, weil letztere durch ihre ökonomische Lage darauf angewiesen ist, ihre Lokale zum Wirtschaftsbetriebe vermieten zu können, und sie -durch die Entziehung dieser Möglichkeit schweren Schaden erleiden würde. Nur gezwungen kündigte sie dem Riba, der sich schon ·damals nach ändern Räumlichkeiten umgesehen hatte.

B.

In rechtlicher Beziehung fällt in Betracht: Das Solothurner Wirtschaftsgesetz vom 28. November 1895 bestimmt in § l, Absatz 2: ,,Das Patent lautet auf einen bestimmten Inhaber und auf bestimmte Räumlichkeiten. Dasselbe kann auf eine andere Person oder auf andere Räumlichkeiten innerhalb der gleichen Gemeinde übertragen werden.tt Bei Übertragung eines Patentes wird, laut §§ 9 und 10 des Gesetzes, das gleiche Verfahren befolgt, wie bei Erteilung eines neuen ; der die Übertragung Nachsuchende hat neuerdings die Erfüllung der gesetzlichen Requisite nachzuweisen, und die Übertragung kann, wie die Neuerteilung, wegen Mangels eines Bedürfnisses verweigert werden. Demnach ist die Übertragung rechtlich als eine neue Erteilung des Patentes zu betrachten, und es hatte im vorliegenden Falle der Rekurrent ebensowenig einen Anspruch auf Übertragung des erloschenen Patentes als die Besitzerin der bisher benutzten Räumlichkeiten, resp. ihre Mieterin.

Wenn nun die Regierung des Kantons Solothurn erklärt, es bestehe in Derendingen kein Bedürfnis für Errichtung neuer Wirtschaften, und es könne demnach nicht beiden Bewerbern ein Patent erteilt werden, so ist hiergegen vom Standpunkte des Bundesrechtes nichts einzuwenden (vergi. Fall Ellenberger, Bundesratsratsbeschluß vom 23. November 1897).

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Es fragt sich daher lediglieh, ob sich der Rekurrent über einen Akt der Willkür der Regierung beschweren kann, weil nicht sein Gesuch, sondern dasjenige seines Konkurrenten berücksichtigt worden ist. Für die Regierung war ausschlaggebend der Umstand, daß im Kanton Solothurn von jeher das Patent als mit dem Lokal verknüpft betrachtet worden ist und daß es konstante Praxis ist, aus volkswirtschaftlichen Gründen in Fällen wie dem vorliegenden das Patent auf den Eigentümer des Hauses zu übertragen, in welchem die Wirtschaft bisher betrieben wurde. Eine willkürliche Behandlung des Rekurrenten liegt hierin nicht.

Demnach wird erkannt: Der Rekurs wird als unbegründet abgewiesen.

B e r n , den 3. Dezember 1897.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: Deucher.

Der I. Vizekanzler : Schatzmann.

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Bundesratsbeschluss über den Rekurs des Michael Riba in Derendingen (Solothurn), betreffend Verweigerung eines Wirtschaftspatentes. (Vom 3. Dezember 1897.)

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