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Bundesratsbeschluss über

die Beschwerde des Pfarrers Henri Denkinger in Bulle (Kanton Preiburg) betreffend Verletzung des Art. 53, Absatz 2, der Bundesverfassung anläßlich der Beerdigung der Margaretha Staudenmann in Sales.

(Vom 20. Juni 1898.)

Der schweizerische Bundesrat

hat über die Beschwerde des Henri D e n k i n g e r in Bulle (Kanton Freiburg) betreffend Verletzung des Art. 53, Absatz 2, der Bundesverfassung anläßlich der Beerdigung der Margaretha Staudenmann in Sales, auf den Bericht des Justiz- und Polizeidepartements, folgenden Beschluß gefaßt:

A.

In thatsächlicher Beziehung wird festgestellt:

I.

In der Nacht vom 4. auf den 5. März 1898 starb in Romanens (Kanton Freiburg) die zur reformierten Kirche gehörige einundsiebenzigjährige Margaretha Staudenmann, geborene Burri, von Guggisberg (Kanton Bern). Im-Laufe des 5. März begab sich der Ehemann der Verstorbenen, Friedrich Staudenmann, nach Sales zum Gemeindevorsteher behufs Erlangung der Beerdigungserlaubnis. Er teilte dem Gemeindevorsteher mit, daß das Grab-

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gelante bei der Beerdigung stattfinden soll. Dieser ersuchte ihn, zu diesem Zwecke den gleichen Abend in der Sitzung des Pfarreirates zu erscheinen, da diese Behörde über die Gewährung des Grabgeläutes zu entscheiden habe ; übrigens dürfte dasselbe schwerlich bewilligt werden. In der Sitzung des Pfarreirates vom 5. März, abends 8 Uhr, wurde Staudenmann eröffnet, daß das Grabgeläute bei der Beerdigung seiner Frau nicht bewilligt werden könne, worauf dieser auf dasselbe schriftlich Verzicht leistete.

Den 6. März verzichtete auch der reformierte Pfarrer in Bulle, Henri Denkinger, nach Kenntnisnahme der Vorgänge vom 5. März auf das Grabgeläute, zugleich verlangte er aber vom Gemeinderat von Sales die Öffnung eines Reihengrabes für die Margaretha Staudenmann. Auch Staudenmann verlangte zunächst ein Reihengrab, verzichtete jedoch darauf, weil ihm der Gemeinderat den 7. März eine Familiengrabstätte von 8 Quadratmetern in der nordwestlichen Ecke des Friedhofes unentgeltlich und für solange abtrat, als die Familie Staudenmann in der Pfarrgemeinde Sales wohnhaft ist.

Diese Abtretung erfolgte auf Grund von Art. 9 des Staatsratsbeschlusses vom 25. Januar 1875 betreffend die Friedhofpolizei, wonach in jedem öffentlichen Friedhof der Gemeinderat an Gesellschaften, Korporationen und Familien mit staatsrätlicher Zustimmung Sondergrabstätten bewilligen kann. Schon am folgenden Tag, am 8. März, gab der Staatsrat des Kantons Freiburg seine Zustimmung zu der Abtretung.

Den 8. März stellte Pfarrer Denkinger an den Regierungsstatthalter der Gruyère das Gesuch, es soll dem Gemeinderat von Sales befohlen werden, daß für die Frau Staudenmann ein Reihengrab geöffnet werde und daß bei der Beerdigung selbst die Glocken geläutet werden. Der Regierungsstatthalter bewilligte das Reihengrab, verweigerte aber das Grabgeläute, da ihm keine gesetzliche Bestimmung bekannt sei, auf die sich das Gesuch stützen könne, und da der Bundesratsbeschluß vom 24. August 1897 in Sachen Bill (Bundesbl. 1897, IV, S. 98 ff.) kein ihn bindendes Präjudiz bilde. Nach Kenntnisnahme der vom Staatsrate genehmigten Abtretung einer Grabstätte, zog der Regierungsstatthalter seinen Befehl betreffend Öffnung eines Reihengrabes zurück, und es fand hierauf, den 8. März, nachmittags l Uhr, die Beerdigung der Frau Staudenmann durch Pfarrer Denkinger auf der an Friedrich Staudenmann abgetretenen Familiengrabstätte des Friedhofes von Sales ohne Grabgeläute statt.

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In diesen Vorgängen erblickt Pfarrer Denkinger eine Verletzung der Vorschrift der Bundesverfassung, wonach die bürgerlichen Behörden dafür zu sorgen haben, daß jeder Verstorbene schicklich beerdigt werde (Artatz 53, Abs. 2) ; er stellt daher mit Eingabe vom 16. März beim Bundesrat folgendes Begehren: Es sei die Abtretung der Famüiengrabstätte auf dem Friedhot' von Sales vom 7./8. März 1898 an Friedrich Staudenmann in Romanens nichtig zu erklären, und es sei daher auf Kosten der Gemeinde Sales die Margaretha Staudenmann auszugraben und in einem Reihengrab zu beerdigen; endlich sei die eigentümliche Interpretation, die der Regierungsstatthalter der Gruyère dem bundesrätlichen Beschlüsse vom 24. August 1897 in Sachen Bill betreffend das Grabgeläute gegeben hat, richtig zu stellen.

Der Beschwerdeführer macht insbesondere gelten : Die unentgeltliche Abtretung der in Frage stehenden Familiengrabstätte rechtfertigt sich in keiner Weise. Friedrich Staudenrnann hat der Gemeinde Sales keine Dienste geleistet, die eine derartige Ehrenauszeichnung begründet erscheinen ließen ; die Abtretung ist vielmehr ein geschicktes Manöver zur Umgehung der Bundesvorschrift über schickliche Beerdigung; Staudenmann, nur wenig der französischen Sprache mächtig, versteht den Abtretungsakt kaum.

Die Familie Staudenmann besteht gegenwärtig nur noch aus dem überlebenden Ehemann, denn zu ihr gehören die beiden Brüder des Ehemannes, die gegenwärtig als Arbeiter bei demselben beschäftigt sind, nicht. Ist also der abgetretene Platz von angeblich 8 Quadratmetern für die Beerdigung von zwei Personen zu groß, so ist sofort deutlich, daß derselbe in Zukunft, wie schon früher, ein für die Reformierten der Pfarrgemeinde Sales bestimmter verfassungswidriger Winkelfriedhof (vgl. Salis, Bundesrecht II, Nr. 742) bilden soll.

III.

Der reformierte Pfarrgemeinderat in Bulle unterstützt in seinen Eingaben vom 16. März und 22. Mai ausdrücklich die Beschwerde des Pfarrers Denkinger. Er betont, daß das vom Gemeinderat Sales bei der Beerdigung der Frau Staudenmann befolgte Verfahren notwendigerweise zur Nachahmung reizen und damit zur Einführung von Winkelfriedhöfen für die reformierten Einwohner des Kantons Freiburg fuhren dürfte ; indirekt liegt in diesem Verfahren auch ein Angriff auf die Religionsfreiheit, insbesondere der

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ärmeren Bevölkerungsklasse, Verkehrscentren wohnt.

soweit sie abseits von den größern IV.

Der Staatsrat des Kantons Freiburg beantwortete.den 11. April die Beschwerde Denkinger, indem er dieselbe für unbegründet hält.

Die Art und "Weise der Beerdigung der Margaretha Staudenmann entsprach den Wünschen ihres Ehemannes ; deshalb hat dieser gar keine Beschwerde geführt; im Gegenteil, er ist sehr ungehalten über die Beschwerde Denkingers und erklärte direkt : ,,Ich will nicht, daß man den Leichnam meiner Frau anrührt und ich zähle darauf, später einmal neben ihr meine Ruhestätte zu haben !"· Von Verletzung der Bundesverfassung kann also keine Rede sein.

Wegen der Unterlassung des Grabgeläutes bei der Beerdigung der Frau Staudenmann kann niemand Beschwerde führen; denn sowohl die Familie Staudenmann wie Pfarrer Denkinger haben darauf verzichtet. Gemäß dem Bundesratsbeschluß vom 24. August 1897 im Fall Bill, haben die weltlichen Behörden nur auf Begehren das Grabgeläute zu gewähren.

Die Abtretung von Familiengrabstätten ist bundesrechtlich nicht unzulässig, und die an Staudenmann war weder die einzige, noch erfolgte sie zu unlauteren Nebenzwecken ; sie entspricht vielmehr der Vorschrift des Art. 9 des Staatsratsbeschlusses vom 25. Januar 1875 betreffend die Friedhofpolizei und ist daher rechtlich nicht zu beanstanden. Wenn indessen Staudenmann auf die Abtretung Verzicht leisten und die Ausgrabung seiner Frau behufs ihrer Beerdigung in einem Reihengrab verlangen sollte, so würde der Staatsrat in Anwendung von Art. 208 des kantonalen Sanitätsgesetzes vom 28. Mai 1850 und unter Kostenfolge für ihn seinem Begehren entsprechen.

B.

In rechtlicher Beziehung fällt in Betracht:

I.

Es sind nicht die Angehörigen der verstorbenen Margaretha Staudenmann, die wegen Verletzung der Vorschrift des Art. 53, Absatz 2, der Bundesverfassung Beschwerde führen, sondern der reformierte Pfarrer Denkinger in Bulle und zwar mit Unterstützung

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des Vorstandes der evangelischen Gemeinschaft in Bulle. Dieser Umstand kann aber den Bundesrat nicht davon abhalten, zu untersuchen, ob und inwiefern die Margaretha Stauden mann in bundesrechtswidriger Weise ,,unschicklich"1 beerdigt worden sei ; denn die Vorschrift der Bundesverfassung über die schickliche Beerdigung hat einen polizeilichen Charakter; der Bundesrat hat schon von sich aus, auch ohne eingegangene Beschwerde, darüber zu wachen, daß diese Verfassungsvorschrift nirgends in der Schweiz verletzt werde. Und wenn eine förmliche Beschwerde wegen Verletzung des Art. 53, Absatz 2, der Bundesverfassung eingereicht wird, so erfolgt diese Einreichung seitens des oder der Beschwerdeführer keineswegs, damit gefährdete oder verletzte Individualrechte der Bürger durch die Bundesinstanz gegenüber kantonalen Behörden geschützt werden, sondern damit die Bundesbehörde, auf Verfassungswidrigkeiten aufmerksam gemacht, im Sinne des Art. 102, Absatz 2, der Bundesverfassung die erforderlichen Verfügungen zur Aufrechterhaltung des verfassungsmäßigen Zustandes treffen kann. Deshalb ist die Anrufung der ßundesinstanz bei Verletzung des Art. 53, Absatz 2, der Bundesverfassung auch nicht abhängig vom Vorhandensein einer Verfügung der höchsten kantonalen Verwaltungsbehörde oder der kantonalen gesetzgebenden Behörde ; die Vorschrift der Ziffer l des Art. 178 des Organisationsgesetzes vom 23. März 1893 findet in solchen Fällen keine Anwendung (vgl. auch Bundesratsbeschluß vom 21. Oktober 1897 im Fall Böttstein, Bundesbl. 1897, IV, S. 515, Erwägung 1).

n.

Allerdings ist der Umstand, daß Pfarrer Denkinger und nicht der Ehemann Friedrich Staudenmann Beschwerde führt, insofern von Bedeutung, als nicht in die individuelle Rechtssphäre des letztern ohne sein Zuthun und wider seinen Willen eingegriffen werden darf. Von dieser Erwägung ausgehend, müssen sowohl das Begehren um Nichtigerklärung der Abtretung einer Familiengrabstätte auf dem Friodhof von Sales an Staudenmann vom 7./8. März 1898, wie auch das Begehren um Ausgrabung der Frau Staudenmann ohne weiteres von der Hand gewiesen werden.

An und für sich kann in der Einräumung von Familiengrabstätten keine verfassungswidrige Unschicklichkeit erblickt werden, und wenn auf Grund des Art. 9 des Freiburger Staatsratsbeschlusses vom 25. Januar 1875 der Familie Staudenmann eine Familiengrabstätte auf dem Friedhofe in Sales eingeräumt worden ist, so

879 hat dieselbe an dieser Grabstätte wahrscheinlich eine eigentumsähnliche Berechtigung, über die sie, sonst niemand, dem Konzessionsakt entsprechend, zu verfügen befugt ist. Daß ferner bei unschicklicher Beerdigung die Ausgrabung und die wiederholte Beerdigung einer verstorbenen Person nicht ohne Zustimmung ihrer nächsten Angehörigen erfolgen kann, ist gewiß einleuchtend, auch wenn nicht auf eine ausdrückliche diesbezügliche Gesetzesvorschrift verwiesen werden kann.

m.

Mag nun auch Friedrich Staudenmann mit der Abtretung einer Familiengrabstätte in der nordwestlichen Ecke des Friodhofes von Sales und mit der Beerdigung seiner Frau in dieser Grabstätte einverstanden gewesen sein, so liegt doch in der Art und Weise der Abtretung dieser Grabstätte etwas höchst Anstößiges, das mit der Vorschrift des Art. 53, Absatz 2, der Bundesverfassung im Widerspruch steht. Auf Grund der Akten muß nämlich angenommen werden, daß Staudenmann hauptsächlich mit Rücksicht auf die Unentgeltlichkeit in die Abtretung der Grabstätte eingewilligt hat, und daß diese Abtretung seitens des Gemeinderates von Sales nur erfolgte, um die Frau Staudenmann als Protestantin von den katholischen Reihengräbern abgesondert beerdigt zu sehen.

Auch den Staatsrat von Freiburg trifft der Vorwurf, daß er die ihm zur Genehmigung unterbreitete Abtretung des sog. Familiengrabes ohne Anstand bewilligt hat, obschon ihm bei näherer Prüfung der Angelegenheit die in dem Vorgehen des Gemeinderates liegende Ungehörigkeit nicht hätte entgehen können.

IV.

Ebenso liegt eine Verletzung der Vorschrift des Art. 53, Absatz 2, der Bundesverfassung in der Vorenthaltung des Grabgeläutes bei der Beerdigung der Margaretha Staudenmann. Hierbei ist der schriftliche Verzicht auf dasselbe deshalb belanglos, weil es, im Gegensatz zur Behauptung des Staatsrates, für die Vornahme des Grabgeläutes keines besonderen Gesuches bedarf. Es hätte der Gemeinde vorstand, als die mit dem Beerdigungswesen beauftragte Behörde, ohne Gesuch, von sich aus das Grabgeläute für die Beerdigung anordnen sollen, da ein besonderer Grund zur Vornahme eines stillen Begräbnisses keineswegs vorlag. Aber nicht nur den Gemeindevorstand trifft der Vorwurf gröblicher Verletzung des Art. 53, Absatz 2, der Bundesverfassung wegen

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unterlassenen Grabgeläutes, sondern auch den Regierungsstatthalter, da sie aus der Bundesratsentscheidung vom 24. August 1897 in Sachen Bill entnehmen mußten, daß im Kanton Freiburg bei Beerdigungen von Reformierten in gleicher Weise wie bei Beerdigungen von Katholiken das Grabgeläute nicht unterlassen werden darf.

Indem im übrigen auf die Ausführungen des Bundesrates in seinem heutigen Beschlüsse über das Gesuch des reformierten Pfarrgemeinderates in Bulle vom 19. Januar 1898 verwiesen wird,.

wird beschlossen: 1. Die Beschwerde des Pfarrers Henri Denkinger in Bulle wird in dem Sinne begründet erklärt, daß konstatiert wird, daß bei der Beerdigung der Margaretha Staudenmann in Sales die Vorschrift des Art. 53, Absatz 2, der Bundesverfassung verletzt worden ist.

2. Die Regierung des Kantons Freiburg wird daher wiederholt eingeladen, in Zukunft dafür zu sorgen, daß in ihrem Kanton Art. 53, Absatz 2, der Bundesverfassung Nachachtung finde.

B e r n , den 20. Juni 1898.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: Ruffy.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

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Bundesratsbeschluss über die Beschwerde des Pfarrers Henri Denkinger in Bulle (Kanton Freiburg) betreffend Verletzung des Art. 53, Absatz 2, der Bundesverfassung anläßlich der Beerdigung der Margaretha Staudenmann in Sàles. (Vom 20. Juni 1898.)

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22.06.1898

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