569

# S T #

Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung über den Rekurs der Lebensversicherungsban für Deutschland zu Gotha gegen den Bundesratsentscheid vom 11. Februar 1898 betr. Besteuerung durch den Kanton Bern.

(Vom 21. Oktober 1898.)

Tit.

Mit Beschluß vom 11. Februar 1898 hat der Bundesrat auf die Beschwerden der Lebensversicherungsbank zu Gotha und zweier anderer Versicherungsgesellschaften hin erkannt, daß keine Verletzung des Art. 15, Abs. 2, des Bundesgesetzes, betreffend Beaufsichtigung von Privatunternehmungen im Gebiete des Versicherungswesens darin liege, daß der Kanton Bern Versicherungsgesellschaften auf Gegenseitigkeit auf Grund des bernischen Einkommensteuergesetzes zur Entrichtung einer Einkommensteuer verhalte.

Die Lebensversicherungsbank zu Gotha bringt in ihrer Rekursschrift gegen diesen Entscheid vor, er beruhe auf unrichtigen thatsächlichen Voraussetzungen, indem die Rekurrentin kein Einkommen im Sinne des bernischen Gesetzes besitze ,und keinen Geschäftsgewinn erziele. Daraus müsse aber gefolgert werden, daß die Erhebung einer Einkommensteuer von Versicherungsgesellschaften auf Gegenseitigkeit mit Art. 15, Abs. 2, des Bundesgesetzes vom 20. Juni 1885 in Widerspruch steht, wie der Bundesrat selber in zwei früheren Entscheiden ausgesprochen habe.

Der Bundesrat hat in der That in seinem Rekursentscheide vom.21. Juni 1888, in Sachen NewYork (ßundesbl. III, S. 697, Salis,

570 Bundesrecht IV, Nr. 1567) und in dem ganz analogen vorn 2. Februar 1892 inSachen derschweiz. Mobiliarversicherungsgesellschaft(Bundesblatt 1892 I, S. 658, Salis, IV, Nr. 1568) in der Frage Stellung genommen, ob eine Versicherungsgesellschaft auf Gegenseitigkeit einEinkommen haben könne ; er hat diese Frage verneint und die Bestimmung des Einkommens der Rekurrenten als mit Art. 15 des Bundesgesetzes vom 25. Juni 1885 in Widerspruch stehend erklärt. Allein schon in der Rekursentscheidung vom 3. Dezember 1888 in Sachen RentenanstaltZürich(Bundesbl.l888,IV,S.1118, Salis, II, Nr.582) ist der Bundesrat von dieser Auffassung abgewichen, indem er sich nicht für kompetent erklärte, auf Grund von Art. 15, Abs. 2, des erwähnten Bundesgesetzes zu prüfen, ob eine Versicherungsgesellschaft auf Grund eines allgemeinen kantonalen Steuergesetzes richtig besteuert werde, ob die Steuerfaktoren und der Steuerbetrag richtig ausgemittelt werden. Und, von der gleichen Auffassung ausgehend, erkannte der Bundesrat in seinem Entscheide vom 13. September 1897 in Sachen der Compagnie d'assurances générales (Bundesbl. 1897, IV, S. 236), eine besondere Taxe im Sinne des Bundesgesetzes vom 25. Juni 1885 liege nur dann vor, wenn eine allgemeine Steuer von einer Versicherungsgesellschaft unter rechtlichen und thatsächlichen Verhältnissen gefordert werde, unter denen andere als Versicherungsgesellschaften sie nicht zu entrichten hätten, niemals aber, wenn die betreffende Steuer unter gleichen Umständen auch von ändern Gesellschaften erhoben werde.

Diese Auffassung scheint uns die richtige. Das Bundesgesetz betreffend die Beaufsichtigung der Versicherungsunternehmungen wollte kaum den Versicherungsgesellschaften eine bevorzugte Stellung gegenüber anderen steuerpflichtigen Gesellschaften einräumen, sondern nur verhindern, daß sie mit Abgaben mehr als andere Gesellschaften belastet werden. Besteht eine solche Ungleichheit nicht, so ist die Bundesbehörde nicht berufen, darüber zu entscheiden, ob die Besteuerung im konkreten Falle mit dem kantonalen Gesetze und mit den allgemeinen steuerrechtlichen Grundsätzen in Einklang zu bringen sei. Für Beschwerden über diese Punkte sollen die Versicherungsgesellschaften keinen privilegierten Gerichtsstand haben.

Demgemäß haben wir im vorliegenden Falle nicht untersucht, ob der Regierungsrat
des Kantons Bern das kantonale Gesetz richtig ausgelegt habe, und ob der Satz, daß Versicherungsgesellschaften auf Gegenseitigkeit ein Einkommen haben, richtig sei.

Es ist dies eine steuerrechtliche und volkswirtschaftliche Frage, die zu entscheiden, wie auch das Bundesgericht in seiner Entscheidung vom

571 13. April 1898 in Sachen der Lebensversicherungs- und Ersparnisbank in Stuttgart und der Lebensversicherungsgesellschaft zu Leipzig gegen den Regierungsrat des Kantons Bern anerkannt hat, Sache des kantonalen Gesetzgebers ist; hat er sie in bejahendem Sinne entschieden und verfährt er gemäß diesem Grundsatze gegenüber den auf Gegenseitigkeit beruhenden Gesellschaften, so liegt keine Veranlassung vor, den Versicherungsgesellschaften eine privilegierte Stellung einzuräumen.

Die Rekurrentin versucht nun nachzuweisen, daß eine Einkommensteuer von den in Bern niedergelassenen Versicherungsgesellschaften auf Gegenseitigkeit nicht gefordert werde. Die Beispiele, die sie namhaft macht, treffen aber nicht zu, wie sich aus der Rekursbeantwortung der Regierung des Kantons Bern vom 28. September 1898 ergiebt. Dieser Eingabe ist vielmehr zu entnehmen, daß der Kanton Bern alle Versicherungsgesellschaften, die er zu besteuern befugt ist, mit der Einkommensteuer belegt.

Der einzige Einwand der Rekurrentin gegen unsern Entscheid, den wir als erheblich erachten können, stellt sich damit als unbegründet heraus.

Wir beantragen Ihnen aus diesen Gründen Abweisung des Rekurses.

Genehmigen Sie, Tit., die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

Bern

den 21. Oktober

1898.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: Kuffy.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft : Rmgier.

~$s-O-==r-

Bundesblatt. 50. Jahrg. Bd. IV.

43

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über den Rekurs der Lebensversicherungsbank für Deutschland zu Gotha gegen den Bundesratsentscheid vom 11. Februar 1898 betr. Besteuerung durch den Kanton Bern. (Vom 21. Oktober 1898.)

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1898

Année Anno Band

4

Volume Volume Heft

45

Cahier Numero Geschäftsnummer

---

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

26.10.1898

Date Data Seite

569-571

Page Pagina Ref. No

10 018 506

Das Dokument wurde durch das Schweizerische Bundesarchiv digitalisiert.

Le document a été digitalisé par les. Archives Fédérales Suisses.

Il documento è stato digitalizzato dell'Archivio federale svizzero.