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Schweizerische Bundesversammlung.

Die gesetzgebenden Räte der Eidgenossenschaft sind am 16. September 1918, nachmittags 5 Uhr, zur Fortsetzung der ordentlichen Sommertagung (5. Tagung der XXIV. Amtsdauer) zusammengetreten.

Als neue Mitglieder sind erschienen: im Nationalrat: Herr Maurice Pellissier, Kaufmann und Grossrat, in St. Maurice.

im Ständerat : Herr Dr. Leo Merz, Regierungsrat, in Bern.

Im N a t i o n a l rat hielt bei der Eröffnung der ersten Sitzung Herr Präsident Calame folgende Ansprache : Meine Herren Abgeordnete !

Seit unserer letzten Tagung sind auf der Totentafel der Bundesversammlung drei neue Namen aufgezeichnet : Ständerat Adrien Lachenal, Nationalrat Jules Tissière und Nationalrat Felix Koch sind alle drei jäh dahingerafft worden, ohne dass ihre Nächsten Müsse gefunden hätten, sich auf die schmerzliche Trennung vorzubereiten.

Adrien Lachenal ist am 27. Juni in Versoix, bloss zwei Tage nach Sehluss unserer ordentlichen Sommersession, infolge einer Hirnblutung gestorben. Kurz vorher hatte er sich an den parlamentarischen Verhandlungen noch rege beteiligt. So hat ihn der tückische Tod gewissermassen auf dem Arbeitsfelde selbst niedergestreckt. Adrien Lachenal wurde am 19. Mai 1849 geboren und hatte demnach sein siebzigstes Lebensjahr angetreten.

Er zählte zu den Ältesten im Ständerate, obwohl es keineswegs schien, so überschwänglich und munter geberdete er sich immer noch. Er zählte auch zu den Veteranen der Bundespolitik, hat er doch in einer ununterbrochenen siebenunddreissigjährigen Laufbahn unserm Lande gedient. Tatsächlich wurde 1881 der Recbtsanwalt Lachenal berufen, den Kanton Genf im Ständerat zu vertreten. Drei Jahre später siedelte er in den Nationalrat über, den er im Jahre 1892 verliess, um als Nachfolger von Numa Droz in den Bundesrat zu treten. Als er im Jahre 1899 frei-

619 willig von der Regierung zuruclitrat, um seinen AnwaHsberuf wieder aufzunehmen, beeilten sich seine Mitbürger, ihn als einen ihrer beiden Vertreter im Ständerat nach Bern zurückzusenden.

Sie sind ihm bei jeder Erneuerung des Rates treu geblieben und haben ihm jeweilen das Mandat, dessen er sich mit unbestreitbarer Auszeichnung entledigte, bestätigt. Adrien Lachenal hat den Nationalrat im Jahre 1891 und den Ständerat im Jahre 1903 präsidiert. Im Jahre 1896 ist er Bundespräsident gewesen. Diese Aufeinanderfolge der drei Präsidentschaften ist, glaube ich, das einzige Beispiel in unserer Geschichte.

Ich habe diese wenigen Merkmale angeführt. Sie geniigen, die Stufen einer der glänzendsten Laufbahnen in der eidgenössischen Politik zu kennzeichnen. Ich werde die andern Offenbarungen eines ungewöhnlich talentreichen Daseins, eines Lebens, dessen grösster Teil dem Staate gewidmet war, verschweigen".

Man fand bei Lachenal seltene und kostbare Eigenschaften vereinigt, die ihn ganz naturgernäss dazu bestimmt hatten, eine hervorragende Rolle zu spielen : Er hatte gediegene juristische Kenntnisse, eine hoho literarische Bildung, einen ganz zuverlässigen künstlerischen Geschmack, ein glänzendes Rednertalent, eine persönsiche Anmut, der niemand zu widerstehen vermochte.

Er verstand es, eine Debatte zu heben, und meisterte mit Leichtigkeit eine bilderreiche, an Wörtern und Wendungen reiche Sprache, er hatte die Gabe, seine Zuhörerschaft zu bannen ; er war ein Meister in der schwierigen Kunst, zu gefallen. Adrien Lachenal war überaus herzlich und fröhlich im Verkehr, hier entfaltete sich seine Anmut mit ihrer ganzen Macht; man näherte sich dem Manne nicht, ohne von ihm hingerissen zu werden. Er war ein gelehrter und angenehmer Plauderer, dabei überaus wohlwollend und ritterlich; denn er enthielt sich jeder unartigen Äusserung.

Er hasste bloss die Kleinigkeitskrämerei und die Kleinigkeitskrämer.

Der Tod Lachenais war für Genf eine Landestrauer, und die eidgenössischen Räte sind sich der Lücke wohl bewusst, die der Abschied dieses grossen Bürgers zurücklässt.

Der Nationalrat hat seinen Tribut an die bösartige Grippe, die fast überall in unserm Lande Verheerungen angerichtet hat, mit dem Leben von zwei seiner jüngsten Mitglieder bezahlt.

Am vergangenen 15. Juli erlag. Jules Tissières, Abgeordneter des Unterwallis, der Krankheit im Alter von 37 Jahren. Zwölf Tage später folgte ihm sein um ein Jahr jüngerer Kollege Felix Koch, Abgeordneter von Bern, ins Grab.

620 Jules Tissièrcs wurde anu 11. Oktober 1881 in Martigny geboren. Er -widmete sich juristischen Studien und liess sich als Rechtsanwalt in seiner Vaterstadt nieder. Frühzeitig sich der Politik zuwendend, wurde er gar bald ein Führer der Konservativen im Untorwallis, die ihn 1911 als Kandidaten für den Nationalrat aufstellten., Er wurde ohne Kampf gewählt und sein Mandat bei den Erneuerungswahlen von 1914 und 1917 in gleicher "Weise erneuert. Jules Tissières kam mit dem Rufe eines Redners nach Bern, den er in der Folge rechtfertigen sollte. Allein er legte sich zunächst weise Zurückhaltung auf.

Er wollte seinen Zeitpunkt und seinen Stoff auswählen. In weiser Überlegung hat er seine Intervention auf einige seiner Beredsamkeit angemessene Fragen beschränkt. Wenn ich richtig zähle, hat Tissières in diesem Saale drei Reden gehalten, drei grosse Reden, die Ihnen in Erinnerung geblieben sind. Tissières bekümmerte sich um die Form und arbeitete deshalb seine Reden aus. Es schien ihm darauf anzukommen, nichts dem Zufall der Improvisation zu überlassen. Er bediente sich mit Vorliebe einer gehobenen Sprache, verschmähte aber kräftige Ausdrücke keineswegs. Seine Reden waren geläufig und mit weicher, angenehmer Stimme vorgetragen. Man fand Geschmack an seinem Ausdrucke, wenn man auch seine Denkart nicht immer teilte. Mit Tissières ist eine Persönlichkeit dahingeschieden.

Felix Koch war in doppeltem Sinne ein Junger in dieser Versammlung, in der er indessen seine Stellung bereits gekennzeichnet hatte. Er war jung an Jahren, hatte er doch sein sechsundreissigstes Lebensjahr noch nicht vollendet. Er war jung als Ratsmitglied, da er doch erst im Oktober 1917 in den Nationalrat gewählt wurde. Der von den bernischen Freisinnigen des siebten eidgenössischen Wahlkreises im ersten Wahlgang gewählte Felix Koch stammte aus dem Kanton Graubünden. Er wurde am 8. August 1882 in Tamins geboren und begann seine Berufstätigkeit als Postbeamter. Von Chur, wo er Postkommis war, siedelte er im Jahre 1909 nach Bern über, nachdem der Verband schweizerischer Postbeamter ein ständiges Sekretariat schuf, das eben Koch übertragen wurde. Fünf Jahre später errichtete die schweizerische freisinnige Partei auch ihrerseits ein ständiges Sekretariat, an das Koch berufen wurde. Der nunmehrige freisinnige Parteisekretär, der sich schon
durch seine Neigungen zur Politik hingezogen fühlte, fand in seiner neuen Stellung Gelegenheit, sich ihr ganz hinzugeben. Seine Wahl zum Nationalrato sollte die Belohnung für seine mühevolle Wirksamkeit im besondern für die Beamten sein, deren Verteidigung ihm am Herzen lag.

621 Der neue Nationalrat hatte hier noch nicht Zeit gefunden, seine Fähigkeiten zur Geltung zu bringen. Er hatte jedoch bereits Gelegenheit gehabt, in dieser oder jener Frage, mit der er vertraut war, seine Ansicht zu äussern. Und man konnte den Ernst seiner Darlegungen und Beweisführungen, die in fliessender Rede vorgetragen wurden, wahrnehmen. Nach seinem Äussern zu schliessen, hätte er lange Jahre leben können. Die unerbittliche Epidemie hat nun diese scheinbar so kräftige Erscheinung geknickt.

Meine Herren Abgeordnete !

Der Tod hat sein Werk getan; er war für uns ausnehmend hart. Wir werden denen, die er aus unsern Reihen gerissen hat, die Erinnerung bewahren, die man Menschen schuldet, mit denen man in redlicher, gemeinschaftlicher Arbeit gewirkt hat. Lasst uns das Andenken Adrien Lachenais, Jules Tissières und Felix Kochs ehren und uns zum Zeichen unseres gemeinsamen Leides von unsern Sitzen erheben.

Im S t ä n d e rat gedachte Herr Präsident Bolli mit folgenden Worten der seit der letzten Tagung verstorbenen Mitglieder der Bundesversammlung, der Herren Nationalräte Tissières und Koch und Ständerat Lachenal.

Meine Herren Ständeräte !

Bevor wir die uns heute obliegenden Geschäfte an die Hand nehmen, wollen wir der Mitglieder der Bundesversammlung gedenken, die seit der letzten Session durch den Tod von uns geschieden sind.

Sehen wir uns zunächst in den Reihen des N a t i o n a l r a t e s um, so sehen wir, dass zwei von seinen Mitgliedern vom Tode abberufen worden sind, wie angenommen wird als Opfer jener heimtückischen, unheimlichen Krankheit, die seit etlichen Monaten so viel Unheil und Trauer über unser Land und Volk gebracht hat.

Am 15. Juli starb N a t i o n a l r a t J u l e s T i s s i è r e s , von Orsières, in M a r t i g n y .

Er wurde während eines Ferienaufenthaltes in Chemin sur Martigny vom Katarrh befallen. Bald trat eine Lungenentzündung hinzu, und in wenigen Tagen hat die tückische Krankheit es vermocht, den in der Blüte der Kraft stehenden Volksvertreter dahinzuraffen, im Alter von 37 Jahren.

622 Jules Tissières wurde in Martigny geboren am 11. Oktober 1881. Er holte sich gründliche allgemeine Bildung in den Kollegien von St. Maurice und Engelberg und studierte die Rechte in Freiburg, München und Paris. Nach Vollendung seiner Studien eröffnete er ein Anwaltsbureau in Martigny, das sich bald eines schönen Rufes erfreute. Tissières machte sich besonders einen Namen als Verteidiger in schwierigem Kriminalfällen. Es wird ihm nachgerühmt, dass bei den ihm übertragenen Zivilstreitigkeiten sein erstes Bestreben dahin ging, den Prozess durch gütliche Vereinbarung aus der Welt zu schaffen. Durch seine berufliche Tätigkeit und durch das rege verständige Interesse, das er an öffentlichen Dingen bewies, wurde er bald der Vertrauensmann der Bevölkerung seines Kreises. Er wurde als Mitglied des Conseil municipal und des Grossen Rates gewählt. Im Jahre 1911 sandte der 46. Wahlkreis den verhältnismässig jungen Mann als seinen Vertreter in den N a t i o n a l r a t . Hier machte sich Tissières durch sein verbindliches Wesen und seine Beredsamkeit bemerkbar. Er bekannte sich als ein eifriger Anhänger der Reform der Proporzionahvahl des Nationalrates. Bei verschiedenen Fragen, die aus den ausserordentlichen Zeitumständen herausgewachsen waren, befriedigten ihn die Lösungen und die Zustände nicht, und er übte freimütig Kritik. Er gehörte zu denen, die auf die Wiederherstellung verfassungsmässiger Zustände drängten.

Nationalrat Tissières war die Hoffnung seiner Gesinnungsgenossen und des Volkes seiner Heimat. Diese Hoffnungen sind durch den Tod des im Aufstieg befindlichen jungen Volksvertreters jäh geknickt worden.

Ebenfalls in der Blüte seiner Jahre wurde am 28. Juli vom Tode dahingerafft N a t i o n a l r a t Felix Koch, in Bern.

Die Krankheit hatte Felix Koch, der ein Bild von strotzender Gesundheit und Kraft darbot, am 20. Juli befallen. Auch hier trat schwere Komplikation hinzu durch eine beidseitige Lungenentzündung. Seine telegraphisch aus dem Bündnerland herbeigerufene Mutter konnte nur den eine halbe Stunde vor ihrer Ankunft eingetretenen Tod des geliebten Sohnes konstatieren.

Felix Koch erblickte das Licht der Welt in Tamios am 8. August 1882. Schon im Alter von 7 Jahren verlor er seinen Vater, der ein Opfer der im Jahre 1889 grassierenden Influenza-

623 epidemie war. Felix Koch musate als der älteste Sohn seiner arbeitsamen Mutter, an der er immer mit Zärtlichkeit hing, sobald wie möglich und nach Kräften eine Stütze sein. Er hat aus diesen Verhältnissen wohl seine grosse Arbeitskraft und Arbeitsfreudigkeit, seine unermüdliche Initiative, aber auch sein grosses Verständnis und Mitgefühl mit den weniger begüterten Volksgenossen mit in das Leben hinausgenommen. Nachdem er die Schulen seiner Heimat durchlaufen hatte, besuchte der geistig sehr geweckte Jüngling einige Klassen der Kantonsschule in Chur und trat dann in den eidgenössischen Postdienst ein. Rasch arbeitete er sich empor. Neben getreulicher Erfüllung der dienstliehen Obliegenheiten widmete er sich mit regem Eifer den Interessen seiner Amtsgenossen. Schon mit 27 Jahren wurde er ständiger Sekretär des schweizerischen Postbeamtenverbandes.

Diese Stellung bedingte seinen Austritt aus dem Postdienst und brachte ihn nach B e r n . Hier bemühte sich Koch, seinen Bildungsund Gesichtskreis zu erweitern: Er hörte an der Universität Vorlesungen über Staatsrecht, Volkswirtschaft und Geschichte. Seine Tätigkeit beschränkte sich bald nicht nur auf die Wahrung der ihm anvertrauten Verbandsinteressen ; er dehnte sie tatkräftig auf verwandte Gebiete aus. Er war wirksam bei der Organisation der Festbesoldeten in Bern und entfaltete eine unermüdliche Tätigkeit in der Politik. Er wurde Sekretär der schweizerischen freisinnigen Parteiorganisation. In Bern wurde er zum Mitglied des Stadtrates und des Grossen Rates gewählt. Bei den Erneuerungswahlen des letzten Jahres wurde er im 7. Wahlkreise als M i t g l i e d des N a t i o n a l r a t e s gewählt. Auch während der kurzen Zeit seiner Wirksamkeit in der Bundesversammlung blieb er der übernommenen Lebensaufgabe treu und er trat energisch und mit Erfolg ein für die Besserstellung des eidgenössischen Personals.

Felix Koch war die Hoffnung seiner Berufsgenossen und seiner politischen Freunde. Der grausame Tod hat ein erfolgreich begonnenes Leben jäh gebrochen und die schönen Hoffnungen zerstört.

Meine Herren Ständeräte!

Wenden wir uns zu unsern eigenen lleihen, so richten sich unser aller Blicke unwillkürlich nach dem Platze in der Mitte unseres Saales, von dem aus noch in der letzten Tagung des Rates unser unvergessliche Kollege Adrien Lachenal mit seiner geistreichen und lebhaften Beredsamkeit unsere Aufmerksamkeit fesselte. Wir hatten uns von Herzen gefreut, als

624 Lachenal, der im letzten Winter wegen Krankheit der Session fern geblieben war, wieder mit seiner gewohnten Lebhaftigkeit und sonnigen Munterkeit und scheinbar mit neu gewonnener körperlicher Gesundheit in unserer Mitte erschienen war. Wohl mochte ihm selber nicht entgangen sein, dass der grosse Warner an ihn herangetreten war. Mit seinem frohmütigen Temperament überwand er aber Krankheit und Sorge. Vorher, auch während seiner Krankheit, hatte er sich seine muntere Laune stets zu wahren gewusst. Als er zum erstenmal von seinem Krankenlager aufstehen und sich wieder an das sonnbeschienene Fenster wagen durfte, schrieb er mir in die Session einen fröhlichen Brief, in dem er sich mit dem Vöglein im Käfig verglich, das sich nach Sonne und Freiheit sehnt.

Nur ganz wenig Tage nach seiner Heimkehr aus der Juuisession, Samstag den 29. Juni wurde Adrien Lachenal von der Hand des Todes berührt. Es traf ihn ein Schlaganfall. Zwar liess er sich mit der ihm eigenen Energie nicht sofort von der vorgenommenen Arbeit abhalten. Aber bald zeigte sich der bittere Ernst des Angriffs. Ärztliche Hülfe war erfolglos, und er entschlief, umgeben von den Seinigen, am selben Abend sanft für immer.

Überblicken 'wir das Leben unseres abgeschiedenen Kollegen Adrien Lachenal, so zeigt sich uns ein Bild mit schönen harmonischen Linien. Ein Bild, aus dem sich das geistige und kulturelle Leben, die Auffassungen und Ziele unserer Generation lebendig wiederspiegeln.

Der im Jahr 1849 geborene Adrien Lachenal nahm bei seinen Studien in seiner Heimatstadt, in Heidelberg und in Paris die Grundsätze und Ideale der französischen Revolution und der grossen geistigen und politischen Bewegung um die Mitte des vorigen Jahrhunderts mit jugendlichem Feuer gierig in sich auf.

Mit der ganzen Kraft seines feurigen Wesens erfasste und verarbeitete er die gewaltigen Gedanken, den Blick stetig erweiternd und immer klarer richtend auf die grössten und höchsten Ziele menschlicher Entwicklung. Die Glut dieser grossen jugendlichen idealen Richtung, die sich bei ihm barg in einem einfachen, geraden, schlichten und menschenfreundlichen Wesen, durchwärmte seine ganze Persönlichkeit bis an das Lebensende. Ein Zeichen dafür ist die grosse Anhänglichkeit, die er immer bewahrt hat für die Studentenverbindung Belles Lettres, in der er seine Jugendideale entfacht hatte während seiner Genfer Studienzeit.

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Nach Beendigung seiner Studien betätigte sich Lachenal in Genf zunächst zwei Jahre als Anwalt. Dann amtete er in den Jahren 1874 bis 1878 als Substitut der Genfer Staatsanwaltschaft.

Er hat aus seiner ersten Amtstätigkeit manche interessante Reminiszenz sich erhalten und gelegentlich gerne im Freundeskreis davon erzählt. Doch kehrte er bald zu seinem Berufe als Anwalt zurück. Der glänzende Ruf seines Advokaturbureaus ging bald weit über die heimatlichen Grenzen hinaus. Die forensische Beredsamkeit von Adrien Lachenal lenkte die Aufmerksamkeit weitester Kreise auf ihn. Eine seiner an Form und Inhalt gleich hervorragenden Verteidigungsreden fand Aufnahme in der Anthologie der französischen Plädoyers, die bekanntlich den höchsten und strengsten Massstab anlegte.

Doch wurde Lachenal nicht einseitig Advokat. Das hätte seiner ganzen klassischen Auffassung von der Stellung und Aufgabe des Juris consultus widersprochen. Fühlte er doch in sich die Spannkraft glänzender Eigenschaften als Politiker und Staatsmann. Seine ganze Persönlichkeit drängte ihn auf das Gebiet der Politik; auf der politischen Arena war eigentlich erst recht der Platz für die Entfaltung des hochgebildeten, geistreichen und schlagfertigen Redners. Aber so entschieden, entschlossen und energisch Lachenal Partei nehmen und Parteimann sein konnte, immer achtete er auch im Gegner den Mitbürger und Mitmenschen.

Er war zu vielseitig gebildet und innerlich zu gutherzig veranlagt, als dass er nicht auch Verständnis für eines Gegners Handeln und Beweggründe hätte haben können. Er kannte Leidenschaft nur für die Sache, nicht gegen die Person.

Im grossen Rate des Kantons Genf, in den Lachenal schon 1877 eintrat und den er wiederholt präsidierte, spielte er lange Zeit eine führende Rolle. -- Kaum 32jährig wurde er als Vertreter seines Kantons in den Ständerat abgeordnet. 1884 vertauschte er aber den Ständeratssessel mit einem Sitz im Nationalrat. 1890/91 war er Nationalratspräsident. 1891 war das Jahr der grossen und erhebenden ersten Bundesfeier in Schwyz, zur Erinnerung an den 600jährigen Bestand der schweizerischen Eidgenossenschaft.

Weitblickende und um die Zukunft unseres Vaterlandes besorgte Eidgenossen hatten diese gemeinsame Bundesfcier und die kantonalen Zentenarfeiern schon seit Jahren in Anregung gebracht und vorbereitet. Es galt,
durch diese vaterländischen Erinnerungsfeiern das nationale Bewusstsein zu vertiefen und zu kräftigen. Der Blick des Volkes sollte nicht nur nach rückwärts in die Vergangenheit gerichtet, sondern auch für die Zukunft geklärt und geschärft werden, damit es seine Bestimmung und

626 Aufgabe klar erkenne und sich seine Selbständigkeit und Freiheit zu erhalten wisse in den grossen Stürmen, die vorauszusehen waren angesichts der gewaltigen Entwicklung der mächtigen Staaten, zwischen die unser Land eingekeilt liegt. Nationalratspräsident Adrien Lachenal hielt am 1. August 1891 in Schwyz nach der ernste und hohe Mahnungen enthaltenden Rede von Bundesrat Welti eine seiner glänzenden, begeisterten Reden.

Nicht leicht vergisst sie, wer sie, wie ich, angehört. Es mutet gerade im heutigen Moment an wie eine schöne und verklärte alte Prophezeiung, schimmert wie ein Hoffnungsstrahl in der heutigen dunklen Zeit, wenn man die Worte wieder hört, die Lachenal sprach über die Stellung und die Zukunft der Schweiz, ihre internationale Mission und die ihr anvertrauten Friedenswerke.

,,Gardiens de l'oeuvre de paix universelle due au progrès ,,de la science et de la conscience publique, saluons dans ce ,,faible commencement l'oeuvre d'une vaste confédération des ,,peuples libres, alliés pour l'accomplissement des grandes tâches ,,de l'humanité. D'autres verront ces nobles choses. Pour nous, ,,pénétrés du souci constant du devoir, élargissons notre foyer ,,à mesure que la famille humaine agrandie et moralisée nous ,,demandera plus de place et exigera des soins nouveaux. N'est,,ce pas pour les nations éclairées l'idéal au-dessus duquel n'en ,,luit point de plus grand ni de plus p u r ! a Es konnte nicht fehlen, dass Lachenal bald zur höchsten eidgenössischen Magistrato berufen wurde. Als Numa Droz aus dem Bundesrat austrat, wurde er 1892 sein Nachfolger. Er übernahm die Führung des Departements des Auswärtigen, und sein erster Erfolg war die Beseitigung des letzten Restes der Erinnerung an den glücklich beendigten Zollkrieg mit der grossen Nachbarrepublik im Westen. Genf bereitete für den Sommer 1896 die schweizerische Landesausstellung vor. Der Thurgauer Deucher verzichtete auf die Tradition der Reihenfolge des Bundespräsidiums, um seinem Freund und Kollegen Lachenal das höchste eidgenössische Amt zu sichern für das Ehrenjahr seines Heimatkantons. Bundespräsident Lachenal trug dann auch mit der ganzen Kraft zum Gelingen des Werkes bei.

In den Jahren 1897 bis 1899 stand Lachenal dem Departement des Innern vor. Gewiss musste seinem grossen Interesse und Verständnis ftir die menschliche Kultur die Tätigkeit auch in diesem Gebiete zusagen. Aber doch entschloss er sich, wohl seinem strengen Gefühl für die Pflicht gegen sich selbst und die

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Seinen folgend,'seinen Rücktritt aus der obersten Landesbehörde zu nehmen. Er kehrte in sein geliebtes Genf, in sein geliebtes Heim zurück. Er konnte sich wieder mehr seiner Gattin und seinen Kindern widmen, an denen er mit der ganzen Kraft seines Herzens und mit grosser Zärtlichkeit hing. In seinem Beruf als Anwalt konnte er leicht da weiterbauen, wo er vor acht Jahren aufgehört hatte. Aber der Politik blieb er in Bund und Kanton treu. Schon im Jahre 1900 wurde er wieder in den Ständerat gewählt. 1903/1904 war er Präsident unserer Behörde. Er wurde aber auch noch weiter durch eine Reihe öffentlicher Aufgaben beansprucht, und er widmete sich ihnen mit seiner ganzen Kraft. Dabei muss gesagt werden, dass er neben seiner hohen Intelligenz und Bildung, neben seiner ausserordentlichen, die schöne Muttersprache so herrlich beherrschenden Rednergabe, auch über eine ganz ausserordentliche und vielseitige Arbeitskraft verfügte. In seiner militärischen Stellung als Justizoffizier vertauschte er das Amt des Grossrichters der 2. Division nach dem Rücktritt von Oberst Lardy mit demjenigen des Präsidenten des eidgenössischen Militärkassationsgerichtes. Er nahm als Mitglied der Expertenkommission an der Schaffung des Entwurfes eines schweizerischen Strafgesetzes teil. Er war Mitglied des Verwaltungsrates der S. B.'B. und der ständigen Bundesbahnkommission. Seiner Vorliebe für Kulturgeschichte und Kulturdenkmäler gewährte seine Mitgliedschaft in der Kommission des eidgenössischen Landesmuseums Befriedigung.

Die Persönlichkeit von Adrien Lachenal und seine Tätigkeit im Ständerat ist und bleibt in unserer dauernden Erinnerung. In seinem ganzen Wesen lag es begründet, dass er stets ein warmes Interesse für die sozialen Fragen bewies. Nie hat er an der Verwirklichung des internationalen Arbeiterschutzes gezweifelt.

Er war durchdrungen vom Gedanken des Solidarisuius. Er glaubte an die Menschheit, an ihre aufsteigende Entwicklung, trotz allen Rückschlägen. Nie hat ein Amt, das er übernommen, ihn erfasst, er hat seine Ämter ausgefüllt und durchdrungen mit seiner Persönlichkeit, mit seinem einfachen Wesen, seiner Menschenliebe. Als Politiker und Magistrat war er stets bemüht, den warmen Kontakt unter den Eidgenossen verschiedener Sprachen und Konfessionen aufrecht zu erhalten. Er glaubte an das Vaterland, an die grosse
Bestimmung der Schweiz. In den Jahren seit dem Ausbruch des Weltkrieges hat er keine Gelegenheit versäumt, in seiner verbindlichen und patriotischen Weise daran zu erinnern, dass nach Möglichkeit die Wiederherstellung der Verfassung angestrebt werden müsse. Denn es war sein unverbrüchlicher

b28 politischer Glaubenssatz, dass unsre ganze Kultur nur bestehen und sich entwickeln kann auf dem Boden der verfassungsmässigen demokratischen Freiheit und der Bewegungsfreiheit der einzelnen Teile des Bundesstaates. Wenn Adrien Lachenal bei patriotischer Feier oder geselliger Vereinigung sich erhob, um sein höchstes Ideal, das Vaterland oder einen grossen vaterländischen Gedanken zu preisen, dann flössen seinem beredten Munde aus seiner glänzenden Phantasie die plastischen und packenden Bilder in reichem Strome zu. Da gab er sein ganzes Wesen. Und jedesmal war seine Rede ein Genuss und ein Gewinn.

So werden wir Adrien Lachenal in warmer und dankbarer Erinnerung behalten. Er hatte viele Gaben empfangen, und er hat seinem Land und Volk, seinen Kollegen, seinen Freunden und den Seinen viel gegeben. Ein reiches Leben, voll Mühe und Arbeit, aber auch voll schöner Erfolge hat mit seinem Tode seinen Abschluss gefunden.

Meine Herren Ständeräte !

Ich lade Sie ein, zu Ehren des Andenkens unserer abgeschiedenen Kollegen Ständerat Adrien Lachenal, Nationalrat Jules Tissières und Nationalrat Felix Koch sich von Ihren Sitzen zu erheben.

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Aus den Verhandlungen des Bundesrates.

(Vom 17. September 1917.)

Herr Dr. Max Jäger, von Herznach, Legationssekretär II. Klasse bei der schweizerischen Gesandtschaft in Madrid, wird zum Legationssekretär I. Klasse befördert.

Die bisherigen Mitarbeiter beim politischen Departement, die Herren Franz Josef Borsinger, von Baden (Aargau), Alexander Girardet, von Prilly (Waadt), Pierre Bonna, von Genf, Giacomo Balli, von Cavergno (Tessin), William Moretti, von Genf, und Konrad Jenny, von Schwanden (Glarus), werden zu Gesandtschaftssekretären II. Klasse ernannt.

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