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Schweizerisches Bundesblatt.

50. Jahrgang. III.

Nr. 22.

18. Mai 1898.

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Bundesratsbeschluss über

den Rekurs der Herren Dr. Mauchle und A. Scheu in Niederuzwil gegen die Vereinigten Schweizerbahnen betr. Anwendung des eidg. Expropriationsgesetzes.

(Vom 6. Mai 1898.)

Der schweizerische Bundes rat, nach Einsicht 1. zweier Eingaben des Hrn. Hauser, Advokat in St. Gallen, namens der HH. Dr. Mauchle in Oberuzwil und A. Scheu zürn Hotel Uzwil, in Uzwil, vom 26. .Februar 1898; 2. einer Eingabe der Direktion der Vereinigten Schweizerbahnen in St. Gallen, vom 29. März 1898 ; '3. eines Berichts und Antrags seines Eisenbahndepartements, in Erwägung: 1. Mittelst Eingabe an den Gemeinderat Henau zu Händen .des Schweiz. Bundesrates, vom 26. Februar 1898, erklärte Herr Advokat Hauser in St. Gallen namens des Herrn Dr. med. Mauchle in Oberuzwil, daß dieser die Abtretungspflicht hinsichtlich der von der Direktion der Vereinigten Schweizerbahnen beanspruchten 1150m2 Wiesland bestreite, weil es sich .im Grund gar nicht um eine Stationserweiterung, sondern um die Unterführung der Gemeindestraße von Niederuzwil nach Oberuzwil handle, um den Bahnübergang beim Hotel Uzwil zu vermeiden. Für die ExproBundesblatt 50. Jahrg. Bd. in.

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390 priatiori zum Zwecke der Neuanlage oder Korrektion von Straßen komme aber nicht das Bundesgesete über die Verbindlichkeit zur Abtretung von Privatrechten vom 1. Mai 1850, sondern das kantonale Expropriationsgesetz vom 23. April 1895 zur Anwendung 5 somit sei auch der Bundesrat zum Entscheid über die Abtretungspflicht gar nicht kompetent.

Angenommen aber, die Unterführung der genannten Straße falle wirklich unter den Begriff ,,Stationserweiterung", so fehlen doch die thatsächlichen Voraussetzungen der zwangsweisen Enteignung; denn Artikel l des Expropriationsgesetzes sage ausdrücklich, daß der Bürger zur Abtretung des Eigentums oder anderer auf unbewegliche Sachen bezüglichen Rechte nur verpflichtet werden könne, ,,soweit solche Werke es erforderlich machen1'. In concreto sei aber die Enteignung des Landes des Herrn Dr. Mauchle nicht nötig, einmal, weil das Werk selbst, die Unterführung, nicht nötig sei, und dann, weil die Vereinigten Schweizerbahnen für die bloße Dammerweiterung, also für Auffüllzwecke, südlich der Brücke besser gelegenes Terrain haben, welches auch praktischer ausgebeutet werden könne.

Das Grundstück des Herrn Dr. Mauchle komme übrigens gar nicht für die Dammerweiterung in Betracht, sondern für die Anlage der Straße; die Abtretungspflicht hierfür stehe aber unter kantonalem Gesetz und könnte nicht von den Vereinigten Schweizerbahnen, sondern nur von den beteiligten Gemeinden beansprucht werden.

Eventuell handle es sich nicht um die Enteignung des Eigentumsrechts, sondern bloß um Materialgewinnung, so daß das Eigentum am Boden nach geschehener Abgrabung dem Expropriaten zu verbleiben habe.

2. Mit einer gleichzeitig eingereichten zweiten Eingabe bestritt Advokat Hauser auch die Abtretungspflicht namens des Herrn A. Scheu zum Hotel Uzwil, welcher 3200m 2 Wiesland abtreten sollte. Die Begründung sei hier dieselbe Mae im Falle des Herrn Mauchle.

3. In ihrer Vernehmlassung vom 29. März 1898 führt die Direktion der Vereinigten Schweizerbahnen aus, die Expropriation der Parzellen der Herren Dr. Mauehle und A. Scheu werde von ihr verlangt zum Zwecke der Ausbeutung als Materialgrube, weil sie hierfür besonders günstig gelegen seien und weil die zu diesem Zwecke erworbenen Abschnitte südlich der Brücke für die Gewinnung des sämtlichen erforderlichen Materials nicht ausreichen,

391 Bezüglich des Grundstückes des Herrn Scheu komme als Motiv ferner in Betracht, daß die Bahnverwaltung daran ein Rückkaufsrecht besitze, das ihr, ganz unabhängig vom Expropriationsrechte, ermögliche, dieses Terrain zu mindestens ebenso günstigen Bedingungen zu erwerben als irgend -welches andere, das sich für den gleichen Zweck eignen würde.

In rechtlicher Beziehung sei zu bemerken, daß laut den in den bundesrätlichen Geschäftsberichten enthaltenen Mitteilungen die konstante Praxis von folgenden Rechtssätzen beherrscht worden sei : a. Die Abtretungspflicht besteht auch zum Zwecke der Materialgewinnung ; b. Die Abtretungspflicht kann nicht mit dem Hinweis darauf abgelehnt werden, daß der Zweck durch Expropriation eines andern Grundstückes ebenfalls erreicht werden könne. Wollte man sich auf den gegenteiligen Standpunkt stellen, so würde einfach die angeblich dem Einsprecher drohende Unbill einem andern Grundbesitzer zugefügt.

c. Die Expropriation zum Zwecke der Materialgewinnung ist sogar in dem Falle zulässig, daß der Zweck auf andere Weise, z. B. durch Entnahme des Materials aus einem Flußbette oder durch Kauf erreichbar wäre.

Die Möglichkeit einer derartigen Materialbeschaffung sei übrigens in Uzwil so gut wie völlig ausgeschlossen.

Hinsichtlich des eventuellen Begehrens um bloß temporäre Abtretung stehe der Entscheid dem Bundesgericht zu und zwar soweit Artikel 47 des Expropriationsgesetzes zur Anwendung gelange.

4. Die Behauptung der Einsprecher, daß es sich nicht um eine Stationserweiterung, sondern um eine Straßenkorrektion handle, ist unbegründet, da sowohl aus dem aufgelegten Expropriationsplane als aus dem Beschlüsse des Bundesrates vom 25. Januar 1898 das Gegenteil hervorgeht. Die Einrede gegen die Anwendung des Bundesgesetzes betreffend Verbindlichkeit zur Abtretung von Privatreehten, sowie gegen die Zuständigkeit des Bundesrates fällt somit dahin.

geo 5. Ebensowenig ist es dem Vertreter der Einsprecher lungen, nachzuweisen, daß die Abtretungspflicht hinsichtlich der beiden fraglichen Grundstücke nicht begründet sei ; denn, wie in der Eingabe der Expropriantin ganz richtig und unter Anführung bezüglicher Entscheidungen bemerkt wurde, genügt es nicht, zu

392 behaupten, daß der Zweck der beabsichtigten Expropriation auch auf andere Weise erreicht werden könne.

Daß übrigens die Anwendung des Expropriationsgesetzes auch auf die Gewinnung von Material für Auffüllzwecke statthaft ist, geht aus dem Wortlaut des Art. 2, Alinea l, des Gesetzes unzweideutig hervor.

6. Dem eventuellen Begehren, daß die Abtretung nur eine zeitweise sein und das Eigentum an den beiden Grundstücken nach geschehener Abgrabung wieder auf die bisherigen Eigentümer übergehen solle, kann nicht entsprochen werden, weil eine solche Beschränkung des Verfügungsrechts des Exproprianten im Gesetze nicht begründet ist. Eine bloß temporäre Abtretung kann vielmehr nur da stattfinden, wo der Expropriant von vorneherein auf eine dauernde Abtretung verzichtet. Zum Schutze des Expropriaten sind dagegen, wie die Direktion der Vereinigten Schweizerbahnen in ihrer Eingabe hervorhebt, in Artikel 47 des Expropriationsgesetzes die nötigen Bestimmungen aufgestellt worden ; beschließt: Die von Advokat Hauser in St. Gallen namens der Herren Dr. Mauchle und A. Scheu in Niederuzwil gegen das Projekt der Vereinigten Schweizerbahnen, betreffend Erweiterung der Station Uzwil, unterm 26. Februar erhobenen Einsprachen werden, weil unbegründet, abgewiesen.

B e r n , den 6. Mai 1898.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

Euffy.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

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Bundesratsbeschluss über den Rekurs der Herren Dr. Mauchle und A. Scheu in Niederuzwil gegen die Vereinigten Schweizerbahnen betr. Anwendung des eidg.

Expropriationsgesetzes. (Vom 6. Mai 1898.)

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1898

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18.05.1898

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389-392

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