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Schweizerisches Bundesblatt.

50. Jahrgang. IV.

Nr. 38.

7. September 1898.

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Bundesratsbeschluss über

den Rekurs der Nordostbahn contra Gemeinde Windisch betreffend Arbeitseinstellung an der Geleiseerweiterung in Brugg.

(Vom 30. August 1898.)

Der s c h w e i z e r i s c h e B u n d e s r a t , nach Einsicht 1. eines Gesuches der Nordostbahn-Direktion vom 4. November 1897; 2. einer Zuschrift des Bundesgerichts vorn 2. März 1898; 3. einer Zuschrift der Regierung von Aargau vom 7. April 1898 : 4. eines Berichtes und Antrages seines Eisenbahndepartements und des Mitberichtes seines Justiz- und Polizeidepartements, in E r w ä g u n g : 1. Unterm 13. März 1897 erteilte das Eisenbahndepartement einer Planvorlage der Nordostbahn für ein auf ihrem eigenen, bisher als Verladeplatz benutzten Areal zu erstellendes neues Ausladegeleise hinter dem Güterschuppen im Bahnhof Brugg unter einem hier nicht weiter in Betracht kommenden Vorbehalte die nachgesuchte Genehmigung, nachdem es über die Vorlage die Vernehmlassung der aargauischen Regierung eingeholt hatte, welche mit Schreiben vom 6. März 1897 erklärte, nicht veranlaßt zu sein, gegen die Ausführung des Projektes Einwendungen zu erheben.

Den begonnenen Ausführungsarbeiten trat dann aber der GemeindeBundesblatt. 50. Jahrg. Bd. IV.

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rat, namens der Gemeinde Windisch, in deren Gemarkung der östliche Teil des für die Geleiseanlage bestimmten Platzes liegt, entgegen, indem er über das fragliche Stationsgebiet ein zufolge fortgesetzter thatsäehlicher Ausübung durch Ersitzung erworbenes Wegrecht in Anspruch nahm. Er erwirkte unterm 1. September 1897 bei dem Gerichtspräsidium Brugg eine vorsorgliche Verfügung, durch welche der Nordostbahn bei einer Buße von Fr. 200 untersagt wurde, die Arbeiten für Anlage des Geleises längs der Reutenenstraße, soweit der Gemeindebann Windisch reicht, sowie die Erstellung einer Hecke an gleicher Stelle längs der genannten Straße fortzusetzen, und der Bahngesellschaft ferner aufgegeben wurde, bis zum östlichen Ende des bereits eingelegten Geleises den ehevorigen Zustand wenigstens insoweit wieder herzustellen, daß das Begehen und Befahren des Platzes als Zugang und Zufahrt zur Reutenenstraße ungestört möglich sei; ferner wurde jede Veränderung, soweit sie nicht durch obige Verfügung bedingt sei, bei gleicher Buße untersagt. Durch Entscheid vom 1. Oktober 1897 bestätigte das Bezirksgericht Brugg die vorsorgliche Verfügung, indem es durch Zeugenbescheinigungen die von der Gemeinde Windisch behauptete Servitut (Benutzung dos Platzes wie eines öffentlichen als Zugang und Zufahrt zur Reutenenstraße) als glaubhaft gemacht und die Ausübung derselben durch die projektierte Geleiseanlage für gefährdet erachtete, sowie in der weitern Verkehrsstörung durch die Nordostbahn einen nicht leicht zu ersetzenden Schaden für die Klagpartei erblickte. Auch das Obergericht des Kantous Aargau bestätigte auf erklärte Appellation die Verfügung, bloß mit der Einschränkung, daß die Nordostbahn als zur Verlängerung des Geleises um eine Schienenlänge berechtigt erklärt wurde.

2. Mit Eingabe vom 4. November 1897 rief die Nordostbahn, unter Darlegung des Sachverhaltes, die Intervention des Eisenbahndepartementes an, indem sie um eine Verfügung ersuchte, welche ihr die sofortige Ausführung und Benutzung des fraglichen Ausladegeleises in der projektierten Ausdehnung ausdrücklich bewillige, desgleichen auch die Abschließung des Verladeplatzes gegen die Reutenenstraße durch eine Einfriedigung zwischen Geleise und Weg, um das gefährliche Überschreiten des Geleises durch das Publikum zu verhüten. Zur Begründung ihres Gesuches berief
sich die Nordostbahn darauf, daß aus der Benutzung offenstehender Stationsplätze durch das Publikum, wovor sich ja eine Eisenbahngesellschaft nicht gänzlich zu schützen im stände sei, eine eigentliche Servitut sich niemals herausbilden könne, sondern daß die

381 in dieser Benutzung Geduldeten jederzeit zu weichen hätten, sobald eine Kollision mit den Zwecken des Bahnbetriebes eintrete. Sollte diese Ansicht hier nicht zutreffen, so wäre die Angelegenheit der Schätzungskommission zur Behandlung der Entschädigungsansprüche, die allfällig erhoben werden sollten, zu überweisen ; die kantonalen Gerichte halte sie nicht für zuständig.

3. Obwohl sie seiner Zeit in ihrer Vernehmlassung über die Planvorlage gegen die fragliche Geleiseanlage keine Einwendungen erhoben hatte, sah sich auch die Regierung von Aargau, auf Ansuchen der Gemeinde Windisch, zur Intervention veranlaßt. Sie erklärte in ihrer Zuschrift vom 7. April 1898, in doppelter Beziehung an dem Fortbestand des bisherigen Zustandes interessiert zu sein : einmal ständen öffentliche Interessen auf dem Spiel, indem durch die Zulassung der projektierten Geleiseanlage der Zugang zu der Reutenenstraße sehr erschwert und infolgedessen der öffentliche Verkehr gehemmt würde. Anderseits sei der Staat Eigentümer des südlich an das fragliche Gebiet anstoßenden Steinackerareals, aus welchem eine erst kürzlich angelegte breite Straße direkt auf das im Streite liegende Terrain münde, die durch Erstellung der Geleiseanlage und Einfriedigung bis auf einen schmalen Zugang gesperrt würde. Die Behauptung der. Nordostbahn, daß die Entstehung einer Servitut an Grundeigentum der Bahn nicht möglich sei, entbehre eines gesetzlichen Anhaltspunktes. Sie sei bloß insofern richtig, als es sich um Plätze handle, die ausdrücklich und notorisch für den Bahnbetrieb und den Verkehr des die Bahn benutzenden Publikums bestimmt und eingerichtet seien, wie z. B. die Geleise, Perrons etc. Das in Frage stehende Grundeigentum liege so, daß von der Bestimmung desselben zur ausschließlichen Benutzung durch das mit der Bahn verkehrende Publikum keine Rede sein könne. Eine ausdrückliche, das kantonale Recht aufhebende Norm des Bundesrechtes, daß solches Eigentum ,,öffentliches Gut" und der Verjährung entzogen sei, bestehe nicht. Daher finden auf dasselbe, in Bezug auf dingliche Rechte (Eigentum und Servituten), die Bestimmungen des kantonalen Rechtes Anwendung. Zum Überfluß unterwerfe auch die kantonale Konzession die Fordostbahn, gleich ändern Privatunternehmungen, den allgemeinen Gesetzen und Verordnungen des Landes und dieser Bestimmung sei
durch Art. 6 des Eisenbahngesetzes vom 23. Dezember 1872 nicht derogiert. Die Bahngesellschaften seien Privatgesellschaften und ihr Eigentum somit Privateigentum ; an dieser Thatsache vermögen einzelne Einschränkungen oder Begünstigungen, die im Interesse des öffentlichen Verkehrs gemacht worden seien, nichts zu ändern.

382 Es handle sich daher in der ganzen Angelegenheit nur um die Frage, ob nach den bereits festgestellten, eventuell noch gerichtlich festzustellenden Thatsachen die behauptete Ersitzung einer Servitut als zu. stände gekommen anzusehen sei oder nicht. Der Streit drehe sich somit um eine civilrechtliche Frage, und zwar dinglicher Natur. Somit gelte nach Art. 8, Absatz 2, des Eisenbahngesetzes der Gerichtsstand der -gelegenen Sache. Demnach seien in der vorwürfigen Frage allein die aargauischen Civilgerichte und in letzter Instanz eventuell das Bundesgericht als Civilgericht, nicht aber die Administrativbehörden zuständig. Selbstverständlich unterliege die durch die vorsorgliche Verfügung gelöste Präliminarfrage, in welchem Zustande sich das Streitobjekt während der Dauer des Prozesses befinden solle, der Entscheidung der nämlichen Behörden, wie die Hauptfrage. Zu einer Verfügung der Administrativbehörden läge nur dann eine Veranlassung und eine Berechtigung vor, wenn die Sicherheit des Bahnverkehrs oder des Publikums durch den bestehenden Zustand gefährdet wäre, was jedoch durchaus nicht der Fall sei. Bevor die anhängige Frage durch die Gerichte entschieden sei, dürfe eine Veränderung an dem bisherigen Zustand des betroffenen Grundstückes nicht vorgenommen werden. Die Geleiseerweiterung sei auch kaum ein so dringendes Bedürfnis.

Wenn sich dann nachträglich herausstelle, daß diese Erweiterung eine unbedingt notwendige und nur in der von der Nordostbahn gegenwärtig projektierten Weise auszuführende sei, so möge sich die Nordostbahn nach Feststellung der thatsächlichen Rechtsverhältnisse mit den Servitutinhabern, eventuell auf dem Expropriationswege, auseinandersetzen. Die Schätzungskommission könnte nicht jetzt schon, sondern erst dann in Funktion treten, wenn die beidseitigen Rechtsansprüche endgültig, und zwar durch die Civilgerichte, festgestellt seien. Beiläufig werde bemerkt, daß die öffentlichen Interessen des Staates und der Gemeinde bei einer allfälligen spätem Expropriation wesentlich in Betracht gezogen werden müßten.

Wenn endlich die Nordostbahn den gegenwärtigen Zustand als eine Gefahr für den öffentlichen Verkehr darstelle, indem das Überschreiten des Geleises durch das Publikum zu Befürchtungen Veranlassung biete, so folge daraus nicht, daß das Geleise weiter ausgeführt und mit einer
Einfriedigung versehen werden müsse,, sondern vielmehr, daß die den öffentlichen Verkehr hemmende.

Geleiseanlage zu beseitigen, beziehungsweise nicht weiter fortzusetzen sei.

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Die Regierung sehließt mit dem Gesuche, es sei auf die Eingabe der Nordostbahn wegen Inkompetenz nicht einzutreten.

4. Zur Wahrung ihrer Rechte erhob die Nordostbahn mittelst Rekursschrift vom 28. Januar 1898 ferner einen · staatsrechtlichen Rekurs beim Bundesgericht gegen die die mehrerwähnte vorsorgliche Verfügung bestätigenden Urteile des aargauischen Obergerichts und des Bezirksgerichtes Brugg. Indem der Instruktionsrichter des Bundesgerichtes hiervon dem Eisenbahndepartement im Sinne von Art. 194 des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege, vom 22. März 1893, Kenntnis gab, sprach er sich dahin aus, daß eine sachbezügliche Verfügung nur von der administrativen Bundesbehörde, d. h. vom Eisenbahndepartement, beziehungsweise vom Bundesrate ausgehen könnte und, aus diesem Grunde und weil überhaupt der Gegenstand eisenbahnrechtlicher Natur sei, der administrativen eidgenössischen Instanz die Erstbehandlung dieses ßekursgegenstandes zukomme. Nachdem sich ·das Eisenbahndepartement hiermit einverstanden erklärt hatte, trat das Bundesgericht auch seinerseits dieser Auffassung bei und beschloß deshalb, den Entscheid über den bei ihm anhängig gemachten staatsrechtlichen Rekurs auszusetzen, bis der Bundesrat über das bei ihm angebrachte Gesuch der Rekurrentin entschieden haben werde.

5. a. Es handelt sich nach dem Begehren der Nordostbahn, so wie es gestellt ist und nach dem vorliegenden Thatbestand nicht, wie die aargauische Regierung annimmt, um die an sich allerdings durch die kantonalen Gerichte zu entscheidende Frage, ob an einem zufällig der Nordostbahn gehörenden Grundstücke durch Ersiteung eine Servitut (Recht des Zuganges und der Zufahrt zur Reutenenstraße über den Stationsplatz) erworben wurde oder nicht, sondern darum, ob die Nordostbahn berechtigt ist, über das ihr eigentümlich gehörende, zu Bahnzwecken erworbene Terrain nach Maßgabe des behördlich in aller Form genehmigten Planes ohne weiteres zu verfügen, oder ob sie darin, mit Rücksicht auf ein prätendiertes Wegrecht Dritter noch im jetzigen Stadium durch die kantonalen Gerichtsbehörden gehindert werden darf und demnach die angefochtene, die Fortsetzung der Arbeiten untersagende und die Wiederherstellung des ehevorigen Zustandes gebietende vorsorgliche Verfügung als zu Recht erlassen angesehen werden muß.

Über diese
Fragen steht aber der Entscheid allein bei den administrativen Bundesbehörden, welchen durch die einschlägige Bundesgesetzgebung die Aufsicht über den Bau und Betrieb der Eisenbahnen übertragen ist.

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Dem Bundesrate und, soweit durch die Organisationsbestimmungen eine Delegation an das Eisenbahndepartement besteht, diesem letztern, kommt allein die Verfügung darüber zu, wie Eisenbahnanlagen jeder Art erstellt und betrieben werden sollen, insbesondere ob und eventuell in welchem Umfange, bezw. unter welchen Sicherheitsvorkehren Übergänge über Bahngebiet angelegt,, bezw. ausgeübt werden dürfen. Der Bundesrat ist es auch, welcher nach Art. 25 des Expropriationsgesetzes vom 1. Mai 1850 darüber entscheidet, ob und eventuell in welchem Umfange die Abtretungspflicht zu Eisenbahnbauten im einzelnen Falle begründet ist oder nicht.

b. Durch die Plangenehmigung seitens des Departements war aber in beiden erwähnten Beziehungen der endgültige Entscheid getroffen, d. h. einerseits festgestellt, daß ein allfällig bisher über den fraglichen Platz ausgeübtes Wegrecht dem Bahnbedürfnis zu weichen habe und inskünftig unzulässig sei, wie anderseits die Bedürfnisfrage bezüglich der Anlage selbst entschieden. Danach war und ist die Nordostbahn zur Ausführung der Anlage nach genehmigtem Plane berechtigt, und es steht den kantonalen Gerichtsbehörden nicht mehr zu, sie in der planmäßigen Ausführung zu hindern oder gar die Zulässigkeit der Anlage im Sinne des genehmigten Planes in Frage zu ziehen, dessen Genehmigung nicht ihnen zusteht und dessen Änderung sie unter keinen Umständen zu verfügen kompetent sind.

c. Die Regierung von Aargau sucht allerdings, aber in unzutreffender Weise, die ganze Frage auf einen ändern Boden zu stellen, indem sie zunächst vom Standpunkt des ö f f e n t l i c h e n I n t e r e s s e s , d.h. desjenigen des allgemeinen Verkehrs die Aufrechterhaltung des bisherigen Zustandes als notwendig bezeichnet,, indem durch Zulassung der projektierten Geleiseanlage der Zugang zur Reutenenstraße sehr erschwert und infolgedessen der öffentliche Verkehr gehemmt werde. Sodann beruft sie sich, wie die Gemeinde Windisch, im Namen des Staates als Eigentümer eines anstoßenden Landkomplexes, auf einen p r i v a t r e c h t l i c h e n T i t e l : Erwerb des beanspruchten Zugangs- und Zufahrtsrechtes durch Ersitzung. Sie will die Frage, ob die behauptete Ersitzung zu stände gekommen sei, als die maßgebende in den Vordergrund stellen und macht geltend, daß es sich somit um einen dinglichen Anspruch handle, über
welchen im Weg des Civilprozesses die kantonalen Gerichte zu entscheiden hätten, denen dann selbstverständlich auch der Entscheid über die Zulässigkeit von Veränderungen am Streitgegenstand während der Litispendenz -- vorsorgliche Verfügung -- zukomme.

385 d. Nun war aber die öffentlich-rechtliche Seite der Angelegenheit, d. h. die Frage, ob im Interesse des allgemeinen Verkehrs die Nordostbahn zur Duldung des Zugangs und der Zufahrt über das fragliche Stationsareal und zu entsprechend verkürzter Anlage des projektierten Geleises zu verhalten sei, im Plangenehmigungsverfahren zu erledigen, das mit der Departementalgenehmigung vom 13. März 1897 seinen endgültigen Abschluß gefunden hat.

In diesem Verfahren \var auch vorschriftsgemäß der Regierung für sich und zu Händen der Lokalbehörden durch Übermittlung des Planes Gelegenheit zur Geltendmachung ihrer Interessen gegeben worden. Sie erwähnte indessen in ihrer Vernehmlassung nichts von dem heute beanspruchten Wegrechte, sondern erklärte, nicht veranlaßt zu sein, gegen die Ausführung des Projektes deiin Rede stehenden Geleiseanlage Einwendungen zu erheben. Wenn sie nun heute vom öffentlich-rechtlichen Standpunkte aus Anerkennung und Schutz des Weg-rechtes verlangt, so ist ihr Begehren verspätet angebracht und kann daher nicht mehr berücksichtigt werden. Es könnte sich im jetzigen Stadium der Saöhe bloß noch fragen, ob auf die Genehmigungsverfügung des Departements zurückzukommen und eventuell dieselbe zu modifizieren sei. Dazu liegt aber eine genügende Veranlassung nicht vor, da die angestellten Erhebungen ergaben, daß die im genehmigten Plane vorgesehene Abrundung der Reutenenstraßeneinfahrt (von der Zürcherstraße her) weit genug ist, um von allen auf dieser Straße verkehrenden Fuhrwerken befahren werden zu können, und überdies die technischen Organe des Departements einerseits die Nützlichkeit des zu erstellenden Verladegeleises im Interesse des Bahnbetriebes und des mit der Bahn verkehrenden Publikums bestätigen und anderseits die Gestattung des freien Straßenverkehrs über dasselbe aus Gründen der Sicherheit ablehnend begutachten. Sollten aber gegenüber dem Zeitpunkte des Erwerbes des fraglichen Areals durch die Nordostbahn, beziehungsweise der Erstellung der Reutenenstraße veränderte Verhältnisse (zufolge der angeregten Bauthätigkeit in jener Gegend) die bisherige Straßenanlage der Regierung und der Gemeinde Windisch als ungenügend erscheinen lassen, so ist es an und für sich nicht an der Nordostbahn, sondern an jenen selbst, für die Verbreiterung aufzukommen.

e. Was den privatrechtlichen Titel
der Ersitzung anbelangt, so ist vor allem zu betonen, daß auch auf solchem Titel beruhende Privatwege gegebenen Falls dem Bahnbedürfnis unbedingt zu weichen haben, wenn dieses letztere vom Bundesrate, welcher nach Art. 25 des Expropriationsgesetzes über die Begründetheit

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der Abtretungspflicht im Falle der Bestreitung za, entscheiden hat, anerkannt ist. Über die Bedürfnisfrage, beziehungsweise die Abtretungspflicht ist aber schon durch die Plangenehmigung implicite entschieden, und es könnte sich heute wiederum nur darum handeln, eventuell auf dieselbe zurückzukommen, wozu aber aus den obenerwähnten Gründen kein Anlaß vorliegt.

Sodann muß ferner darauf hingewiesen werden, daß durch Erkenntnis eines Gerichtes oder der eidgenössischen Schätzungskommission ein Wegrecht über Bahngebiet immer nur unter der Bedingung zugesprochen werden kann und nur unter der Voraussetzung vollstreckbar ist, das die Aufsichtsbehörde über das Eisenbahnwesen, d. h. der Bundesrat, welcher einzig und endgültig die Pläne für Eisenbahnanlagen jeder Art feststellt, die Ausübung des Wegrechtes und die Erstellung der etwa dazu erforderlichen Anlagen als zulässig anerkennt, beziehungsweise die bezügliche Planvorlage oder Planabänderung gutheißt. Einer ändern Behörde steht hierüber die Verfügung nicht zu. Dieser Grundsatz wird vom Bundesrate konsequent gehandhabt (cfr. Entscheid des Bundesrates in Sachen Gotthardbahn contra Witwe Weber, beziehungsweise Regierung von Schwyz, vom 26. November 1897) und ist auch vom Bundesgerichte anerkannt. Im vorliegenden Falle nun ist durch die Plangenehmigung bezüglich des prätendierten aber von der Nordostbahn bestrittenen Zugangs- und Zufahrtsrechtes zur Reutenenstraße über das für das Ausladegeleise bestimmte Stationsareal nicht bloß, was die Abtretungspflicht anbelangt (s. oben), sondern auch hinsichtlich der Zulässigkeit vom eisenbahntechnischen Standpunkte, und zwar im Sinne der Unterdrückung durch die kompetente Bundesbehörde endgültig verfügt. Es steht daher keiner kantonalen Gerichtsbehörde die zeitweise oder definitive Gestattung der Ausübung jenes Rechtes mehr zu.

f. Es folgt daraus, daß, auch wenn das bestrittene Wegrecht wirklich existieren,l und es den Interessenten selina'en sollte,7 dies O O zur gerichtlichen Anerkennung zu bringen, dasselbe doch dem Bahnbedürfnis auf alle Fälle weichen müßte, thatsächlich also nicht mehr ausgeübt werden dürfte, und die eventuell Berechtigten, wenn sie ein Gerichtsurteil im gedachten Sinne erwirken, mit ihrem Anspruch auf den Expropriationsweg verwiesen werden müssen, in welchem Verfahren sie denselben, gestützt
auf Art. 6 (Erstellung eines neuen oder Verbreiterung des bestehenden Weges außerhalb des Bahngebietes) oder Art. 3 des Expropriationsgesetzes (als Entschädigungsforderung), geltend machen mögen.

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6. Steht danach fest, daß die aargauischen Gerichte nicht kompetent waren und sind, entgegen der in der Plangenehmigung enthaltenen endgültigen Verfügung der zuständigen Bundesbehörde, weder zeitweilig noch definitiv die Ausübung eines Wegrechtes über das für eine Geleiseanlage bestimmte Areal der Nordostbahn zu dekretieren, so ist damit zugleich hergestellt, daß sie sich mit Erlaß, beziehungsweise Bestätigung der vorsorglichen Verfügung mit den bundesrechtlichen Vorschriften über die Abgrenzung des Kompetenzbereiches der Bundesgewalt und der Kantonalgewalt in Widerspruch setzten. Daraus ergiebt sich einerseits, daß der Bundesrat, als kompetente administrative Bundesbehörde, gestützt auf Art. 14 des Bundesgesetzes über den Bau und Betrieb der Eisenbahnen auf dem Gebiete der schweizerischen Eidgenossenschaft, vom 23. Dezember 1872, diesen Übergriff in seine Hoheitsrechte ·dadurch unschädlich zu machen hat, daß er im Sinne des Gesuches der Nordostbahn vom 4. November 1897 eine Verfügung erläßt, andererseits, daß der Bundesrat, als Beschwerdeinstanz, gestützt auf die Art. 175, 178, 189, Absatz 2, 190 des Organisationsgesetzes betreffend die Bundesrechtspflege, vom 22. März 1893, die vorsorgliche Verfügung des Vizegeriehtspräsidenten von Brugg, vom 1. September 1897, und deren gerichtliehe Bestätigung vom ·1. Oktober und 21. Dezember als bundesrechtswidrig aufhebt, denn dieselben stehen im Widerspruch mit den eidgenössischen eisenbahngesetzlichen Vorschriften ; der Bundesrat hat aber auf die Beschwerde hin dafür zu sorgen, daß die kantonalen Behörden bundesgesetzliche Bestimmungen nicht verletzen.

Angesichts der bisherigen Erörterungen ist es nicht erforderlich, auf die Frage einzutreten, ob das beanspruchte Wegrecht durch Ersitzung wirklieh erworben wurde, und daher auch nicht zu untersuchen, ob an Bahnareal überhaupt Ersitzung rechtlich möglich ist, eventuell unter welchen Voraussetzungen, und ob diese im Fragefalle zutreffen. Ebensowenig braucht darüber entschieden zu werden, ob zur Beurteilung dieser Fragen als solcher die Gerichte oder die Administrativbehörden zuständig seien, beschließt: Es wird die Nordostbahn, in Bestätigung der Verfügung des Eisenbahndepartements vom 13. März 1897, befugt erklärt zur sofortigen Ausführung und Benutzung des Ausladegeleises hinter dem Güterschuppen im Bahnhof
Brugg, gemäß dem unterm 13. März 1897 vorn Eisenbahndepartement genehmigten Plane, und es werden daher die vorsorgliche Verfügung des Vizegerichtspräsidenten von

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Brugg, vom 1. September 1897, sowie die diese Verfügung bestätigenden Urteile des Bezirksgerichtes Brugg, vom 1. Oktober 1897, und des Obergerichtes des Kantons Aargau, vom 21. Dezember 1897, als mit bundesgesetzlichen Vorschriften im Widerspruch stehend, aufgehoben.

B e r n , den 30. August 1898.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: Ruffy.

Der l. Vizekanzler : Schatzmann.

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Bundesratsbeschluss über den Rekurs der Nordostbahn contra Gemeinde Windisch betreffend Arbeitseinstellung an der Geleiseerweiterung in Brugg. (Vom 30. August 1898.)

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07.09.1898

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