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Schweizerisches Bundesblatt.

X. Jahrgang. 1.

Nr. 1.

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5. Januar 1858.

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nationalräthlichen Kommission über den Rekurs des Niklaus Muheim, gewesenen Vormundes der vier Erben der Anna Josepha Jmhof von Altdorf.

(Vom 14. Dezember 1857.)

Anna Josepha J m h o f von Altdorf starb zu Bellinzona im Herbst 1856 mit Hinterlassung einigen Vermögens. Sie war Tante des verstorbenen Lehrers Aloys Od er mat t von Beker.ried, Kts. Untexwalden.

Die Kinder von Alo..)s O d e r m a t t glaubten, an der Erbschaft ihrer Tante Jmhof Antheil nehmen zu können, und zwar kraft Vertretungsrechtes. Die Erbfolge, welche in Altdorf. Kts. Uri, eröffnet wurde, war.

auch von vier andern Erben, Bürgern von Uri, angesprochen.

Da das Gesez ....es Kantons Uri vom 4. Mai 1856 das Erbrecht der Seitenlinie kraft Vertretung anerkennt (Kap. Ill, §. 1), so wandte fich der Vormund der Kind.r Odermatt an die Vormundschastsbehörde vou Altdors, um von ihr zu verlangen, daß zur Theilung der Verlassenschaft geschritten werde.

Diese Behörde weigerte sich und die Regierung von Uri verwies, auf

die an dieselbe gerichtete Klage, die Kläger vor die Zivilgerichte.

Es wurde die Dazwischenkunst des Bundesrathes verlangt ; allein derselbe antwortete, er könne nicht eintreten, bevor die Gerichte von Uri ein Gefez angewandt haben würden, das mit der Bundesverfassung im Widerspxuch stehe.

Ju Folge dieses Beschlusses legten die Kinder Odermatt eine Zivilklage ein . um zum Antheil an der Erbfolge ...er Anna Josepha Jmhos .zugelassen zu werben, deren Verlafsenfchaft naeh den i... Geseze von Uri, dem Orte der Eröffnung der Erbfolge, enthaltenen Grundsäzen zu theilen war..

Das Bezirksgericht von Altdorf fällte den 31. Marz 185.' ein Urteil, durch welches die Kinder Odermatt mit ihre.u Rechtsbegehren abgewiesen Wurden. Dieses Urtheil wurde durch das Appellationsgericht des Kantons Bnndesblatt. Iahra X. Bd. I.

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^ uri den 22. Apxil 1857 bestätigt. Die Klage abzuweisen, stüzte mau fich auf Art. 2 des erwähnten Gesezes des Kantons Uri, welcher festfezt, da^ die Augehörigen der andern Kautone das Erbrecht nur danr. genießen, wenn die Urnerbürger in einem ähnlichen Falle im andern Kanton zur Erbschaft zugelassen werden können, d. h. er fordert das G e g e u r e c h t .

Nun ist nach dem Geseze des Kantons Unterwalden die Vertretung in der Erbfolge der Seitenlinie unzulässig, so daß, wenn die Erbfolge der Anna Josepha Jmhof in diesem Kanton eröffnet worden wäre, die Kinder

Odermatt (resp. Angehörige des Kantons Uri in gleicher Stellung) nicht

auf die Eigenschaft von Erben hätten Anspruch machen können.

Das Urtheil vom 22. April 1857 wurde vor den Bundesrath gezogen , welcher, nachdem er von den Denkschriften beider Parteien Kenntni^.

genommen hatte, entschied, dieses Urtheil stehe in förmlichem Widerspruch.

mit dem Grundsaze der Gleichheit aller Schweizerbürger in der Gesez.gebung, den der Art. 48 der Bundesverfassung gewährleistet, und fei aus^ zuheben.

Der Vormund der Erben Jmhos hat gegen diesen Beschluß des Bundesrathes, vom 14. Juli 1857, an die Bundesversammlung mit Memorial vom 21. Oktober rekurrirt.

Der Rekurs beruht auf zwei Gründen : Dex erste stüzt fich darauf, daß der Bundesrath, resp. die BundesVersammlung, nicht kompetent sei, Urtheile, welche von den verfassungsmäßigen Gerichten der Kantone gefällt worden, zu kassiren.

Der zweite besteht darin, das Urtheil vom 22. April 1857 stehe nicht im Widerspruch mit den Bestimmungen der Bundesverfassung.

Untersuchen wir diese beiden Einwände.

l.

Der Rekurs meint, eine Verwaltung^ oder politisch.. Behörde könne und dürfe sich nicht in Sachen der Rechtsprechung mischen, die Ge-

richte seien unabhängig , die politischen und gerichtlichen Verrichtungen

müßten gänzlich aus einander gehalten werden. Einer politischen Behörde eine Zuständigkeit in hängenden gerichtlichen Fragen einräumen, heiße zum Aufgehen sämmtlicher staatlichen Verrichtungen iu eine einzige, zur Verniehtung der Freiheit, zum Despotismus gelangen.

Diese Betrachtungen find in etwas begründet; dennoch aber müssen in einem Bundesstaate, wenn allen Bürgern gewisse verfassungsmäßige Garantien gegeben worden sind , diese Garantien , manchmal im Widerspruch mit den kantonalen Gesezen , von den Kantonalbehörden geachtet werden,.

und die Zentralbehörde muß die Achtung fordern und Beschlüsse, welche dieselben außer Acht gelassen hätten, widerrufen können.

Haben wir diesen Punkt festgesezt, so wäre es freilich folgerichtiger, angemessener gewesen, eine neutrale Behörde zu schassen, mit der Ausgabe,.

alle solchen Zwistigkeitsfälle zu schlichten, und zwar eine andere Behörde..

als die politische Körperschast, welche die Eidgenossenschaft leitet ; man hätt.^

jene Aufgabe z. B. dem Bundesgerichte anvertrauen können. Allein diese iu der Theorie richtigen Betrachtungen haben in vorliegender Sache keinem

.Wexth. Die Bundesverfassung hat diese Frage erledigt , fie beauftragt den Bundesrath, fiir Beobachtung der Verfassung und der Geseze des Bundes zu wachen und eingegangene Beschwerden über deren Verlezung zu beur-

theilen (Art. 90).

So hat übrigens eine konstante Praxis seit 1849 immer entschieden.

Wir könnten zahlreiche Fälle anführen, in welchen der Bundesrath (xesp.

die Bundesversammlung) von den Verwaltung^ oder gerichtlichen Behörden der Kantone gefaßte Beschlüsse widerrufen hat, sobald er glaubte, diese Beschlüsse stünden im Widerspruch mit dem Buchstaben und Geiste der geseze und der Verfassung.

Wir halten daher dafür, dieses Rekursmittel sei unzulässig.

1l. Was die zu Grunde liegende Frage betrifft, so hat die Kommission.

nicht gezögert , anzuerkennen , daß Art. 2 des urner'schen Gesezes in sormellem Widerspruche mit dem Art. 48 der Bundesverfassung stehe.

Als man festsezte , die Schweizerbürger einer christlichen Konfession seien iu Sachen der Gesezgebung den Bürgern des eigenen Kantons gleich zu halten, beabsichtigte m..n, es solle iu einem Kanton eine einzige Gesezgebung Anwendung finden , diese Gesezgebung solle für den Kantonsbürger, wie für den Schweizer eines andern Kantons die gleiche sein. Mit einem Worte, alle Schweizer in einem Kanton, ob sie diesem Kantone^ angehören oder nicht , sollen die gleichen Rechte befizen.

Wenn man diese Gewährleistung der bürgerlichen Gleichheit, nach dem Wunsche Uri's, der Frage nach dem Gegenrecht unterordnen würde, so käme man dazu, den Art. 48 zum todten Buchstaben zu machen, oder die Aufstellung einer einheitlichen Gesezgebung in den Kantonen zu erzwingen.

Zudem läßt die durch den Art. 48 vorgesehene Garantie keine Ausnahme zu ; sie erstrekt sich aus alle bürgerlichen Rechte ; sie will ein gleiches

Gesez für alle.

Die Kommission hält die Ansprüche des Rekurses für so wenig begründet, daß sie der Ansicht ist, der Bundesrath follte vom Kanton Uri die Streichung des Gesezartikels verlangen, welcher das Gegenrecht erfordert, denn dieser Artikel kann angesichts des Art. 48 der Bundesverfassung keinen Bestand haben.; indessen stellt sie keinen bezüglichen Antrag.

Jn Folge hievon schlägt die Kommission dem Nationalrathe vor, folgenden Beschluß zu fassen : der

Die Bundesversammlung schweizerischen Eidgenosse n schast,

nach Einsicht des Beschlusses des Bundesrathes vom 14. Heumonat 1857, betreffend die Beschwerde der Kinder Odermatt von Bekenried, gegen ein Urtheil der Gerichte des Kantons Uri , welches dieselben von der

Theilhaftigkeit am Nachlasse der Anna Josepha Jmhof ausschließt ;

nach Einsicht des von Niklaus Muh e im in Flüelen, als Vormund ^er vier Erben der Anna Josepha Jmhof von Altdorf, an die BundesVersammlung gerichteten Rekurses gegen den Beschluß des Bundesrathes .,

in Erwägung , daß in der Praxis stets der Grundsaz festgehalten wurde, daß der Bundesrath (beziehungsweise die Bundesversammlung) befugt ist, über Beschwerden zu entscheiden, die wegen Verlegung der Bundesverfassung, der Bundesgeseze und der Konkordate an ihn gerichtet werden ...

daß diese Praxis auf den Wortlaut des Art. .)0, Ziffer 2 der Bundesverfassung sich stüzt; daß das von den Gerichten des Kantons Uri ausgefällte Urtheil mit dem durch Art. 48 der Bundesverfassung gewährleisteten Grundsaze, daß Schweizerbürger christlicher Konfession in der Gesezgebung den Bürgern des eigenen Kantons gleichzuhalten find , im Widerspruche steht ; daß somit der vom Bundesrathe am 14. Heumonat 1857 gefaßte Entscheid mit den Verfassungsbestimmungeu übereinstimmt,

beschließt.

Der von Niklaus Muh ei m eingereichte Rekurs ist abzuweisen).

B e r n , den 14. Dezember 1857.

Die Mitglieder der Kommission..

Jules .Martin.

Dr. J. Heer.

J. Biihler.

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Aus den Verhandlungen d ...... schweizerischen Bundesrathes.

(Vom 30. Dezember 1857.)

Der Bundesrath bestätigte den Stellvertreter des eidg. Kanzlers.

Herrn J. K e r n - G e x m a n n , von Bülach, Kts. Zürich; die eidg..

Archivare, Hrn. Joh. Jakob M e y e r , von Kloten, Kts. Zürich, und Hru.

Joseph Karl K r ü t l i , von Kriens, Kts. Luzern, so wie den Registrator der Bundeskanzlei, Hrn. Johannes T o b l e r , von Heiden, Kts. Appenzell.

A. Rh., in ihren bisher bekleideten Stellen sur fernere drei Jahre.

(Vom 3t. Dezember 1857.)

Jn Vollziehung des Bundesbeschlusses vom 30. Juli 1857 (V. 58l) hat der Bundesrath beschlossen, den literarischen Nachlaß des sel. Herrn Bundesrath F r a n s e i n i gegen die Summe von Fr. 30,000 für die Eidgenossenschaft anzukaufen .-.-).

(Vom 4. Januar 1858.)

Der Bundesrath wählte Hrn. Lieutenant Edmund S c h i n d l e r , vou.

Luzern , zum Verwalter des dortigen Magazins für Spital .. und Ambutance-Effekten der Eidgenossenschaft.

*) Obiger Antrag der Kommission wurde vom Nationalraths am 14. Dezember und vom Ständerathe den 21. gl Mts. unverändert zum Beschlösse erhoben.

Der Kanton Tessin übexnimmt den ihn beweisenden Nachlaß für Fr. 10,000.

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Bericht der nationalräthlichen Kommission über den Rekurs des Niklaus Muheim, gewesenen Vormundes der vier Erben der Anna Josepha Imhof von Altdorf. (Vom 14.

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05.01.1858

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