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Schweizerisches Bundesblatt

X. Jahrgang. II.

Nr. 32.

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10. Juli 1858.

Botschaft des

Bundesrathes an die h. Bundesversammlung, betreffend eine Beschwerde von St. Gallischen Großräthen über verweigerte

Rechtsgleichheit.

(Vom 9. Juni 1858.)

Tit.!

^

Am 24. Juli 1857 hat der h. Nationalrath uns eine Beschwerde von Mitgliedern des Großen Rathes von St. Galleu über verweigerte Rechtsgleichheit bei Erwählung eines Verfasfungsrathes zur Berichterstattung überwiesen. Nachdem wir die Regierung von St. Gallen zu einer Beantwortung der Beschwerde veranlaßt haben, beehren wir uns, Jhreru Auftrage mit Gegenwärtigem Folge zu geben.

Die Beschwerdeschrift enthält im Wefentlichen folgendes : Als es sich im Jahr 1830 um Entwerfung einer nenen Verfassung handelte, mußte der Größe Rath, welcher die Revision selbst durchzuführen wünfchte, dem laut erklärten Volkswillen nachgeben, und einen Verfassungs- .

rath nach dem Maßstab der V o l k s z a h l wählen lassen. Die Stadt St.

Gallen, welche bisher mit 24 Mitgliedern im Großen Rathe repräsentiert war, erhielt nach diesem Grundfaze der Rechtsgleichheit nur 9 Mitglieder sür den Verfassnngsrath. Diese Behörde hielt nun zwar den erwähnten Grundfaz fest durch Art. 4 der neuen, noch jezt gültigen Verfassung vom 1. März 1831, machte aber zugleich zu Gunsten der Stadt St. Galleu

...ine Ausnahme, indem derselben aus Rüks.chten der Billigkeit, 15 statt .)

Mitglieder zngefchieden wurden, in etwelcher Abweichung vom strikten Prinzip der Vertretung nach der Volkszahl. Dabei wurde jedoch die Stadt .verpflichtet, drei ihrer Repräsentanten aus der Klasse der Nichtgemeindsbürgex zu wählen. und unter diesen dreien wenigstens einen K a t h o l i k e n . Während die. Bezirksgemeinde St. Gallen früher immer einen bis höchstens drei.

Bnndesblatt. Jahrg. X. Bd. II.

15

144 Katholiken gewählt hatte, wählte fie im Juni l 857 zum ersten Male sech^ solche. ^Obwol dieses Wahlergebniß als verfassungswidrig beanstandet wurde, bestätigte der Große Rath dasselbe mit 76 gegen 73 Stimmen.

Die Petenten wollen diese Wahlen vor der Hand auf sich beruhen lassen, jedoch mit dem Vorbehalt, gegen diese unzuläßige Anwendung des Vorrechts der Stadt St. Gallen je nach Umständen bei den Bundesbehördeu.

Beschwerde zu führen.

Der Art. 143 der Verfassung von 183l bestimmt, daß nach t^ Jahren eine Revision eintreten könne, wenu die Mehrheit der Bürger es^

wünsche. Aus dießfällige Befragung des Volkes im Jahr ..^37 wurde

mit 16,802 gegen 9,677 Stimmen die Revision verworfen. Da die Verfassung von jezt an keinen Revisionsartikel mehr^ hatte , so entwarf der

Große Rath ein Revifionsstatut, welches am 29. Juli l838 mit 21,749

gegen 3,510 Stimmen vom Volke genehmigt wurde. Die Garantie der Tagsazung wurde nicht eingeholt. Dieses Statut enthält einen Artikel (31), worin die Petenten eine^ permanente Verlezung der Rechtsgleichheit erbliken. Derselbe bestimmt nämlich , daß , wenn eine Revision eintrete und einem Verfassungsrathe übertragen werde, die Mitglieder desselben in

gleicher Weife und in der gleichen Anzahl, wie .die Mitglieder des Großen

Rathes, durch die Bezirke gewählt werden sollen. Dadurch wird also das Vorrecht, .welches der frühere Versassnngsrath der Stadt nur für die Großrathswahlen verlieh, ans die Bildung einer künftigen konstituirenden Versammlung übertragen. Nach Maßgabe dieses Statuts wurde nun die Frage, ob eine Revision verlangt werde, in den Jahren 1843, 1849, 1851 und l 855 dem Volke vorgelegt, und jedesmal v e r n e i n t , die lezteu Male wesentlich aus dem Grunde, weil das Volk besorgte, daß der Staatsgewalt ein überwiegender Einfluß auf die konfessionellen Angelegenheiten wolle eingeräumt werden. .^luch zeigten die leztern Abstimmungen, daß eine allfällige Revision einem V e r f a s s u n g s r a t h e übertragen würde. Nun erließ der Große Rath am 8. März 1856 ein abgeändertes Revision^ statut, worin die Jdee der Partiairevision durch den Großen Rath aufgenommen und in Bezug auf die Zusammensetzung des Verfassung.^xathes die alte Bestimmung beibehalten wnrde. Wegen dieser beiden tlmstände .besonders wurde dieses neue Statut mit der großen Mehrheit ^on 23,248 gegen 5,435 Stimmen verworfen. ^lex dieser fehlgeschlagener Revisionsversuche ungeachtet dürfte d...ch der Zeitpunkt einer Revision aus verfchiedenen Gründen nicht fern sein , ^nnd es handelt sich um die Frage , wie dieselbe zu geschehen habe. Nachdem schon im Jahr 1856 ohne Erfolg die rechtsungleiche Stellung bei der Bildung eines Versassungsrathes be- ^ anstandet worden war, haben Repräsentanten der 9 Bezirke, denen die Petenten angehören, am 2. Juni 185.' im Großen Rath die Motion eingebracht, daß sofort in eine Abänderung des Revifio^sstatütes. vom 29. Juli 1838 eingetreten werde, namentlich zu dem Zweke, daß auf den Fall einer Re^ vision durch einen Verfassungsrath der lez.ere, in. Aufhebung des Vorrechts .der Stadt St. Gallen, nach der V o l k s z a h l und mit genauer Einhaltung

145 .der P a r i t ä t , alles nach jeweilen gültiger eidg. Bevölkerungsliste gewählt werde. Dieses Bekehren wurde mit 76 Stimmen, d^. h. mit der Mehrheit einer Stimme abgewiesen, und da unter diesen 76 Stimmen sieh die l 5 der Stadt befinden, so ist bewiesen, daß das Vorrecht sich selbst bestätigt und konservirt hat.

Die 74 Stimmen der Opposition giengen hervor aus den Wahlen der 9 Landbezirke T a b l a t , R o r s c h a c h . O b e r x h e i n t h a l , Saxg ans, G a s t e r , Se e b e z i r k , A l t t o g g e n b u r g , W.^l undGoßau, 1uit einer Bevölkerung von 94,741 Seelen. Zieht man hievon die refor-

u.irte Bevölkerung von Oberrheinthal mit 4,857 ab, so bleiben 89,884 Einwohner, welche, nach Abzug von 5 evangelischen Repräsentanten des leztern Bezirks, durch 75 Großräthe vertreten sind.

Der andere Theil der Repräsentation wird so gebildet: Die 5 Bezirke Unterrheinthal, Werdenberg, Obertoggenburg, Neutoggenburg und Untertoggeuburg haben 63,650 Einwohner und wählen 55 Großräthe

die Stadt St. Gallen hat 11,234

,,

.. wählt 15

dasreform. Oberrheinthal

.,

..

4,857

zusammen 79,741 Einwohner

..

5

,,

75 Großräthe.

So stellt sich heraus,..daß 89,884 Einwohner nicht mehr Repräsentanten haben, als 79,74l Einwohner. Die erstere Fraktion hat daher im günstigsten Falle 75 Stimmen,. kann ^ber auch aus verschiedenen Gründen weniger erhalten, wie es gerade jezt der Fall ist, obwol die Mehrheit ihrer Bevölkerung l 0,143 Seelen beträgt. Dieser Uebe.^stand ist um so auffallender, als der ganze Kleine Rath aus derjenigen Fraktion gewählt ist, welche die wirkliche Volksminderheit repräsentirt, und v.^nden sieben Mitgliedern de^ ^leinen Raths sind dermalen sechs aus den 15 Repräsentanten der Stadt St. Gallen gewählt, und nur eines aus den 5 Landbezirken der Minderheit. Alle diese Erscheinungen rühren d^her, daß^die Stadt, ent-

gegen dem verfassungsmäßigen Prinzip der völligen Rechtsgleichheit, we-

nigf:ens fünf Repräsentanten mehr zu stellen^ hat, als das Verhältniß der

Volkszahl gestatten würde , und es ist zugleich nachgewiesen , daß durch Verlezung dieses Prinzips die Minderheit die Mehrheit beherrscht. Es

entsteht somit die Frage, ob dieses .Verhältniß auf die Bildung eines Verfassungsrathes übergehen und dort maßgebend sein dürfe ^ Die Petenten erachten, dieses wäre im Widerspruch mit der Kantonsverfassnng und der Bundesverfassung.

Die erstere hat den Grundsaz der Rech t s g le ich hei t proklamirt und durchgeführt; sie gestattet keine Rechtsunterschiede unter Bezirken oder unter .Bürgern. Die Ausnahme wurde nnr für Bildung des Großen Rathes

gestatte^ und diesem nicht die Besngniß d^legirt, für einen künstigen Versassungsrath Privilegien aufzustellen. Eine neue konstitnirende Versammlung muß daher, wie im Jahr I83t, nach dem Grundsaze der Rechtsgleichheit zusammengesezt werden ; und wenn überhaupt Vorrechte noch möglich wären,

^46 so könnten fie höchstens vom Verfassnngsrathe selbst, im Einverständmß mit dem Volkswillen , gestattet werden, salis die Bundesverfassung nicht entgegen stünde.

Die Bundesverfassuug p.^klamirt im Art. 4 ebenfalls die Rechts^ gleichheit, und verbietet auch die Vorrechte des Orts. Jm St. Gallischen .^evifionsstatut vom Jahr 1838 hat aber die Stadt St. Gallen ein

Wahlvorrecht , welches ihr wenigstens fünf Mitglieder gibt und diese den Land^ezirken entzieht. Die Wahlvorrechte sind ab^.r die wichtigsten, weil

aus den Wahlen die Behörden und aus diesen die ganze Gese^ge^nng und Verwaltung hervorgeht.

Wenn der Art. 4 der Bundesverfassung die Beschwerde rechtfertigt, so fragt sich noch , ob der Art. 4 der Ueberg.^gsbestimmungen einen Ein^ wand begründe. .Allein dieser bestimmt nur , daß die im Eingang und in .Litt. c des Art. 6 der Bundesverfassung enthaltenen Vorschriften keine xükwirkende Kraft haben, u^.d verfügt dann im Uebrigen , daß diej..nig<.n Vorschriften der Kantonalverfassungen, welche mit den übrigen .^estimmnugen der Bundesverfassung im Widerspruch stehen, sofort aufgehoben sein sollen. Hieraus ges.üz^ könnten die Petenten wol die Aushebung des Vorrechts auch für die Besezung des Großen Rathes sofort verlangen ; allein sie beschränken sich einstweilen auf die Befezung der konstituieren Behörde , für welche de^ Grundsaz der Rechtsgleichheit von der größten Bedeutung ist. ^ Die Petenten erklären schließlich , d^.ß sie in keiner ^eise Tendenzen nähren, die gegen den evangelischen .^onsesfionstheil gerichtet wären^, son.dern nur G^ich^llung in politischen Rechten verlangen ; auch machen sie aufmerksam darauf, daß der Kanton St. Gallen überall, wo in der Eid^

genossenschaft um Rechtsgleichheit gekämpft wu^de, wie in Bafel, Schw.^z

und Wallis, sich auf die Seite dieses Grun^zes gestellt habe. Sie verlangen daher , daß die hohe Bundesversammlung erkenne : ,,Der Art. ,31 des St. G^ischen Statuts über die Verfassung.^,,revision vom 29. Juli 1838 sei mit Art. 4 ^er Bundesverfassung

,,im Widerspruch, und es sei ein allfällig zu wählender Verfassung^ ,,rath genau im Verhältnisse der Volkszahl der einzelnen Wahl^

,,bezirke nach gegenwärtig gültiger, eidgenössischer Bevölkerungsliste, ,,mit Aushebung des Wahlvorrechts des Stadtbezirks St. Gallen, ,,zu wählen...

Auf di^se Beschwerde hat di^ Regierung von St. Gallen eine vom ^6. November 1857 datirte Antwort eingesandt. Sie enthält zunächst einen geschichtlichen Ueberblik der verschiedeneu Verfassungen des Kantons, worüber wir auf die Drukschrift selbst verweisen müssen, da derselbe nicht leicht in Form eines Auszugs vorgelegt werden kann.

Ueber den Revision^ artikel selbst und die Angriffe auf denselben wird im Wesentlichen folgendes bemerkt : ^ Nachdem im Jahre 1831 die verfassungsmäßige Repräsentation des Stadtbezirks ..weder dem Volke, noch den ^Behörden, als im Widerspruch

147 .mit Art. 4, erschienen war, mußte im Jahre 1837 eine Volksabstimmung darüber stattfinden, ob eine Revision der Verfassung einzutreten habe. Die Frage wurde mit beinahe zwei Dritttheilen der Stimmen verneint, und somit das Repräsentations.^rhältniß ^von Neuem sanktionixt.

...^s 1ag nun in der Natur der Sache, daß in das .Revisionsstatut , welches im Jahre 1.838 erlassen werben mußte , der uämliche Gru^dfaz ü^er die Repraseutation ausgenommen werde , welcher ,von einem der Volkszahl nach gewählten Verfassungsrathe war aufteilt worden , und allseitig die ent^ schiedenste Billigung fand.

Das ganz^ Statut beruhte im Uebxigen auf der bre^s.^n demokratischen Grundlage und wurde mit der immensen Mehrheit von l^3 gege^ 3 Stimmen im Großen Rathe, und von 21,749 gegeu 3,619 Stimmen im ^Voike angenommen.

Eine besondere Garantie des Bundes erschien n.cht^ als nöthig , da das Statut im vollsten Einklang mit der garantirteu Verfassung stand. Noch vier ^Male wur^e im Laufe der Zeit d.^.m Volke die Revisivnssra^e vorgelegt, nämlich in den Jahren 1843, ^849, 1851 und 1855, un^ immer wurde ^ie Revision mit entschiedener Mehrheit verworfen. Es spielten hier konfessionelle Bedrn.^.n immer d...

Hauptrolle , während eine Aend.^rung der Repräsentation nie in Frage g^zt wurde.

Jm Jahre 1856 legte der Grvße R.ath ^em Volke ein ueu.^ .Revif.onsftatut vor, worin die Jdee der Partialrevifion aufgenommen war.

Auch dieses wurde verworfen und somit das Statut vom Juii 1838 von Neuem bestätigt. Nun stellte ^ie Opposition im Großen Rathe das B^ gehren, daß ^n Abänderung jenes Statuts ein allfälliger V..rsassungsrath genau nach dem Verhältnisse der Volkszahl, mit genauer Einhaltung der Parität und n.ach dex jeweilen gultigen eidgenöffischen Bevölkexungsliste gewählt werd.^. Der Große Rath verwarf die Motion, weil er in der

fünfmaligen Abstimmung erkannte, daß der Volkswille fich für Beibehaltung

der bestehenden Verfassung, also auch der R e p r ä s e ntat.io n , entschieden ausgesprochen habe, wei^ er daher .glaubte, jede Verfassungsänderung und jede Frage über eine Revision der damit betrauten kons^ituirenden Behörde vorbehalten ^u müssen , und weil et in der Fassung der Motion eine große Gefährde für die freie F^rt^ntwiklu^.g d^s Kantons er^lik^e.

Er mußte diese Rü.siehten un. so mehr. festhalten , als er gar uicht in der freien Lag.e ^s Großen Rathes vom Jahre 1830 war.

Denn damals bestund weder ein Revifionsf^atut , noch ein durch frühere Volksabstimmung bestätigtes Repräfentationsverhältniß.. Gesezt auch , der jezige Große Rath dürste, wie der vom Jahre 1830, die Rep.äsentation für einen allfällig aufzufallenden Verfassungsxath be^immen, so müßte er die Ausgabe in ihrem gan^n Umfange und i.^ der Weife lösen, daß der wirklichen Mehrheit im Kanton ihr Recht werde, und nicht umgekehrt, daß unter dem Scheine, ein Vorrecht zu beseitigen, diese Mehrheit zur scheinbaren Minderheit gemacht werde.

Die Motion ^wollte aber dieses nicht; sie woll.^ v.on zwei wesentliche.. Faktoren eines richtigen Repräsentationsverhältnisses, nämlich einer zwekmä^igen Bildung der Wahlkreise und der Art d^s Wahlver^ fahrens, gänzlich abstrahiren und nur die Vertheilung der Repräsentanten

148 .

.

.

.

unter d^e Wahlkreise abändern. Durch dieses Verfahren würde allerdings die Wchl der Mehrheit eines Verfassnngsraths in die Hände der Bezirke gelegt , aus denen die Petenten gewählt find ; allein diese Mehrheit iu der Repräfentation würde keineswegs den Ausdruk der wahren Mehrheit

im Volke bilden. Der Beweis hiesür liegt in allen Abstimmungen, die seit I831 und länger im Kanton^ stattfanden. Die Bevölkerung zerfällt

in die Partei der L i b e r a l e n , welche immer für die Einheit des Kantons und für die freisinnige Entwiklung der eidgenössischen Verhältnisse einstund, und in die Partei , welche dieser entgegentrat und jede ultramontane Prä^ tension unterstützte.

Bei den kantonalen Abstimmungen zeigte es sieh nuu immer, daß diese leztere Partei, die de... P e t e n t e n , in den Bezirken, durch die sie getragen wird , unter den günstigsten Umständen die Mehrheit erhalten kann , daß sie aber in mehrerern derselben in der Regel in Minderheit blieb und jedenfalls in allen mit bedeutenden Minoritäten zn kämpfen hat.

Ganz anders verhält es sich in den übrigen Bezirken, wo die liberalen Repräsentanten immer mit so großen Majoritäten gewählt wurden , daß die Minderheiten dagegen verschwanden. (Der Bericht der Regierung theilt hierüber Zahlenverhältnisse mit).

So stellt sich mit Gewißheit heraus, daß die Partei , welche die Petenten vertreten , jederzeit un.^ auch jezt nnr die Minderheit der Kantonsangehörigen in sich vereinigte.

Einen weitern schlagenden Beweis hiesür liesern die Abstimmungen in eidgenössischen Angelegenheiten , indem sowol die Abstimmung über die neue Bundesverfassung, als die sämmtlichen Wahlen in den Nationalrath eine bedeutende Mehr-

heit zu Gnnsten der Regierungspartei und zum Nachtheil der Opposition gezeigt hat.

(Man

vergleiche die Ergebnisse der Abstimmungen).

diesen Verhältnissen ergibt sich nun eine doppelte Schlußfolgerung :

A.Is

1) Durch die etwas stärkere Repräsentation des Stadtbezirks wird nur ein Mißverhältniß ausgeglichen, das sonst gegenüber dem Willen der wirklichen Mehrheit bestehen würde. . Es findet hindurch eine billige . Berechtigung der Protestanten statt, welche in den fog. katholischen Bezirken von aller Repräsentation durch die Verfassung ausgeschlossen sind, so wie der dort wohnhasten liberalen Katholiken, de..en An^ sichten in der Regel gar keine Aussieht ans eine Repräsentation haben.

Auch entspricht der jezige Zustand den Niederlafsungsverhältnissen in der Stadt, der großen Zunahme der Bevölkerung überhaupt und der katholischen, insbesondere feit dem Jahre 1837 und auch feit der eidgenössischen Volkszählung.

^) Will man die Repräsentations-Ordnung ändern, so muß es iu umfassender Weife so geschehen , daß die wirkliche Mehrheit in den Zentralbehörden ibren wahren Ausdruk finde. Es bedarf einer fachgemäße.n Eintheilung ^der Wahlkreise, Bestimmungen über die Vertheiluug der Repräsentanten, über die Paritätsverhältnisse und über das Verfahren bei den Abstimmungen. Auch .verlangt die Gerechtigkeit eine neue Zählung der^ Bevölkerung, da man ein neues System nicht.

auf veraltete Grundlagen stellen kann.

14^ Ueber die Beschwerde, welche nun wegen Rechtsungleichheit vor ^die h. Bundesversammlung gebracht wird, werden folgende Momente in rechtlicher Hinficht hervorgehoben : I. Wenn auch das gestellte Rechtsbeg^ehren von dem Jnhalte der Motion etwas abweicht, so muß es als gleichbedeutend mit jener betrachtet werden , weil die Beschwerde nur ein Rekurs über die Verwerfung der Motion sein kann. Ein in der Wirklichkeit neues Begehren müßte natürlich an den Großen Rath von St. Galleu zuxükgewiesen werden.

.Il. Die Motion und das Rechtsbegehren find unstatthaft, weil ihre Nebenbestimmungen ungerecht sind. Dahin gehören: l) Die Verminderung der Repräsentation des Stadtbezirks ohne gleichzeitige Veränderung der Wahlbezirke und des Versahrens.

.^) Die Vertheilung der Repräsentation nach der jeweilen gültigen eidg. Volkszählung, also jezt derjenigen von^ 1850. Während

die Bevölkerung, namentlich im Stadtbezirk, sich wesentlich

vermehrte , wäre das Festhalten an jenem srühern Maßstab eiu

handgreifliches Unrecht.

.

^

3)

Die Beibehaltung der Vertheilung der Repräsentation nach dem Bevölkerungsverhältniß der Konfessionen wird wahrscheinlich stattfinden ; allein diefes ist Sache der kantonalen Souveränetät, und der Bund hat hierüber nichts vorzufchreiben, da er besondere .bürgerliche Beschränkungen oder Rechte aus ..em Titel der Verschiedenheit der christlichen Konsessionen nicht kennt.

^1I. Abgesehen von diesen Nebenbestimmungen wäre eiue einfache Vor-

schrift der Bnndesbehörde,. daß ein allfälliger St. Gallischer Ver-

fassungsrath nach dem strengen Bevölkerungsmaßftabe berufen werden müßte , aus folgenden Gründen nicht zulä^ig : A. Mit Art. 4 der Kantonsverfassung kann das Begehren der Petenten .nicht begründet werden, weil neben ihm der Art. 46 besteht, welcher als spezielles Gesez den Vorrang hat und erklärt, wie der Grundsaz des Art. 4 auf die Repräsentation soll angewendet werden. Die verfassungsmäßige Repräsentation aber auch auf die Revision anzuwenden , kann unmöglich versassungswidrig sein.

.B. Die Bundesverfassung enthält keine Bestimmung , welche die kantonale Repräsentation ausschließlich und strenge .nach dem

Maßstabe der Volkszahl vorschreibt, mit Ausschluß aller Rüksichten der Billigkeit, Zwekmäßigkeit und selbst des Rechtes,

Rükfichten , die in manchen Verfassungen neben dem Maßstabe der Bevölkerung Geltung finden. Lezteres war z. ^. der Fal.l bei der Mediationsakte, vbwol sie den Grundsaz der Rechts-

gleichheit fast mit den gleichen Worten enthielt.

^. Der Art. 4 der Bundesverfassung enthält fachlich nur eine Wiederherstellung des Axt. 3 der Mediationsverfassung, und hat

.^0 daher auch keine andere Tragweite. Der Bundesvertrag vou 1815 hatte diesen Artikel 3 wieder beschränkt, und dadurch Herrschafts^ und Unterthane...x.erhältnisse ermöglicht. welche einzelnen Landestheilen .od^r Einwoh.rexklasfen einen dominirenden Einfluß verschafften und andere ^n Abhängigkeit verfemen , wie die Patriziato, die Herrschaft^ und Unterthanenverhäl:nisse in verschiedenen Kantonen. Diese, welche in die Periode von 1^30 bis 1848 gefallen waren , sollten durch Art. 4 der Bundesverfassung beseitigt bleiben ; im Uebrigen aber nahm und aner-

kannte tiefer Artikel die Eidgenossenschaft in dem politischen

Zustande, in welchem ex sie Anno 1848 fand, und man betrachtete ihn nicht. als ^inen Zustand der Unfreiheit und der die Rechtsgleichheit verkümmernd^ Privilegien. Daß die Stadt St. Gallen nie in einem Hexrschaftsverhältn^sse stand, bedarf keiner weitern Erwähnung.

Der Artikel 4 i^er Bundesverfassung enthält auch nur einen allgemeinen ^Grundsaz, der ^icht scharf durchgeführt, sondern in ...mehreren Punkten speziell beschränk wurde, z. B. in den Artikeln

64 ^u. 97, betreffend Ausschluß der Geistlichen vom Nationalrath und .Bund.^sgexicht , in den Axt. 41, 44 und 4^, betreffend Be-

vorzugung ^der christlichen Konfessionen, im Art. 32, betreffend verschiedene Behandlung ^r Kantone in Hinsicht ..^uf die Kousumogebühren, und endlich im Art. 4 der Uebergangsbe^im^ n^ungen.

Die speziellen Vorschriften über die Garantie der Kantonalverfassnngen ^und damit auch der verfassungsmäßigen Rechte der Bürger sind im Art. .^ der Bundesverfassung und Art. 4 dex Uebergangsbestimmungen enthalten. Wäre nun das St. Gallische Repräsentatio..sverhältI.i^ im Widerspruch mit der Bundes^ verfassung, so hätte er sch...n im Jahr 1848 dahin fallen müssen.

Niemand dachte aber so, weder Bundes.^, noch Kantonalbehör^ d.en, noch das Volk von St. Galten ; und die Petenten selbst^ in Folge dieser Repräsentation gewählt, haben nie daran ge^ dacht, im Großem Rath zu beantragen, daß dieselbe als abrogirt zu betrachten sei. Es wäre auch nicht möglich gewesen, den ganzen konstitutionellen Organismus als dahin gefallen zu erklären, ohne vorher sür einen neuen gesezlichen Zustand z.^ sorgen , und ^eine so^e Anarchie ^ konnte der neue Bund nicht bezweken. Das Repräsent...tiousv.^rhältniß ist daher durch den Art. 4 de.. Bundesverfassung nicht begossen. Dagegen ist Litt. t^ de^ ..^lrt. .^ h^er maßgebend und fordert nichts anderes, als daß eine Kantonsverfaffung die Ausübung der politifchen Rechte nach republikanischen, repräsentativen oder demokra^ tischen Formen sichere. Deßhalb erhob ...er Bund nie Ein^ rede, wenn auch die Repxäsentationsweise ganz verschieden ei.^

.

l .

^

gerichtet ist. Auch anderswo sind die Wahlen nicht genau.

nach der Volkszahl vertheilt, und es bestehen selbst indirekt^ Wahlen. Deshalb wurde dem Kanton St. Gallen die Bundesgarantie nicht entzogen ^und er nicht genöthigt, sich neu zu^ konstituiren. Es findet daher Litt. a des Art. ^o keine Anwendung auf den Fall. Dagegen findet wieder i^itt. .^ dieses^ Artikels Anwendung , welcher vorschreibt , daß ^eine Verfassung vom Volke angenomm.^n werde und revidirt werden könne äus^ Verlangen dex Mehrheit. Mehrere verlangt der Bund nicht für die Revision , um die Garantie zu erthe.len. Diesen Be^ dingungen entspricht offenbar ^das St. gallische Revisionsstatut, und es könnte daher diese.m und der Verfassung die Garantie auch dann nicht verweigert werden , wenn sie neuern Datums wären , als die Bundesverfassung. Aeltere Verfassungen aber bleiben selbst dann in Kraft, wenn fie der Litt.. c des Art. 6 nichr entsprechen. Um so .weniger kann man da eine andere Reprä^ se.^tativn aufdringen, wo die Verfassung garantirt ist, ^und wo .ein die freiere Willensäußerung gestattendes Revisionsstatut besteht , das die verfassungsmäßige Repräsentation enthält und mit immenser Me.hrheit vom Vo.ke angenommen und bestätigt wurde.

^. Die Bundesverfassung selbst gestattet ihre Revision in keinem andern Weise , als auf dem Wege d^.r Bundesges^zgebung vom National^ und Ständerath^ sie schließt jede andere Repräsentation, namentlich einen Verfassungsrath , gänzlich aus und^ läßt keine neue Bundesbestimmung ^entstehen , außer mit Zu-.

ftimmung der beiden Räthe und der Mehrheit der Kantone^.

so wie des Schweizervolkes. Es wäre nun ein vollständig^ Widerspruch, wenn die auf diesem Boden stehend.. Bundesbehörde dem Kanton St. Gallen d^ren würde, für die Revision seiner Verfassung eine andere Behörde, ..nd zwar nach einer andern, als uach derjenigen Repräsentation einzuberufen^.

welche in de.r Verfassung steht und vom Volke durch ein wei^ teres Statut bestätigt wurde.

^. Schließlich werden noch .die Art. 3 und 5 der Bundesver^ fassung angerusen , welche den Kantonen ihre Verfassungen un^ Souveränität ^aranti^n. Die Petent.^n kvunen ihr.e ..tbsichte^ im Kauton selbst weiter verfolgen ^ aber auf^ d.^m Wege. de.^ reehtskräftig^u Grundgese^e, welche der Manifestation des Willens der wahren Mehrheit d.es Volkes jedenfalls kein H^ndex^ .

niß sind.

Der Antrag ^der Regierung von St. Gallen geht dahin ^ daß die h. .Bundesversammlung über die Beschwerde zur Tage^ Ordnung schreite.

.l52

^ .

Nachdem wir in Vorstehendem den wesentlichen Jnhalt der Beschwerde.

^und der von der Regierung von St. Gallen darauf ertheilten Erwiderung gegeben haben , schreiten wir zur Würdigung und Beurtheilung der Sache

selbst.

Die Herren Beschwerdeführer halten die Vorschrift des Art. 31 des St. Gallischen Revifionsstatnts von einem doppelten Gesichtspunkte aus ^unstatthaft, nämlich einerseits nach der K.autonsversassung und andererseits ^ach der Bundesverfassung. Betrachten wir die beiden Einwendungen näher.

Die jezige Verfassung des Kantons St. Gallen ist eine der ältern in dex Schweiz; fie datirt noch aus dem Jahre 1831 und enthält im Allgemeinen .die Ansichten und Bestimmungen, welche in der Anschauungsweife des damals ^eu erwachten politischen Lebens wurzelten.

So bestimmt der Art. 4, daß weder Vorrechte des Orts, noch der Geburt, noch der Personen , noch der Familien, noch des Vermögens anerkannt werden, während dann der Art. 46 der gleichen Verfassung dem Bezirk St. G a l l e n 15 Mitglieder in den Großen Rath zutheilt, eine Zahl, welche ihm nach der sonst an.genommenen Vertheilung der Repräsentanten nach der Volkszahl nicht zukommen würde.

Es liegt nicht in unserer Aufgabe, zu unterfuchen , ob .hierin wirklich nur eine billige und gerechte Berüksichtigung der besondern Verhältnisse der Hauptstadt gelegen; wir haben uns vielmehr einzig mit .der Frage zu befassen , ob der leztgenannte Artikel mit dem aufgestellten allgemeinen Prinzip der Rechtsgleichheit vereinbar sei , und müssen dieses .um so mehr an dieser Stelle schon^thun, weil spätere Erörterungen hier ihren Anknüpfungspunkt finden.

Die Verfassung des Kantons St. Gallen entl.ält, wie die BundesVerfassung und die meisten Grundgeseze der schweizerischen Kantone, in den ersten Artikeln die allgemeinen Grundsäze, welche in den nachfolgenden speziellen Bestimmungen ihre weitere Entwiklung und Anwendung finden.

.Wenn, wie dieses häusig geschieht, eines vereinzelten Verhältnisses wegen gesonderte Vorfchriften nöthig erscheinen, so wird wol deßwegen der allgemein aufgestellte Grundfaz nicht verlassen , sondern nur in gewisser Beziehung beschränkt. Gerade so verhält es sich mit den genannten Bestimm ^nungen.

Der Art. 46 , welcher dem Stadtbezirk eine etwas größere Repräsentation gibt , steht in der nämlichen Verfassung , welcher auch der Art. 4 angehört, durch welch' leztern sie erklärt hat, in welcher Weise .der allgemeine Artikel für das spezielle Verhältniß angewendet werden solle, ...hne deßwegen es nur für nöthig zu erachten, einen Zusaz zum Art. 4 Behufs
eines Vorbehalts oder ei.ner Ausnahme zu machen.

Nachdem im Jahre 1837, kraft des Art. 143 der Verfassung, die Re^isionsfrage vor das Volk gebracht worden war und dasfelbe ei.^.e Abänderung ^es Grundsazes nicht für nöthig oder zwekrnäßig erachtet hatte, mußte Vorsorge getroffen werden, daß für die Zukunft eine Norm aufgestellt werde, wie bei einer Revision der Verfassung^ zu W..rke gegangen werden ^oll ; denn die Verfassung blieb, aber es fehlte ihr von nun an ein Re^..ifionsartikel. Unter diesen gegebenen eigentümlichen Verhältnissen mußt...

15.^ ^ex Große Rath beim Nichtvorhandensein einex andern zuständigen Behörde .die Verfassung ergänzen. So entstund das R e v i s i o n s s t a t u t vom Jahre ^838, welches im Art. 31 die Bestimmung .enthält: ,,Wird eine Revision .,,einem Verfassungsrath übertragen , so werden die Mitglieder aus die gleiche ^,Weise und in gleicher Anzahl wie die, jedem Bezirk durch die Verfassung

.,. zugeschiedenen Mitglieder des Großen Rathes gewählt... Hierin erbliken

^7 l Mitglieder der obersten St. Gallischen Landesbehörde ein fortwährendes ..Hinderniß für eine gewünschte Revision , weil für die Wahl des Verfassungs-

rathes die unerläßliche, allein rechtliche Unterlage der gleichmäßigen Reprä-

sentation nicht gegeben sei.

Sehen wir die Sache etwas näher an. Es ist nicht bestritten, daß ^er Große Rath das Recht hatte, für einen künftigen Revifionsmodu^ Vorsorge zu treffen; die Beschwerde geht vielmehr dahin, es sei das vonr .fruheru Verfassungsrath nur für die Bildung des Großen Rathes verliehene Vorrecht auch auf die Zusammensezung einer künstigen konstituirenden Versammlung übertragen worden, während ein neuer Verfassungsrath nur nach Demselben Grundsaz gebildet werden dürfe, welcher bereits 1830 proklamirt worden fei. Hiegegen ist vorab zu erinnern, daß der Verfassungsrath dem Großen Rathe keinerlei Konstituirungsrechte, weder in dieser, noch jener Weise übertragen hat, noch übertragen konnte, weil der im Jahre 1837 eingetretene Fall nicht vorhergesehen wurde.

Dagegen lag es gewiß sehr ^nahe , daß der Große Rath , der. in einem einzelnen Punkte die Verfassung zu vervollständigen hatte, hiebei möglichst bei der gegebenen B..sis verblieb.

.und die Repräsentation für einen neuen Verfassungsrath und die Wahl^.weife desfelben auf die gleiche Weise sestsezte , der er selbst seine Existenz .verdankte. So kam das Statut auf eine bereits vorhandene Grundlage .und schloß sich im Sinn und Geist der Verfassung an.

Nach demselben steht dem Volke allein , dem in gewissen Fällen die Revisionsfrage vor^ gelegt werden muß, das Recht zu, seine Verfassung zu revidiren; es soll vor jeder Revision angefragt werden, ob es überhaupt eine Abänderung der Verfassung wolle, oder nicht, und erst wenn diese Frage durch die absolute Mehrheit der stimmfähigen Bürger bejahend entschieden ist, darf .eine Revision vorgenommen werden. Dieses Statut. selbst wurde dem Volke .zur Annahme vder Verwerfung vorgelegt und mit sehr großer Mehrheit .angenommen, worin der Beweis liegt, daß der angegriffene Re.visionsartikei,^wie die übrigen Vorschriften, sich der Zustimmung des Souveräns ..rfreute. Auch spätere Volksentscheide, welche auf Abänderung der Versassung oder des Statuts hinzielten, führten zu keinem Resultate.

Wir wollen nicht näher in die Frage eintreten , ob der Große Rath vom Jahre 1 858 sich in der rechtlichen Stellung befinde . von sich aus Abänderungen.

.^ou verfassungsmäßigen Bestimmungen anzubahnen , während er nach dem bestehenden Grundfaze nur g e s e z g e b e n d e Behörde ist. Eine Argumentation ^nit
deu^ Jahre 1838 würde unsers Erachtens nicht am Plaze sein, weil Damals eine in der Verfassung entstandene Luke ausgefüllt werden mußte,.

gerade um ^eine künftige Revision zu ermöglichen. Jezt ist diese Möglich^

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^keit gegeben, un^ eine vorzunehmende Abänderung der Versassung kann de^ Großen Rathe oder einem Verfassungsrathe übertragen werden, und ar.

dieser Behörde wird es dann. sein, diejenigen Bestimmungen in das neu^ ^Grundgesez aufzunehmen, welche ihr zwekmäßig erscheinen ^werden. Jedenfalls scheint es uns bei den gegebenen Verhältnissen leicht begreiflich, da^ der Große Rath, so lange ihm nicht die Funktionen Deines Verfassungsxathes übertragen find, die Aufgabe ablehnt, für die Repräsentation im Verfassnngsrath und die Wahlweise desselben eine andere Basis sestzusezen,.

als diejenige, welche sur den Großen Rath selbst in ^er bestehenden Versassung festgesezt ist. Aber ganz abgesehen von der angedeuteten konstitu^ .tioneilen Frage scheint uns die Abweisung der Motion , wie sie gestellt wurde, ganz gerechtfertigt.

Die Verkeilung der Repräsentanten unter die Wahlkreise ist eine einzelne Bestimmung , welche aber ihrer Natur nach notwendig .uit andern verwandten Bestimmungen in einem solch' innigem Zusammenhang steht , daß die Abänderung der erstern ohne gleichzeitig^ ReguliruI.g .der leztern zu Abnormitäten führen müßte. ..^ls erste Grnnd^ Bedingung zu einer richtigen Vertheilung der Repräsentation nachher Volkszahl muß die Ausmittluug der dermalen gestehenden wirklichen Bevölkerung dienen, weil nur so jedem Kreise die Zahl der betreffenden Vertreter zugeschieden werden kann. Daß die vor .^ht Jahren stattgehabte eidg. Volkszählung nicht mehr überall der Wirklichkeit entspricht. wird gerade sü^ den Stadtbezirk St. Gallen ^anm bestritten werden. Es würde nun abe.^ eine sonderbare. Zumuthung sein, wenn ein Kanton. der b...i einer Verfassungsrevision ein richtiges Repräsentationsverhältniß herzustellen ange^ halten werde.. sollte, sich eine ^ff.^nbar unrichtige Grundlage wählen müßte.

Zu einer gehörigen Regulirung des R..präsent^.tionss.^ems ^n seiner Ge^

sammtheit gehört ferner die Bildung ^er Wahlkreise selbst, die Vertheilung

der Repräsentanten unter fie und die Art und Weise der Ernennung derselben. . Nach dem Begehren der Herren Beschwerdeführer würden aber fü^ die Bestellung eines Versassungsrathes die Wahi.kreise selbst und das Wahl^ verfahren , wie sie gegenwärtig sür die Bildung des Großen Rathes durch^ die Verfassung gegeben sind , unverändert beibehalten und nur die Ver^ theilung der Repräsentanten unter die Wahlkreise geändert.

Aber ebe^ dieses Herausreißen eines einzelnen Punktes, welcher seiner Na^nr nach iI^ genauem systematischem Zusammenhang mit andern Grundbedingungen de^

.Repräsentations.^exhältnisfes steht, ist nicht znläßig.

Das Revifionsstatur

ist ein Ganzes; man kann ^nicht einen einzelnen Artikel umändern, und di^ andern unberührt lassen.

^ Gehen wir nun zur Beleuchtung der Frage über, ob der mehrere wähnte Art. 31 ^des St. Gallischen Statuts über die Verfassungsrevisio.^ rnit ^er Bundesverfassung im Widerspruch sei , worauf das Sehlußbegehrer..

^er Herren Beschwerdeführer abstellt, so muß auch diese Frage verneint werden.

Die hier maßgebenden Artikel sind ^ie .^. 4 und 6 der Bundesver^ ^.ssung und ^. 4 der Uebergangsbestimmungen derselben.

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Der ^Artikel 4 enthält allerdings den Grundsaz der Rechtsgleichheit ; allein wir müssen wiederholen , was wir bereits oben bezüglich der nämWichen Bestimmung in der Verfassung von St. Gallen selbst gesagt haben.

^s ist eine g e n e r e l l e Vorschrift, welche in den Bestimmungen ^der einzelnen ^Artikel ihre nähere Präzisirung gefunden hat. Wir verweisen z. B. einfach auf den Art. 4l , welcher das Recht der freien Niederlassung nur ^en Schweizern der christlichen Konfession gewährt, während die landesAngehörigen Jsraeliten davon ausgeschlossen find. Wir finden in den VerHandlungen der Revisionskommission die Bemerkung, daß gerade dieses U.nstandes wegen beantragt wurde , dem Artikel nicht die jezige allgemeine Fassung zu geben ; man abstrahirte aber davon , weil man nicht eines vereinzelten Verhältnisses wegen einen schönen Grundsaz verlassen und B^.sorgniß erregen wollte , als ob die Gleichheit der Eidgenossen nicht vor dem Geseze bestünde.

Speziell mit den Requisiten der Kanton^verf^ssungen befaßt sich der Art. 6, welcher verlangt^ daß dieselben nichts den Vorfchriften der Bundesverfassung Zuwiderlaufendes enthalten und die Ausübung der politischen Rechte nach republikanischen, .repräsentativen oder demokratischen Formen enthalten sollen. Als ^drittes Requifit wird dann noch verlangt, daß eine. Kantonsverfassung r.om Volke angenommen worden sei und re..

vidirt werden könne, wenn die absolute Mehrheit der Bürger es verlangt.

Was die leztgenannte Anforderung betrifft, so .entspricht die St. Gallische Verfassung derselben vollkommen. Aber selbst wenn dieses nicht der Fall wäre, fo wird es nicht in Betrachtung fallen, weil der Art. 6 der Uebergangsbestimmungen diefe Merkmale nicht von Verfassungen ^erlangt, welche ^ zur Zeit der Jnkrafttretung der jezi^en Bundesurkunde schon in Kraft bestunden.

. Es bleibt daher nur zu untersuchen übrig, ob die Verfassung von ^ St. Gallen, resp. der Art. 3l des Statuts, Bestimmungen enthalte, welche mit andern Vorschriften der Bundesverfassung im Widerfpruch stehe, weil diefe mit der Annahme der Bundesverfassung als aufgehoben ange^ sehen werden müßten. Es ist bereits oben berührt worden , daß eine richtige Auffassung des Art. 4 nicht eine Auslegung zulasse, wie die Herren Beschwerdeführer sie zu geben versuchen. Würde eine solche Jnterpretation erhebliche Gründe
für sich haben, es wäre nicht abzusehen, wie bei dem stets regen politischen Leben im Kanton St. Gallen und den fortwährenden mehr oder minder offen zu Tage tretenden Kämpfen erst jezt nach einer langen Reihe von fahren hierauf aufmerksam gemacht worden wäre. Man wendet hiegegen freilich ein, die gan.^e Bedeutung des Revisionsartikels fei erst sueeesstve und in den politischen Hauptkämpfen zu Tage getreten. Darauf muß aber erwidert werden, daß die rechtliehe Existenz ein.er Bestimmung nicht von der politischen Zwekmäßigkeit derselben abhängt, sondern nur von den Anforderungen, welche das Bundesstaatsrecht geltend machen darf.

Eben so wenig wie Litt. a findet Litt. b des Art. 6 Anwendung. Die St. Gallischen Verfassungsbestimmungen sichern dem Volke. die Ausübung

156 der politischen Rechte nach republikanischen Formen zu; und mehr kann der Bund nicht fordern. Was allfällig hierüber noch weiter zu bemerken wäre, liegt bereits in den bisherigen Erörterungen, daher wir uns füglich einer neuen Auseinandersetzung überheben können.

^ Andere Artikel der Bundesverfassung sind von den Herren Beschwerdeführexn nicht angerufen worden und könnten wol kaum in ernstliche Diskusfion fallen.

Aus den entwikelten Gründen geht unsere Ansicht dahin, daß keine hinreichenden Gründe vorhanden seien, die angefochtene Bestimmung des St. Gallischen Revifionsstatuts mit den Vorschriften der Bundesverfassung in Widerspruch zu erklären, daher wir den Schlußantrag stellen: Es sei in die Beschwerde der 71 Mitglieder des Großen R a t h e s von St. Gallen nicht w e i t e r e i n z u t r e t e n .

Bei diesem Anlaße erneuern wir Jhnen, Tit. , die Versicherung unserer Vollkommensten Hochachtung.

Bern, den 9. Juni 18^8.

Jm Namen des fchweiz. Bundesrathes,

Der Vizepräsident: ^...täm.^sti.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft : ....Schieß.

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Botschaft des Bundesrathes an die h. Bundesversammlung, betreffend eine Beschwerde von St. Gallischen Großräthen über verweigerte Rechtsgleichheit. (Vom 9. Juni 1858.)

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