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Schweizerisches Bundesblatt.

50. Jahrgang. IV.

Nr. 33.

3. August 1898.

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Bundesratsbeschluss über

den II. Rekurs der Gebrüder Dreifus, in Zürich, betreffend Zutritt zur Börse.

(Vom 27. Juli 1898.)

Der schweizerische Bundesrat

hat über den II. Rekurs der Gebrüder D r e i f u s , in Zürich, betreffend Zutritt zur Börse, auf den Bericht des Justiz- und Polizeidepartements, folgenden Beschluß gefaßt:

A.

In thatsächlicher Beziehung wird festgestellt:

I.

Mit Beschluß vom 1./4. Oktober 1897 erklärte der Bundesrat -einen Rekurs der Gebrüder Dreifus betreffend Zutritt zur Effektenbörse in Zürich begründet, und lud die Regierung des Kantons Zürich ein, dafür zu sorgen, daß dem Gesuche der Gebrüder Dreifus um Verabfolgung einer Jahreskarte zum regelmäßigen Börsenbesuch entsprochen und daß § 31, Absatz 2, der Statuten des Effektenbörsenvereins Zürich im Sinne der Erwägungen dahin Bundesblatt. 50. Jahrg. Bd. IV.

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256 abgeändert werde, daß, unter Ausschluß des fernem Beliebens irgend eines Börsenorgans, diejenigen Gründe näher umschrieben werden, auf welche gestützt die Organe des Effektenbörsenvereins Zürich die Verabfolgung von Jahreskarten zum regelmäßigen Börsenbesuche verweigern dürfen (Bundesbl. 1897, IV, 383).

n.

Gestützt auf diese Entscheidung ersuchten die Gebrüder Dreifus unterm 16. Oktober 1897 den Vorstand des Effektenbörsenvereins, ihnen eine Eintrittskarte zuzustellen, erhielten aber den 18. gl. Mts.

die Antwort, daß zufolge einer Mitteilung der kantonalen Direktion des Innern die Angelegenheit noch nicht als detinitiv erledigt zu betrachten sei, die Gesuchsteller möchten sich direkt an jene Stelle wenden. Mit Eingabe vom 20. Oktober wiederholten demgemäß die Gebrüder Dreifus ihr Gesuch beim Regierungsrat des Kantons Zürich. Dieses Gesuch blieb zunächst unbeantwortet. Dagegen rekurrierte der Regierungsrat des Kantons Zürich mit Eingabe vom 14. Dezember 1897 gegen die bundesrätliche Entscheidung an die Bundesversammlung. Er zog aber den 13. Januar 1898 diesen Rekurs wieder zurück, nachdem er vom eidg. Justizdepartement den 29. Dezember darauf aufmerksam gemacht worden war, daß, demselben mit Rücksicht auf Art. 192 des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege vom 22. März 1893 die Einrede der Verspätung entgegenstehe.

Den 26. Januar 1898 wiederholten die Gebrüder Dreifus beim Effektenbörsenverein ihr Gesuch um Verabfolgung einer Jahreskarte zum regelmäßigen Besuch der Börse. Sie erhielten zunächst den 4. Februar die Antwort, der Effektenbörsenverein habe am 3. Februar den § 31, Absatz 2, der Statuten abgeändert; und alsdann den 1. März den Bescheid, das Gesuch sei gestutzt auf den abgeänderten § 31 der Statuten abgewiesen worden.

Mit Eingabe vom 6. Februar an die Direktion des Innern verlangten die Gebrüder Dreifus die endliche Ausführung des Bundesratsbeschlusses vom 1. Oktober 1897, und mit Eingaben vom 7. und 9. gl. Mts. stellten sie beim Regierungsrat das Begehren, es sei dem abgeänderten § 31 der Statuten des Effektenbörsenvereins die regierungsrätliche Genehmigung zu versagen, da diese Revision lediglich ein Manöver sei, um den den Rekurrenten günstigen Bundesratsbeschluß vom 1. Oktober 1897 unwirksam zu machen.

Der Regierungsrat genehmigte jedoch den 24. Februar den neuen § 31 der Statuten des Effektenbörsenvereins und wies mit

a

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Schlußnahme vom 10./16. März das Gesuch der Gebrüder Dreifus ab. In der Begründung dieses Entscheides bemerkt der Regierungsrat, er sehe sich nicht veranlaßt, auf die Genehmigung der revidierten Statuten des Effektenbörsenvereins zurückzukommen, da diese Revision gemäß der im bund.esrätlichen Beschlüsse vom 1. Oktober 1897 enthaltenen Wegleitung vorgenommen worden sei.

,,Wer Börsengeschäfte eingeht und hernach, d. h. nachdem die Operation zu seinen Ungunsten ausgefallen ist, um sich seinen Verpflichtungen zu entziehen, zur Einrede von Spiel und Wette greift, der darf nicht den Anspruch auf Treu und Glauben, auch nicht denjenigen eines guten Rufes erheben." Denn hier ,,handelt es sich nicht um den moralischen Schutz des Art. 512 des schweizerischen Obligationenrechts, sondern um einen verwerflichen Versuch, rechtmäßig eingegangener Verpflichtungen sich durch Ausreden zu entziehen und andere zu Schaden zu bringen".

III.

Der abgeänderte § 31 der Statuten des Effektenbörsenvereins Zürich bestimmt u. a. : ,,Personen und Firmen, welche nicht Mitglieder des Effektenbörsenvereins sind und die Börse regelmäßig besuchen wollen, sind zur Lösung einer Jahreskarte gegen Entrichtung der von der Direktion des Innern genehmigten Gebühr verpflichtet.

,,Vom Besuche der Börse sind ausgeschlossen : « 5 b ; c. Personen, welche keines guten Rufes genießen ; d.

; & i f. Personen, welche sich ihren Verpflichtungen aus Geschäftsabschlüssen durch die Einrede von ,,Spiel und Wette" zu entziehen gesucht haben ; ,,Obige Ausschlußbestimmungen finden Anwendung auch auf Firmen, wenn einer der Ausschließungsgründe auf einen ihrer Teilhaber (Associé oder Kommanditär) zutrifft."

IV;

Mit Eingabe vom 28. April 1898 beschweren sich die Gebrüder Dreifus über das Verhalten der zürcherischen Behörden beim Bundesrat; sie stellen den Antrag:

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s

Es möchte der Beschluß des Effektenbörsenvereins Zürich vom 1. März, durch den ihnen die Verabfolgung einer Jahreskarte zum regelmäßigen Börsenbesuche verweigert worden ist, sowie der Beschluß des Regierungsrates des Kantons Zürich vom 10./16. März, durch den ihr Begehren, dem abgeänderten § 31 der Statuten des Effektenbörsenvereins Zürich die regierungsrätliche Genehmigung zu versagen, abgewiesen worden ist, aufgehoben und erkannt werden : 1. der Entscheid des Bundesrates vom 1. Oktober 1897 sei unverzüglich zu vollstrecken und demnach den Gebrüdern Dreifus eine Jahreskarte zum regelmäßigen Börsenbesuche zu verabfolgen ; 2. die litt, f des § 31 der Börsenstatuten sei als verfassungswidrig zu erklären und aufzuheben.

Zur Begründung dieser Anträge wird ausgeführt: Gegenstand des gegenwärtigen Rekurses ist im Grunde nichts anderes als die Vollstreckung des Bundesratsbeschlusses vom 1. Oktober 1897. Denn die Gebrüder Dreifus verlangten im Jahre 1897 in erster Linie die Erteilung einer Jahreskarte zum regelmäßigen Börsenbesuch und dieses Begehren wurde ihnen vom Bundesrate zugesprochen. Nicht eine Vollziehung, sondern eine Umgehung des Bundesratsentscheides ist es daher, wenn der Börsenverein, anstatt die Jahreskarte zu erteilen, die Statuten dahin abändert, daß den Rekurrenten trotz des Bundesratsentscheides der Zutritt zur Börse verweigert werden kann. Die neue Bestimmung der litt, f wurde einzig zu dem Zwecke aufgestellt, um den Gebrüdern Dreifus den Börsenbesueh unmöglich zu machen. 'Aus sachlichen, in den eigenartigen Verhältnissen und Bedürfnissen des Börsenverkehrs liegenden Gründen rechtfertigt sich die Ausschließung solcher Personen vom Börsenbesuch, die sich irgend einmal ,,der Einrede von Spiel und Wette bedient haben, in keiner Weise.

Der Börsenverein kann verlangen, daß der Börsenbesucher in bürgerlichen Rechten und Ehren stehe, einen guten Leumund besitze, zahlungsfähig sei und die Ordnungsvorschriften der Börse respektiere; er kann sogar weiter gehen und in den Börsenusanceri in einer für alle Börsenbesucher verbindlichen Weise die Erhebung der Spieleinrede anläßlich von Börsenabschlüssen verbieten, und an die Verletzung dieser Vorschrift den sofortigen Ausschluß vom Börsenbesuch knüpfen. Was darüber hinausgeht, trägt den Stempel der persönlichen Gehässigkeit und der Willkür. In der That enthalten keine ändern Börsenstatuten eine ähnliche Bestimmung, und

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sie wurde auch in jüngster Zeit anläßlich der deutschen Börsenenquête von keiner Seite verlangt. Vergegenwärtigt man sich, daß nach zürcherischern Recht das Aktivbürgerr.echt höchstens auf 10 Jahre, nach erstandener Zuchthausstrafe, auf 6 Jahre bei Arbeitshaus und. 3 Jahre bei Gefängnis entzogen werden kann, und daß nach Ablauf dieser Zeit der Bestrafte wieder aller politischen Rechte und Ehren fähig ist; ferner daß die bei schweren Verbrechen vorgesehene Amts- oder Dienstentziehung ebenfalls zeitlich beschränkt ist und daß endlich das auf beschränkte oder unbeschränkte Zeit auszusprechende Verbot, einen bestimmten Beruf oder ein Gewerbe zu betreiben, höchst selten ausgesprochen wird, · so erscheint es ungeheuerlich, einen in allen Ehren stehenden Banquier auf Lebenszeit vom Börsenbesuche auszuschließen, weil er sich vor 10 Jahren, als er noch gar nicht Banquier war, das Recht herausnahm, sich auf Art. 512 O.-R. zu berufen. Darin liegt eine offenbare Verletzung der Art. 31 und 4 der Bundesverfassung.

Louis Dreifus, einem der Teilhaber der Firma Dreifus, wird zudem der gute Ruf abgesprochen, weil er sich rechtmäßig eingegangenen Verpflichtungen durch Einreden (nämlich durch Berufung auf Art. 512 O.-R.) zu entziehen gesucht habe. Indem Louis Dreifus die Einrede des Spiels erhoben hat, machte er nur von einem ihm gesetzlich zustehenden Rechte Gebrauch, und damit konnte er unmöglich seinen guten Ruf verlieren, insbesondere da die Einrede gerichtlich geschützt worden ist; zudem ergiebt sich aus den ergangenen Urteilen, daß von einer Übervorteilung oder Täuschung der Prozeßgegner durch Louis Dreifus keine Rede sein kann.

Der Börsenverein beruft sich außerdem zum Beweise des mangelnden guten Leumundes des Louis Dreifus auf den Anteil, den dieser an der Durrich-Angelegenheit hatte. Durrich hatte gegen 6 Obligationen, die, wie sich nachher herausstellte, gestohlen waren, einen Lombardvorschuß von Fr. 31,000 von der Bank in Zürich erhalten; er verkaufte darauf die Titel dem Louis Dreifus, der sie bei der gleichen Bank hinterlegte und den gleichen Lombardvorschuß erhielt. Als sich ergeben hatte, daß die Obligationen gestohlen waren, verlangte die Bank von Dreifus Sicherstellung, und als dieser sich dessen weigerte, stellte sie Klage wegen Betrugs ; Dreifus konnte aber seinen guten Glauben nachweisen ;
er überließ sodann diese Wertpapiere der Bank gegen Verzicht auf deren Forderung gegen ihn, und da die Bank dieselben dem rechtmäßigen Eigentümer nur gegen Vergütung des dafür bezahlten Preises

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herauszugeben brauchte, erlitt sie keinen Schaden. Louis Dreifus war bei dieser Angelegenheit so gut in bona fide wie die Bank in Zürich.

Da sich somit die Verweigerung der Bewilligung zum Börsenbesuch als eine völlig unbegründete herausstellt, so rechtfertigt es sich, in Anwendung von Art. 224 des Gesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege vom 22. März 1893, dem Börsenverein und eventuell dem Regierungsrate des Kantons Zürich eine an die Rekurrenten zu bezahlende Prozeßentschädigung aufzuerlegen.

V.

Der Regierungsrat des Kantons Zürich läßt sich den 4. Juli 1898 über diesen Rekurs wie folgt vernehmen: Gegenüber der Beschwerde der Rekurrenten, dass ihnen die vom Bundesrate zugesprochene Jahreskarte zum Börsenbesuche nicht verabfolgt worden sei, ist zu bemerken, dass mit dem Bundesratsbeschluß vom 1. Oktober 1897 die Angelegenheit nicht erledigt war, da gegen diesen Beschluß der Rekurs an die Bundesversammlung ergriffen worden war ; erst als nach Rückzug dieses Rekurses die Regierung des Kantons Zürich vom Bundesrate den 19. Januar 1898 Mitteilung erhielt, daß hiervon Vormerk genommen sei, konnte die Sache für erledigt-gelten. Inzwischen war aber, in Vollziehung des in Frage stehenden Bundesratsbeschlusses die Abänderung des § 31 der Börsenstatuten vorbereitet worden und die neue Bestimmung erhielt am 24. Februar 1898 die Genehmigung des Regierungsrates. Damit war auch die Rechtslage auf Grund deren der Bundesratsbeschluß am 1. Oktober 1897 ergangen war, verändert, und es konnte den Rekurrenten die Bewilligung zum regelmässigen Börsenbesuche nicht erteilt werden. Die Rekurrenten können aus jenem Rekursentscheide um so weniger ein wohlerworbenes Recht auf eine Jahreskarte ableiten, als derselbe kaum endgültig erschien, ehe die von ihm vorgeschriebene Statutenrevision perfekt geworden war.

Für die Frage, ob die Bestimmung der Börsenstatuten betreffend Ausschluß von Personen, die sich durch die Einrede von Spiel und Wette ihren Verpflichtungen zu entziehen gesucht haben, verfassungsmäßig sei, sind die an anderen Plätzen bestehenden Börsenordnungen unerheblich. In Frankfurt a. M. besteht übrigens die zwar weniger präzis gefaßte, aber deshalb nicht weniger strenge Bestimmung, daß ,,Personen, welche ihre Verpflichtungen aus an

261 a der Börse geschlossenen Geschäften nicht erfüllen , von derselben ausgeschlossen sind. Mit dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit, der allein maßgebend ist, steht § 31 der Börsenstatuten nicht im Widerspruch. Wenn der Börsenzutritt aus bestimmten, durch die eigenartigen Verhältnisse und Bedürfnisse des Börsenverkehrs gerechtfertigten Gründen verweigert werden darf, so liegt ein solcher Grund gerade in der vorab angefochtenen litt, f des § 31 vor : Die Börse hat vor allem ein Interesse daran, ,,daß Differenzgeschäfte, die gerade die börsenmäßige Spielart kaufmännischer Operationen bilden, so gut wie andere ihre Honorierung finden". Wer sich bei börsenmäßigen ·Geschäften auf die Unklagbarkeit von Spielverträgen beruft, stellt sich zu den Leuten außerhalb der Börse oder qualifiziert sich als unwürdig, dieser ferner anzugehören. Wie moralisch also der in der Unklagbarkeit liegende Rechtsschutz für die einen sein mag, so können doch andere sich nicht darauf berufen, ohne eine Einbuße an ihrem Rufe zu erleiden. Es können daher die aus diesem Grunde von der Börse Ausgeschlossenen sich nicht über Verletzung des Art. 4 der Bundesverfassung beklagen.

Keines Beweises bedarf die Behauptung, daß die Vorschrift der litt, c des § 31 betreffend Ausschluß von Personen, die keines guten Rufes genießen, nicht verfassungswidrig ist.

Die weitere Frage, ob diese an und für sich verfassungsmäßigen Ausschließungsgründe vorliegenden Falles zutreffen, unterliegt der Überprüfung der Bundesbehörden nicht, wie sich aus dem Urteil des ßundesgerichts vom 2. Februar 1894 in Sachen Effektenbörsenverein Zürich (Bundesgerichtliche Entscheidung X, 18 ff.} und aus dem Bundesratsbeschluß vom 1. Oktober 1897 ergiebt.

Es muß daher auch bei der Entscheidung der kantonalen Behörde, daß die frühere Erhebung der Spieleinrede als Ausschlußgrund fortwirke, sein Bewenden haben. Übrigens sprechen gegen den guten Leumund des L. Dreifus noch weitere Thatsachen neueren Datums, nämlich die von ihm ausgehende Verdächtigung in einem Zeitungsartikel einer ganzen Klasse von Mitgliedern des Börsenvereins und seine Verwicklung in der Strafsache Durrich.

Was endlich die Prozeßentschädigung betrifft, so könnten eine solche, wenn Art. 224 des Bundesgesetzes vom 23. März 1893 auf das Verfahren vor dem Bundesrate anwendbar wäre, nicht die Rekurrenten, sondern die Regierung von Zürich beanspruchen.

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B.

In rechtlicher Beziehung fällt in Betracht: I.

Die Rekurrenten beschweren sich zunächst über mangelhafte Vollziehung des Bundesratsbeschlusses vom 1. Oktober 1897; hierüber ist zu bemerken : Durch Dispositiv 2 dieses Beschlusses wurde die Regierung des Kantons Zürich eingeladen, dafür zu sorgen, daß den Gebrüdern Dreifus die verlangte Jahreskarte verabfolgt und daß § 31 der Statuten des Effektenbörsenvereins Zürich im Sinne der Erwägungen abgeändert werde. In dieser Verfügung ist keineswegs enthalten, daß den Rekurrenten die Bewilligung zum Börsenbesuch erst nach erfolgter Statutenrevision und nach Maßgabe der revidierten Statuten erteilt werden solle; die Verfügung des Bundesrates betreffend Verabfolgung der Jahreskarte ist weder an eine Bedingung noch an eine Frist geknüpft; sie ist von der Verfügung, daß § 31 der Statuten abzuändern sei, unabhängig. Dagegen hatte sich der Bundesrat am 1. Oktober 1897 darüber, ob auf Grund einer neuen Fassung des § 31 der Statuten den Gebrüdern Dreifus der Zutritt zur Börse verweigert werden könne, nicht auszusprechen, und er hat es auch nicht gethan.

Gemäß Art. 45 des Bundesgesetzes betreffend die Organisation der Bundesrechtspflege vom 22. März 1893 war die Regierung des Kantons Zürich zur Vollziehung des in Frage stehenden Bundesratsbeschlusses verpflichtet, sobald derselbe rechtskräftig geworden war, d. h. nach Ablauf der zur Weiterziehung an die Bundesversammlung bestehenden Frist von 60 Tagen (vgl. Art. 196 desselben Gesetzes). Wenn die Regierung des Kantons Zürich, als die Frist schon verstrichen war, einen Rekurs an die Bundesversammlung einreichte, so mußte sie sich von vorneherein sagen, daß derselbe, weil verspätet, die Vollziehung des bundesrätlichen Entscheides nicht mehr hemmen könne. Sie hatte demnach seit dem 5. Dezember 1897 keinen rechtlich anzuerkennenden Grund mehr, dem bei ihr anhängigen Gesuche der Gebrüder Dreifus vom 20. Oktober 1897 um Erteilung einer Jahreskarte nicht zu entsprechen; die Rekurrenten hätten sich daher im Dezember 1897 auf Grund des Art. 45, Absatz 2 des Organisationsgesetzes wegen.

unterlassener Vollziehung der bundesrätlichen Entscheidung vom 1. Oktober 1897 beschwerend an den Bundesrat wenden können.

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Nachdem aber der revidierte § 31 der Börsenstatuten in Kraft getreten war, wonach unter anderem Personen, die sich ihren Verpflichtungen aus Geschäftsabschlüssen, durch die Einrede von ,,Spiel und Wette" zu entziehen gesucht haben (litt, f) und solche, die ,,keines guten Rufes genießen" (litt, c) von der Börse ausgeschlossen sind, mußte das Gesuch der Gebrüder Dreifus auf Grund dieser neuen Bestimmungen erledigt werden.

II.

Die Rekurrenten behaupten nun, die citierte Bestimmung der litt. /' des § 31 der Börsenstatuten sei verfassungswidrig ; allein mit Unrecht.

Der Börsenverein ist ohne Zweifel berechtigt, solche Personen von der Börse fern zu halten, die durch ihr unlauteres Geschäftsgebahren dem Rufe des Instituts schaden. Als unlauteres Gebahren ist es aber zu bezeichnen, wenn Jemand Verpflichtungen eingeht und, um sich denselben zu entziehen, die Einrede des Spiels vorschützt; denn wollte er Verpflichtungen, die vom Gesetze nicht anerkannt sind, nicht erfüllen, so durfte er sie nicht eingehen.

Wenn das Gesetz gestattet, die Einrede des Spiels zu erheben, so billigt es damit keineswegs unter allen Umständen das Verhalten desjenigen, der sie erhebt; vom Standpunkte des redlichen Verkehrs bleibt dieses Mittel, sich einer im übrigen rechtmäßig-eingegangenen Verpflichtung zu entledigen, verwerflich. Gerade bei der Börse, wo die Versuchung reine, unklagbare Differenzgeschäfte abzuschließen besonders nahe liegt, muß darauf strenge geachtet werden, daß entweder keine solchen Geschäfte abgeschlossen, oder aber, daß die einmal abgeschlossenen Geschäfte auch wirklich ausgeführt werden. Wer dies nicht thut, vergeht sich gegen Treu und Glauben. Die Bestimmung der litt, f der Statuten in ihrem allgemeinen, sowohl die Gegenwart als die Vergangenheit umfassenden Wortlaut, mag zwar außergewöhnlich streng erscheinen ; sie ist aber weder willkürlich noch im- Widerspruch mit Art. 31 der Bundesverfassung; denn sie beruht auf der Würdigung der eigenartigen Verhältnisse und Bedürfnisse desoBörsenVerkehrs. Die Rekurrenten geben selbst zu, daß sich einer Bestimmung, wonach der Gebrauch der Spieleinrede den ,,Ausschluß"1 vom Börsenbesuch nach sich ziehe, eine ,,gewisse objektive Begründung" nicht absprechen lasse. Ist aber der Ausschluß zulässig, so muß es auch die Verweigerung des Zutrittes sein. Die Bestimmung des § 31, litt. /", der Statuten des Effektenbörsenvereins ist somit bundesrechtlich nicht zu beanstanden.

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Da die Rekurrenten übrigens nicht bestreiten, daß die Bestimmung in ihrem Falle Anwendung finde, so muli ihr Rekurs abgewiesen werden, und es ist nicht zu untersuchen, ob auch der weitere bundesrechtlich nicht beanstandete Ausschließungsgrund des mangelnden guten Rufes (litt, c des § 31 der Statuten) gegen sie geltend gemacht werden kann. Gegenüber den Ausführungen der Regierung des Kantons Zürich sei indessen daran erinnert, daß dem Bundesrat auch in dieser Richtung insofern ein Überprüfungsrecht zusteht, als die kantonalen Instanzen nicht willkürlich jemanden den guten Leumund versagen dürfen.

III.

Aut Grund des Art. 224 des Organisationsgesetzes vom 22. März 1893 einer der Parteien eine Prozeßentschädigung zuzusprechen, liegt keine Veranlassung vor. Soweit die Gebrüder Dreifus glauben, einen erlittenen Schaden nachweisen zu können, weil ihnen in widerrechtlicher "Weise vom Dezember 1897 bis Februar 1898 die Verabfolgung einer Jahreskarte zum Besuche der Börse verweigert worden ist, steht ihnen zur Einklagung dieser Schadenszufügung der ordentliche Prozeßweg gegen den Schadenstifter offen.

Demnach wird er k an nt : Der Rekurs wird als unbegründet abgewiesen.

B e r n , den 27.'Juli 1898.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

Ruffy.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Bingier.

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Bundesratsbeschluss über den II. Rekurs der Gebrüder Dreifus, in Zürich, betreffend Zutritt zur Börse. (Vom 27. Juli 1898.)

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1898

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03.08.1898

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