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Schweizerisches Bundesblatt mit schweizerischer Gesetzsammlung, 70. Jahrgang.

Bern, den 31. Juli 1918.

Band III.

Erscheint wöchentlich. Prêts 12 Franken im Jahr, 6 Franken im Halbjahr, zuzüglich ,,Nachnahme- und Postbestellungsgebühr"..

Einrückungsgebühr : 15 Rappen die Zeile oder deren Raum. -- Anzeigen franko an die Bachdruckeret Stämpfli £ de. in Bern.

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Bericht des

Bundesrates an die Neutralitätskommissione der eidgenössischen Räte betreffend Arbeitslosenfürsorge.

(Vom 23. Juli 1918.)

I.

In einem Berichte an den Bundesrat vom 16. Februar 1918 hat das Volkswirtschaftsdepartement ausgeführt, dass die durch den Krieg verursachten wirtschaftlichen Hemmungen, wie der Rückgang der Zufuhr von Roh- und Hülfsstoffen, die Vermehrung der Exportbeschränkungen, der Rückgang ausländischer Bestellungen, die Transportschwierigkeiten zu Lande und zu Wasser, der Schweiz nach einer Periode des Arbeitermangels und des Arbeitsüberschusses voraussichtlich eine solche mangelnder Beschäftigung auferlegen werden. Die Zustände haben seither eine erhebliche Verschärfung erfahren. Im erwähnten Berichte sind die Mittel erörtert, die als geeignet erscheinen, um den zufolge Arbeitsmangels drohenden ernsten Gefahren zu begegnen. Vor allem wurde die Wichtigkeit der Zuweisung von Arbeit in der Landwirtschaft, in der sonstigen Lebensmittelproduktion, bei der Bodenverbesserung, bei der Holz- und Torfgewinnung, im Bergbau usw., und die Notwendigkeit der Organisation eigentlicher Notstandsarbeiten (Hoch- und Tiefbau) betont, indessen hat sieh mit diesen Fragen, deren Lösung auf dem Wege eines Zwangs vermieden werden sollte, unser gegenwärtiger Bericht direkt nicht zu befassen. Sodann wurde erwähnt, dass der Vermittlung von Angebot und Nachfrage, also dem Arbeitsnachweis, erhöhte WichBundesblatt. 70. Jahrg. Bd. III.

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tigkeit zukomme. Trete jedoch Arbeitslosigkeit in bedeutendem Masse ein, so seien weitergehende Massnahmen notwendig, insbesondere müsse die Unterstützung der teilweise oder ganz Arbeitslosen organisiert werden, ein Werk, an dem sich die Industrie nach Massgabe ihrer Kräfte beteiligen solle.

Je nach dem Grade und der Dauer der Arbeitslosigkeit können Zehntausende von Arbeitern verdienstlos werden, und es in eine unabweisbare Pflicht, denjenigen, die einen genügenden andern Erwerb nicht finden, zu Hülfe zu kommen, damit sie und ihre Angehörigen nicht dem Elend preisgegeben werden.

Wir haben daher am 20. Februar das uns vom Departement vorgelegte Programm grundsätzlich genehmigt, und jenes u. a.

beauftragt, die Frage der Arbeitslosenunterstützung im Sinne seiner Vorlage vom 16. Februar zu prüfen und uns darüber Berieht zu erstatten. Gleichzeitig erhielt das Departement die Ermächtigung, die Kantone in einem Kreisschreiben auf die vorliegenden Verhältnisse aufmerksam zu machen und zur Mitwirkung bei der Lösung der gestellten Aufgaben einzuladen. Das Kreisschreiben ,,betreffend die Arbeitslosenfilrsorge und die Ausführung von Bodenverbesserungen''1' wurde am 7. März erlassen, und wir verweisen an dieser Stelle auf dessen Inhalt.

Zunächst war vom Departement die Frage zu prüfen, auf welches Arbeitspersonal sich Massnahmen im Sinne der Fürsorge bei teilweiser oder gänzlicher Verdienstlosigkeit erstrecken sollen.

Von vorneherein fällt die Landwirtschaft ausser Betracht, da in ihr Mangel an Arbeitskräften herrscht, ein Zustand, der sich in absehbarer Zeit nicht ändern wird. Das im Handel, Verkehr, in kaufmännischen Betriebsteilen beschäftigte Personal steht mit den Arbeitgebern gewöhnlich in einem derartigen Verhältnis, dass die Gefahr des Verdienstloswerdens nicht eine unmittelbare ist; ausserdem liesse sich auf diese Angestellten eine Unterstützungsorganisation, die für industrielle Verhältnisse passt, nicht unverändert anwenden. Die Frage präsentiert sich hinsichtlich der Angestellten also unter besondern Gesichtspunkten, sie muss und wird für sich geprüft und einer Lösung entgegengeführt werden.

Am dringlichsten sind vorab Massnahmen der Fürsorge für die Arbeiterschaft in industriellen und gewerblichen Betrieben, da sie von schweren Krisen schon bedroht ist. Einsichtige Führer der Industriellen
haben die Gefahr vor längerer Zeit erkannt, und zu ihrer Bekämpfung ein Programm ausgearbeitet, das der Bundesbehörde vorgelegt wurde. Die Initianten stellten sich in anerkennenswerter Weise auf den Standpunkt, dass der Betriebsinhaber seinen Arbeiter bei gemindertem oder ausbleibendem

717 Verdienst nicht sich selbst überlassen dürfe, sondern sich an der Fürsorge für ihn beteiligen solle; was über die Kraft des Arbeitgebers hinausgehe, sei durch die Öffentlichkeit zu leisten.

Zur Begutachtung der Frage der Fürsorge bei Arbeitslosigkeit in industriellen und gewerblichen Betrieben bestellte das Departement am 26. Februar eine Kommission, und zwar zu gleichen Teilen aus Vertretern der Arbeitgeber und der Arbeiter; als unparteiisches Mitglied und zugleich als Präsident bezeichnete es Herrn Regierungsrat Dr. A. Msechler. Die Kommission nahm ihre Arbeiten sofort auf, und wählte zum Ausgangspunkt ihrer Untersuchung das vorhin erwähnte Programm, das der Zentralverband schweizerischer Arbeitgeberorganisationen dem Departement vorgelegt hatte. Nachdem ein Entwurf zu Vorschlägen an das Departement von Herrn Präsident Moechler ausgearbeitet und von einer Subkommission beraten worden war, gelangte er zu gründlicher Behandlung durch die Kommission selbst. Dank des guten Willens und des gegenseitigen Entgegenkommens der beiden in ihr vertretenen Gruppen gelang es erfreulicherweise, über die Grundzüge der Aktion für Arbeitslosenfürsorge eine Verständigung zu erzielen und so den Weg zur Organisation und nachherigen Durchführung der Hülfeleistung zu ebnen. Es sei auch erwähnt, dass von Vertretern der Arbeiterschaft die Vorschläge der Arbeitgeber als weitgehend anerkannt worden sind.

Als die von der Kommission bearbeitete und einstimmig gutgeheissene Vorlage eingegangen war, stellte das Departement den Entwurf zu einem Bundesratsbeschluss betreffend die Fürsorge bei Arbeitslosigkeit in industriellen und gewerblichen Betrieben auf, indem es von der Erwägung ausging, dass es nicht etwa genüge, gewisse Massnahmen bloss zu empfehlen, sondern dass eine sicher und allseitig wirkende Abwehr der Folgen von Arbeitslosigkeit zu schaffen sei. Um weitern Kreisen der Betriebsinhaber und Arbeiter Gelegenheit zur Stellungnahme in der Angelegenheit zu geben, übermittelte das Departement den im wesentlichen auf den Vorschlägen der Kommission beruhenden Entwurf den Mitgliedern der Kommission mit der Ermächtigung, ihn in den Leitungen der von ihnen vertretenen beruflichen Gruppen zur Sprache zu bringen ; ferner wurde die Zentralstelle schweizerischer Arbeitsämter zur Äusserung über die Bestimmungen betreffend
Arbeitsvermittlung veranlasst. Von einer förmlichen Umfrage bei den Berufsverbänden musste wegen der Dringlichkeit des Gegenstandes Umgang genommen werden, es ist jedoch bekannt, dass die Vorlage von den leitenden Organen der beruflichen Hauptverbände (Handels- und Indastrieverein, Gewerbever-

718 band, Zentral verband der Arbeitgeberorganisatiönen, Gewerkschaftsbund usw.) behandelt worden ist und im allgemeinen Zustimmung gefunden hat. Es gingen einige Vorschläge ein, zu deren Behandlung die Kommission nochmals einberufen wurde. Auch diese Punkte wurden in gegenseitigem Einvernehmen erledigt, mit Ausnahme einer später zu berührenden Frage (s. unten Ziffer II, o), der jedoch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt und in der die Vertreter der Arbeiterschaft in der Kommission nicht einig waren.

Angesichts der Wichtigkeit der Angelegenheit und des Interesses, das die Kantone an der geplanten Aktion, auch in finanzieller Beziehung, haben, hielt das Departement es für geboten, vor seiner Antragstellung an den Bundesrat das Projekt der Hülfsaktion den Kantonen zur Kenntnis zu bringen, und in mündlicher Verhandlung die Ansichten der Vertreter ihrer Regierungen einzuholen. Letzteres geschah in einer am 27. Juni abgehaltenen Konferenz, an der sich Vertreter von 23 Kantonsregierungen, Vertreter der Kommission und Herr Nationalrat Dr. Hofmann als unser ständige Experte in Arbeitslosenfragen beteiligten. Der Komrnissionspräsident, Herr Regieruagsrat Msechler, orientierte im Auftrage des Departements die Vertreter der Regierungen über die Entstehung und den Inhalt der Vorlage in eingehenden Ausführungen. Die Beratung ergab, dass die Grundzüge' der Vorlage allseitig anerkennende Zustimmung fanden, und dass insbesondere die finanzielle Mitwirkung der Kantone als eine Notwendigkeit anerkannt wurde. Die vorgebrachten Anregungen sind nicht grundsätzlicher Natur und im Beschlusses-Entwurf tunlichst berücksichtigt worden.

Dagegen gingen in der Konferenz die Meinungen auseinander über die zu wählende Art des Vorgehens. Während die Vertreter der deutschschweizerischen Kantone dem Erlass eines Beschlusses durch den Bundesrat zustimmten, wurde von solchen der französischen Schweiz empfohlen, einen Entscheid der Bundesversammlung herbeizuführen. Ferner wurde auf Veranlassung der Herren R. Cossy und Mitunterzeichner die Frage in der Sitzung des Nationalrates vom 27. Juni erörtert, ohne dass die Besprechung zu Ende geführt werden konnte.

Dass die Grundsätze der Hülfsaktion vom Bunde, nicht etwa von den Kantonen oder Gemeinden, zu bestimmen seien, ist von keiner Seite bestritten worden. Treten Krisen ein, so
ist zu gewärtigen, dass sie über die Grenzen der Gemeinden und Kantone hinausgehen und ganze Industriegebiete umfassen. Die sehr zu begrüssende Mithülfe · der Berufsverbände der Arbeitgeber und die Heranziehung der diesen. Verbänden nicht angehörenden Betriebs-

719 Inhaber kann' nur durch Vorschriften des Bundes geregelt werden.

Die Hülfeleistung an die Arbeiter muss nach einheitlichen Grundsätzen erfolgen.

Dass der Bundesrat auf Grund seiner ausserordentlichen Vollmachten befugt sei, Massnahmen zu treffen, um die Folgen von Krisen der Kriegszeit für die Arbeiter zu mildern, kann wohl nicht bestritten werden. Der Präsident der Kommission schreibt in seinem Bericht vom 29. April, dass ,,zu einem ßundosratsbeschluss die ausserordentlichen Vollmachten angesichts der Notwendigkeit und ausserordentlichen Dringlichkeit offenbar, wie selten, passen". Übrigens hat unseres Wissens niemand die rechtliche Befugnis des Bundesrates in Abrede gestellt, die Frage des Vorgehens ist vielmehr taktischer Natur. Wir machen darauf aufmerksam, dass die zu treffenden Massnahmen äusserst dringlich erscheinen. Die Gefahr umfassender Arbeitslosigkeit rückt stets näher und hat einzelne Industriezweige schon ergriffen. So verlangt in einem Schreiben vom S. Juli die Verwaltungskommission des Notstandsfonds der Stickereiindustrie unverzüglichen Erlass des geplanten Bundesratsbeschlusses, in Erwägung, dass die Verhältnisse hinsichtlich der Beschäftigungsmöglichkeit in den genannten Zweigen der Stickerei kritisch seien. Das Kaufmännische Direktorium in St. Gallen schreibt uns am 6. Juli, die Stickereiverbändc müssen wünschen, dass die von uns projektierte Basis für die Arbeitslosenfürsorge möglichst rasch Gesetzeskraft erlange, und fährt fort : ,,Wir zählen dabei auf einen B u n d e s r a t s b e s c h l u s s , weil für unsere Industrie die Verweisung an eine Herbstsession des Parlamentes viel zu spät käme, ganz abgesehen davon, dass unsere Industriellen von der Ansicht ausgehen, dass ein solcher nach dem Kriege automatisch wieder dahinfallen würde, was in ihrem Wunsche liegt, während sich aus einem Parlamentsbeschluss viel eher eine unerwünschte Fortdauer dieses doch nur den Kriegsverhältnissen angepassten Fürsorgegesetzes entstehen könnte."· Es muss mit, der Möglichkeit gerechnet werden, dass in der einen und andern Branche unserer Industrie ein eigentlicher Notstand innert kürzester Frist hereinbricht. Er darf die Behörden nicht unvorbereitet finden, die Abwehr muss also rechtzeitig bereitgestellt werden. Wird die Angelegenheit an die Bundesversammlung verwiesen, so geht für den
Erlass und besonders auch für die Vorbereitung des Vollzugs von Vorschriften zuviel kostbare Zeit verloren, und der Buiidesrut glaubt, dass er die Verantwortung für eine Verzögerung von sich aus nicht übernehmen könne. Der Gedanke, durch den Bundosrat, provisorische Vorkehren treffen zu lassen, die hernach durch einen Beschlnss der Räte ersetzt würden, wäre nur sehr schwer durchführ-

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bar, weil die Grundsätze für die Hülfsaktion nicht nur aufzustellen, sondern auch in die Wirklichkeit umzusetzen sind. Ist aber diese Organisation in den Berufsverbänden, Kantonen, Gemeinden einmal getroffen, so würde es niemand verstehen, wenn sie zufolge der Beschlüsse einer andern eidgenössischen Instanz verändert oder rückgängig gemacht werden müsste, und auch der Sache wäre damit keineswegs gedient. Für den Erlass eines Bundesratsbeschlusses spricht ein weiterer Umstand. Da es sich um die Betätigung des Bundes auf einem neuen Gebiete handelt, kann es geschehen, dass die eine oder andere Vorschrift sich nicht bewährt. In diesem Falle kann durch eine Abänderung des Bundesratsbeschlusses leicht und schnell geholfen werden, während der Gesetzgeber über eine solche 'Elastizität nicht verfügt.

Wie das Präsidium der Kommission in einem Schreiben vom 11. Juli mitteilt, war diese ,,immer darin ganz einmütig, dass die Angelegenheit Eile habe und auf dem Weg der ausserordentlichen Vollmachten baldigst geregelt werden müsse". Den gleichen Standpunkt nehmen Kundgebungen ein, die kürzlich von ostschweizerischen Angestelltenverbänden und von der Delegiertenversammlung des schweizerischen Kaufmännischen Vereins ausgegangen sind, und es wird von diesen Seiten besonders darauf hingewiesen, dass auch die Fürsorge bei Arbeitslosigkeit kaufmännischer Angestellter auf dem gleichen Wege eines Bundesratsbeschlusses ohne Verzug eingeleitet werden müsse. Ferner wird in der Schifflistickerei erwartet, dass auf Grund von Art. 3 des Beschlussesentwurfs demnächst eine Verfügung des Departements die durch die schlimmen Verhältnisse geforderte Einschränkung der Arbeit an Schifflimaschinen auf 4 Tage der Woche einführen werde.

Es sei in diesem Zusammenhang noch darauf hingewiesen, dass die in Aussicht genommene Aktion eine Fortsetzung und Erweiterung derjenigen ist, die wir durch unsern Beschluss vom 24. März 1917 betreffend den ,,Fonds für Arbeitslosenfürsorge" eingeleitet haben. Das damalige Vorgehen fand nicht nur keinen Widerspruch, sondern wurde allgemein begrüsst. Der Beschluss von 1917 verweist (Art. 3} die Bestimmungen über die Bemessung und die Bedingungen der Bundesbeifcräge aus dem Fonds in eine Verordnung. Dieser Teil der Arbeitslosenfürsorge ist demnach sowieso auf administrativem Wege zu behandeln, und es wäre
weder folgerichtig, noch zweckmässig, für einen andern Teil den Gesetzgeber in Anspruch zu nehmen. Übrigens ist schon im X. Neutralitätsbericht die Ausarbeitung eines Bundesratsbeschlusses betreffend Arbeitslosenfürsorge angekündigt worden.

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Auf das Verhältnis zwischen dem erwähnten Fonds und der neuen Aktion kommen wir noch zu sprechen (s. unten Ziff. II, 10).

Das befürwortete Vorgehen rechtfertigt sich um so mehr, als, wie schon erwähnt, die Kreise der Betriebsinhaber und der Arbeiter sich über die Grundsätze der Hülfeleistung in allen wichtigen Punkten verständigt haben.

Im Hinblick auf das noch nicht erledigte Postulat des Herrn Nationalrat R. Cossy betrachten wir es aber als angezeigt, unser Projekt den Neutralitätskommissionen der gesetzgebenden Räte vorzulegen, damit sie in der Angelegenheit sich aussprechen können.

II.

Der Zweck des Entwurfs lässt sich in der Weise charakterisieren, dass den Arbeitern und ihren Familien bei erheblicher Beeinträchtigung oder beim Aufhören des gewohnten Erwerbs, wodurch für sie ohne weiteres eine Notlage entsteht, geholfen werden muss. Damit steht im Zusammenhang die tunlichste Beseitigung der Ursachen von Konflikten zwischen Betriebsinhabern und Arbeitern und von Störungen der öffentlichen Ordnung. Es handelt sich also um äusserst wichtige persönliche und öffentliche Interessen.

Die Grundzüge des Entwurfs sind im wesentlichen folgende : 1. Seine Wirkungen erstrecken sich nicht auf die sozusagen normal wiederkehrende Arbeitslosigkeit, sondern nur auf diejenige, die in den ausserordentlichen wirtschaftlichen Zeiten ihre Ursache hat.

2. Er bezieht sich auf die privaten Unternehmungen industrieller xind gewerblicher Art. Beim Vollzug des Beschlusses soll eine möglichst weite Auslegung dieser Begriffe walten, um die Fürsorge tunlichst auszudehnen. Je nach den Verhältnissen des einzelnen Falles sollen auch Personen, die zwar nicht als Angestellte (s. unten Ziffer 3), aber als Arbeiter im Handelsund Verkehrsgewerbe tätig sind, in die Fürsorge einhezogen werden.

Gegen die Einbeziehung des Gewerbes ist nicht nur kein Widerspruch erhoben worden, sondern der Zentralvorstand des schweizerischen Gewerbeverbandes hat sie einstimmig gebilligt.

In der Tat sind ja auch diese Arbeiter dem Risiko, arbeitslos zu werden, ausgesetzt. Ferner ist daran zu erinnern, dass in einem und demselben Erwerbszweig eine begriffliche Unterscheidung zwischen industriellem und gewerblichem Betrieb meist nicht besteht.

722 Besondere Schwierigkeiten bietet die Frage, wie es mit deß hausindustriellen Betrieben zu halten sei. Deren Verhältnisse sind je nach dem Industriezweig (Uhren, Seidenband, Stickerei, Stroh usw.) sehr verschiedenartige. Im allgemeinen eignet sich das System des Entwurfes nicht zur Anwendung auf die Hausindustrie.

In ihr besteht gewöhnlich nicht ein eigentliches Dienstverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, und auf sie treffen die Voraussetzungen betreffend Arbeitsdauer und Lohn im allgemeinen nicht zu. Allerdings gibt es Fälle, wo eine Person sich, namentlich wirtschaftlich, in einer dem Dienstverhältnis ähnlichen Lage befindet. Sie ist dann dem Arbeiter im Sinne des Entwurfs gleichgestellt. Übrigens ist auf diesen Gebieten ein Notstand weniger zu befürchten, weil mit dem industriellen Erwerb meist ein anderer, z. B. landwirtschaftlicher, verbunden ist.

Eine genauere als die vorgesehene Konstruktion betreffend die Anwendbarkeit des Beschlusses ist kaum zu linden und empfiehlt sich auch nicht, weil dem Vollzug möglichste Bewegungsfreiheit gewährt werden soll. In den Fällen, wo Zweifel über den Geltungsbereich bestehen, entscheidet das kantonale Einigungsamt.

Hinsichtlich der öffentlichen Betriebe wird angenommen, dass die Fürsorge bei Arbeitslosigkeit Sache der betreffenden Inhaber sei. Einerseits ist die Gefahr der Einschränkung oder Einstellung für solche Betriebe, z. B. Elektrizitätswerke, Fabriken von Kriegsmaterial, nicht gross, andrerseits darf den Inhaberin (Gemeinden, Kantonen, Bund) zugemutet werden, dass sie für ihre Arbeiterschaft nötigenfalls sorgen.

3. Unter Arbeitern sind die in den industriellen und gewerblichen Betrieben gegen Entrichtung eines Lohnes beschäftigten Personen jeden Alters und Geschlechts verstanden, also auob die Lehrlinge, die einen Lohn beziehen. Ausgenommen vom Beschluss sind die Angestellten, für die, wie schon ausgeführt worden ist, besondere Massnahmen zu treffen sind, ferner die zwar in der Schweiz wohnenden, aber ausserhalb der La.ndesgrenze beschäftigten Arbeiter und die Arbeiter, die zwar in einem inländischen Betriebe tätig sind, aber im Auslande wohnen.

Die Grundlage für die Berechnung einer Entschädigung für Verdienstausfall ist der normale Zeit- oder Akkordlohn, mit Einschluss der Zulagen für Teuerung usw. Um Ansprüche, die auf sehr
hohen Lohnsätzen (z. B. in der Munitionsindustrie) beruhen, auszuschalten, wird, wie in der obligatorischen Unfallversicherung, bestimmt, dass nur der nicht über 14 Franken im Tage hin-

723 ausgehende Gesamtbetrag anrechenbar sei. Abgesehen von dieser Einschränkung werden also die Entschädigungen nach individuellem Massstabe bestimmt, ein Verfahren, das in sozialer Hinsicht der Ausrichtung einheitlicher Taggelder vorzuziehen ist.

Es geht nicht an, allgemein einen gewissen Zeitpunkt zu bestimmen, der für die Bestimmung des normalen Lohnes massgebend wäre. Je nach der Konjunktur sind die Löhne grossen Schwankungen unterworfen, und die Konjunktur selbst ist nicht in der nämlichen Zeit für die verschiedenen Branchen die gleiche.

Bei Streitigkeiten über die Berechnung der Arbeitslosenentschädigung ist der normale Lohn von den Einigungsstollen festzusetzen, und sie sind auch in der Lage, in verständiger Weise die Verhältnisse des einzelnen Falles zu würdigen.

4. Dem Grundsätze, dass eine beschränkte Arbeitsmügliehkeit stets der Arbeitslosigkeit, auch wenn die finanzielle Unterstützung hinzutritt, vorzuziehen sei, dienen verschiedene Bestimmungen. So ist vorgesehen, dass vom Betriebsinhaber statt der Entlassung von Arbeitern, wenn die Verhältnisse es irgend gestatten, durch entsprechende Organisation die Arbeit zu strecken sei, und dass solche Massnahmen für ungenügend beschäftigte Betriebsgruppen von der Behörde vorgeschrieben werden können.

Die Überzeitbewilligungen erfahren die erforderliche Einschränkung. Der Dienst des öffentlichen Arbeitsnachweises wird.ausgebaut und ausgedehnt, und soll von den Gemeinden und von den Organisationen der Betriebsinhaber und der Arbeiter unterstützt werden.

Der Arbeiter, der passende Arbeitsgelegenheit nicht ergreift, hat keinen Anspruch auf die Arbeitslosenunterstützung. Im Streitfall entcheidet das Einigungsamt darüber, ob die Arbeit als für den Arbeiter passend anzusehen sei oder nicht. Den Verhältnissen wird billigerweise Rechnung zu tragen sein, z. B. wenn es sich darum handelt, ob einem Arbeiter mit Familie die Annahme von auswärtiger Arbeit zugemutet werden könne.

Wir werden darauf hinwirken, dass beschäftigungslose Arbeiter und namentlich Lehrlinge die bestehenden Einrichtungen für die berufliche Bildung zunutze ziehen.

5. Hinsichtlich des Masses der Unterstützung und der Aufbringung der für sie erforderlichen Mittel gelten folgende Grundsätze : a. Wird die Arbeitsdauer wöchentlich nur um höchstens 5 Stunden oder um höchstens 10 % der im Betriebe sonst üblichen gekürzt, so besteht keine Verpflichtung, den Arbeiter für die

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ausfallende Zeit zu entschädigen. Es darf ihm trotz seiner schwierigen Lage zugemutet werden, den bescheidenen Teil an den Lasten der Kriegszeit mitzutragen.

b. Wird die Arbeitsdauer wöchentlich um nicht mehr als 40°/o der im Betriebe sonst üblichen gekürzt, so erhält der Arbeiter neben dem normalen Lohn für die noch benützte Arbeitszeit 50°/o des Lohnes, welcher der ausfallenden Zeit, abzüglich 10 °,'o (lit. a), entspricht, im ganzen also höchstens 90 % des normalen Gesamtlohnes. Diese Leistung wird innert der noch zu erwähnenden Grenze (s. nachstehende Ziffer 6) vom Betriebsinhaber übernommen.

c. Wird die Arbeitsdauer um mehr als 40°/o der im Betriebe sonst üblichen gekürzt oder die Arbeit ganz eingestellt, so erhält der Arbeiter neben dem normalen Lohn für die noch benützte Arbeitszeit 50°/o des Lohnes, welcher der ausfallenden Zeit, abzüglich 10% (lit. a), entspricht, jedenfalls aber mindestens 60 °/o des normalen Gesamtlohnes ; die 60 % werden auf 70 °/o erhöht, wenn der Arbeiter verheiratet ist oder eine gesetzliche Unterstützungspflicht erfüllt.

In diesen Fällen (lit. c) treten · nun Leistungen aus öffentlichen Mitteln hinzu, indem die finanzielle Kraft der Arbeitgeber, ·namentlich bei derart beschränktem oder eingestelltem Betrieb, keine unbeschränkte ist. An der Entschädigung für die ausfallende Arbeitszeit beteiligen sich der Betriebsinhaber, der Wohnsitzkanton des Arbeiters und der Bund je zu einem Drittel.

Der in lit. b und c bezeichnete Abzug von 10 °/o bedeutet den oben berührten Punkt, über den in der Kommission eine Einigung nicht erzielt werden konnte. Die Vertreter der Arbeitgeber verlangten den Abzug, weil sonst z. B. bei einer Arbeitszeit von 85 °/o eine grössere Entschädigung einträte, als bei 90 % (nämlich 85 plus 7'/a = 92a/2). Der Entwurf bietet nun, mit Zustimmung der Arbeitgeber in der Kommission, den Arbeitern die Kompensation, dass für nicht alleinstehende Arbeiter das Minimum der Entschädigung von 60 °/o auf 70 °/o erhöht wird.

d. Sind die nach Massgabe der Verpflichtung der Betriebsinhaber (Ziffer 6) aufgebrachten Geldmittel aufgebraucht, dauert also ein Notstand verhältnismässig lange, so sind alle Kosten weiterer Unterstützung, deren Satz unverändert bleibt, von den Kantonen, eventuell mit Beteiligung der Gemeinden, und vom Bund je zur Hälfte zu übernehmen, indem eine Einschränkung oder gar Einstellung der Fürsorge ausgeschlossen ist und die Mittel auf anderm Wege nicht aufzubringen sind.

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Es ist übrigens darauf hinzuweisen, dass die Verpflichtung des Betriebsinhabers weiter reicht, als es auf den ersten Blick scheint. Wenn er beispielsweise den vollen Lohn für sechs Wochen zur Verfügung stellt, so macht das bei einem Geschäft mit 1000 Arbeitern und einem Durchschnittslohn' von Fr. 6 eine Summe von Fr. 216,000 aus. Kann noch teilweise gearbeitet werden und kommt im gegebenen Zeitpunkte der Drittel von Kanton und Bund hinzu, so wird der Fall, wo Kantone und Bund allein zahlen, entsprechend später eintreten.

Wir fügen den vorstehenden Ausführungen bei, dass die vorgesehenen Entschädigungen die Arbeiter nicht von schweren Opfern befreien, aber, im Zusammenhang mit den Verhältnissen von Krisenzeiten beurteilt, immerhin als anständige angesehen werden dürfen. Von Vertretern der Arbeiterschaft ist die Lösung der Frage der Entschädigungen als eine entgegenkommende anerkannt worden.

6. Aus den bisherigen Ausführungen geht schon hervor, dass die Betriebsinhaber an der Entstehung und Finanzierung der ganzen Hülfsaktion einen wichtigen Anteil haben. Nicht nur gebührt es sich, dass sie an der Durchführung ebenfalls beteiligt werden, sondern dies. ist auch zweckentsprechend und bietet den Vorteil, dass die Mitwirkung von Behörden eingeschränkt werden kann.

Der Entwurf bestimmt, dass die Organisation der Fürsorge Sache der beruflichen Verbände der Betriebsinhaber sei, solange ihre finanzielle Beteiligung wirksam ist. Diese Anordnung ermöglicht es, den Apparat möglichst zu vereinfachen, das Interesse der Arbeitgeber an der Sache zu fördern und ihr Gefühl der Solidarität zu heben. Sie bietet ferner den nicht gering anzuschlagenden Vorteil, dass die Verbandsmitglieder unter sich und gegenüber ihren Arbeitern eine wirksame Kontrolle über die Erfüllung der Verpflichtungen und über die Ansprüche auf Entschädigung ausüben werden.

Der Verband bestimmt, wie seine Mitglieder sich an der Aufbringung der erforderlichen Mittel zu beteiligen haben. Immerhin darf diese Verpflichtung für den einzelnen Betriebsinhaber nicht weniger als die Lohnsumme von 2 Wochen und nicht mehr als diejenige von 6 Wochen vollen Betriebes ausmachen. Für die Aufstellung der untern Grenze, 2 Wochen, ist massgebend die Rücksicht auf die ungünstige Situation mancher Unternehmer (z. B. im Gewerbe).

Im gleichen Industriezweig kann das Risiko der Arbeitslosigkeit von Betrieb zu Betrieb sehr ungleich sein. In dieser Be-

726 ziehung soll Solidarität walten, und es wird daher vorgesehen, dass von ihrer Leistung (s. oben) die Zahlungspflichtigen ihrem Verband die Lohnsumme von 2 Wochen zur Entschädigung auch solcher Arbeiter, die nicht ihrem Betriebe angehören, zur Verfügung stellen.

Damit jeder Verband seine Aufgabe richtig erfülle, muss eine staatliche Aufsicht eingesetzt werden. Die Beschlüsse der Verbände über die Ausführung der Vorschriften sind daher der Genehmigung des Volkswirtschaftsdepartements unterstellt.

Für Betriebsinhaber, die keinem oder einem von der erwähnten Organisationspflicht befreiten Verbände angehören, einem Verbände auch nachträglich uicht beitreten, trifft die Gemeindebehörde an Stelle eines Verbandes die nötigen Verfügungen. Ein Zwang, Verbänden beizutreten oder solche zu gründen, erscheint als untunlich. Die nächstliegende und einfachste Lösung ist die, dass die ja mitinteressierten Gemeinden die Lücke ausfüllen.

Betreffend solche Verbände und einzelne Betriebsinhaber, welche die vorgesehenen Verpflichtungen nicht übernehmen können, enthält der Entwurf die nötigen Erleichterungen.

Um zu verhüten, dass Betriebsinhaber sich ihren Verpflichtungen durch Entlassung der Arbeiter oder durch Lohnkürzung entziehen, wird vorgesehen, dass wegen der Bestimmungen des Beschlusses das eine und das andere nicht vorgenommen werden dürfe. Im Streitfall liegt der Entscheid wieder beim Eiuigungsamt.

7. Die Auszahlungen an die Arbeiter erfolgen durch dem Betriebsinhaber, solange ein Dienstverhältnis besteht. Will er seine Arbeiter, trotz Stillstehens des Betriebes, behalten, so wird eine Art Dienstverhältnis in diese Zeit hinein fortdauern. Es darf auch erwartet werden, dass mancher Industrielle seine Leistungen freiwillig über die vorgeschriebene Grenze hinaus fortsetzt ; dann soll er auch die Auszahlung der Entschädigung für Lohnausfall vornehmen können.

Nachher tritt für die Auszahlung die Wohnsitzgemeinde des Arbeiters an die Stelle des Betriebsinhabers. Die Bezeichnung dieser Gemeinde ist gegeben, weil sie den zu Unterstützenden am nächsten steht und infolgedessen auch am leichtesten eine Kontrolle ausüben kann.

Bei der Festsetzung der dem Arbeiter auszurichtenden Entschädigung werden sein Nebenverdienst und seine Bezüge aus Unterstützungs- oder Arbeitslosenkassen insoweit, angerechnet, als mit dem Hinzutreten dieser Einnahmen der Lohn und die Ent-

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Schädigung für ausfallende Arbeitszeit den normalen Gesamtlohn übersteigen würden. Arbeiter, die sich bisher Kassen für Arbeitslosenversicherung angeschlossen und somit Prämien bezahlt haben, sollen also die Begünstigung geniessen, dass sie bis auf 100 °/o, statt 90 °/o, des normalen Gesamtlohnes kommen können, und damit wird auch die so wünschbare Institution der ArbeitslosenYersicherung gefördert. Es ist ferner zu hoffen, dass die beruflichen Verbände, die nach dem Entwurf über die Zweckbestimmung der ihnen von den Betriebsinhabern zur Verfügung gestellten, aber während der Geltung des Beschlusses nicht verwendeten Geldmittel entscheiden, im Sinne der Förderung der Arbeitslosenversicherung beschliessen werden. Einen Zwang in diesem Sinne auszuüben, halten wir mit unserer Kommission nicht für richtig.

8. In einzelnen Betriebsgruppen bestehen bereits Einrichtungen der Fürsorge bei Arbeitslosigkeit, so der Notstandsfonds der Stickereündustrie (Bundesratsbeschluss vom 19.Dezemberl916), die Arbeitslosenkrisenkasse der Industriearbeiter des Kantons Glarus, die Caisse cantonale de prévoyance pour les industries dites de guerre in Genf, die Vereinbarung für die Unterstützung von Arbeitern der Seidenbandindustrie. Es wäre zweckwidrig, diese Teilaktionen durch die allgemeine Aktion zu beeinträchtigen.

Demnach stellt sich die im Entwurf vorgesehene Aufgabe, die einen und die andern Bestrebungen miteinander in Harmonie zu bringen. Das Bureau des Notstandsfonds der Stickereiindustrie hat diesen Zusammenhang richtig erfasst und, wie oben erwähnt, mit Schreiben vom 5. Juli das Gesuch eingereicht, der vorliegende Beschlusses-Entwurf möge ohne Verzug vom Bundesrate genehmigt werden.

Fürsorgemassnahmen haben auch einzelne Geschäfte für sich getroffen. Im Interesse der Solidarität empfiehlt es sich aber nicht, diesen eine Sonderstellung einzuräumen. Die Versuchung, sich von den beruflichen Verbänden loszumachen, soll nicht geschaffen werden. Die betreffenden Betriebsinhaber werden übrigens nicht geschädigt, denn sie können ihre Leistungen, die nach Massgabe des Entwurfs verlangt werden, aus ihren Spezialfonds decken.

9. Streitigkeiten über die aus dem Beschlüsse sich ergebenden Pflichten der Betriebsinhaber und Ansprüche der Arbeiter werden durch die kantonalen Einigungsstellen, die nun auf Grund von Art. 30--35
des neuen Fabrikgesetzes eingeführt worden sind, vermittelt, eventuell durch verbindlichen Schiedspruch entschieden.

Schiedsprüche über die Auslegung des Beschlusses und seiner

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Vollzugsbestimmungen können an eine Rekurskommission weitergezogen werden, die aus Unparteiischen und gleichviel Vertretern der beruflichen Verbände der Betriebsinhaber und der Arbeiter zusammengesetzt ist. Die in Betracht fallenden Verhältnisse weisen ihrer Natur nach darauf hin, dass Streitigkeiten in raschem und einfachem Verfahren, sowie unter steter Mitwirkung von Vertretern der Betriebsinhaber und der Arbeiter erledigt werden sollen. Die im Entwurf der Bundesbehörde und den Kantonsregierungen zugedachten Befugnisse bleiben vorbehalten.

Die Rekurskommission ist auf dringenden Wunsch der Vertreter der Betriebsinhaber in der Kommission und im Einverständnis mit den Arbeitervertretern vorgesehen worden. Map.

erblickt in ihr eine Gewähr für einheitliche und die Anforderungen der Billigkeit berücksichtigende Rechtsprechung.

10. Nach dem Entwurf bestreitet der Bund, der sich der materiellen Mithülfe schlechterdings nicht entziehen kann, seine finanziellen Leistungen in erster Linie aus dem Fonds für Arbeitslosenfürsorge, der durch den Bundesratsbeschluss vom 24. März 1917 gegründet wurde. Die Mittel des Fonds können nicht gänzlich für Notstandsunterstützung im Sinne des Entwurfs in Anspruch genommen werden, da sie nach der Vorschrift des Beschlusses zum Teil zur Subventionierung bestehender Kassen für Arbeitslosen-Unterstützung oder -Versicherung dienen sollen. Sind die für die Notstandsunterstützung verfügbaren Mittel des Fonds aufgebraucht, so muss das Geld auf andere Weise beschafft werden.

Eine Schätzung der in Aussicht zu nehmenden finanziellen Aufwendungen des Bundes ist leider unmöglich, da die massgebenden Faktoren, nämlich die Dauer und Intensität von Krisen, völlig im Dunkeln liegen. Soweit sich die Verhältnisse heute überblicken lassen, darf immerhin die Vermutung ausgesprochen werden, dass die finanzielle Tragweite der Vorlage für den Bund nicht gefahrdrohend sei.

Was die Kantone betrifft, so ist es selbstverständlich und> wie oben bemerkt, von ihren Vertretern in der Konferenz nicht bestritten worden, dass sie einen Teil der Mittel aufbringen müssen.

Gegen den vorgesehenen Masstab dieser Beteiligung sind keine Einwendungen erhoben worden. Zieht man in Betracht, dass die Hülfsaktion die anderweitige öffentliche Unterstützung Notleidender entlastet, so ergibt sich der Schluss,
dass den Kantonen nicht zuviel zugemutet wird. Ausserdem wird der Arbeiter nicht auf den für ihn peinlichen und ihn demoralisierenden Stand der Armengenössigkeit hinuntergedrüekt. Der Entwurf bestimmt auch

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ausdrücklich, dass der Vollzug seiner Bestimmungen nicht als Armensache behandelt werde dürfe.

Da der Schwerpunkt der Aktion in den Berufsverbänden liegt und diese interkantonal sind, können die kantonalen Behörden administrativ erheblich entlastet werden.

Dem Kanton ist es freigestellt, für seinen Anteil an der Finanzierung bis zur Hälfte die beteiligten Gemeinden seines Gebiets heranzuziehen. Je nach den Umständen kann er dies gegenüber der Wohnsitzgemeinde des Arbeiters oder gegenüber der Gemeinde, in welcher der Betrieb Hegt,, oder, in entsprechendem Verhältnis, gegenüber beiden tun.

11. Die den beruflichen Verbänden und den Gemeindebehörden obliegende Organisation der Hülfeleistung wird eine gewisse Zeit beanspruchen. Die Verpflichtung, die Entschädigung bei Lohnausfall auszurichten, kann daher nicht gleich nach Inkrafttreten des Beschlusses' wirksam werden, weshalb eine entsprechende Frist vorgesehen ist. Um so notwendiger ist der unverzügliche Brlass des Beschlusses, damit er bei eintretendem Notstand ohne weiteres zur Anwendung gelangen kann. Für einen Notstand, der beim Beginn der Wirksamkeit des Beschlusses schon vorhanden war, ist in diesem nur für diejenigen gesorgt, die noch in einem Dienstverhältnis zum Betriebsinhaber stehen; die andern sind auf die bisherige Unterstützung angewiesen.

12. Wenn die industriellen und gewerblichen Betriebsinhaber eine moralische, durch den Beschluss sozusagen zu sanktionierende Pflicht der Fürsorge für ihre Arbeiter solidarisch übernehmen, stellt sich die Frage, ob nicht auch die Arbeiter vor Eintritt der Unterstützung kleine Beiträge zusammenlegen sollten.

Der Gedanke findet bekanntlich seinen Ausdruck in der Arbeitslosenversicherung. Diese darf aber mit der im vorliegenden Entwurf geplanten Aktion nicht verwechselt werden. Hier handelt es sieh um vorübergehende, aber dringliche Notstandsmassnahmen unter völlig anormalen Verhältnissen. Die Einführung einer Arbeitslosenversicherung mit Beteiligung der Arbeiter an den Prämien würde eine viel zu lange Zeit in Anspruch nehmen, und die Mittel nicht liefern, die bei baldigem Eintritt von Krisen erforderlich wären. Zudem könnte den Arbeitern wegen der gegenwärtigen Lebensverhältnisse die Einzahlung von Prämien überhaupt nicht zugemutet werden. Die bleibende Unterstützung der Arbeitslosenversicherung durch den Bund ist eine Sache für sich, und soll auf dem normalen Wege der Gesetzgebung durchgeführt werden (Motion Eugster-Züst). Die Vorarbeiten hierfür sind, wie

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aus unsern Geschäftsberichten hervorgeht, im Gange, und sie bezwecken den Erlass eines Bundesbeschlusses betreffend die Subventionierung der Arbeitslosenkassen durch den Bund, d. h. eine dauernde Fürsorge in der von den Kriegseinwirkungen befreiten Folgezeit.

Der Umstand, dass im Nationalrat ein Postulat eingereicht worden ist, durch welches der Bundesrat eingeladen wurde, die in Frage stehende Vorlage der Bundesversammlung zu unterbreiten, veranlasste uns, nicht ohne weiteres zu einer definitiven Beschlussfassung zu schreiten. Die Bundesversammlung besonders einzuberufen, konnten wir uns nicht entschliessen, und so wählten wir denn, angesichts der ganz besondern, durch das Postulat Cossy geschaffenen Lage und ohne Präjudiz für die Erledigung anderer Vorlagen, den Weg, die Angelegenheit Ihnen zu unterbreiten.

Indem wir Ihnen den Entwurf zu einem Bundesratsbeschluss betreffend die Fürsorge bei Arbeitslosigkeit in industriellen und gewerblichen Betrieben zur Kenntnis bringen, beantragen wir Ihnen, Sie möchten sich dem Standpunkte des Bundesrates anschliessen.

Genehmigen Sie die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

B e r n , den 23. Juli 1918.

Im Namen des achweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Calonder.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Schatzmann.

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Bericht des Bundesrates an die Neutralitätskommissionen der eidgenössischen Räte betreffend Arbeitslosenfürsorge. (Vom 23. Juli 1918.)

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Bundesblatt

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Jahr

1918

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3

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31

Cahier Numero Geschäftsnummer

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31.07.1918

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715-730

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