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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung über den Rekurs von Benjamin Brousoz und August Chaperon gegen den Bundesratsbeschluß vom 2. Juli 1897, betreffend die Gemeinderatswahlen in St. Gingolph vom 13. Dezember 1896.

(Vom 6. April 1898.)

Tit.

Die am 13. Dezember 1896 abgehaltenen Gemeinderatswahlen von St. Gingolph waren vor dem Bundesrate angefochten worden, einerseits wegen ungesetzlicher Publikation der Wählerliste, andererseits weil eine Anzahl Bürger, die nicht stimmberechtigt waren, an den Wahlverhandlungen teilgenommen hatten.

Den ersten Anfechtungsgrund wiesen wir in unserm Rekursentscheide von 2. Juli 1897 als unzutreffend zurück, nachdem die Regierung des Kantons Wallis erklärt hatte, daß in einem Formfehler, wie der angeführte, nach kantonalem Wahlrecht ein Kassationsgrund der Wahl nicht zu erblicken sei.

Betreffend den zweiten Anfechtungsgrund kamen wir auf Grund der Akten zum Schlüsse, daß in der That 5 Bürger an der Wahlverhandlung teilgenommen, die schon in einer anderen Gemeinde des Kantons Wallis oder in einem anderen Kanton domiziliert und stimmberechtigt waren, und die somit, sei es auf Grund der Wal?

liser Kantonsverfassung (Art. 75), sei es auf Grund der Bundesverfassung (Art. 43, Abs. 3), zugleich in St. Gingolph nicht stimmberechtigt sein konnten. Nach Abzug der 5 ungültigen Stimmen Bundesblatt.

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gelangten wir dazu, nur zwei der 7 Mitglieder des Gemeinderates als gültig gewählt zu erklären, die Wahl der übrigen 5 dagegen zu kassieren.

Die heutigen Rekurrenten bestreiten die Richtigkeit unserer Voraussetzungen und unserer Berechnung des absoluten Mehrs.

Es handelte sich um die Stimmberechtigung folgender fünf Bürger : Christin, Oscar-Charles-Modeste ; Christin, Alphonse ; Duchoud, Elie; Richon, Henri und Christin, Julien. Aus der Vernehmlassung der Regierung des Kantons Wallis, sowie aus- einer Erklärung des Genfer Staatsrates vom 1. Juni 1897 geht hervor, daß die drei ersten zur Zeit der Wahlen in Genf domiziliert und in dem dortigen Stimmregister eingetragen und also dort stimmberechtigt waren. Somit konnten sie, ohne Verletzung von Art. 43, Abs. 3, der Bundesverfassung nicht zugleich in St. Gingolph ihr Stimmrecht ausüben.

Der Vierte, Richon, Henri, war in Port-Valais niedergelassen und stimmberechtigt; das Walliser Wahlgesetz vom 24. Mai 1876 gestattet nun allerdings in Art. 58, Abs. 3, demjenigen, der seinen Wohnsitz außerhalb seiner Heimatgemeinde hat, in dieser letzteren sein Wahlrecht auszuüben, sofern er dem Gemeinderat seines Wohnsitzes sechs Monate vor der Wahlzeit eine diesbezügliche Erklärung abgiebt. Diese Erklärung hat Richon in Port-Valais nicht abgegeben.

Was endlich Christin Julien betrifft, so mußte der Bundesrat dem Berichte des Gemeinderates von St. Gingolph vom 21. April 1897 entnehmen, daß er sich in gleicher Lage wie Richon befinde; er war daher auch gleich zu behandeln. Aus den von den Rekurrenten neuerdings beigebrachten Belegen ergiebt sich nur, daß er in Genf nicht domiziliert und daher daselbst auch nicht stimmberechtigt war, keineswegs aber, daß er nicht an einem dritten Ort seinen regelmäßigen Wohnsitz hatte. Der Beweis, · daß die thatsächliche Annahme des Bundesrates unrichtig war, ist daher nicht erbracht.

Die Behauptung, daß die im angefochtenen Rekursentscheid dargelegte Ermittelung des absoluten Mehrs eine irrtümliche sei, stützt sich auf einen bisher nicht geltend gemachten Umstand. Es scheint zwar richtig zu sein, wie sich auch aus der Vernehmlassung der Regierung des Kantons Wallis vom 20. Januar 1898 ergiebt, daß ein im Wahlprotokoll als ungültig bezeichneter Stimmzettel leer war und als solcher von der Zahl der Stimmenden in Abzug hätte gebracht
werden sollen, während dies bei ungültigen Stimmzetteln, wie die Regierung des Kantons Wallis ausführt, nicht geschehen durfte ; hiernach wäre das absolute Mehr, nach Abzug der 5 ungültigen Stimmen, 87 gewesen, und der Rekurrent Benjamin Brousoz wäre auch

655 nach unserer Berechnung als mit eben dieser Stimmenzahl gewählt zu betrachten.

Allein die Thatsache, daß es sich um einen leeren Stimmzettel handelte, ist ein neues Vorbringen der Rekurrenten ; sie konnte vom Bundesrate nicht berücksichtigt werden, wie sie auch von der Regierung des Kantons Wallis in ihrem Entscheide nicht berücksichtigt worden war, daher kann sie auch bei der Beurteilung unseres Entscheides durch die obere Instanz nicht in Betracht kommen.

Sollten indessen noch im jetzigen Stadium des Rechtsstreites neue Thatsachen vorgebracht werden können, so wäre auch die von der Gegenpartei aufgeworfene Frage in Erwägung zu ziehen, ob der in St. Gingolph stationierte Landjäger Donnet-D è carte berechtigt war, an der Wahl teilzunehmen. Nach Art. 22 des Walliser Gesetzes vom 30. Mai 1894 über die Organisation des Polizeiwesens behält der Landjäger seinen Wohnsitz und sein Stimmrecht in seiner Heimatgemeinde. Gegenüber dieser klaren Gesetzesbestimmung kommt, unseres Erachtens, nicht in Betracht, daß in einigen Gemeinden des unteren Wallis und namentlich in St. Gingolph angeblich die Übung herrschen soll, den Landjäger am Orte, wo er stationiert ist, sein Stimmrecht ausüben zu lassen.

In Berücksichtigung der beiderseits geltend gemachten neuen Thatsachen würde sich die Berechnung des Wahlresultates folgendermaßen darstellen : 'Abgegebene Stimmzetlel 179 Abzuziehen sind hiervon : Leere l Stimmabgabe unberechtigter Bürger . . . .

5 Stimmabgabe des Landjägers l 172 Absolutes Mehr 87, anstatt 88 wie in unserm Entscheide.

Das Resultat würde jedoch nicht verändert, da von den Stimmzetteln, die auf die gewählt erklärten Kandidaten lauteten, jeweilen 6 möglicherweise ungültige Stimmen anstatt 5, wie wir annahmen, in Abzug zu bringen sind.

Halte man sich somit bei der Beurteilung des Rekurses an den Thatbestand, wie er dem Bundesrate bei seiner Entscheidung aktenmäßig vorlag, oder ziehe man die in den Rekursschriften an

656 die Bundesversammlung vorgebrachten neuen Thatsachen in Betracht, in beiden Fällen wird man zum gleichen Schlüsse gelangen. Wir beantragen Ihnen demgemäß Abweisung des Rekurses.

B e r n , den 6. April 1898.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, D e r B u n d e s p r äs i d e n t : Ruffy.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

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Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über den Rekurs von Benjamin Brousoz und August Chaperon gegen den Bundesratsbeschluß vom 2. Juli 1897, betreffend die Gemeinderatswahlen in St. Gingolph vom 13. Dezember 1896. (Vom 6. April 1898.)

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