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II. Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung über Begnadigungsgesuche (Sommersession 1918).

(Vom

17. Mai 1918.)

Wir beehren uns, unter Vorlage der Akten, Ihnen über folgende Begnadigungsgesuche Bericht zu erstatten und über deren Erledigung Antrag zu stellen : 51.

52.

53.

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55.

56.

57.

Josef Altenbach, geb. 1861, Tierarzt, Rodersdorf (Solothurn); Jean Beyeler, geb. 1891, Vertreter und Privatdetektiv, Genf; Karl Dätwyler, geb. 1898, Mechaniker, Brugg (Aargau) ; Hermann Dettwiler, geb. 1898, Handelsangestellter, Basel; Jules Arthur Fricker, geb. 1865, Kaufmann, Bévilard (Bern); Walter Hirs, geb. 1891, Bureaulist, Dielsdorf (Zürich) ; Max Hausdorff, geb. 1891, Ingenieur, z. Z. Lugano (Tessin);

58. Charlotte Hausdorff-Habermann, geb. 1893, z. Z. Lugano (Tessin) ; 59. Alfred Lang, geb. 1876, Kaufmann, unbekannten Aufenthaltes; 60. Madeleine Poiret, geb. .1884, Lehrerin, z. Z. Bern.

(Verbotener Nachrichtendienst.)

Vom Bundesstrafgericht sind in Anwendung des Artikels 5 der bundesrätlichen Verordnung betreffend Strafbestimmungen für den Kriegszustand vom 6. August 1914 verurteilt worden: a. Josef Altenbach, am 20. Dezember 1917, zu 4 Monaten Gefängnis, unter Anrechnung der erstandenen Untersuchungshaft von 8 Tagen und Fr. 500 Busse; b. Jean Beyeler, am 7. März 1918, zu 6 Monaten Gefängnis, unter Anrechnung der erstandenen Untersuchungshaft von 88 Tagen und Fr. 100 Busse ; c. Karl Dätwyler, am 22. Dezember 1917, zu 8 Monaten Gefängnis, unter Anrechnung der erstandenen Untersuchungshaft von 51 Tagen und Fr. 200 Busse;

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Bevor auf die einzelnen Gesuche eingetreten wird, ist zu verweisen auf die allgemeinen Ausführungen des Bundesrates über Begnadigungsgesuche in Spionagesachen (zu vergleichen II. Bericht vom 23. November 1917, Bundesblatt 1917, IV, 668 ff.).

Zu a. Josef Altenbach ersucht um Erlass der Gefängnisstrafe. Die Polizeiabteilung des schweizerischen Justiz- und Polizeidepartementes hat ihm hinsichtlich der Erstehung derselben auf eine Eingabe hin Aufschub gewährt bis nach Behandlung seines Begnadigungsgesuches durch die Bundesversammlung. Laut Mitteilung des Polizeidepartementes des Kantons Basel-Stadt hat jedoch Altenbach am 26. Februar seine Strafe angetreten.

Das Bundesstrafgericht hat in Sachen Altenbach in tatsächlicher Hinsicht festgestellt: ,,Der Angeklagte Altenbach stand nach seinen Angaben mit dem im deutschen Nachrichtendienst in St. Ludwig beschäftigten Hauptmann Hironimi in geschäftlicher Verbindung, indem er ihm Zigarren lieferte. Im Frühjahr 1917 wurde Altenbach von Hironimi ersucht, für den deutschen Nachrichtendienst in der Weise tätig zu sein, dass er Leute ausfindig mache, die im Pruntruterzipfel

14 französische Deserteure über ihre Erlebnisse und Beobachtungen im Kriegsdienst ausfragen und solche, die nach Frankreich reisen sollten, um dort Erkundigungen aller Art einzuziehen. Altenbach nahm diesen Antrag an und wendete sich an den ihm befreundeten Mitangeklagten Jeltsch, dem er anfänglich den Hauptmann Hironimi als Käufer eines Wagons Schokolade bezeichnete. Es fand hierauf zwischen Altenbach, Jeltsch und Hironimi eine Zusammenkunft im Oltingerwald statt, wobei über den Schokoladekauf verhandelt wurde, ohne dass man aber dabei zu einem Ziel gelangte. Dagegen hat Altenbach nach der Aussage des Jeltsch diesem gleich nachher erklärt, Hironimi wolle nicht Schokolade, sondern etwas "anderes, und den Jeltsch angefragt, ob er ihm zum Nachrichtendienst für Deutschland, geeignete Leute angeben und zuführen könne. Nachdem Jeltsch dem Altenbach mitgeteilt hatte, er habe zwei geeignete Personen gefunden, Hess sich Altenbach diese, die beiden Mitangeklagten Müller und Borer, im Kaffee Central in Basel durch Jeltsch vorstellen und erwirkte von ihnen die Zusage, im Sinne des von Hauptmann Hironimi empfangenen Auftrages tätig zu werden. Die nähern Instruktionen sollten ihnen in Leimen durch deutsche Offiziere erteilt werden. Einige Tage später lud Altenbach den Müller ein, sich mit Borer am Sonntag den 1. Juli in Rodersdorf einzuflnden, um sich von da am folgenden Montag (dem Wochentag, an dem die deutschen Offiziere regelmässig in Leimen zu treffen seien) nach Leimen zu begeben.

Müller und Borer trafen denn auch am Sonntag in Rodersdorf ein, wo sie am Abend mit Altenbach die in Aussicht genommene Unterredung mit den deutschen Offizieren nochmals besprachen.

Am Montag vormittag begaben sich die beiden dann nach Leimen.

Unterwegs trafen sie den von dort nach Rodersdorf zurückkehrenden Altenbach, der ihnen bestätigte, dass sich die deutschen Offiziere am Nachmittag in Leimen einfinden würden. Dass sich Altenbach um die weitern Verhandlungen in Leimen und um die Art und Weise der Ausführung des Auftrages durch Müller und Borer gekümmert habe, ist nicht erwiesen. Immerhin hat er, als er später den Muller in St. Ludwig bei Hauptmann Hironimi und einmal in Basel traf, diesen gefragt, ob die Sache nun im Gange sei, was Müller bejahte.tt In der Hauptsache wirft das Begnadigungsgesuch Beweiswürdigungsfragen auf,
indem das Tatsächliche des Falles geschildert wird, wie es Altenbach dargestellt wissen will. Der Gesuchsteller versichert, er habe Jeltsch mit Hironimi lediglich in Verbindung gebracht, weil er wusste, dass letzterer alles aufkaufe, was

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angeboten werde. Desgleichen sei er in keiner Weise an der Anwerbung des Müller und des Borer beteiligt gewesen. In seinem Verhalten habe er weder etwas Unerlaubtes noch gar Strafbares erblickt, da er doch selbst weder Nachrichten verschaffte, noch aus der Lieferung solcher Nutzen ziehen konnte. Fehlerhaft könne nur sein, dass er sich von den Mitverurteilten verschiedentlich in Unterredung ziehen liess, wenn schon nicht er selbst diese anbegehrt habe. Soweit das Bundesstrafgericht eine andere Auffassung vertrete, rühre dies daher, dass die Gerichtsbehörde allzusehr von den Aussagen der Mitangeschuldigten ausgegangen sei.

Diese Anbringen werden ausgeführt sowohl in dem Gesuch vom 4. Januar, wie im persönlichen Nachtrag vom 18. Januar, und sollen erhärtet werden durch die schriftliche Bestätigung eines kaiserlichen Oberzollrevisors Jung.

Ferner wird geltend gemacht, selbst die Strafverfolgungsbehörden hätten das Vergehen Altenbachs als das leichteste betrachtet, was sich schon daraus ergebe, dass man ihn, anders als seine Mitangeschuldigten, bereits nach einigen Tagen aus der Untersuchungshaft entlassen habe. Trotzdem sei er am härtesten bestraft worden, wobei das Urteil dem Umstand in keiner Weise Rechnung getragen habe, dass Altenbach in seiner sozialen Stellung schon durch die Tatsache der Verurteilung an sich ungeheuer bestraft worden sei. Es sei kein Zweifel, dass beispielsweise im Kanton Basel-Stadt nach der bestehenden Gesetzgebung Altenbach die Wohltat des bedingten Strafvollzuges gewährt würde.

In den Akten befinden sich überdies eia Leumundszeugnis, ausgestellt vom Gemeindeammann von Rodersdorf ; eine Eingabe der Gemeindevorsteher des Birsig- und Leimentales, welche betont, durch die längere Abwesenheit des einzigen Tierarztes würde die ganze Gegend geschädigt ; ein Empfehlungsschreiben von altRegierungsrat Kyburz von Solothurn.

Dem gegenüber gelangen wir zu folgenden Überlegungen : Soweit das Begnadigungsgesuch Beweiswürdigungsfragen aufwirft, das Tatsächliche des Straffalles erneut auseinandersetzt, das mangelnde Bewusstsein der Rechtswidrigkeit anbringt, ist darauf seitens der Begnadigungsbehörde nicht einzutreten. Dafür ist angesichts der urteilsmässigen Feststellungen und der Rechtskraft des bundesgerichtlichen Entscheides kein Raum, was sich aus dem Wesen des Begnadigungsverfahrens
herleitet, dem jede Rechtsmittolfunktion abgeht und das die Begnadigungsbehörde in der Regel ausserstande setzt, den Werdegang dieser urteilsmässigen Feststellungen, sei es nach der objektiven oder subjektiven Tat-

16 seite hin, einzig anhand der Untersuchungsakten, Protokolle und Anbringen des Gesuchstellers allseitig zu überprüfen.

Was sodann die Bemängelung des Strafmasses anbetrifft, ist zu wiederholen, dass das Buadesstrafgericht im allgemeinen in seiner Strafzumessung sehr milde verfährt, indem es in weitgehender Weise in Betracht zieht, dass es sich in Spionagesachon um die Anwendung besonderer Erlasse handelt, die ihren Ursprung aus den kriegerischen Verhältnissen herleiten und deshalb als ausserordentliche zu bezeichnen seien.

Sowohl die Anträge des a. o. Bundesanwaltes, wie das Gericht selbst haben der sozialen Stellung, der Betätigung und dem bisherigen Leumund Altenbachs vollauf Rechnung getragen. Ferner ist nachdrücklich darauf zu verweisen, dass Altenbach in der ganzen Strafangelegenheit als Spiritus rector erscheint, dessen Tätigkeit allerdings weniger ausführend, aber in hohem Masse veranlassend war, indem er seine Mitverurteilten mit den deutschen Amtspersonen in Verbindung brachte.

Der Anspielung, die Anwendung des bedingten Strafvollzuges im Baslerrecht betreffend, ist ernstlich entgegenzuhalten, dass gerade die Bildung und gesellschaftliche Stellung Altenbachs es rechtfertigen, dass von ihm gegenüber strafbaren Handlungen, wie sie vorliegen, vermehrter Widerstand und stärkere Hemmungen verlangt werden müssen.

Der Hinweis, dass die Verurteilung Altenbachs an sich eine grosse Einbusse in der sozialen Wertung bedeute, genügt nicht, um eine Begnadigung herbeizuführen, und überdies wird er durch die Eingabe der Gemeidevorsteher des Birsig- und Leimentales entkräftet, welche beweist, dass die dortige Bevölkerung ihren Mitbürger keineswegs fallen zu. lassen gedenkt.

Endlich ist noch die Darstellung des Gesuches zu widerlegen, wonach das Vergehen Altenbachs sowohl vom Untersuchungsrichter, wie auch vom a. o. Bundesanwalt ,,als das leichteste von allen 4 in Frage stehenden Personen" betrachtet wurde.

Die" kurze Untersuchungshaft erklärt sich nämlich damit, dass Altenbach in der Voruntersuchung sofort ein volles Geständnis ablegte, und dass die Gemeindebehörden von Rodersdorf seine Freilassung anstrebten, weil die Gegend sonst ohne Tierarzt gewesen wäre. Das Entgegenkommen der richterlichen Organe bedeutete eine weitgehende Rücksichtnahme auf die Person des Altenbach, die sich höchstens in einem Stande des Verfahrens rechtfertigen lässt, wo eine Verurteilung noch nicht ·erfolgt ist.

17 Dagegen lassi, sich dies nicht herbeiziehen, um in Umkehrung der Tatsachen nachträglich ein Argument zu gewinnen, wonach die ausgesprochene Strafe den Umständen nicht entspreche.

Erneut im Zeitpunkte nach der Verurteilung und als Begründung eines Begnadigungsgesuches zu berücksichtigen, dass Altenbach einziger Tierarzt der Gegend ist, kann trotz der Eingabe der Gemeindevorsteher des Birsig- und Leimentales nicht befürwortet werden.

Gestützt auf diese Darlegungen beantragen wir Abweisung des Gesuchstellers.

Zu b. Jean Beyeler ersucht um Erlass der noch rerbleibendea Gefängnisstrafe, d. h. um Herabsetzung derselben, entsprechend den Anträgen des a. o. Bundesanwaltes, auf 3l/s Monate, getilgt durch die erstandene Untersuchungshaft.

Beyeler ist im Sommer. 1916 in Genf im Dienste der französischen Gegenspionage gestanden und hat von einer Frau Rösch Auskunft über zwei Personen zu erhalten versucht, welche er des Nachrichtendienstes für Deutschland verdächtigte. Er hat die Frau Rösch angeworben, diesbezügliche Briefsachen nach Annemasse oder nach dem französischen Konsulat nach Genf zu überbringen. Gleichzeitig suchte Beyeler auch den Polizeiangestellten Stoeffler für den französischen Nachrichtendienst zu gewinnen, wobei er demselben eine bedeutende Belohnung in Aussicht stellte.

Angesichts der Rechtskraft des bundesgerichtlichen Urteil» erklärt der Gesuchsteller ausdrücklich, dasselbe weder in tatsächlicher Hinsicht noch in bezug auf die Rechtsanwendung anfechten zu wollen. Dagegen hält er das Strafmass betreffend dafür, das Bundesstrafgericht habe den Tatbestand mit ganz ausserordentlieher Strenge gewürdigt.

Das Verhalten gegenüber Frau Rösch bedeute eine harmlose Verfehlung, und das Stoeffler gemachte Angebot sei nicht »us unlautern Beweggründen herzuleiten, da die Genfer Behörden damals Beyelers Dienste als Privatdetektiv zur Überwachung gewisser Agenten benutet hätten.

Ferner sei zu berücksichtigen, dass die Vorfälle bereits zwei Jahre zurückliegen und dass der Gesuchsteller seit 1916 Tollständig auf seinen verhängnisvollen Beruf als Detektiv verzichtet habe, um sich gänzlich der Ausbeutung und dem Handel mit Anthrazit im Wallis zu widmen, wo er an der Spitze einer Unternehmung stehe, wie aus den beigelegten Schriftstücken Bundeablatt. 70. Jahrg. Bd. III.

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hervorgehe. Schon vorgängig der Haupt Verhandlung sei er derart beschäftigt gewesen, dass er darob seine Verteidigung vernachlässigt habe, so dass er in der Folge mehrere Entlastungszeugen -- Genfer Polizisten -- verlor. Hauptsächlich wird aber auf seine nunmehrige ehrenhafte Aufführung abgestellt.

Es ist richtig, dass der Antrag des a. o. Bundesanwaltes auf 31/z Monate lautete, die durch die Untersuchungshaft als getilgt gelten sollten. Die ausgesprochene Strafe rechtfertigt sich aber durch die Übung des Gerichtshofes, die Verleitung eines Beamten oder den Versuch hierzu straferschwerend zu berücksichtigen und ferner aus dem Verhalten Beyelers anlässlich der Hauptverhandlung, der auf das Gericht den denkbar schlechtesten Eindruck machte, indem er in der Voruntersuchung zugestandene Tatsachen nunmehr in Abrede stellte. Selbstverständlich war Beyeler in seiner Eigenschaft als Privatdetektiv auch über das Strafbare seines Verhaltens Stoeffler gegenüber nicht im Zweifel.

Die weitern Anbringen Beyelers sind desgleichen ungeeignet, im Wege der Begnadigung berücksichtigt zu werden.

Zu c. Karl Dätwyler ersucht vom Gefängnis Winterthur aus um Erlass der noch zu erstehenden Gefängnisstrafe. Laut den bundesgerichtlichen Erwägungen machte Dätwyler am 1. November 1917 einem Arbeitskameraden Meier in Brugg den Vorschlag, in Frankreich Arbeit zu suchen, und reiste mit ihm nach Zürich, wo sie vorn französischen Konsulat mit Billetten nach Genf versehen wurden. In der Folge machten sich die beiden auf die Reise, stiegen aber auf Veranlassung des Meier in Baden aus, wo Meier sofort die Verhaftung Dätwylers herbeiführte.

Dätwyler hatte Meier nämlich angewiesen, sich zunächst nach Frankreich zu begeben, um dort Geld entgegenzunehmen. Dann habe er nach der Schweiz zurückzukehren und sich einen Pass nach Deutschland zu verschaffen, wo er sich um Arbeit in den Lonzawerken bemühen und den Versuch machen sollte, dieses Werk in die Luf't zu sprengen. Meier hätte sich nach dein Vorschlag Dätwylers in Deutschland auch mit der Lieferung Ton Berichten militärischer Natur an eine Deckadresse in der Schweiz beschäftigen sollen.

Im Anschluss an die Feststellungen des Bundesstrafgorichtes beschränken wir uns darauf, festzuhalten, dass Dätwyler bereits dreimal wegen verbotenen Nachrichtendienstes verurteilt worden ist und halten dafür, sein Begnadigungsgesuch sollte ohne weiteres abgewiesen werden.

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Zu d. Hermann Dettwiler ersucht um Erlass der noch zu erstehenden Gefängnisstrafe von 29 Tagen.

Jn den Akten befindet sich überdies eine Zuschrift der Grossmutter des Verurteilten..

Dettwiler hat zugegeben, auf Veranlassung eines ihm unbekannten Herrn während etwa neun Monaten an ihn gerichtete Briefe, die an das Postfach seines Dienstherrn gelangten, entgegengenommen, unter Benützung beigelegter Zettel umadressiert, weitergesandt und dafür per Post Geldbeträge, im ganzen etwa Fr. 1200 erhalten zu haben. Es ist dies die bekannte Briefkastentätigkeit. Dettwiler hat ferner zugegeben, Verdacht gehabt zu haben, es könnte sich um Spionage handeln. Dieser Verdacht konnte in der Tat durch die reichliche Belohnung für seine Tätigkeit nur bestätigt werden.

Das Begnadigungsgesuch versichert erneut den guten Glauben und betont den bisher unbescholtenen Leumund. Das Schreiben der Grossmutter Dettwiler verweist auf die Unerfahrenheit des damals Neunzehnjährigen und erachtet die erstandene Untersuchungshaft als genügende Sühne. Ferner wird gesagt, die Familie bedaure den Fall ihres Angehörigen tief und schliesslich wird angebracht, der Gesuchsteller würde durch Verbüssen der Freiheitsstrafe in seiner Lehrzeit erneut gestört.

Das schweizerische Justiz- und Polizeidepartement hat Dettwiler einen ersten Aufschub bis Ende März 1918 erteilt, d. h.

bis nach Abschluss seiner Lehrzeit. Dieser Aufschub ist mit Rücksicht auf das Begnadigungsgesuch bis zum Entscheid der Begnadigungsbehörde verlängert worden.

Angesichts der zeitlich ausgedehnten Briefkastentätigkeit Dettwilers ist die ausgesprochene Strafe niedrig gehalten, was auf die Berücksichtigung der Jugendlichkeit des Angeschuldigten zurückzuführen ist. Auch vorliegend muss festgehalten werden, dass besonders in Basel ein Kreis junger Leute sich leichthin damit abgibt, durch Betätigung in fremdem Nachrichtendienst mühelos Geld zu erlangen. Diesen Machenschaften muss ernstlich begegnet werden, so dass wir aus Gründen der Speziai- und Generalprävention eine Begnadigung nicht beantragen können.

Wir verweisen auf unsern Abweisungsantrag in der ähnlichen ßegnadigungssache Emil Haab (Bericht des Bundesrates Tom 23. November 1917. Bundesblatt 1917, IV, 676).

Zu e. Jules Arthur Fricker, zurzeit in der Strafanstalt Basel, ersucht um Erlass der noch zu erstehenden Gefängnisstrafe.

20 Fricker hat sich nach seinen eigenen Angaben im April 1917 auf der Mustermesse in Lyon von einem Agenten für den französischen Nachrichtendienst anwerben lassen. In der Folge hat er eine grössere Anzahl deutscher Deserteure in Basel teils selbst aufgesucht, teils sich zuführen lassen. Ferner reiste er mit deutschen Deserteuren nach Evian, wo er sie der französischen Nachrichtenstelle übergab. Vorübergehend von den Untersuchungsbehörden in Freiheit gesetzt, benutzte er seine Strafentlassung, um dieselben Machenschaften fortzusetzen.

Das Begnadigungsgesuch will damit begründet werden, Fricker sei eines geringfügigen Vergehens wegen bestraft worden, er sei nicht vorbestraft, er gebe in der Strafanstalt Basel zu keinen Klagen Anlass, er habe Stetsfort einen guten Leumund genossen, sei verheiratet und Vater von 5 unerzogenen Kindern.

Für die Strafausmessung hat das Bundesstrafgericht in Betracht gezogen ,,den Umfang und die Dauer seiner Tätigkeit, sowie, dass er dabei einzig aus niedrigen, gewinnsüchtigen Motiven gehandelt hat, die durch keine eigentliche Notlage entschuldigt werden. Anderseits hat er die wirkliche Notlage mehrerer Mitangeklagter benützt, um sie seinen Zumutungen willfährig zu machen. Namentlich aber fällt zu Lasten des Fricker, dass die erste gegen ihn eingeleitete Untersuchung ihn nicht abgehalten hat, unmittelbar nach seiner Entlassung aus der Haft im August sein unerlaubtes Treiben in unveränderter Weise fortzusetzen."1 Es ist beizufügen, dass nach unserer Auffassung Fricker ein ganz besonders gefährlicher Agent ist, und dass er neuestens in Untersuchung steht wegen Sprengstoffverbrechens, so dass sein Begnadigungsgesuch in der Tat jeder Rechtfertigung entbehrt.

Zu f. Walter Hirs ersuchte ursprünglich um ganzen oder doch teilweisen Erlass der Gefängnisstrafe und der Fr. 100 Busse.

Inzwischen hat er die Gefängnisstrafe ersessen, wiederholt jedoch das Gesuch um Erlass der Busse.

Aus den Erwägungen des Bundesstrafgerichtes ergibt sich : ,,Nachdem Hirs durch Inserate in Zeitungen seine Dienste als Privatdetektiv öffentlich angeboten hatte, hat er im Mai 1916 von einem Angestellten des französischen Konsulates in Bern gegen Zusicherung eines Monatssalairs von Fr. 400 den Auftrag erhalten und angenommen, über eine grosse Anzahl von in Bern sich aufhaltenden Personen Erkundigungen einzuziehen. Er anerkennt, dass seine Recherchen über die ihm aufgegebenen Personen sich nicht nur auf die sonst im Informationsdienst üblichen

21 Auskünfte über Personalien, Vorleben, Beruf und Moralität erstreckt haben, sondern dass er sich auch über deren Gesinnung gegenüber den kriegführenden Staaten und ihren Verkehr mit den Organen der Zentralmächte erkundigt und einen Teil dieser Personen überdies seiner persönlichen Beobachtung unterstellt habe. Er bestreitet nur, dass die Erkundigungen, soweit sie über don gewöhnlichen Umfang des Informationsdienstes hinausgingen, im Interesse des französischen Konsulates eingezogen worden seien, und dass er über diese letzteren Punkte dem Konsulat Mitteilung gemacht habe.a Der Gesuchsteller behauptet, das Verfahren sei hinsichtlich der Beweisführung anfechtbar. Mit Rücksicht auf die FamilienTerhältnisse wird die Busse betreffend um Nachsicht gebeten.

Hinsichtlich der Gefängnisstrafe hatte das schweizerische Justiz- und Polizeidepartement dem Verurteilten seinerzeit in Anbetracht eines bestehenden Vertrags Verhältnisses einen gewissen Aufschub gewährt.

Hira ist mehrfach vorbestraft. Er hat den Nachrichtendienst planmässig und unter dem Deckmantel eines Privatdetektivs nicht unwirksam betrieben. Da derselbe verhalten wurde, seine Gefängnisstrafe am 1. Februar anzutreten, steht nur noch die Frage des Erlasses der Geldbusse zur Behandlung, aber auch hierin lässt sich eine Begnadigung nicht beantragen.

Zu g und h. Die Eheleute Max Hausdorff und Charlotte Hausdorff-Habermann ersuchen beide um Erlass der Landesverweisung, sei es unter Verfügung einer polizeilichen Überwachung oder unter Bestimmung einer hohen Kaution. Ersterer ersucht ferner, die noch zu erstehende Gefängnisstrafe in Geldbusse umzuwandeln oder ihm zu gestatten, die Strafe in einem Sanatorium zu rerbüssen.

Der im deutschen Landsturm eingeteilte Max Hausdorff, der sich im Herbst 1915 mit dreimonatlichem Militärurlaub zur Kur nach Davos begeben hatte, anfangs März 1916 mit seiner Braut und jetzigen Gattin Charlotte Habermann nach Lausanne übergesiedelt war, hat zugestandenermassen bald darauf, um die Folgen der Urlaubsüberschreitung von sich abzuwenden, übernommen, für den deutschen Abwehrspionagedienst tätig zu sein.

Er besorgte Erhebungen über in der Schweiz wohnhafte Deutsche, sowie über Angehörige neutraler Staaten, die nach Deutschland zu reisen beabsichtigten. Hausdorffs Tätigkeit dauerte ungefähr ein Jahr und bezog sich auf eine grössere. Anzahl von Personen.

22 Seine Meldungen waren für die Spionageabwehrstelle Freiburg i. Br.

bestimmt; zum Teil gingen sie durch das deutsche Konsulat in Lausanne. Ferner hat Hausdorff seinem Vetter, Offiziersaspirant Georg Hausdorff, der von der militärischen Nachrichtenstelle Strassburg in Spionagedienst nach der Schweiz geschickt wurde, den Agenten Mindlin vermittelt.

Charlotte Hausdorff, damalige Habermann, hat sich an der Spionagetätigkeit ihres Verlobten nach dessen Angabe und ihrem eigenen Geständnis dadurch beteiligt, dass sie wiederholt schriftliche Berichte desselben auf das deutsche Konsulat in Lausanne gebracht hat.

In den verschiedenen Gesuchen macht Max Hausdorff geltend, seine Strafe sei angesichts der offenen Haltung vor Gericht hart ausgefallen. Ferner schildert er seinen schlechten Gesundheitszustand und ruft eine grössere Zahl ärztlicher Zeugnisse an, die sich für seine Kurbedürftigkeit aussprechen. In der Hauptsache wird aber wie im Strafvorfahren betont, dass Hausdorff durch seine militärischen Verhältnisse zur Spionage gezwungen wurde, nunmehr Kefraktär sei und infolge seiner offenen Aussagen in Deutschland wegen Verletzung des Dienstgeheimnisses militärgerichtlich verfolgt würde.

In einem Nachtrag vom 9. März 1918 werden diese Anbringen teilweise wiederholt, besonders aber darauf verwiesen, dass Hausdorff wie auch seine Gattin den Behörden zu keinen weitern Klagen Anlass gegeben haben und sich namentlich in ihrer Gesinnung von einer gewissen Art Refraktäre unterscheiden.

Für Charlotte Hausdorff-Hab er m au n wird ausgeführt, die Vollstreckung der Landesverweisung würde unter den bestehenden Verhältnissen eine Trennung der Gatten bedeuten, die Gesuchstellcrm sei auf blosse Vermutung hin verurteilt worden, habe für ihre Gehülfenschaft genug gelitten, befleisse sich einer untadeligen Aufführung und habe im Falle ihrer Ausweisung in Deutschland ebenfalls ein gerichtliches Verfahren zu gewärtigen.

Dem gegenüber genügt es zum Teil, auf die Urteilserwägungon des Buudesstrafgerichts zu verweisen, das sich hinsichtlich des Strafmasses dahin ausspricht : ,,Bei der Strafausmessung fallen Umfang und Dauer der strafbaren Tätigkeit erschwerend in Betracht; strafmildernd dagegen ist der Umstand zu berücksichtigen, dass Hausdorff ohne direktes Entgelt im Interesse seines Vaterlandes und in einer durch seine militärischen Verhältnisse entstandenen Zwangslage gehandelt hat. Der Freiheits- und Geldstrafe ist wegen seiner

23 Eigenschaft als Ausländer grundsätzlich die Landesverweisung beizufügen. Seine angebliche Stellung als Refraktär spielt flir die Verurteilung hierzu nach feststehender Praxis keine Rolle, sondern hat Bedeutung im Sin:ae des Bundesratsbeschlusses vom 30. Juni 1916 (jetzt vom 14. November 1917) betreffend die fremden Deserteure und Refraktäre nur für den Vollzug der Ausweisung."

Diesem ist im Sinne unserer zu Beginn bereits erwähnten allgemeinen Ausführungen beizufügen, dass wirklich trotz den vorhandenen Verumständungen davon abgesehen werden sollte, die Landesverweisung im Wege der Begnadigung zu erlassen, indem die bestehende Gesetzgebung und neuestens der Bundesratsbeschluss vom 14. November 1917, sowie die Verordnung betreffend die Grenzpolizei und die Kontrolle der Ausländer vom 21. November 1917 den Strafvollzugsbehörden, vorliegend dem schweizerischen Justiz- und Polizeidepartement genügend Handhabe geben, die geigneten Massnahmen zu ergreifen. Dies ist insbesondere auch möglich mit Rücksicht auf die militärgerichtlichen Verfolgungen, denen die Eheleute Hausdorff-Habermann in der Tat ausgesetzt wären. Dasselbe ist ferner hinsichtlich der Vollziehung einer Freiheitsstrafe s;u sagen. Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob einem Antrag auf Umwandlung einer Freiheitsstrafe in Geldbusse, oder Vorbüssung in einem Sanatorium, auf Ersatz einer Landesverweisung durch polizeiliche Aufsicht oder hohe Kaution im Begnadigungsverfahren an sich Folge gegeben werden könnte.

Zu i. Alfred Lang ersucht um Erlass sämtlicher Strafen.

Lang ist verurteilt ·worden, weil er in den Jahren 1916 und 1917 dem Board of Trade in London regelmüssig in Form yon Berichten Handelsauskünfte verschaffte.

Die Rechtsprechung des Bundesstrafgerichtes in Spionagesachen geht nun dahin, dass derartige Auskünfte dann unter die Spionageverordnung fs.llen, wenn sie dazu bestimmt sind, einem kriegführenden Staat in seinem Kampf gegen den Gegner zu dienen.

Das Begnadigungsgesuch macht geltend, die Spionageverordnung sei nicht von Anfang an auf derartige Tatbestände bezogen worden, und Lang sei für seine ursprünglich nicht verpönte Handlungsweise von der nunmehr gebräuchlichen Rechtsanwendung betroffen worden. Ferner wird gesagt, die Ausfuhr nach Deutschland werde jederzeit in den Handelsamtsblättern veröffentlicht, so dass der
Handlungsweise des Lang keine Bedeutung zukommen könne. Das Strafmass wird als zu hoch bezeichnet und erneut darauf verwiesen, das« Lang mit dem in demselben Strafverfahren

24 verurteilten Kondukteur der Schweizerischen Bundesbahnen Locher keine direkten Beziehungen gehabt habe. Das Bundesstrafgericht habe zudem unter dem Einfluss einer gerade damals einsetzenden Presshetze geurteilt. Schliesslich wird die stattgefundene Gerichtstandsbestimmung bemängelt und die Zuständigkeit der Militärgerichte behauptet, welch letztere dem Angeschuldigten günstiger gewesen wären.

Nach unserem Dafürhalten handelt es sich, wie aus den Akten ersichtlich ist, um einen schwerwiegenden Fall von Handelsspionage. Erschwerend wirkt, dass Lang sich dabei der Berichte Lochers bediente, ob er sie nun unmittelbar von diesem bezog oder durch eine Zwischenperson.

Was die Anwendung der Verordnung vom 6. August 1914 auf Tatbestände der Handelsspionage anbetrifft, so halten wir dafür, die Bundesversammlung sollte es ablehnen, die Rechtsanwendung unseres obersten Gerichtshofes in diesen heiklen Strafsachen im Wege des Begnadigungsverfahrens auf ihre Richtigkeit zu überprüfen. Auch die Erörterung der Gerichtstandsfrage kann nicht in Betracht fallen. Nach unserer Meinung erweisen sich die Gesuchsanbringen teilweise als unbegründet, teilweise anderweitig als ungeeignet, um eine Begnadigung veranlassen zu können.

Übrigens hat sich Lang durch Verlassen unseres Landes den» Strafvollzug entzogen, und es ist in keiner Weise wünschenswert, dass er durch eine Begnadigung veranlasst werde, dasselbe erneut zu betreten.

Zu k. Madeleine Poiret ersucht um Erlass der Landesverweisung.

Madeleine Poiret hat gegen Neujahr 1917 verschiedene Schweizer für den französischen Nachrichtendienst zu gewinnen gesucht und teilweise auch angeworben.

Das Begnadigungsgesuch macht geltend, die Gesuchstellerin sei als Französin durch dea Kriegsausbruch von Hamburg, wo sie als Hauslehrerin in Stellung war, nach der Schweiz verschlagen worden und habe hier alle möglichen Arbeiten verrichtet, urn sich durchzubringen. Madeleine Poiret sei ungefährlich, und die Landesverweisung deshalb unangebracht, indem der Vollzug derselben eine unnötige Härte bedeuten würde, namentlich angesichts ihres schwachen Gesundheitszustandes, und da sie auf das bekannt gewordene bundesgerichtliche Urteil hin befürchten müsse, überall als spionageverdächtig behandelt zu werden.

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Sehliesslich beruft sich das Gesuch auf die Verdienste, die sie den Bundesbehörden geleistet haben soll durch Bekanntgabe eines Bombenanschlages.

In letzterer Beziehung kann festgestellt werden, dass die Aussagen der Madeleine Poirot kurz vor der Hauptverhandlung des Bundesstrafgerichtes abgegeben wurden, in der ziemlich deutlichen Absicht, sich dadurch für den Urteilsspruch in empfehlende Erinnerung zu rufen. Es ist denn auch in der Folge von einem derartigen Anschlag nicht das Geringste ermittelt worden.

Ferner halten wir dafür, die Gesuchstellerin sei mit Rücksicht auf ihr geschicktes Auftreten, ihre sprachliche Gewandtheit und internationale Vergangenheit zu den in höchstem Masse unerwünschten Personen zu zählen. Es ist gerade ihr gegenüber mit Nachdruck auf der ausgesprochenen Landesverweisung zu beharren.

Sollte dieselbe zurzeit nicht vollzogen werden können, so dürften auch in diesem Fall die entsprechenden Verfügungen der Strafvollzugsbehörden genügen, so dass von einer Begnadigung abgesehen werden kann.

A n t r ä g e : Abweisung aller Gesuchsteller.

61. Jakob Stierli, geb. 1850, Fischbach;

62. Beda Seiler, geb. 1881, Göslikon; 63. Emil Spörri, geb. 1884, Niederwil; 64. Josef Wirt, geb. 1876, Niederwil ;

65. Hans Geissmann, geb. 1884, Hägglingen; 66. Peter Geissmann, geb. 1879, Hägglingen; 67. Johann Langenegger, geb. 1881, Dottikon, alles Bäcker im Aargau ; 68. Johann Signer, geb. 1875, Bäcker, Langnau-Gattikon (Zürich).

(Übertretung des Bundesratsbeschlusses betreffend das Verbot de» Verkaufs von frischem Brot vom 18. Juni 1917.)

a. Auf Beschwerde der Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau sind von der zweiten Abteilung des Obergerichts des Kantons Aargau in Authebung eines freisprechenden Urteils des Bezirksgerichts Bremgarten am 18. Januar 1918 verurteilt worden: Jakob Stierli, Hans Geissmann, Peter Geissmann, Johann Langenegger in Anwendung der Artikel 2 und 3 des Bundesratsbeschlusses vom 18. Juni 1917 je zu Fr. 40 Busse; Beda Seiler, Emil Spörri in Anwendung des Artikels 2. Josef Wirt des Artikels 3 desselben Bundesratsbeschlusses je zu Fr. 25 Busse.

Sämtliche stellen das gemeinsame Gesuch um gänzlichen Erlass der Bussen.

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Alle mit Ausnahme TOD Wirt haben unterlassen, das frisch erstellte Gebäck von dem am Vortage gebackenen sichtbar getrennt aufzubewahren, oder aber in den Verkaufsläden nur frühestens vorgestriges Gebäck zur Auslage zu bringen. Alle, ausgenommen Seiler und Spörri, haben keine Backkontrolle geführt.

Unter Berufung auf die bereits ergangenen in den Akten befindlichen Ausführungen wird im Begnadigungsgesuch hervorgehoben, die Gesuchsteller hätten sich bloss leicht entschuldbarer formeller Unterlassungen schuldig gemacht, ohne daraus einen Vorteil zu ziehen. Sie hätten in guten Treuen angenommen, neue Erlasse würden ihnen, wie dies früher mit dem Bundesratsbeschluss vom 2. Febrar 1917 geschehen sei, wiederum persönlich durch die kantonalen Behörden zugestellt. Eine amtliche Publikation der neuen Erlasse hätten sie nicht erfahren, was sie aber zufällig im Textteil von Zeitungen gelesen hätten, könne ihnen nicht entgegengehalten werden. Diese nichtamtlichen Berichte seien oft irreführend. Schliesslich wird bemängelt, dass den Gewerbetreibenden verübelt werde, sich derartige Berichte nicht zu Nutze gemacht zu haben, während sie anderseits doch verurteilt würden, wenn sie sich einmal auf unrichtige Mitteilungen verlassen hätten.

Dem gegenüber hat schon die zweite Abteilung des Obergerichts des Kantons Aargau festgestellt, keiner der Angeschuldigten wage zu behaupten, dass er an und für sich von den massgebenden Bestimmungen keine Kenntnis gehabt habe.

Mit dem aargauischon Obergericlit halten wir dafür, dass es gar nicht denkbar ist, ,,dass die bezüglichen Vorschriften, die in sozusagen allen Tagesblättern und auch in der Fachpresse sofort und eingehend wiedergegeben und erörtert wurden, gerade denjenigen entgangen sein sollten, die an ihnen in erster Linie interessiert waren". Richtig ist ferner, dass es übrigens darauf gar nicht ankäme ; .,denn an und für sich ist zu sagen, dass der Bundesratsbeschluss mit der Publikation im Bundesblatt bzw.

in der eidgenössischen Gesetzsammlung auf den darin vorgesehenen Zeitpunkt in Kraft tritt. Eine besondere Zustellung an dio Interessenten ist nirgends vorgesehen. Und wenn das beBüglich des Bundesratsbeschlusses vom 2. Februar geschehen war, so war das für die Frage der Rechtsverbindlichkeit den Einzelnen gegenüber ganz unerheblich, weil überflüssig. Es ist also
festzustellen, dass der in der eidgenössischen Gesetzsammlung in üblicher Form publizierte Bundesratsbeschluss vom 18. Juni 1917 allgemein verbindliche Kraft hatte.a

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Es ist gewiss zuzugeben, dass die gegenwärtigen Verhältnisse auch an die Gewerbetreibenden vermehrte Anforderungen stellen.

Es kann und muss jedoch verlangt werden, dass sie die in ihren Beruf einschlagenden Vorschriften beherrschen und befolgen.

Diese erhöhte Sorgfaltspflicht, die jedem Bürger und vorab den einzelnen Berufsständen zugemutet werden muss, rechtfertigt sich angesichts der wirtschaftlichen Lage unseres Staatswesens.

Besondere Verhältnisse, die zu einer Begnadigung fuhren könnten, liegen nicht vor, so dass wir Abweisung aller Gesuchc steller beantragen.

ft. Johann Signer, gewesener Bäcker in Mühlau, ist rom Bezirksgericht Muri am 11. Februar 1918 in Anwendung des Artikels l des Bundesratsbeschlusses vom 18. Juni 1917 verurteilt worden zu einer Busse von Fr. 40.

Er ersucht um Erlass derselben.

Signer hat den mehrfachen Verkauf von zu frischem Brot angegeben.

Im Begnadigungsgesuch wiederholt er, sich nach Möglichkeit an die ihm bekannten Vorschriften gehalten zu haben. Mühlau habe nur einen geringen Vertrieb aufgewiesen, da die Ortschaft regelmässig von den Bäckern der Umgebung versorgt werde.

Nun sei es etwa vorgekommen, dass letztere sich verspätet eingestellt hätten, so dass unerwartet Brot von ihm verlangt worden sei, wobei er aus Gefälligkeit verkauft habe, obschon er nur noch zu frisches Brot abgeben konnte. Ferner verweist der Gesuchsteller auf seine misslichen Verhältnisse.

Von Mühlau sei er fort, weil er nicht bestehen konnte. Als nunmehriger Bäcker des Konsumvereins Langnau-Gattikon verdiene er Fr. 150 monatlich. Laut amtlichem Bericht hat er hiervon jährlich Fr. 260 für seine Wohnung im Konsumvereinsgebäude in Abzug zu bringen. Signer ist geschieden, die zwei Kinder im Alter von & und 6 Jahren sind ihm zugesprochen.

Das Bezirksgericht Muri hat den örtlichen Verhältnissen des Brotvertriebes in Mühlau bereits Rechnung getragen. Immerhin lässt sich in Anbetracht der bestehenden Verumständungen und der durch den Bericht der Justizdirektion des Kantons Zürich bestätigten Verhältnisse Signers eine teilweise Begnadigung befürworten.

A n t r ä g e : Herabsetzung der Busse auf Fr. 15 bei Signer, Abweisung der übrigen Gesuchsteller.

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69. Ernst Rickli, geb. 1882, Gipser, Unter-Entfeldén (Aargau).

(Verfälschung einer Bundesakte und Geltendmachung derselben.)

Ernst Rickli wurde am 19. Dezember 1917 vom Obergericht des Kantons Solothurn in Anwendung der Artikel 61, B des Bundesgesetzes über das Bundesstrafrecht vom 4. Februar 1853 und kantonaler Rechtssätze schuldig erklärt der Fälschung einer Bundesakte, des Betruges und Betrugsversuches und verurteilt zu einer Gefängnisstrafe von 10 Tagen und Fr. 20 Busse.

Rickli hat 3 Tage abgesessen und ersucht im Wege der Begnadigung um Erlass der noch zu verbüssenden Freiheitsstrafe.

Die Bundesversammlung ist zuständig, da der ausgesprochenen Gesamtstrafe der eidgenössische Straftatbestand zugrunde liegt und die Verurteilung wegen Betrug und Betrugsversuch lediglick strafschärfend berücksichtigt wurde. (Zu vergleichen Kreisschreibea des Bundesrates vom 21. Mai 1909. Bundesblatt 1909, Band III, S. 708.)

Es ist unbestritten, dass Rickli am 14. Mai 1917 im S.B.B.Zug 2813 für die Fahrt Olten-Aarau als Ausweis ein Streckeaabonnement vorgewiesen hat, auf dem das Enddatum der Gültigkeitsdauer vom 1. Mai in 31. Mai 1917 abgeändert worden war.

Der Gesuchsteller bringt an, er sei Arbeiter, in ärmlichen Verhältnissen und Vater von 10 unerzogenen Kindern. Ferner wird ausgeführt, das solothurnische Obergericht hätte ihm den bedingten Straferlass gewährt, wenn dies auf dem Boden des eidgenössischen Rechts nicht ausgeschlossen wäre. Nach Vorlebe« und Eigenschaften, nach Motiven und Umständen des Delikts wäre der Verurteilte dieser Wohltat würdig gewesen.

Die Strafakten und die dem Gesuch beigelegten Ausweise ergeben die Richtigkeit dieser Angaben. Angesichts der Tatsache, dass der Verurteilte bereits 3 Tage seiner Freiheitsstrafe verbüsat hat, seiner schweren Familienlasten und der übrigen ihm nicht ungünstigen Verumständungen kann der Erlass der noch zu erstehenden Freiheitsstrafe befürwortet werden.

A n t r a g : -Erlass der Freiheitsstrafe.

70. Leonz Widler, geb. 1876, Jonen (Aargau).

(Obsthandel ohne Bewilligung.)

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Leonz Widler wurde vom Bezirksgericht Bremgarten am 20. Oktober 1917 in Anwendung des Artikels 7 des Bundesratsbeschlusses betrefifend die Obstversorgung des Landes vom 6. Oktober 1916 und Artikel l der zudienenden Verfügung des Volkswirtsohaftsdepartementes vom 18. August 1917 verurteilt au Fr. 50 Busse.

Widler ersucht um gänzlichen Erlass oder doch Herabsetzung auf Fr. 20..

Es ist nicht bestritten, dass der Gesuchsteller den Obsthandel betrieben hat, ohne im Besitz der erforderlichen Bewilligung zu sein.

Das Gesuch führt aus, Widler betreibe den Obsthandel seit bereits 20 Jahren, ohne je Anstände gehabt zu haben. Die ausserordentlichen Erlasse seien ihm unbekannt gewesen. Ferner wird angebracht, der Verurteilte sei das Haupt einer zahlreichen Familie und die Busse treffe ihn deshalb besonders empfindlich.

Schliesslich wird behauptet, die Gesetzesübertretung sei mit Fr. 20 noch hoch genug geahndet.

Hierzu muss vorab gesagt werden, dass Gesetzesunkenntnis den Verurteilten nicht entschuldigt. Überdies muss von einem Händler, der seit vielen Jahren seinen Beruf ausübt, ohne weiteres verlangt werden, dass er die notwendig gewordenen Einschränkungen kennt und beobachtet.

Unter diesem Gesichtspunkt und da Widler längere Zeit ohne Bewilligung gehandelt hat, wäre selbst eine bloss teilweise Herabsetzung der nicht übermässigen Busse unangebracht.

A n t r a g : Abweisung.

71. Afred Müller, geb. 1870, Landwirt und Händler, Wettingen (Aargau).

(Widerhandlung gegen den Bundesratsbeschluss betreffend den Verkehr mit Vieh, vom 13. April 1917.)

Alfred Müller ist vom Bezirksgericht Baden am 19. Februar 1918 in Anwendung des Artikels 14 des genannten Bundesratsbeschlusses verurteilt worden zu Fr. 100 Busse.

Müller, der um gänzlichen Erlass der Busse ersucht, hat in zwei Fällen mit Vieh gehandelt, ohne im Besitz der für den Viehhandel, die Vermittlung Inbegriffen, erforderlichen Bewilligung zu sein.

Den einen Fall betrefiend bringt der Gesuchsteller an, er habe für einen Metzger eingekauft und sei von diesem hierzu

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ausdrücklich bevollmächtigt worden. Damit glaubt Müller, sich rechtfertigen zu können. Ferner macht er Torhandene Armut geltend.

Das Schweizerische Veterinäramt, welchem das Gesuch übermittelt wurde, legt eine Verfügung zu den Akten, die zu' gegebener Zeit sämtlichen Metzgern mit interkantonalen Bewilligungen BUgestellt worden ist, und die darauf hinweist, dass sich die Metzger beim Einkauf in der Regel durch Drittpersonen nicht vertreten lassen dürfen. In ausnahmsweisen Verhinderungsfällen ist ihnen einzig gestattet, im eigenen Geschäft mitarbeitende Familienangehörige oder ebensolche Angestellte einkaufen zu lassen.

Müller, der als Händler diese Bestimmungen kennen musste, ist überdies wegen verbotenen Viehhandels mit einer Busse von Fr. 20 vorbestraft. Angesichts des vorhandenen Rückfalles erscheint die Busse als angemessen, so dass wir entsprechend der Vernehmlassung des Veterinäramtes eine Begnadigung nicht befürworten können.

A n t r a g : Abweisung des Gesuchstellers.

72. Hermann Düscher,geb. 1885, Landwirt,Cortaillod (Neuenburg) ; 73. Alfred Hänni, geb. 1880, Schmied, Köniz (Bern).

(Nichtentrichtung des Militärpflichtersatzes.)

Wegen schuldhafter Nichtentrichtung des Militärpflichtersatzes sind in Anwendung des Bundesgesetzes betreffend Ergänzung des Bundesgesetzes über den Militärpflichtersatz vom 29. März 1901 verurteilt worden : a. Hermann Düscher, vom Tribunal de Police du District de Boudry, am 2. Februar 1918, zu 10 Tagen Gefängnis, die Ersatzabgabe von Fr. 48 für 1917 betreffend; 6. Alfred Hänni, vom Gerichtspräsidenten IV von Bern, am 4. März 1918, korrektionncll zu 3 Tagen Gefängnis und 6 Monaten Wirtshausverbot, die Ersatzabgabe von Fr. 5. 25 für 1917 betreffend.

Düscher ersucht um Erlass der Freiheitsstrafe, Hänni überdies um Erlass des Wirtshausverbotes.

Zu a. Hermann Düscher bringt in seinem Gesuch an, es sei ihm angesichts seiner Familienlasten unmöglich, die Ersatzabgabe aufzubringen. Die Erstehung der 10 Tage Haft würde

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seine Familie in eine verhängnisvolle Lage versetzen. In den Akten befindet sich eine Bescheinigung der Gemeinde Cortaillod und des Ortspfarrers, aus welcher hervorgeht, dass Düscher durch den Armenfonds der Kirchgemeinde Cortaillod unterstützt wird, Die von den Behörden des Kantons Neuenburg eingeholte Vernehmlassung bestätigt, dass Düscher sich in misslichen Verhältnissen befindet. Er arbeitet zurzeit in einer Sägerei, verdient im Taglohn Fr. 6 und ist Vater von sechs minderjährigen Kindern.

Derselbe Bericht weist aber mit Nachdruck daraufhin, dase Düscher sich im ganzen Verfahren äusserst lassig benommen hat, indem er sich nicht bemüssigt fühlte, das geringste beizutragen, um seine Verhältnisse aufzuklären. Die verschiedenen Mahnungen liess er unbeantwortet, an der Hauptverhandlung blieb er aus.

In Würdigung dieser Umstände halten wir dafür, es sei lediglich ein teilweiser Erlass vorzunehmen, da eine Haftstrafe von 3 Tagen als gerechtfertigt erscheint.

Zu b. Wie sich aus den Begnadigungsakten ergibt, hat Hänni den geschuldeten Betrag vor der Urteilsfällung entrichtet.

Die Verurteilung erfolgte in Unkenntnis der Bezahlung. Nach ständiger Übung kann die Begnadigung ohne weiteres beantragt werden.

A n t r ä g e : Herabsetzung der Gefängnistrafe auf drei Tage bei Düscher, gänzliche Begnadigung bei Hänni.

74. Léon Castella, geb. 1869, Landwirt, Vuadens (Freiburg).

(Milchfälschung.)

Léon Castella ist vom Tribunal correctionnel de la Gruyère am 29. Dezember 1917 in Anwendung des Artikels 36 des Bundesgesetzes betreffend den Verkehr mit Lebensmitteln und Gebrauchsgegenständen vom 8. Dezember 1905 verurteilt worden zu Fr. 100 Busse. Von der Cour de Cassation du Canton d» Fribourg wurde er im Rechtsmittelverfahren abgewiesen.

Castella ersucht um gänzlichen Erlass der Busse.

Anlässlich der Erhebung von Milchproben in der Käserei du Maupas in Vuadens ergab sich, dass die vom Sohn des Léon Castella in die Käserei gebrachte Milch verwässert war.

Der Gesuchsteller will sich durch die nämlichen Anbringen entlasten wie im gerichtlichen Verfahren.

32 Sein damals noch nicht fünfzehnjähriger Sohn soll an jenem Morgen irrtümlicherweise annähernd einen Liter Wasser in die Milchbrente gegossen haben, statt in den daneben stehenden Eimer, aus dem er seine Zicke zu tränken pflegte. Das Versehen des Knaben, der geeilt habe, um zum Markte aufzubrechen, sei entschuldbar. Sobald der Gesuchsteller vom Knaben unterrichtet worden sei, habe er in der Käserei einen entsprechenden Gewichtsabzug veranlasst. Auf diese Weise sei niemand geschädigt worden, da die Milch nicht für den Konsum bestimmt gewesen sei.

Ferner macht Castella geltend, er habe 7 Kinder, seine Frau liege schwer krank darnieder, sein Grundeigentum sei stark verschuldet, selbst an seinem Viehstand sei ein Pfandrecht bestellt und überdies habe er noch Unglück im Stalle gehabt.

Ein Schreiben der Käsereigenossenschaft du Maupas und ein Leumundszeugnis des Gemeinderates von Vuadens versichern die bisherige Unbescholtenheit der Familie Castella.

Die angerufene kantonale Rechtsmittelinstanz hat erkannt, in der Würdigung der Tatbestandsfragen durch das korrektioneile Gericht de la Gruyère keine Gesetzesvcrletzung erblicken zu können, da dasselbe sein Recht der freien Beweiswilrdigung nicht missbraucht habe.

Anschliessend ist zu sagen, dass die Bundesversammlung ale Begnadigungsbehörde auf diesen Entlastungsversuch nicht eintreten kann. Anderseits bleibt zu entscheiden, ob ausgehend ron den vorhandenen Verhältnissen des Verurteilten eine Begnadigung angebracht sei. Diesbezüglich muss erneut betont werden, dase gerade die gegenwärtige Lage unseres Landes erheischt, dass die in Betracht kommenden Lebensmittelpolizeivorschriften sorgfältig gehandhabt werden.

Der Umstand, dass fortwährend Verurteilungen wegen Milchverwässerungen erfolgen müssen, sollte unseres Erachtens auch der Begnadigungsbehörde eine gewisse Zurückhaltung auferlegen.

Unter diesen Gesichtspunkten gelangen wir dazu, Ihnen trotz den Verhältnissen, wie sie der Gesuchsteller schildert, die Abweisung desselben zu beantragen.

A n t r a g : Abweisung.

75. Hans Pauli, geb. 1890, Landwirt, Ochlenberg (Bern).

(Übertretung von Artikel 213 der Militärorganisation.)

Pauli war vom Polizeirichter von Wangen von der Anschuldigung der Zuwiderhandlung gegen Artikel 213 der Militär-

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organisation vom 12. April 1907 freigesprochen worden. Gegen diesen Entscheid erklärte das schweizerische Justiz- und Polizeidepartement die Berufung an die erste Strafkammer des bernischen Obergerichts, welche Pauli am 16. Mai 1917 in Anwendung des Artikels 213 Militärorganisation verurteilte zu Fr. 100 Busse.

Pauli hat diese Busse bezahlt und ersucht mit Zuschriften vom 2. Juli und 1. November 1917 um Begnadigung in dem Sinne, dass ihm der Betrag von Fr. 100 von der eidgenössischen Staatskasse zurückerstattet werden solle. Das Gesuch kann erst jetzt behandelt werden, weil die betreffenden Strafakten in einer im Zusammenhang stehenden Strafsache verwendet wurden.

Pauli ist von der ersten Strafkammer verurteilt worden in Übereinstimmung mit dem Entscheid des Bundesgerichtes (Kassationshof) i- S- Emil Weill (A. S. 42, I Nr. 52).

Pauli hat sich durch Verkauf eines Pferdes des Besitzes «ntäussert und hat fahrlässigerweise die Erlaubnis der eidgenössischen Militärbehörden nicht eingeholt.

Das Gesuch macht geltend, die Vorschriften betreffend Pikettpferde seien im Juni 1915 noch nicht genau umschrieben gewesen und es habe damals die Meinung vorgeherrscht, noch nie gestellte und ungebrannte Pferde seien nicht als Pikettpferde zu betrachten.

Eine absichtliche Gesetzesübertretung sei nicht vorhanden. Ferner führt der Gesuchsteller an, er bewirtschafte mit seinen Geschwistern das Bauerngut seiner Mutter; seine Verhältnisse seien wenig erfreuliche. Sehliesslich wird gesagt, drei Brüder seien auszugspflichtig und brächten dadurch grosse persönliche Opfer.

Der Pferdestellungsoffizier Wangen a/A. empfiehlt das Gesuch.

Dem gegenüber stellen wir den Antrag die Begnadigungsbebörde möge sich unzuständig erkären, auf das Gesuch einzutreten. Die Busse von Fr. 100 ist bezahlt. Sobald aber ein Strafvollstreckungsanspruch ni.eht mehr vorhanden ist, erweist sich aus allgemeinen Grundsätzen über das Wesen der Begnadigung ein Gesuch als gegenstandslos, da in der Tat keine Straffolgen mehr zu beseitigen sind. Schon mit Rücksicht auf eine denkbare Verallgemeinerung derartiger Gesuchsanträge halten wir in Überprüfung der Frage dafür, es sollte auch dann, wenn einzig Geldbussen gesprochen worden sind, an der Regel festgehalten werden. Grundsätzlich erscheint uns aber nicht angängig, dass die Begnadigungsbehörde einen getilgten Strafvollstreckungsanspruch wieder aufleben lasse, um ihn im Begnadigungswege erneut zu. behandeln.

Bundesblatt. 70. Jahrg. Bd. III.

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Sollte trotzdem auf das Gesuch eingetreten werden, so beantragen wir in Anbetracht der Wichtigkeit der betreffenden Vorschriften für die Mobilisationsbereitschaft Abweisung des Gesuchetellers. Mit Rücksicht auf die besondern Einzelheiten des Straffalles ist bereits das Mindestmass der Busse gesprochen worden, und die Verhältnisse des Gesuchstellers sind nicht derart misslich, dass sie eine Begnadigung nahe legen.

A n t r ä g e : Nichteintreten oder Abweisung.

76. Gustav Altermatt, geb. 1880, Wegmacher, Buren (Solothurn).

(Holzversorgung.)

Altermatt ist vom Amtsgericht Dorneck - Thierstein am 27. März 1918 in Anwendung der Ziffern 11 und 14 des solothurnischen Regierungsratsbeschlusses vom, 17. August 1917, ergangen in Ausführung des Bundesratsbeschlusses betreffend die Versorgung des Landes mit Brennholz vom 14. Juli 1917 und der zudienenden Departementsverfügung vom 30. Juli 1917, verurteilt worden zu Fr. 20 Busse.

Die genannte Ziffer 11 wiederholt Artikel 7 der Verfügung des Schweizerischen Departements des Innern vom 30. Juli 1917 und verlangt für den Holztransport eine schriftliche Bewilligung.

Altermatt, der um gänzlichen Erlass der Busse ersucht, wurde verurteilt, weil er Holz nach Basel verkaufte, ohne sich die vorgeschriebene Transportbewilligung zu verschaffen.

Der Gesuchsteller bringt lediglich an, im letzten Sommer habe eine Kuh verworfen und führt dies auf die ungünstige Nachbarschaft von einquartierten Militärpferden zurück, welche die Kuh erschreckt haben sollen. Derart sei ihm ein grosser Schaden entstanden, während dem er für die Einquartierung selbst keinen Rappen erhalten habe.

Wir beantragen namentlich angesichts der nicht übermässigen Ordnungsbusse Abweisung mangels genügender Begründung.

A n t r a g : Abweisung.

77. Fritz Frey, geb. 1877, Müller, Dürrenroth (Bern); 78. Rudolf Kunz, geb. 1871, Müller, Moinisberg (Bern).

(Übertretung der Mahlvorschdften.)

Gestützt auf den Bundesratsbeschluss über die Verwendung und Vermahlung von Brotgetreide und über die Vorwendung und

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den Verkauf der Mahlprodukte vom 29. Mai 1917 sind verurteilt worden : a. Fritz Frey, vom korrektionellen Einzelrichter von Trachselwald, am 13. November 1917, in Anwendung der Artikel 3, 14 und 15, Alinea l, zu einer Busse von Fr. 100 ; b. Rudolf Kunz, vom Polizeirichter von Buren, am 30. November 1917, in Anwendung der Artikel 3 und 14, zu einer Busse von Fr. 100.

Frei und Kunz, die beide um Erlass der Busse ersuchen, sind geständig, Mehl hergestellt zu haben, das dem Bundestypmuster nicht entsprach.

Zu a. Frej bringt in seinem Gesuch an, er sei ohne Vermögen und habe als Müllereipächter einen hohen Zins aufzubringen. Seit Einführung der Brotkarten seien die Mahlaufträge fühlbar zurückgegangen. Er habe für 6 Kinder zu sorgen, von denen das älteste erst elfjährig sei. Mit der Landwehr müsse er jeweils längern Grenzdienst leisten ; allerdings beziehe seine Familie inzwischen die Wehrmannsunterstützung und sei ausserdem berechtigt zum Bezug von Brot zu herabgesetztem Preise.

Die Übertretung der Mahlvorschriften sei nicht auf Widersetzlichkeit zurückzuführen ; eine Begnadigung würde ihn angesichts seiner Lage zu grossem Dank verpflichten.

Die Fürsorgestelle Dürrenroth bestätigt die Angaben und empfiehlt das Begnadigungsgesuch angesichts der Familienlasten des Gesuchstellers und seines Fleisses. Auch der Regierungsßtatthalter von Trachselwald befürwortet das Gesuch mit Rücksicht auf die Dürftigkeit des Frey.

Es ist lediglich zu prüfen, ob und in welchem Umfang die Verhältnisse des Gesuchstellers im Begnadigungswege zu berücksichtigen sind. Dabei darf die Wichtigkeit der Mahlvorschriften für die Brotversorgung des Landes nicht ausser Acht gelassen werden. In Anbetracht unserer wirtschaftlichen Lage muss vom Müller in seiner Berufsausübung eine erhöhte Sorgfaltspflicht verlangt werden. Wir halten deshalb dafür, es sollte trotz den bestehenden, besondern Verumständungen nicht eine gänzliche Begnadigung ausgesprochen werden, dagegen beantragen wir Herabsetzung der Busse auf Fr. 40.

Zu b. Kunz führt in seinem Gesuche aus, er habe für die 2 Jahre früher gekaufte Kundenmühle Meinisberg im Jahre 1914 bei Fr. 4000 aufgewendet, um sie wieder instand zu stellen.

Damals hätte er nicht vorausgesehen, dass verschärfte Mahlvor-

36 Schriften nötig werden könnten. Die Bezahlung der Busse sei ihm infolge seiner wirtschaftlichen Verhältnisse, des geringen Verdienstes und seiner Vermögenslosigkeit nicht möglich.

Der Regierungsstatthalter von Buren beantragt Erlass der Hälfte der Busse mit Rücksicht auf die missliche Lage des Gesuchstellers. Ausgehend von den gleichen Überlegungen wie in der Begnadigungssache Frey9 und in der Meinung, dass die Verhältnisse bei Kunz nicht derart bedenklich seien, schliessen wir auf Abweisung des Gesuchstellers.

A n t r ä g e : Herabsetzung der Busse auf Fr. 40 bei Frey, Abweisung bei Kunz.

79. Victor Michaud, geb. 1862, Händler (Genf).

(Überschreiten von Höchstpreisen.)

Victor Michaud ist vom Tribunal de Police von Genf am 5. April 1917 gestützt auf die damals geltenden eidgenössischen und kantonalen Erlasse über Kartoffelhöchstpreise, namentlich die Verfügung des schweizerischen Volkswirtschaftsdepartementes betreffend Kartoffelhöchstpreise vom 15. September 1916 verurteilt worden zu Fr. 500 Busse.

Michaud bringt an, Fr. 330 bezahlt zu haben und ersucht um Erlass der noch zu leistenden Fr. 170.

Er hat den Kartoffelhandel getrieben ohne die (in Genf) erforderliche Handelsbewilligung zu besitzen ; dabei hat er die Kartoffelhöchstpreise in fortgesetzter und gröblicher Weise überschritten.

Der Gesuchsteller macht geltend, er habe im Verhältnis zu den Ankaufspreisen mit geringem Gewinn an eine feste Kundschaft verkauft. Er sei nunmehr arbeitslos und habe einen Sohn im Spital.

Die Gesamtstrafe wurde erkannt in Anbetracht der ausserordentlichen Höchstpreisüberschreitungen, des eigenmächtigen Verhaltens Michauds, der auf dem ungesetzlichen Handel beharrte, und des vorhandenen Rückfalles.

Die Machenschaften des Gesuchstellers müssen in der Tat scharf verurteilt werden, und wir sehen uns nicht veranlasst, eine Begnadigung zu empfehlen.

A n t r a g : Abweisung.

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80. Charles Coullery, geb. 1869, Uhrenmacher, Fontenais (Bern).

(Jagdfrevel.)

Charles Coullery ist vom Gerichtspräsidenten von Pruntrut am 27. Oktober 1916 in Anwendung der Artikel 6 lit. b und 21, Ziffer 2 des Bundesgesetzes über Jagd und Vogelschutz vom 24. Juni 1904 verurteilt worden zu Fr. 300 Busse.

Coullery, der wie sich aus den Akten ergibt, Fr. 180 bezahlt hat, ersucht um Erlass der verbleibenden Fr. 120.

Coullery wurde mit einem andern verurteilt wegen Anbringens von Fangvorrichtungen (Schlingen).

Der Gesuchsteller beruft sich hinsichtlich seiner persönlichen Verhältnisse auf den Regierungsstatthalter von Pruntrut, der in seiner Vernehmlassung .ohne Begründung den Erlass von Fr. 100 befürwortet. Die Forstdirektion des Kantons Bern beantragt dagegen Abweisung des Gesuches und führt aus, das Fallen- und Schlingenlegen gehöre zu den gemeinsten Mitteln, deren sich ein Jagdfrevler bedienen könne. Es werde selbst von der Mehrzahl der Frevler verpönt. Sowohl die erkannte Grausamkeit, wie der Umstand, dass man derartige Gesellen nur in den seltensten Fällen ertappen könne, verlange eine unnachsichtliche Bestrafung.

'Dies ist in der Tat auch die Meinung des eidgenössischen Gesetzgebers (zu vergleichen Artikel 6 lit. b und 19 des Jagdgesetzes). Der Artikel 21, Ziffer 2 kennt Fr. 300 als Mindestbusse. In Übereinstimmung mit der kantonalen Aufsichtsbehörde beantragen wir, den Gesuchsteller abzuweisen.

A n t r a g : Abweisung.

Genehmigen Sie die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

B e r n , den 17. Mai 1918.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: Calonder.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Schatzmann.

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II. Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über Begnadigungsgesuche (Sommersession 1918). (Vom 17. Mai 1918.)

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