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werden kann. Wir beantragen deshalb, diese Gesuche im Begnadigungsverfahren abzuweisen und eine allfällige Berücksichtigung den Behörden des Strafvollzuges anheimzustellen, wie es übrigens Kesseli gegenüber bereits geschehen ist.

A n t r ä g e : Abweisung aller Gesuchsteller.

Genehmigen Sie die Versicherung unserer ausgezeichneten Hochachtung.

Bern den 4. Dezember 1918.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: Calonder.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Sehatzmann.

# S T #

Schweizerische Bundesversammlung.

Die gesetzgebenden Räte der Eidgenossenschaft sind am 2. Dezember 1918, nachmittags 5 Uhr, zur ordentlichen Wintertagung zusammengetreten.

Im N a t i o n a l r a t gedachte bei der Eröffnung der Tagung Herr Präsident Calame des verstorbenen Herrn Nationalrates Nietlispach in Muri (Aargau).

Am 2. Dezember wählte der Nationalrat zu seinem Präsidenten : Herrn Heinrich Häberlin, von Bissegg und Frauenfeld, in Frauenfeld, bisher Vizepräsident, und am 3. Dezember zu seinem Vizepräsidenten : Herrn Eduard Blumer, Landamman a des Kantons Glarus, in Schwanden.

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Nach seiner Wahl zum Präsidenten hielt Herr Häberlin folgende Ansprache: Für das Vertrauen, das Sie mir durch die Wahl zum Vorsitzenden Ihres Rates erweisen, spreche ich Ihnen meinen aufrichtigen und herzlichen Dank aus. Wenn ich diesem persönlichen Danke auch denjenigen meines Heimatkantons anschliesse, den Sie gewiss in erster Linie damit ehren wollten, so wollen Sie das nicht als eine banale Phrase auffassen. Wir empfinden es tatsächlich im Thurgau dankbar, wenn einer der unsrigen näher unter das Rauschen des eidgenössischen Banners gestellt wird. Wir wissen aber auch, dass uns dieses Vertrauen die vermehrte Verpflichtung auferlegt, je und je uns als treue Söhne des Vaterlandes zu erweisen. Was in meinen schwachen Kräften liegt, werde ich durch treue Verwaltung des mir anvertrauten Amtes zu tun versuchen. Dazu bedarf ich Ihrer aller Wohlwollen und Nachsicht um so mehr, als mir die ausgezeichnete Leitung der Geschäfte durch meinen Herrn Vorgänger die Nachfolge doppelt schwer macht.

C

Meine Herren Kollegen !

Grosse Aufgaben stellt eine an den Fundamenten rüttelnde, das Morsche und Verrostete abstossende, da und dort wohl auch im Fiebertempo pulsierende neue Zeit an unsere Generation und damit auch an unsern Rat. Grelle Dissonanzen sind aufgeflackert.

Hass wurde gesäet. Über den Gräbern der wackern Soldaten, die in treuer Erfüllung ihrer Pflicht gestorben sind und deren Andenken wir stets in hohen Ehren halten werden neben dern Dank für die Lebenden, wogt der Streit über die Verantwortlichkeiten. Nur eins kann uns hier wieder zusammenbringen: das Gefühl der Verpflichtung zur gemeinsamen Arbeit. In den Kriegs- und bürgerlichen Wirren ennet den Grenzen und auch hier im Schweizerlande hat sich e i n e Richtlinie, e i n e Erkenntnis für die öffentliche und die Einzeltätigkeit herausgeschält: Aufhören muss die Zerstörung der Werte ! Ein Verbrechen am Ganzen begeht, wer nur niederreisst, vernichtet, vergeudet, wer Arbeitskraft hemmt oder brach liegen lässt.. Fruchtbare Arbeit ist es, die uns not tut auf allen Gebietern.

So wollen auch wir, wenn nicht ein Arbeiterrat, so doch ein Arbeitsrat sein und vor allem vor e i n e r Vergeudung uns hüten, die der parlamentarischen Schwäche am nächsten liegt, vor der Vergeudung der Z e i t , die wir unserem Volke und nicht dem Wohlgefallen am eigenen Wort zu widmen schuldig sind.

495 Im S t ä n d e r a t hielt Herr Präsident Bolli bei der Eröffnung folgende Ansprache : Meine Herren Sländeräte !

Aus den Reihen der Bundesversammlung hat der Tod seit der letzten Tagung wiederum ein Opfer gefordert.

Am 19. November starb in Muri im Kanton Aargau Nationalrat Jakob Nietlispach im Alter von 70 Jahren. Der Verstorbene hat der durch den Landesstreik veranlassten ausserordentlichert Session der Bundesversammlung noch beigewohnt und war gesund und munter zu den Seinen zurückgekehrt. Ganz unerwartet Iraf ihn in der Nacht vom 18./19. November ein tödlicher Schlaganfall.

Jakob Nietlispach war aufgewachsen auf den sonnigen Höhen des Winterberges und bewirtschaftete nach Vollendung seiner Ausbildung im Heimatkanton mit gutem Erfolg das väterliche Landgut in Winterschwil. Die politische Bewegung erfasste bald den urwüchsigen Sohn des Freiamtes. Er wurde bald einer der Führer der katholisch-konservativen Partei, und das Volk betraute ihn mit den entsprechenden Vertrauensposten, denen er allen mit aufrichtiger Pflichttreue und anerkanntem Erfolg vorstand.

So amtete er vier Jahre lang als Bezirksrichter des Kreises Muri, 33 Jahre als Gerichtspräsident und in den letzten Jahren als Bezirksammann. Einige Zeit war er Mitglied des Grossen Rates, und seit einem Vierteljahrhundert vertrat er das Freiamt im Nationalrat. Es lag nicht im Wesen von Jakob Nietlispach, geräuschvoll aufzutreten und die Blicke auf sich zu lenken. Aber überall stellte er seiner Überzeugung und seinem geraden Wesen entsprechend seinen Mann bei Erfüllung obliegender Pflicht.

Meine Herren Ständeräte ! Wir ehren das Andenken von Nationalrat Jakob Nietlispach durch Erhebung von unsern Sitzen.

Meine Herren Ständeräte!

Als wir am 14. November uns trennten und mit den zu Gebote stehenden Beförderungsmitteln den heimischen Herd aufsuchten, erfüllte uns alle darüber ein Bangen, ob die kraftvollen Kundgebungen des Parlamentes und des Bundesrates dem Lande w i r k l i c h die Rückkehr zu den ungestörten Verhältnissen des wirtschaftlichen Lebens und der bürgerlichen Rechte zu bringen vermöchten. Es war in der denkwürdigen Session mit wachsender Wucht der einheitliche Wille zur Erhaltung unserer Demokratie zutage getreten. Dank der Festigkeit des Parlamentes, dank der

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festen Haltung der Vollziehungsbehörden im Bund und in den Kantonen, dank aber namentlich auch der Pflichttreue der Ordnungstruppen ist es gelungen, den frevelhaften Angriff abzuwehren.

Die' Gefährdung von Verfassung, Gesetz und Bestand des S c h w e i z e r v o l k e s hat dieses zur mächtigen Entfaltung und Bekundung seines festen Willens veranlasst. Fester und sicherer denn je ist es entschlossen, das Schweizerland und seine demokratischen Einrichtungen aufrecht, stark und unbefleckt zu erhalten auch gegenüber den Nachwehen des Weltkrieges, gegen Angriffe von aussen wie von innen ! Immer lebendiger wird in allen Volkskreisen die Erkenntnis und das Bewusstsein, dass solch frevelhafter Missbrauch wirtschaftlicher Kampf esformen zu Zwecken ehrgeiziger Klassenherrschaft«- und Umsturzabsichten Glück, Wohlfahrt und Existenz der Schweiz mit einem Schlage vernichten könnte. Der Angriff darf sich nicht wiederholen! Deswegen ist in allen Teilen des Landes der Ruf laut geworden -- nicht nach Rache -- aber nach der gesetzlichen Gerechtigkeit, vor der alle Fehlbaren gleich sind und die vor den Urhebern von Brandstiftung am Schweizerhaus nicht Halt machen wird.

Das Schweizervolk ist sich dessen bewusst, dass mit der Neugestaltung der staatlichen und der wirtschaftlichen Verhältnisse Europas, ja des ganzen Erdballs, auch für die Eidgenossenschaft ein Wendepunkt von nie erlebter Wichtigkeit und Bedeutung eingetreten ist. Es gilt, unserem Lande auch für die neuen Weltverhältnisse die Bedingungen und den Boden zu erhalten und zu kräftigen für den Fortbestand politischer und ökonomischer Selbständigkeit und gedeihlicher freiheitlicher Entwicklung. Nur leidenschaftliche Verblendung kann glauben, dass dies möglich sei mit gewaltsamem Umsturz und Übergang der auf dem ganzen Volke beruhenden Herrschaft im Staate zur Klassenherrschaft.

Und nur verräterischer Wahnwitz kann darauf ausgehen, die schwer erkämpften Errungenschaften jahrhundertelanger Entwicklung der Volksherrschaft untergehen zu lassen in einer blutigen Weltrevolution, nach deren Abschluss im besten Falle unser Volk auf Trümmern aufbauen und von neuem sein Haus einrichten müsste -- wenn es sich dazu dannzumal die Fähigkeit erhalten hätte und nicht untergegangen wäre! -- Das Schweizervolk hat den Glauben an die hohen Ziele, an die edeln Aufgaben, die ihm
und seinem Lande im Innern und auf völkerrechtlichem Boden bereits gesteckt sind und noch weiter erwachsen werden. Es wird unbeirrt seinen Weg gehen !

Es wird auch die Kraft aus sich selbst finden, das Gebot der Weltstunde zu erkennen und mit entschlossenem Handeln, alles

497 tun, was es vermag, um den Gedanken der Gleichheit und Brüderlichkeit immer mehr zur Wirklichkeit und Tat werden zu lassen.

Meine Herren Ständeräte !

Noch bleibt uns eine patriotische Pflicht zu erfüllen. Draussen an der Grenze standen und stehen die Truppen zum Schutze des Landes gegen die von aussen drohenden Gefahren · aller Art.

Gegen den aus dem Landesinnern kommenden Anschlag auf Verfassung und Recht haben andere Truppenteile einem raschen Aufgebot treu Folge geleistet. Alle Truppen haben ihre Pflicht musterhaft getan und das Wort von der Schweizertreue aufs neue wahr gemacht. Aber ein schrecklicher Feind hat unter diesen braven Soldaten gewütet. Tausende sind von der unheimlichen Grippekrankheit befallen worden und über Hunderte von Familien ist schwere Trauer gekommen durch den Tod, der ihre geliebten Söhne und Brüder, Gatten und Väter im Dienste des Vaterlandes getroffen hat.

Meine Herren Ständeräte!

Wir wollen uns geloben, dass es bei der Ehrung des Andenkens der Verstorbenen und des Schmerzes der Hinterlassenen mit blossen Worten nicht sein Bewenden haben soll. Aber für heute lade ich Sie ein, der für das Vaterland gestorbenen Wehrmänner und der Trauer ihrer Familien zu gedenken und zur Ehrung sich von Ihren Sitzen zu erheben.

Am 2. Dezember wählte der Ständerat zu seinem Präsidenten : Herrn Dr. Fr. Brügger, von Churwalden und Obersaxen, in Chur, bisher Vizepräsident, und am 3. Dezember zu seinem Vizepräsidenten : Herrn Dr. August Pettavel, von Bôle, in Neuenburg.

Als Stimmenzähler wurden wiedergewählt: Herr Henri Simon, von Grandson!

Herr Josef Andermatt, von und in Baar.

BundesUatt. 70. Jahrg. Bd. V.

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