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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung über den Rekurs der Firma C. und J. Favre-Brandt in Yokohama in ihrer Prozeßangelegenheit gegen Fritz Schoene.

(Vom 12. April 1898.)

Tit.

Herr Karl Favre-Brandt in Neuenburg, als Teilhaber und einer der Chefs des Hauses C. und J. Favre-Brandt in Yokohama, rekurriert mit Eingabe vom 10. Juli 1897 an die Bundesversammlung gegen einen Beschluß des Bundesrates vom 14. Mai 1897.

Der Sachverhalt ist kurz folgender : Unter den Schweizern, die sich bald nach der Erschließung Japans für den fremden Verkehr in diesem Lande niederließen, finden wir die Brüder Favre-Brandt aus Neuenburg und Schoene aus Corcelles; jene gründeten das Haus C. und J. Favre-Brandt in Yokohama, und dieser beteiligte sich am Hause Valmale, Schoene & Milsom. Die Brüder Favre-Brandt traten bald mit F. Schoene, ihrem Freunde, in Verbindung und machten mit ihm allerlei Geschäfte. Dieser Geschäftsverkehr wickelte sich, da zwischen ihnen volles Vertrauen herrschte, ziemlich formlos ab, j a man f u h r j a h r e l a n g , v o n 1865 b i s 1877, f o r t , s i c h g e g e n seitig zu d e b i t i e r e n u n d z u k r e d i t i e r e n , ohne j e e i n e n R e c h n u n g s a b s c h l u ß v o r z u n e h m e n . So geschah es, daß die Parteien, als sie im Jahre 1877 den Versuch machten, ihre Rechnungen zu bereinigen und abzuschließen, sich nicht ver-

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ständigen konnten. Drei Jahre später stellten die Herren C. und .T. Favre-Brandt dem Herrn Schoene eine den Zeitraum vom 1. Januar 1869 bis zum 31. Dezember 1880 umfassende Rechnung zu, in der jedoch die Bilanz nicht gezogen war ; der Auszug wies nur folgende Additionen auf: Soll: Dollars 41,343. 25, Haben: Dollars 40,549. 12. Mit Brief vom 27. Juni 1881 erkannte Herr Schoene, unter Vorbehalt einiger Berichtigungen, diese Rechnung an.

Am 31. Dezember 1881, nachdem einige Grundstücke verkauft und noch andere Geschäfte abgeschlossen worden waren, legten C. und J. Favre-Brandt ihrem Geschäftsfreund Schoene eine neue, auf den 31. Dezember 1881 mit einem Saldo von Dollars 7109. 33 zu gunsten des Herrn Schoene abschließende Rechnung vor. Schoene erkannte am 21. Januar 1882 die Richtigkeit dieser Rechnung an und erhielt am 2S./27. Januar gleichen Jahres sein Saldoguthaben.

Als Herr Favre im Jahre 1884, um die Rechnungen mit seinem Bruder zu bereinigen, eine neue Prüfung der Bücher in der Schweiz vornahm, glaubte er schwere Irrtümer zu entdecken, die sich in die Herrn Schoene zugestellten Rechnungen eingeschlichen hatten. Es wurde infolgedessen am 7. September 1891 in Neuenburg eine neue Rechnung aufgestellt, welche mit einem Saldo von Dollars 3658. 53 zu gunsten der Herren C. und J. Favre-Brandt abschloß. Es ist diese nach der Behauptung der Firma FavreBrandt an Herrn Schoene irrtümlicherweise zu viel bezahlte, später im Laufe der Verhandlungen auf Dollars 3189. 67 reduzierte Summe, welche zurückgefordert wurde und Gegenstand eines Prozesses vor dem schweizerischen Konsulargericht in Yokohama bildete.

Herr Schoene wies diese Rechnung ab, indem er behauptete, er besitze nach so vielen Jahren nicht mehr die nötigen Dokumente, um sie zu verifizieren, und machte die Einrede der zehnjährigen Verjährung geltend.

Das Konsulargericht, bestehend aus dem Generalkonsul und zwei Beisitzern, wies mit einstimmig gefälltem Urteil vom 5. Dezember 1892 die Klage der Herren Favre-Brandt ab, indem es, gestützt auf ein Gutachten des Herrn Keil, Sekretärs der Handelskammer in Yokohama (Beilage 10 zur Eingabe der Rekurrenten), annahm, daß zwischen dem Hause C. und J. Favre-Brandt und Herrn Schoene kein regelrechtes Kontokorreutverhältnis bestanden habe, und daß die Forderung deshalb als verjährt anzusehen sei, Wir haben
schon vorhin hervorgehoben, daß während einer langen Reihe von Jahren kein Rechnungsabschluß stattgefunden hatte, verweisen im übrigen auf das ausführlich motivierte Urteil.

856 Eine zweite Forderung, für welche die Firma C. und J. FavreBrandt gegen Herrn Schoene ebenfalls vor dem schweizerischen Konsulargericht in Yokohama einen Prozeß anstrengte, betrifft eine Summe von Fr. 2814. 34 und hat folgenden Ursprung.

Im Jahre 1876 machten die Herren C. und J. Favre-Brandt gemeinsam mit Fräulein Anna Schoene, Schwester des Herrn Schoene, eine Spekulation in Seidenraupensamen und sandten dem Hause Viganò Frères in Mailand in Konsignation 4388 Kartons im Werte von Fr. 21,867. 44. Der erzielte, zwischen die Firma Favre-Brandt und Fräulein Schoene zur Hälfte zu verteilende Nettogewinn aus dem Verkaufe der Ware betrug Fr. 8677. 61 ; Fräulein Schoene blieb, wie es scheint, den Herren Favre-Brandt die Summe von Fr. 2814. 34 an Kapital und Zinsen schuldig.

Am 10. Mai 1877 schrieb Herr Schoene von Baden (Schweiz) aus an die Herren Favre-Brandt folgendes : .,,Je viens vous remettre une copie du compte de vente Viganò ; vous l'avez peut-être déjà reçu, mais enfin, dans le doute, il vaut encore mieux faire double emploi. Vous serez, sans doute, satisfaits du résultat; en définitive, ils s'en sont fort bien tirés.

Hier, j'ai envoyé une copie du compte à votre frère aîné. Maintenant, pour arriver à un règlement définitif, il est nécessaire d'avoir le compte d'achat avec le taux de change ; vous m'obligerez infiniment en m'envoyant le plus tôt possible cette note, qui me permettra de régler la 1/2 vous revenant et la */2 de rna soeur.'1 Auf diesen Brief antworteten die Herren C. und J. FavreBrandt nicht und sandten die verlangten Dokumente nicht. Als im Jahre 1885 Anna Schoene, die noch in den Buchern der genannten Firma als Schuldnerin figurierte, starb, meldeten die Herren Favre-Brandt ihre Forderung an die Verlassenschaft nicht an. Erst im Jahre 1892 belangten sie Herrn Schoene (der seine Schwester nicht beerbt hatte) vor dem Konsulargericht in Yokohama wegen Bezahlung von Fr. 2814. 34, indem sie behaupteten, Herr Schoene sei als Mandatar seiner Schwester an deren Stelle getreten und müsse für deren Schuld aufkommen. Die Kläger konnten keinen ändern Beweis hierfür beibringen als den oben wiedergegebenen Brief vom 10. Mai 1877.

Der Beklagte entgegnete, er habe mit dieser ganzen Angelegenheit nie etwas zu schaffen gehabt, außer daß er, um seiner Schwester und den Klägern selbst gefällig zu sein, jenen Brief vom 10. Mai 1877 geschrieben habe, um zur Regelung der Sache mitzuhelfen. Damit sei er aber keineswegs in das Schuldverhältnis

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seiner Schwester den Herren Favre-Brandt gegenüber getreten.

Gegen die Behauptung der Kläger, er sei Depositar der von Viganó Frères in Mailand einbezahlten Summen geworden, spreche die Thatsache, daß die Kläger schon vor dem Empfang seines Briefes vom 10. Mai 1877 den größten Teil ihres Guthabens, d. h.

Fr. 24,260. 85, direkt von Fräulein Schoene selbst erhalten hätten.

Von einer Substitution könne keine Rede sein. Auch diese Forderung sei übrigens verjährt.

Das Konsulargericht nahm an, daß eine Übertragung der Schuld der Anna Schoene an den Beklagten nicht vorliege, zum mindesten nicht erwiesen sei, und wies aus diesem Grunde einstimmig mit Urteil vom 5. Dezember 1892 das Begehren der Firma C. und J. Favre-Brandt ab.

Ein dritter von dieser Firma ebenfalls beim schweizerischen Konsulargericht in Yokohama gegen F. Schoene anhängig gemachter Prozeß bezieht sich auf eine Forderung von Dollars 3800. Damit hat es folgende Bewandtnis.

Am 29. Juni 1868 gaben die Herren Favre-Brandt der Firma Valmale, Schcene & Milsom in Yokohama 200 Gewehre und 20,000 Patronen im Werte von 4000 Dollars in Kommission. Den Kommissionsverkäufern wurde eine Provision von l Dollar per Gewehr zugesichert.

Jahre vergingen, ohne daß eine Abrechnung zwischen den Kommittenten und den Kommissionären stattgefunden hätte. Im Jahre 1875 löste sich die Firma Valmale, Schoene & Milsom infolge des Todes eines Gesellschafters, Herrn Valmale, auf. Im Jahre 1876 gründeten Schoene und Milsom eine neue Firma, die bis zum 30. Dezember 1880, wo Milsom austrat, bestand.

Nach der Liquidation dieser Gesellschaft, die von Schoene besorgt wurde, gründete dieser am 1. Januar 1881 mit Herrn A. Mottu von Genf eine neue Firma. Während dieser ganzen Zeit (1868 bis 1881) und bei allen diesen Wandlungen der Firma Valmale, Schoene & Milsom rührten sich die Herren C. und J. Favre-Brandt nicht, sie thaten keinen Schritt, um zu erfahren, was aus den in Kommission gegebenen Waren geworden sei.

Erst durch Schreiben an den Bundesrat vom 31. D e z e m b e r 1891 traten die Herren C. und J. Favre-Brandt mit ihrer Forderung an Schoene von Dollars 3800 auf.

Herr Schoene bestritt vor dem Konsulargericht in Yokohama nicht, daß ein solches Geschäft seiner Zeit zwischen C. und J.

Favre-Brandt und dem Hause Valmale, Schoene & Milsom abge-

858 schlössen worden sei, schützte aber die Einrede der Verjährung nach Art. 146 und 585 O.-R. vor, indem er nach so vielen Jahren nicht mehr im stände sei, auf andere Weise nachzuweisen, daß die behaupteten Forderungen befriedigt worden seien.

Das Konsulargericht erkannte mit Urteil vom 4. Februar 1893 einstimmig, daß die Ansprüche der Firma Favre-Brandt nach Art. 146 und 585 O.-R. verjährt seien, und wies die Kläger mit ihrem Begehren ab.

Hier müssen wir ein Wort über unsere Konsulargerichtsbarkeit in Japan verlieren.

Diese Gerichtsbarkeit gründet sich auf Art. 4, 5 und 6 des Freundschafts- und Handelsvertrages mit Japan vom 6. Februar 1864, wonach Streitigkeiten zwischen SchweizerbUrgern in Japan ,,der Jurisdiktion der in Japan eingesetzten schweizerischen Behörden unterstellt sinda.

Die Organisation und das Verfahren unseres Konsulargeriehts sind nicht, wie es in anderen Staaten der Fall ist, durch Gesetz geregelt. Die am 14. Februar 1866 vom Bundesrate dem schweizerischen Generalkonsul in Yokohama erteilten Instruktionen besagen in Ziffer 5: ,,Bei Ausübung der Jurisdiktion soll der Herr Generalkonsul sich jedesmal einige seiner Landsleute als Gerichtsbeisitzer beiordnen und die in der Schweiz geltenden allgemeinen Rechtsgrundsätze, sowie die Platzusancen zur Richtschnur nehmen. a Das Kreisschreiben des Bundesrates vom 11. Juli 1882 an die schweizerischen Konsularbeamten in Japan giebt diesen eine ausführlichere Anleitung: für das Verfahren sei, soweit die besonderen Verhältnisse der Jurisdiktion in Japan es zuließen, das Bundesgesetz vom 22. November 1850 über das Verfahren bei dem Hundesgerichte in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten anzuwenden; was das materielle Recht betreffe, so seien in allen civilrechtlichen Kragen die Bundesgesetze über das Obligationeurecht, die Handlungsfähigkeit u. s. w., sowie die Gesetze des Heimatkantons des Interessenten, oder vorkommendenf'alls des Beklagten, maßgebend, es wäre denn, daß Lokalgebräuche bestünden, deren Beobachtung alsdann vorzuziehen sein dürfte (s. v. Salis, Schweiz. Bundesrccht I, S. 300 u. ff.).

Mit Bezug auf die Weiterziehung einer Prozeßsache an eine höhere Instanz enthält das Bundesgesetz vom 22. November 1850 naturgemäß keine Bestimmung, und die bundesrätlichen Instruktionen besagen hierüber nur, daß ,,die von dem Konsulargericht gemäß § 5 der Instruktionen vom 14. Februar 1866 . gefällten

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Urteile s o f o r t v o l l s t r e c k b a r s i n d , auch wenn Rekurs an den Bundesrat eingelegt werden sollte". Welcher "Art dieser Rekurs sein könne -- ob nur eine Kassationsbeschwerde, oder auch die Berufung zulässig sei --, welches die Voraussetzungen des Rechtsmittels seien, in welcher Form und binnen welcher Frist es eingelegt werden müsse, darüber bestehen keine Vorschriften.

Gestützt auf die vorhin citierte Bestimmung des bundesrätlicheu Kreisschreibens vom 11. Juli 1882, welche einen Rekurs an den Bundesrat implicite einräumt, erklärten die Herren C. und J. FavreBrandt, die Appellation an den Bundesrat gegen alle drei konsulargerichtlichen Urteile ergreifen zu wollen. Hiervon erhielten wir durch Schreiben unseres Vizekonsuls in Yokohama vom 1. M ä r z und 29. M ä r z 1893 Kenntnis.

Erwägungen, welche in dem Charakter des Bundesrates als Administrativ- und Exekutivgewalt liegen, hätten uns eine Überweisung der Sache an eine richterliche Behörde angezeigt erscheinen lassen. Wir wandten uns daher zunächst an den Präsidenten des Bundesgerichts mit der Anfrage, ob er glaube, daß diese Behörde als Berufungsinstanz die Rechtsprechung in genannten Sachen übernehmen dürfe. Die Antwort lautete entschieden negativ, weil weder die Bundesverfassung noch ein Bundesgesetz dem Bundesgericht die Kompetenz einräume, als Berufungsinstanz für Entscheide schweizerischer Konsulargerichte zu funktionieren. Wir verweisen auf das hierüber von Herrn Bundesgerichtspräsidenten Dr. Hafner abgegebene interessante Gutachten, welches die Frage nach allen Richtungen hin gründlich erörtert und beleuchtet.

Nun standen wir vor der Frage : soll sich der Bundesrat als Berufungs- oder nur als Kassationsinstanz kompetent erklären?

Bei näherer Betrachtung der einschlägigen Stelle des Kreisschreibens vom 11. Juli 1882 fanden wir, daß es nicht in der Absicht des Bundesrates hatte liegen können, gegen ein konsulargerichtliches Urteil das Rechtsmittel der Berufung an den Bundesrat zu gewähren. Denn sonst hätte der Bundesrat nicht dem Rekurse jede Suspensivkraft abgesprochen. Das ist ja gerade der Hauptsatz, den der Bundesrat ausspricht, daß das konsulargerichtliche Urteil s o f o r t v o l l s t r e c k b a r sei, und nur in einem Nebensatze fügt er bei : .,,auch wenn Rekurs an den Bundesrat eingelegt werden sollte"'. Es ist
also nicht etwa die VoDstreckbarkeit als eine ,,vorIäufigea bezeichnet, sondern sie soll eine definitive, eine unbedingte sein, wie sie nur dem rechtskräftigen Urteil zukommt.

Aus diesen Erwägungen und gestützt auf Art. 102, Ziffer 8, der Bundesverfassung, welcher dem Bundesrate die Wahrung der

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Interessen der Eidgenossenschaft nach außen und ihrer völkerrechtlichen Beziehungen überträgt, gelangten wir dazu, uns durch Bes c h l u ß v o m 6. D e z e m b e r 1894 in dem Sinne kompetent zu erklären, daß wir als Aufsichtsbehörde nur zu untersuchen hätten, ob das Konsulargericht in Yokohama in Sachen FavreBrandt formell richtig verfahren sei. Sollte sich ergeben, daß das Konsulargericht in Yokohama sich schwere Verstöße gegen die Rechte einer Partei, offenbare Überschreitung seiner Kompetenzen, ein regelwidriges Verfahren u. s. w. hatte zu schulden kommen lassen, so wäre alsdann Pflicht des Bundesrates gewesen, den Parteien die Möglichkeit zu bieten, ihre Sache in regelrechtem Verfahren vor demselben oder einem anderen schweizerischen Gerichte in dem ausländischen Staate von neuem zu verhandeln. Wir fanden indessen nach Prüfung der Prozeßakten, daß kein stichhaltiger Grund vorhanden sei, das Verfahren zu kassieren, und wiesen die Rekurse der Herren C. und J. Favre-Brandt ab. Hiervon wurde dem Herrn Nationalrat Jeanhenry, Anwalt der Rekurrenten, in Neuenburg, durch Schreiben vom 15. D e z e m b e r l 8 94 Kenntnis gegeben.

Die Herren Favre-Brandt gaben sich mit dem Entscheide des Bundesrates nicht zufrieden und gelangten mit Eingaben vorn 28. Dezember 1894, gezeichnet Jeanhenry, und vom 23. A p r i l 1895, gezeichnet Prof. Rössel, Jeanhenry und Strittmatter, neuerdings an uns mit dem Begehren, der Bundesrat möchte: 1. die Revision sowohl seines Entscheides vom 6. Dezember 1894 als der Urteile des Konsulargerichts in Yokohama vom 5. Dezember 1892 und 4. Februar 1893 aussprechen; 2. eventuell, die Revision seines Entscheides vom 6. Dezember 1894 aussprechen und das Konsulargericht in Yokohama anweisen, über das von den Rekurrenten gegen erwähnte Urteile eingereichte Kevisionsgesuch zu erkennen ; 3. für den Fall, daß entgegen jeder Erwartung, das Revisionsbegehren abgewiesen würde, auf den Entscheid vom 6. Dezember 1894 zurückkommen und den Rekurrenten Gelegenheit geben, die Gründe geltend zu machen, auf die sich ihr Rekurs gegen die Konsulargerichtsurteile stützte. Denn die Rekurrenten seien in der That noch nicht aufgefordert worden, diese Gründe darzulegen.

Der Revisionsantrag stützte sich auf Art. 192 des ßundesgesetzes vom 22. November 1850 über das Verfahren bei dem Bundesgerichte in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, sowie hauptsächlich auf folgende Behauptungen : die zwei Beisitzer des Konsulat'-

861 gerichts seien mit Schoene, dem Beklagten, besonders befreundet; der Experte Keil hätte ein direktes Interesse daran gehabt, daß Schoene den Prozeß gewinne ; das erste Urteil gründe sich auf das Gutachten eines Experten, welcher über den Begriff des Kontokorrents eine irrige, unserem schweizerischen Recht widersprechende Auffassung habe.

Wir luden unseren Generalkonsul in Yokohama ein, sich über die von den Rekurrenten vorgebrachten Bemängelungen des Verfahrens und der Besetzung des Gerichts vernehmen zu lassen. Die Aufschlüsse, die wir hierauf durch Bericht vom 22. Mai 1895 (Beilage 42) erhielten, waren jedoch derart, daß wir die geltend gemachten Revisionsgründe als ganz unerheblich oder als unstichhaltig betrachten mußten. Was die materiell-rechtliche Frage betrifft, ob das Konsulargericht richtig entschieden habe, indem es annahm, daß es sich nicht um Forderungen in fortdauerndem Kontokorrent-Verkehr der Parteien, sondern um selbständige, für sich zu betrachtende, einzelne Forderungen handelte, so konnte der Bundesrat selbstverständlich darauf nicht eintreten, nachdem er durch seinen Beschluß vom 6. Dezember 1894 die Natur des Rekurses an den Bundesrat gegen Konsulargerichtsurteile als die einer Kassationsbeschwerde festgestellt hatte.

Am 29. J u l i 1895 wiesen wir daher den neuen Rekurs der Herren Favre-Brandt ab und bestätigten unsern Beschluß vom 6. Dezember 1894.

Am 23. Februar 1897 reichten die Herren C. und J. FavreBrandt, vertreten durch Prof. Dr. Virgile Rössel in Bern und durch die Advokaten Jeanhenrj7 und Strittmatter in Neuenburg, ein neues Memorial ein, worin sie das Gesuch stellten, der Bundesrat möge auf seinen Beschluß vom 6. Dezember 1894 zurückkommen und dem Hause Favre-Brandt gestatten, binnen einer zu bestimmenden Frist dem Bundesrate oder der von diesem als zuständig bezeichneten Behörde behufs Abänderung der Konsulargerichtsurteile vom 5. Dezember 1892 und 4. Februar 1893 das zur B e g r ü n d u n g der A p p e l l a t i o n an den Bundesrat dienende Beweismaterial samt einem bezüglichen Schriftsatze vorzulegen.

Dieses Begehren stützte sich auf angeblich neue Beweismittel, d. h. auf Briefe und Telegramme des Generalkonsuls Dr. Ritter, worin er den Rekurrenten versicherte, daß sie das Recht der A p p e l l a t i o n an den Bündesrat hätten.

Die rekurrentischen Rechtsanwälte machten zu gunsten ihrer Klienten noch folgende Argumente geltend : Btmdesblatt. 50. J&hrg. Bd. II.

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Beim Mangel jeder gesetzlichen Definition des Rekurses gegen Konsulargerichtsurteile müsse angenommen werden, daß dieser Rekurs a l l e F o r m e n der Weiterziehung in sich begreife ; das Schweigen des Gesetzes dürfe nicht zu einer einschränkenden Auslegung, führen. Überdies fordere die Gleichheit der Bürger vor dem Gesetze, daß den hinsichtlich der Jurisdiktion exterritorialen Schweizern in Japan das Rechtsmittel der Berufung gegen Konsulargerichtsurteile in gleicher Weise zustehe, wie den im Vaterlande wohnenden Bürgern auf Grund des Organisationsgesetzes über die Bundesrechtspflege gegen kantonalgerichtliche Urteile; sonst sei das Privilegium der Exterritorialität ein bloßes Blendwerk.

Wir beschlossen am 14. Mai 1897, an unseren früheren Entscheiden festzuhalten, und traten auf die neuen Begehren der Rekurrenten nicht ein.

Es leuchtet in der That ein, daß der Bundesrat in seinen Entschließungen weder durch Äußerungen eines Departementschefs, noch durch solche -- und \varen es garadezu Versprechungen -- eines Konsuls oder Generalkonsuls gebunden werden kann. Wenn Herr Dr. Ritter den Rekurrenten gegenüber von Appellation gesprochen und geschrieben hat, so konnte er dadurch nicht das vom Bundesrate zugelassene Rechtsmittel des Rekurses gegen Konsulargerichtsurteile in einem den Bundesrat bindenden Sinn definieren, er mußte vielmehr die Entscheidung des Bundesrates über den Charakter und die Tragweite des Rechtsmittels vorbehalten.

Das haben sich übrigens die Herren Favre-Brandt vernünftigerweise selbst sagen müssen, zumal da der schweizerische Generalkonsul ihnen ja nicht verhehlte, daß der Fall der Anwendung des Rekursrechtes sich zum erstenmal darbiete und über die Behandlung desselben, das einzuschlagende Verfahren u. s. f., große Unsicherheit herrsche.

Es ist nicht richtig, was die Rekurrenten sagen, daß die Instruktionen von 1866 und 1882 den Rekurs in keiner Richtung beschränken, sondern in jeder Form zulassen. Wenn der Bundosrat durch seinen mehrerwähnten Beschluß vom 6. Dezember 1894 dem in seinen Instruktionen von 1866 und 1882 vorgesehenen Rekurse den Charakter und die Wirkung einer Kassationsbeschwerde zuerkannt hat, so steht dies mit jenen Instruktionen vollkommen im Einklang. Denn wenn der Bundesrat dort erklärte, die Konsulargerichtsurteile seien, auch wenn der Rekurs an den Bundesrat ergriffen werde, sofort v o l l z i e h b a r , so hat er damit dem Rekurs eine der Hauptwirkungen der Appellation, die der Hemmung der

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Rechtskraft des Gerichtsurteils abgesprochen und ihm den Charakter einer Beschwerde aufgedrückt, der -- als solcher -- keine Suspensivkraft zukommt.

Den Verfassungsgrundsatz der Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz auf so wesentlich verschiedene Dinge anzuwenden, wie die ordentliche Jurisdiktion der Kantone und die außerordentliche und singuläre Gerichtsbarkeit der Konsularbeamten in Japan, geht wohl nicht an. Dort ist alles festgesetzt und gesetzlich geordnet, hier liegt ein Specialverhältnis vor, dessen Regelung der obersten politischen Behörde des Landes vorbehalten ist, solange nicht die gesetzgebende Gewalt eingreift und Regeln aufstellt.

Es ist, wie schon gesagt, unthunlich, den Bundesrat zu einer gerichtlichen Berufungsbehörde zu machen. Es würde nach unserer Überzeugung auch dem Zwecke der Konsulargerichtsbarkeit nicht entsprechen, deren Bedeutung und Wert vielmehr in vielen und gerade den wichtigeren Fällen illusorisch machen, wenn in gleicher Weise in Japan Berufung eingelegt werden könnte, wie in der Schweiz. Es geschah gewiß in richtiger Erkenntnis der Bedeutung der Konsulargerichtsbarkeit, wenn der Bundesrat 1882 festsetzte, daß die Rekurserklärung die Vollziehbarkeit der Urteile nicht hemmen könne. Man wollte keine Prozeßtrölereien zwischen Schweizern im fernen Osten, sondern eine prompte Erledigung der zwischen ihnen entstehenden Mißhelligkeiten und Streitigkeiten.

Damit soll nun aber nicht gesagt sein, daß die Organisation der Konsulargerichtsbarkeit nicht auch anders und zweckmäßiger, als es jetzt der Fall ist, gestaltet werden könnte. Doch das ist eine Frage für sich und soll hier nicht weiter erörtert werden. Die schweizerische Konsulargerichtsbarkeit in Japan wird übrigens mit der vollen Inkraftsetzung des am 10. November 1896 mit Japan abgeschlossenen Freundschafts-, Niederlassungs- und Handelsvertrages aufhören.

Gegen unsere letzte Schlußnahme in dieser Angelegenheit, d. h. die vom 21. Mai 1897, hat Herr C. Favre-Brandt mit Eingabe vom 10. J u l i 1897, die wir Ihnen zuleiten, den Rekurs an die Bundesversammlung ergriffen.

Rekurrent verlangt : 1. Der Beschluß des Bundesrates vom 14. Mai 1897, betreffend die gegen die Konsulargerichtsurteile vom 8. Dezember 1892 und 4. Februar 1893 eingereichten Rekurse, möchte annulliert werden, womit auch die früheren Beschlüsse des Bundesrates in dieser Angelegenheit selbstverständlich dahinflelen.

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2. Die Sache möchte an den Bundesrat gewesen werden, damit er einen Entscheid in d e r S a c h e s e l b s t treffe, nachdem er den Parteien Gelegenheit geboten haben werde, sich binnen einer gewissen Frist vernehmen zu lassen und ihr Beweismaterial beizubringen.

Die ßekurrenten haben es unterlassen, nachzuweisen, daß die Bundesversammlung kompetent sei, einen Entscheid in ihrer Angelegenheit zu fällen. Als selbstverständlich darf aber die Entscheidungsbefugnis der Bundesversammlung in einer b ü r g e r lichen R e c h t s s t r e i t i g k e i t nicht vorausgesetzt werden.

Wir haben oben die G-ründe auseinandergesetzt, die uns bestimmten, den Rekurs an den Bundesrat gegen Konsulargerichtsurteile rechtlich als Kassationsbeschwerde aufzufassen. Die gleichen G-ründe führen uns zur Aufstellung des Satzes : sowenig der Bundesrat ordentliche richterliche Oberinstanz (Appellationsinstanz) über Konsulargerichte ist, ebensowenig kann die Bundesversammlung eine solche Oberinstanz sein. Hierfür fehlt jede verfassungsmäßige und gesetzliche Grundlage.

Zur Begründung der Kompetenz der Bundesversammlung können die Rekurrenten höchstens die Art. 57 und 85, Ziffer 11, der Bundesverfassung anrufen; Art. 85, Ziffer 12, kommt nicht in Betracht, da ein Civilprozeß, wie er zwischen Favre-Brandt und Schöne durch das Konsularurteil vom 4. Februar 1893 entschieden worden ist, nie und nimmer eine ,,Administrativstreitigkeita ist.

Ist der angebliehe Rekurs Favre-Brandt bei der Bundesversammlung als eine Petition im Sinne von Art. 57 der Bundesverfassung zu bezeichnen, so entspricht es durchaus der bisherigen Praxis der eidgenössischen Räte, daß über die Eingabe zur Tagesordnung geschritten wird. Selbst wenn die Bundesversammlung die Angelegenheit Favre-Brandt contra Schöne, im Gegensatz zu ihrer bisherigen Praxis, materiell zu untersuchen geneigt wäre, so müßte sie sieh dennoch darauf beschränken, durch Annahme einer motivierten Tagesordnung ihre Meinung über den Prozeß abzugeben.

Niemals darf aber der Petitionsweg dazu verwendet werden, um für die Bundesversammlung die Befugnis richterlicher Überprüfung eines ergangenen Civilurteils in Anspruch zu nehmen.

Wird der Rekurs Favre-Brandt, gestützt auf Art. 85, Ziffer 11, der Bundesversammlung unterbreitet, so ergiebt sich wiederum, daß eine Umstoßung des Konsularurteils vom 4. Februar 1893 und der Bundesratsbeschlüsse vom 6. Dezember 1894, 29. Juli 1895 und 14. Mai 1897 rechtlich unzulässig ist. Die Oberaufsicht über

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die eidgenössische Verwaltung und Rechtspflege, die auf Grund der citierten Verfassungsbestimmung der Bundesversammlung zusteht, giebt zwar dieser die Befugnis, die Amtshandlungen des Bundesrates im allgemeinen wie im besonderen zu prüfen, dieselben der Kritik zu unterwerfen und für die Zukunft etwa Weisungen zu erteilen ; dadurch wird aber die einzelne vollzogene Amtshandlung als solche in ihrem Bestände nicht berührt. Sowenig wie ein bundesgerichtliches Urteil auf Grund dieser Ziffer 11 des Art. 85 der Bundesverfassung an die Bundesversammlung weitergezogen werden kann, ebensowenig erscheint eine solche Weiterziehung zulässig bezüglich eines konsularischen Urteils, das nach der durch den Bundesrat erfolgten Abweisung der Kassationsbeschwerde in jeder Beziehung unanfechtbar geworden ist.

Wir beantragen daher : Es sei über den Rekurs des Herrn C. Favre-Brandt vom 10. Juli 1897 wegen Inkompetenz zur Tagesordnung zu schreiten.a Genehmigen Sie, Tit., die Versicherung unserer ausgezeichneten Hochachtung.

B e r n , den 12. April 1898.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: Ruffy.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Bingier.

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Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über den Rekurs der Firma C. und J.

Favre-Brandt in Yokohama in ihrer Prozeßangelegenheit gegen Fritz Schoene. (Vom 12.

April 1898.)

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13.04.1898

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