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Schweizerisches Bundesblatt mit schweizerischer Gesetzsammlung,

70. Jahrgang.

Bern, den 29. November 1918.

Band V.

Erscheint wöchentlich. Preis 12 Franken im Jahr, 6 Franken im Halbjahr, zuzüglich ,,Nachnahme- and Postbestellungsgebühr".

Einrückungsgebühr : lì Rappen die Zeile oder deren Raum. -- Anzeigen franko an die Buchdruckerei Stämpfli & de. in Bern.

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Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die Wahl des Nationalrates nach dem Grundsatze der Proportionalität.

(Vom 26. November 1918.)

Das Volksbegehren für die Proportional wähl des Nationalrates vom Jahre 1913 ist in der Abstimmung vom 13. Oktober 1918 mit 299,550 Ja gegen 149,036 Nein und mit 19l/2 annehmenden gegen 2*/2 verwerfenden Standesstimmen angenommen worden. Der bisherige Art. 73 der Bundesverfassung, welcher lautete: ,,Die Wahlen in den Nationalrat sind direkte. Sie finden in eidgenössischen Wahlkreisen statt, welche jedoch nicht aus Teilen verschiedener Kantone gebildet werden können", wurde gemäss dem formulierten Initiativbegehren aufgehoben und durch folgende Bestimmung ersetzt: ,,Art. .73. D i e W a h l e n i n d e n N a t i o n a l r a t s i n d direkte.

Sie finden nach dem Grundsatze der Proportion a l i t ä t statt, w o b e i j e d e r K a n t o n u n d j e d e r H a l b k a n t o n einen Wahlkreis bildet.

Die Bundesgesetzgebung trifft über die Ausführ u n g d i e s e s Gr u n d s a t z e s d i e n ä h e r n Bestimmungen."

Diese Verfassungsänderung ruft einem Ausführungsgesetz. Wir beehren uns, Ihnen heute den Entwurf eines solchen Gesetzes vorzulegen, der aus den Beratungen einer vom Politischen Departement einberufenen Expertenkommission hervorgegangen ist.

Der neue Art. 73 ändert das bisher geltende Bundesrecht in zwei Punkten. In erster Linie ersetzt er das zwar nicht durch die Verfassung, jedoch durch das Bundesgesetz betreffend die eidgenössischen Wahlen und Abstimmungen für die Nationalratswahlen vorgeschriebene Mehrheitssystem durch das Verhältniswahl verfahren.

Sodann bringt er eine neue Lösung der Wahlkreisfrage. Nach Bundesblatt. 70. Jahrg. Bd. V.

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dem frühern Art. 73 wurden die Nationalratswahlkreise durch Bundesgesetz bestimmt. Als einzige, wichtige Schranke galt, dass kein Wahlkreis aus Teilen verschiedener Kantone oder Halbkantone bestehen dürfe. Der neue Verfassungsartikel setzt die Wahlkreise endgültig fest, indem er die Kantone und Halbkantone als solche bezeichnet. Die bisher zulässige Zerlegung einzelner Kantone in zwei oder mehrere Wahlkreise ist damit beseitigt.

Bei dem zu erlassenden Ausführungsgesetze handelt es sich nur um die technische Regelung des Proportionalwahlverfahrens, da die Wahlkreisfrage im Verfassungsvtrtikel gelöst ist und es sich unseres Erachtens nicht empfiehlt andere Fragen, die nicht unmittelbar zum Verhältniswahlverfahren gehören, wie z. B. die Frage der Einführung des Stimmzwanges, in derselben Vorlage gleichzeitig zu lösen. Die Aufgabe bietet keine besonderen Schwierigkeiten. Zwar gibt es bekanntlich verschiedene Verhältniswahlsysteme. Allein es ist ohne weiteres gegeben, dass das System der Listenkonkurreoz, d«s sich in allen 13 Kantonen und Halbkantonen, in welchen die Verhältniswahl Anwendung findet, eiagebürgert und sich wegen seiner Anpassung an die Wahlgcwohnheiten der Bürger bewährt hat, auch für die Verhältniswahl des Nationalratos angenommen werde. Es gibt nun freilich unter den VerhäUniswahlgesetzen der Kantone wiederum Unterschiede, deren wichtigster durch die Streitfrage ,,Einzelstimmt'nkonkurrenz oder Listenstimmenkonkurrenz"1 gekennzeichnet wird. Es ist bei jeder einzelnen Frage nach grundsätzlichen Gesichtspunkten, besonders auch unter Berücksichtigung der praktischen Erfahrungen und des Geltungsbereiches der verschiedenen ^Systeme" der Entscheid zu treffen, ob diese oder jene Lösung vorzuziehen sei. Dabei lässt sich nicht vermeiden, dass in jedem Proporzkanton das für die Nalionalratswahlen festgesetzte Wahlverfahren von dem für die kantonalen oder kommunalen Wahlen geltenden abweicht. Die Abweichungen werden aber in keinem Falle so gross sein, dass sie zu einer Verwirrung der Wähler führen würden. Bewährt sich das für die Wahlen in den Nationalrat festgesetzte Verfahren, so werden zum mindesten diejenigen Kantone, bei denen die Einführung der Verhältniswahl erst noch zu erwarten ist, ihr Verfahren dem eidgenössischen möglichst anpassen.

Die bisherigen Bestimmungen über die Nationalratswahlen
finden sich im Bundesgesetz über die eidgenössischen Wahlen und Abstimmungen vom 19. Juni 1872 unter Abschnitt ,,B. Besondere Bestimmungen über die Nationalratswahlena. Die meisten dieser Bestimmungen sind durch diejenigen über die proportionale Wahl des Nationalrates zu ersetzen.

Da das ganze Gesetz revisionsbedüftig ist, läge der Gedanke nahe, es bei dieser Gelegenheit durch ein neues zu ersetzen. Die nähere Prüfung ergab jedoch, dass bei einem solchen Vorgehen die Vorlage eine starke Verzögerung erfahren würde. Bei der ' Revision wären, abgesehen von der Frage der Einführung des Stimmzwangs, eine Reihe wichtiger Fragen, wie z. B. die Frage

123 des Stimmdomizils, die Neuordnung der Anfechtung von Wahlen und Abstimmungen und der Strafbestimmungen, sowie die Vereinigung dieses Gesetzes mit dem Bundesgesetze betreffend Volksabstimmung über Bundesgesetze und Bundesbeschlüsse vom 17. Juni 1874 genauer zu prüfen, was geraume Zeit erfordern würde. Es empfiehlt sich daher, ein besonderes Gesetz über die Wahl des Nationalrates nach dem Grundsatze der Proportionalität zu erlassen und die Gesamtrevision des Gesetzes von 1872 auf später zu verschieben. Bei letzterer können alsdann die verschiedeneu Gesetzestexte über Wahlen und Abstimmungen miteinander vereinigt werden.

Was den Stimmzwang betrifft, so sind die Kantone, wo derselbe bisher für die Nationalratswahlen in Geltung war, ohne weiteres zu dessen Beibehaltung berechtigt. Sollten Sie der Ansicht sein, dass aus Anlass der gegenwärtigen Gesetzesvorlage der Stimmzwang allgemein einzuführen sei, so würden wir Ihnen einen entsprechenden Text vorlegen.

Das Bundesgesetz betreffend die Nationalratswahlkreise vom 23. Juni 1911 ist durch die Verfassungsbestimmung, dass jeder Kanton und jeder Halbkanton einen Wahlkreis bilde, hinfällig geworden und tritt auf den Zeitpunkt der ersten Erneuerungswahl des Nationalrates nach dem Vernältniswahlverfahren ausser Kraft.

. I.

Trotzdem die Wahlkreise durch die Verfassung festgesetzt sind, bedarf die W ah l k r ei s f r a g e iu zwei Richtungen einer Erörterung.

Die Wahlkreise sind entsprechend ihrer Bevölkerungszahl von sehr verschiedener Grosse. Unter Zugrundelegung der Wohnbevölkerung nach der Volkszählung vom Jahre 1910 ergeben sich folgende Kreise: Zahl der Vertreter ,, , , , ,,r ,hUirelse ,, .

Zahl clcr des Wahlkreises W« 1 ö (Uri, Obwalden, Nidwaiden, Zug, Appenzell I.-Rh.)

2 2 (Glarus, Schaffhnusen.)

3 2 (Schwyz, Appenzell A.-Hh.J 4 l (Basel-Land.)

6 3 (Solothurn, Graubünden, Wallis.)

7 4 (Freiburg, Basel-Stadt, Thurgau, Neuenburg.)

8 3 (Luzern, Tessin, Genf.)

12 l (Aargau.)

15 l (8t, Gallen.)

16 l (Waadt.)

25 l (Zürich.)

32 l (Bern.)

124 Von den 189 Nationalräten sind somit 5 in Einer-, 4 in Zweierund 6 in Dreierwahlkreisen zu wählen. Dass^der Grundsatz der verhältnismässigen Vertretung in den Einerkreisen nicht, und in den Zweier- und Dreierkreiseu nur in unbefriedigendem Umfange verwirklicht werden kann, ist offensichtlich. Diese Einengung erklärt sich aus dorn bundesstaatlichen Charakter der Schweiz, der die Initianlen veranlasste, .bei der Wahlkreiseiuteilung die Kantonsgrenzen wie bisher unberührt zu lassen.

Das Verhältniswahlverfahren lässt sich in allen Wahlkreisen anwenden, auch i n d e n W a h l k r e i s e n m i t e i n e m V e r t r e t e r . Im Einerkreis ist die vorläufige Verteilungszahl (Art. 17, Abs. l und 2) identisch mit dem absoluten Mehr und die herabgesetzte Verteilungszahl (Art. 17, Abs. 3 und 4) identisch mit dem relativen Mehr.

Die Anwendung des Verhältniswahl Verfahrens auf den Einerwahlkreis führt daher zum gleichen Ergebnis wie das Mehrheitssystem mit relativem Mehr im ersten Wahlgange. Verhältniswahlverfahren und Mehrheitssystem fallen somit im Einerwahlkreis zusammen. Deswegen kann man auch ohne Verletzung des in Art. 73 der Verfassung niedergelegten Grundsatzes im Eiuerwahlkreis von der Anwendung der für die ändern Wahlkreise geltenden formalen Bestimmungen über die Verhältniswahl absehen und sie durch das bisher übliche Mehrheitsvorfahren mit relativem Mehr ersetzen, wenn dies praktisch bequemer und zweckmässiger erscheint. In der Tat bedeuten hier die Einreichung von Wahlvorschlägen, deren Prüfung und Veröffentlichung und die Ausrechnung des Wahlergebnisses nach den Proportionalwahlbestimmungen eine Formalität, die füglich entbehrt werden kann. Es wird deshalb vorgeschlagen, für diese Wahlen das relative Mehr vorzuschreiben und die Anwendung der Bestimmungen über das proportionale Wahlverfahren auszuschliessen (Art. l, Abs. 3). Bei Ausscheiden eines Mitgliedes während der Arntsdauer hat in diesen Kreisen stets eine Ersatzwahl stattzufinden. Das wäre auch bei der Anwendung der Bestimmungen über das Verhältnis wähl verfahren der Fall, sofern man nicht die Wahl besonderer Ersatzmänner vorschreiben würde. Letzteres würde aber das Verfahren komplizieren. Auch erscheint in Kreisen, die durch einen einzigen Bürger im Nationalrat vertreten werden und wo Ersatzwahlen selten vorkommen, die Ersatzwahl
zweckmässiger.

In dem Kampf gegen die Verhältniswahl-Initiative ist die Formel ,,Ein Kanton, ein Wahlkreis", stark angefochten worden, weil vor allem in dem grossen, räumlich ausgedehnten Kanton Bern mit zwei Sprachgebieten neben dem Bedürfnis nach Verhältnismassiger Vertretung der Parteien auch ein solches nach Verhältnismassiger Vertretung der einzelnen Kantonsteile bestehe, für dessen Berücksichtigung bei Bezeichnung des ganzen Kantons als einzigen

125 Wahlkreises jede Gewähr fehle. Wurde auch diesem Einwand vielfach eine übertriebene Bedeutung beigemessen, so kann ihm docii eine Berechtigung nicht abgesprochen werden. Zwar wird jede Partei in ihrem eigenen luteresse bei der Aufstellung ihrer Kandidatenliste alle Kantonsteile angemessen zu berücksichtigen suchen, da sie sonst befürchten muss, dass einzelne regionale Gruppen mit eigenen Listen auf den Plan rücken und damit eine Stimmenzersplitterung bewirken. Trotzdem besteht namentlich dann, wenn die Stimmenhäufung nicht gestattet ist, keine Sicherheit dafür, dass diejenigen Kandidaten, die am meisten Stimmen erhalteu haben und gewählt sind, gerade eine befriedigende Vertretung der einzelnen Kantonsteile darstellen. Dem Bedenken lässt sich durch die Gestattung der L i s t e n v e r b i n d u n g oder Listenkoppelung Rechnung tragen. Dieses Verfahren ist schon im Jahre 1887 in Belgien in Vorschlag gebracht und von Hagenbach-Bischoff' irn Jahre 1896 in einem Nachtrag zu seinem im Jahre 1892 veröffentlichten Gutachten über die Anwendung der Proportionalvertretung bei den schweizerischen Nationalratswahlen (in welchem die Wahl des Nationalrates in der ganzen Schweiz als einzigem Wahlkreis vorgesehlagen war) empfohlen worden. Es besteht darin, dass den Parteien gestattet wird, sich für die Wahl in mehrere Gruppen zu teilen, bei der Verteilung der Sitze jedoch den ändern Parteien gegenüber als Einheit aufzutreten. Jede der Gruppen reicht eine eigene Kandidatenliste ein, alle aber gehen die Erklärung ab, dass sie miteinander verbunden seien. Die Sitze, welche die verbundenen Listen als Einheit auf Grund ihrer Gesamtstimmenzahl erhalten haben, werden na'chher unter die verbundenen Listen proportional verteilt. Es ist auch möglich, dass eine Listenverbiudung nicht nur zum Zwecke der Zusammenfassung örtlich getrennter Gruppen der gleichen Partei erfolgt, sondern auch zur Verbindung von Gruppen, die im wesentlichen die gleichen politischen Ziele haben, jedoch in untergeordneteren Fragen von einander abweichen. Über die Wünschbarkeit der Zulassung der Listenverbindung zu letzterem Zwecke sind die Meinungen geteilt, in Basel und in der Stadt Zürich sind in den letzten Jahren Vorschläge auf Listenverbindung, die angesichts der geringen territorialen Ausdehnung der dortigen Wahlkreise nur dem letzteren
Zwecke hätten dienen können, verworfen worden. Da bei den grossen eidgenössischen Wahlkreisen die Listenverbindung zwecks Zusammenfassung regionaler Gruppen der gleichen Partei einen willkommenen Übergang von den kleineren zu den grösseren Wahlkreisen bilden kann, wird sie im vorliegenden Gesetzesentwurf in Vorschlag gebracht (Art. 7, Art. 10 Absatz 4, Art. 15 Ziffer 4, Art. 21).

126 li.

Es ist bereits ausgeführt worden, dass für die Verhältniswahl des Nationalrates das System der sogenannten Listenkonkurrene gegeben ist, das von allen Proporzkantoneu und von allen europäischen Staaten, wo die Verhältniswahl eingeführt ist, angenommen wurde.

Den Gegensatz zu der Listenkonkurrenz bildet das von dem Engländer Thomas Hare begründete System der Einzelwahl mit eventueller Stimmenübertr«gung. Hier wird die Zahl der Wähler durch die Zahl der zu Wählenden (-f- 1) geteilt. Der Quotient ist die Stimmenzahl, die ein Kandidat haben muss, um gewählt zu sein.

Auf jedem Wahlzettel können so viele Namen verzeichnet werden, als Vertreter zu wählen sind. Die Wahlzettel werden -- in der Reihenfolge, wie sie dem Wahlvorsteher zufällig in die Hand kommen -- geöffnet. Der auf ihnen zuerst verzeichnete Name wird gezählt. Hat ein Kandidat die Wahlzahl erreicht, so ist er gewählt. Bei den nachfolgenden Wahlzetteln werden alsdann die auf ihn gefallenen Uberschiessenden Stimmen dem an zweiter Stelle verzeichneten Kandidaten zugerechnet usw. Dieses System ist für grössere Wahlkreise unpraktisch, weil die Wahlermittlung, bei der alle Wahlzcttel die gleiche Stelle zu passieren haben, viel zu zeitraubend wäre. Die Besonderheit, aber auch der Fehler dieses Systems besteht darin, dass eä das Vorhandensein von Parteien geflissentlich ignoriert und nur einzelne Wähler und ihre Kandidaten sehen will.

Aus technischen Gründen muss es jedoch in den Eventualstimmen etwas einführen, das im wesentlichen die Funktion der Liste beim System der Listenkonkurrenz auszuüben hat. Praktisch würde sich die Wahl so abspielen, dass die meisten Wähler die von ihrer Partei aufgestellte Liste unverändert in die Urne legten. Da jeder Wahlzettel in erster Linie zugunsten des an erster Slelle verzeichneten Kandidaten zu zählen ist, und eventuell zugunsten des zweiten usw., ist hier der Einfluss der Wahlkomitees auf die Wahl der Kandidaten grösser als beim System der Listenkonkurrenz, und es wäre denjenigen, die die Kandidaten in anderer Reihenfolge auf die Wnhlzettel schrieben, kaum je möglich, die Reihenfolge der offiziellen Parteiliste zu ändern. Die grössere Freiheit und Unabhängigkeit, die dieses System dem einzelnen Wähler einzuräumen scheint, ist daher in Wirklichkeit nicht vorhanden.

Die Systeme der Listenkonkurrenz
knüpfen an die auch in der Schweiz eingebürgerte Listenwahl an, bei der jeder Stimmberechtigte in der Regel für so viele Kandidaten stimmt, als Vertreter zu wählen sind.

Das Wesentliche der Listenkonkurrenz liegt darin, dass durch das Mittel der Listen das Anrecht der Parteien auf Vertretung unerkannt wird und das Wählen und die Wahlertnittlung je in

127 zwei Teile zerfallen: Das Wählen in ein Votum für eine Partei (Liste) und in ein Votum für Kandidaten, die Wahlermittlung in die Feststellung der Stärke der Parteien (Listen) und ihres Anspruches auf Vertretung und in die Feststellung der Stimmenzahlen der einzelnen Kandidaten jeder Partei.

Die Systeme der Listenkonkurrenz unterscheiden sich voneinander vor allem dadurch, dass die einen das Votum für die Partei (Liste) in den Vordergrund rücken, andere mehr die Wahl der Kandidaten.

Bei den Systemen, die den ersteren Weg einschlagen, muss jeder Wähler, der auf die politische Zusammensetzung der Volksvertretung einen Einfluss ausüben will, zunächst mittelst des Listentitels für eine Liste stimmen. Die Zahl der Listenstimmen ist für den Anspruch der Partei auf proportionale Vertretung massgebend.

In zweiter Linie folgt die Stimmabgabe für die Kandidaten. Diese Systeme kann man als Systeme der Listenstimmenkonkurrenz bezeichnen.

Im Gegensatz zu ihnen steht das System der Einzelstimmenkonkurrenz. Hier stimmen die Wähler vor allem für Kandidaten.

Jede für einen Kandidaten abgegebene Einzelstimme zählt aber zugleich als Stimme für diejenige Liste, auf welcher der Name des betreffenden Kandidaten steht. Stimmt ein Wähler für Kandidaten verschiedener Parteien, so hat er damit auch im gleichen Verhältnis seine Wahlkraft auf diese Parteien verteilt.

Das System der Lintenstimmenkonkurrenz ist von den Verhältniswahlgesetzen der Kantone Luzern, Zug, Solothurn, St. Gallen und Wallis, sowie von der Stadt Biel und einigen ändern bernischen Gemeinden angenommen worden.

Das System der Einzelstimme nkonkur r enz gilt in den Kantonen Zürich, Schwyz, Freiburg, Basel-Stadt, Tessin, Neuenburg und Genf, in der Stadt Bern und einigen ändern bernischen Gemeinden, sowie in der Stadt Chur. Es ist auch im Ausland stark verbreitet.

Wir geben dem System der E i n z e l s t i m m e n k o n k u r r e n z aus den nachstehend dargelegten Gründen den V o r z u g .

Besonders in denjenigen Gegenden, wo die Parteigegensätze weniger ausgesprochen in Erscheinung treten, würden die Bürger eine Vorschrift, nach welcher ein Stimmberechtigter sich für eine bestimmte Partei aussprechen muss und nur für die Kandidaten dieser Partei stimmen darf, als eine ungebührliche Beschränkung ihres freien Wahlrechtes empfinden. Mag man auch über die praktische Bedeutung der Forderung, dass der Bürger sich die Kandidaten, denen er seine Stimme geben will, aus den Vor-

1?8 geschlagenen aller Parteien solle auslesen dürfen, verschiedener Ansicht sein, so ist es doch geboten, ihr Rechnung zu tragen.

Damit ist die Wahl der Einzelslimmenkonkurrenz, die dem Wähler diese Freiheit in vollem Masse gewährt, gegeben. Nun gestatten freilich die auf dem System der Listenstimmenkonkurrenz beruhenden Gesetze von Zug, Solothurn und St. Gallen, sowie die Verordnung der Stadt Biel dem Wähler, auf dem Wahlzettel auch Namen von Kandidaten anderer Listen zu schieiben als derjenigen, für welche er seine Listenslimme abgegeben hat, zum Teil unter Beschränkung dieser Panachierbefugnis auf die Hälfte der Zahl der zu wählenden Vertreter. Aliein mit dem System der Listenstimmenkonkurrenz ist das Panachieren richligerweise nicht vereinbar, und es muss als folgerichtig bezeichnet werden, wenn die Gesetze von Luzern nnd Wallis das Panachieren verbieten. Es ist wohl zu beachten, dass bei diesem System der Wähler seine Wahlkraft ausschliesslich einer bestimmten Liste zuweisen muss. Hat er fOleine Partei seine Stimme abgegeben, so wird sein Stimmen für Kandidaten einer ändern Liste zu einer unbefugten Einmischung in die Rangordnung der Kandidaten einer Partei, zu deren Anspruch auf Vertretung er in keiner Weise beiträgt. Hat z. B. in einem Wahlkreise mit 10 Vertretern ein Wähler durch den Listentitel seine Stimme zugunsten der Partei A abgegeben, so handelt es sich für ihn in zweiter Linie darum, zu der Reihenfolge der Kandidaten dieser Liste Stellung zu nehmen. Da, wo die Stimmenhäufung verboten ist, kann er den einen Kandidaten nur dadurch zum Vorrang verhelfen, dass er die Namen der ändern auf dem Wahlzetiel streicht oder nicht hinsetzt. Streicht er in diesem Beispiel die Namen von 5 Kandidaten durch, so hat er sein Wahlrecht in vollem Masse ausgeübt, und es ist unbillig, wenn er die fünf freigewordenen Linien seines Wahlzettels durch fünf Namen von Kandidaten der Liste B ausfüllt und damit diesen einen Vorsprung vor den ändern Kandidaten der Liste B verschafft. Man hat dieses Hineiuregieren in die Liste einer ändern Partei mit Recht als ,,Gratispanachieren tt bezeichnet. Es besteht die Gefahr, dass diese Befugnis zu Wahlmanövern missbraucht wird, vor allem zum sogenannten ,,Köpfen11 der gegnerischen Liste, das darin besteht, dass man zugunsten der weniger bedeutenden Kandidaten panachiert,
damit die bedeutenderen, den Kopf der gegnerischen Liste bildenden, in der Stimmenzahl zurückbleiben und nicht gewählt werden. Es ist zuzugeben, dass solche Manöver in den betreffenden Kantonen bis jetzt fast nie vorgekommen sind. Aber ihre Möglichkeit besteht, und es fehlt eine Sicherheit dafür, dass von ihr in aufgeregten Zeiten nicht Gebrauch gemacht würde, Die Gefahr des Missbrauchs der Panaebierbefugnis zu unlauterin Manövern ist auch deswegen nicht gering zu schätzen, weil dio grossen Wählermassen streng nach Parteiparole stimmen und weil

129 daher eine verhältnisinässig kleine Gruppe imstande ist, die Reihenfolge der Kandidaten einer Liste zu beeinflussen.

Will man dem Wähler die Freiheit lassen, seine Kandidaten aus allen Vorschlagslisten frei auszuwählen, was wir befürworten, so ist die Wühl des Systems der Einzelkonkurrenz durchaus geboten. Weil hier das Panachieren nicht ,,gratis11 geschehen kann, sondern jede Stimme, die man einem Kandidaten der gegnerischeil Liste zuwendet, auch der letzteren zugute kommt, und der eigenen Partei verloren geht, fehlt der Anreiz zu unlauteren Manövern.

Bei diesem System wird aus ändern Gründen in manchen Kantonen gestattet, einem Kandidaten zwei oder dreimal zu stimmen; eine solche Stimmenhäufung trägt weiter zur Verhinderung des ,,Köpfens01 einer Liste bei.

Das System der Einzelstimmenkonkurreoz hat in der Schweiz ein fast doppelt so grosses Anwendungsgebiet als dasjenige der Listenstimmenkonkurrenz. Während seiner bald dreissigjährigen Anwendung haben sich nirgends Auswüchse gezeigt.

III.

Von den vorstehend erörterten Fragen abgesehen, dürfte der Entwurf zu grundsätzlichen Auseinandersetzungen wenig Anläse geben. Das vorgeschlagene Verfahren lehnt sich an das in den Kantonen und in den benachbarten deutschen Staaten geltende an.

Im e i n z e l n e n ist zur Erläuterung des Entwurfes folgendes zu bemerken : Art. 1. Die Gründe, die zur Aufnahme von Abs. 3 in diesen Artikel geführt haben, sind oben unter Ziffer I dargelegt worden.

Art. 3, Abs. 1. Bei der Bestimmung des Zeitpunktes, bis zu welchem die Wahl vorschlage einzureichen sind, ist, vom Wahltage rückwärts gehend, zu erwägen, welche Zeiträume die einzelnen Vorbereilungsarbeiten erfordern. Dem Vorschlag, die Wahlvorschläge bis zum drittletzten Montag vor dem Wahltage einzufordern, liegen folgende Überlegungen zugrunde : Da die Wahlverhandlung in vielen Kantonen, gestützt auf Art. l des Bundesgesetzes betreffend die Erleichterung der Ausübung des Stimmrechtes vom 30. März 1900, schon am Vorabend des Wahlsonutages beginnt, ist die in Art. 11 festgesetzte Frist für die Zustellung der Listen an die Stimmberechtigten (Freitag vor dem Wahltag) knapp berechnet und kann nicht verkürzt werden. Zur Bestimmung des Tages, an welchem die Wahlvorschläge endgültig bereinigt sein sollen, ist die Schätzung der Zahl der Arbeitstage erforderlich, die für den Druck der Listen, ihre Verpackung und Versendung an die Ortsbehörden und für die Verteilung der Listen an die Stimmberechtigten benötigt wird.

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Im Hinblick auf ausgedehnte Bergkautone mit bescheidenen Verkehrsverbindungen dürfte eine Schätzung auf 10 Arbeitstage, mit Einschluss des letzten Freitages vor dem Wahltag, nicht zu reichlich sein. Es ist daher als Termin für die endgültige Bereinigung der Listen der zweitletzte Montag vor dem Wahlsonntag festzusetzen (Art. 9, Abs. 4).

Für die Bereinigung der Wahl vorschlage (Art. 6--9) empfiehlt sich wiederum mit Rücksicht auf Kantone wie Graubünden die Einräumung von etwa 6 Arbeitstagen. Daraus folgt, dass die Wahlvorschläge bis spätestens den drittletzten Montag vor dem Wahltage einzureichen sind (Art. 3, Abs. 1), so dass zwischen der Einreichung der Wahlvorschläge und dem Wahltag ein Zeitraum von 20 Tagen liegt. Zum Vergleich sei angefühlt, dass in den Proporzkantonen die Vorschläge um die nachstehend angegebene Anzahl von Tagen vor dem Wahlsonntag einzureichen sind : Neuenburg 5, Schwyz 7, Genf 8, Basel-Stadt, Luzern und Tessin 10, Solothurn 13, 8t. Gallen und Zürich 20, Zug 21. Die Verschiedenheit der Verhältnisse macht es schwer, eine für alle Kantone passende einheitliche Regelung zu treffen. Durch Art. 26 wird daher den Kantonsregierungen das Recht eingeräumt, mit Genehmigung des Bundesrates die in den Artikeln 3 und 6--0 vorgeschriebenen Fristen zu verkürzen oder zu verlängern.

Art. 4. Es wird auf die Erläuterung zu Art. 13, Abs. 2, bezüglich der Stimmenhäufung verwiesen.

Die Kantone Tessin und Genf, welche wenige Grossratswahlkreise mit grösseren Vertreterzahlen haben, verlangen, dass eiu Wahlvorschlag die Namen von mindestens 4 oder 5 Kandidaten enthalten müsse. Damit soll der Einreichung von Vorschlägen, hinter -denen nur wenige Wähler stehen, vorgebeugt werden. In ändern Kantonen und Städten hat sich ein Bedürfnis nach einer solchen Bestimmung nicht gezeigt. Es darf deshalb davon abgesehen werden, eine ähnliche Bestimmung, die ohnehin nur für Wahlkreise mit einer grösseren Zahl von Vertretern Geltung haben könnte, in das Bundesgesetz aufzunehmen.

Art. 5. Die Unterzeichnung jedes Wahl Vorschlages durch eine gewisse Zahl von Stimmberechtigten bietet Gewähr dafür, dass nur ernst gemeinte Vorschläge eingereicht werden. In den Kantonen schwankt die geforderte Miudestzahl von Unterschriften zwischen 2 und 25. In den eidgenössischen Wahlkreisen darf die Zahl von 15 Unterschriften als
für diesen Zweck genügend erachtet werden. Durch die Forderung einer wesentlich grösseren Zahl würde in den kleineren Kantonen das freie Vorsehlagsreclit der Bürger unnötig eingeengt.

131 Art. 6 enthält das iu allen neueren Verhältniswahlgesetzen aufgestellte Verbot, dass ein Kandidat auf verschiedenen Listen des gleichen Wahlkreises figuriere. Diese Bestimmung ist gerechtfertigt, denn bei der Verhältniswahl sind gemeinsame Kandidaten kein Bedürfnis, überdies erschwert deren Zulassung eine klare und einwandfreie Venteilungsrechnung. Die Kantone Freiburg, Neuenburg und Genf lassen gemeinsame Kandidaturen zu, schreiben aber vor, dass der Kandidat vor der Wahl erklären müsse, welcher der Listen a l l e auf ihn fallenden Stimmen zugute kommen sollen.

Mangels einer Erklärung erfolgt im Kanton Neuenburg die Zuweisung aller Stimmen an die stärkste der beteiligten Listen.

Durch diese an sieh begreiflichen Bestimmungen wird den gemeinsamen Kandidaturen ihre praktische Bedeutung genommen. Eine Bestimmung, wonach es unzulässig wäre, dass ein Kandidat in verschiedenen Wahlkreisen sich vorschlagen lasse, ist im Entwurf nicht vorgesehen, da eine zwingende Notwendigkeit zu dieser weiteren Einschränkung nicht vorliegt.

Art. 7 gestattet die bereits erörterte Listenverbindung. Die Erklärung, dass zwei oder mehrere Listen verbunden seien, ist nicht schon im Zeitpunkt der Einreichung der Wahlvorschläge abzugeben, sondern erst auf den Zeitpunkt des Abschlusses ihrer Bereinigung. Den Parteien wird so ermöglicht, in voller Kenntnis nller eingereichten Wahlvorschläge sich über die Listenverbindung schlüssig zu machen.

In Art. 8 wird vorausgesetzt, dass die Namen der Kandidaten mit ihrem Wissen und Einverständnis auf die Wahl vorschlage gesetzt worden sind. Es wird daher nicht verlangt, dass den Wahlvorschlägen die schriftliche Zustimmung jedes Vorgeschlagenen zur Aufnahme ia den Wahlvorschlag beigelegt werde. Ebensowenig wird dem Kandidaten der ihn betreffende Wahlvorschlag zur Kenntnis gebracht. Nur dann, wenn ein Vorgeschlagener von sich aus fier Amtsstelle mitteilt, dass er eine Wahl ablehne, wird sein Name von Amtes wegen auf dem Wahlvorschlng gestrichen.

Die in den Art. 9 und 10 enthaltenen Bestimmungen über die weitere Bereinigung der Wahlvorschläge und Über die Unterscheidung der Listen bedürfen keiner Erläuterung.

Art. 11. In allen Proporzkantonen sind gedruckte Wahlzettel gestattet. Es ist gegeben, dass sie auch bei der Wahl des Nationalrates nach dem Verhältniswahlverfahren zugelassen
werden.

Dagegen lässt die Frage, ob nur amtlich hergestellte oder auch ausseramtliche Wahlzettel zugelassen werden sollen, verschiedenartige Lösungen zu.

Die Proporzkantone haben, zum Teil in Anlehnung an frühere Übung, verschiedene Wege eingeschlagen.

132 Die Kantone Zürich, Basel und Tessin lassen nur solche Wahlzettel zu, die von der Behörde jedem Stimmberechtigten zugestellt worden sind.

Die Kantone, welche nichtamtliche Wahlzettel zulassen, stellen den Stimmberechtigten nur den leeren Wahlzettel zu. Sie überlassen es den Parteien, den Wählern gedruckte Listen, mit denen diese in gleicher Weise stimmen können wie in den ersteren Kantonen, zuzustellen. Sie stellen solche höchstens in den Wahllokalen zur Verfügung. Um Missbräuchen vorzubeugen, wird in einigen Kantonen vorgeschrieben, dass die gedruckten Wahlzettei den eingereichten Listen entsprechen müssen, · oder dass sie nicht Kandidaten verschiedener Parteien enthalten dürfen.

Ob der eidgenössische Gesetzgeber dem Beispiel der einen oder der anderen Kantone folgen würde, so wäre es unvermeidlich, dass sich in einigen Kantonen eine unwillkommene Verschiedenheit zwischen der Stimmabgabe bei den eidgenössischen und derjenigen bei den kantonalen und kommunalen Verhältniswahlen ergeben würde.

Dieser Übelstand kann vermieden werden, wenn das Bundesgesetz es den Kantonen freistellt, den einen oder den ändern Weg zu beschreiten. Man kann dies unbedenklich tun, weil dadurch die Einheitlichkeit des für die Nationalratswahlen geltenden Verfahrens nicht spürbar gestört wird. Selbstverständlich darf in keinem Falle der Grundsatz der geheimen Wahl verletzt werden.

Sodann empfiehlt es sich, zur Verhütung von Missbräuchen vorzuschreiben, dass die nichtamtlichen gedruckten Wahlzettel den amtlich veröffentlichten Listen entsprechen müssen und dass nur handschriftliche Änderungen zulässig sind (Art. 13, Abs. 1).

Art. 13 und 14. Zum Verständnis der Bestimmungen von Art. 13, Abs. 2 und Art. 14, Abs. l, ist daran zu erinnern, dass aus den unter Ziffer II dargelegten Gründen das System der Einzelstimmenkonkurrenz gewählt worden ist, nach welchem bei der proportionalen Verteilung der Sitze unter die Listen grundsätzlich auf die Zahl der Stimmen abgestellt wird, welche die Kandidaten jeder Liste zusammen erhalten haben. Danach könnte man die Wähler wie beim Majoritätssystem einfach für Kandidaten stimmen lassen und nachher die Stimmen der Kandidaten jeder Liste zusammenzählen. Dabei kämen aber kleine Parteien, welche nicht so viele Kandidaten portieri haben, als Vertreter zu wählen sind, zu kurz, wie aus
folgendem Beispiel ersichtlich ist. In einem Wahlkreis mit 10 Vertretern stehen sich die Parteien A und P» gegenüber. Die Partei A mit 6000 Anhängern portiere 10 Kandidaten, die Partei B mit 4000 Anhängern bloss 4. Setzen wir der Einfachheit halber voraus, dass beide Parteien geschlossen

133 stimmen, so ist das Wahlergebnis wie folgt: Die Kandidaten der Liste A erhalten zusammen 6000 X 10 = 60,000 Stimmen, die Kandidaten der Liste B 4000 X 4 = 16,000 Stimmen. Die Verteilung der Sitze im Verhältnis dieser Stimmensummen würde dazu führen, dass von der Liste A 8 Kandidaten gewählt wären und von der Liste B nur 2, während der Partei A gemäss ihrer Stärke nur ein Recht auf 6 Vertreter zukommt und der Partei B ein solches auf 4. Die Ursache des unrichtigen Wahlergebnisses liegt darin, dass bei der Partei A jeder Wahlzettel 10 Stimmen zuführt, bei der Partei B aber wegen unvollständiger Liste nur deren 4. Ein Wahlzettel mit den Kandidaten der Liste A übt also einen 2 x /2 mal stärkeren Eiufluss auf das Wahlergebnis aus als ein solcher der Liste B. Diese Ungleichheit Hesse sich dadurch ausgleichen, dass die Partei B eine volle Liste von Kandidaten in Vorschlag brächte. Allein io grossen Wahlkreisen die kleinsten Parteien zu vollen Listen zu zwingen, ist nicht angängig. Die Proporzgesetze wenden zwei Mittel an, um einem unvollständig ausgefüllten Wahlzettel zu seiner vollen Wahlkraft zu verhelfen.

Das eine Mittel ist das in Art. 14, Abs. l, vorgesehene. Es besteht darin, dass bei einem unvollständig ausgefüllten Wahlzettel die leer gelassenen Linien gewissermassen als generelle Einzelstimmen -- sie werden Listenstimmen genannt, sind aber von den ListenStimmen beim System der Listenstimmenkonkurreuz zu unterscheiden -- derjenigen Liste zugewiesen werden, deren Bezeichnung oder Ordnungsnummer am Kopfe des Wahlzettels gedruckt oder geschrieben steht. In dem vorstehenden Beispiel erhielte damit die Partei B zu den 16,000 Kandidatenstimmen noch 4000 X 6 -- 24,000 Listenstimmen, also insgesamt 40,000 Stimmen und würde damit die ihr gebührende Vortretung erlangen. Ein zweites Mittel besteht darin, dass gestattet wird, die Namen der Kandidaten mehrmals auf den Wahlzettel zu setzen. Danach hätten in dem gewählten Beispiel die Anhänger der Partei B zwei ihrer Kandidaten je dreimal und zwei je zweimal auf den Wahlzettel drucken oder schreiben können.

Die Kantone Zürich, Schwyz und Basel-Stadt kombinieren beide Mittel, indem sie neben den Listenstimmen die Kumulation von drei oder zwei Stimmen gestatten. Die älteren Proporzgesetze mit dem System der Einzelstimmenkonkurrenz (Freiburg, Tessin, Neuenburg,
Genf) begnügen sich mit der Zulassung von Listenstimmen. Die Kumulation erleichtert das Bestreben der Parteien, möglichst vollständige Listen einzureichen. Sie ermöglicht auch den Parteien, die Wahl ihrer bedeutenderen Vertreter zu sichern, indem sie deren Namen mehr als einmal auf den Wahlvorschlag setzen. Dadurch wird anderseits die Beeinflussung der Rangordnung der Kandidaten durch die Wähler stark eingeengt. Diese Über-

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legung und die Befürchtung, dass namentlich in denjenigen Kantonen, in welchen die Verhältniswahl noch nicht eingeführt ist, das System der Stimmenhäufung den Wählern nichtleicht verständlich sei, hat die vom Politischen Departement einberufene Expertenkommission bewegen, sich gegen die im Vorentwurf vorgesehene Kumulation von zwei Stimmen auszusprechen. Unter diesen Umständen haben wir in dem vorliegenden Entwurf die Stimmenkumulation fallen gelassen.

Der Vollständigkeit wegen mag noch erwähnt werden, duss Prof. Hagenbach-Bischoff in seinem 1892 veröffentlichten Gutachten über ^die Anwendung der Proportionalvertretung bei den schweizerischen Nationalratswahlen a vorschlug, es solle jeder Wähler ·nur einen Namen auf seinen Stimmzettel schreiben dürfen. An sich ist dies die einfachste Lösung, denn alle Komplikationen wie die Zählung der leeren Stimmen als Listenstimrnen und das Kumulieren fallen weg, auch die Streitfrage ,,Eiozelstimmenkonkurrenz oder Listenstimmenkonkurrenz a hat keine Bedeutung mehr, weil in der Einzelstimme auch zugleich die Stimme für die Liste liegt, auf welcher der betreffende Kandidat figuriert. Sodann ist die Wahlermittluug bei diesem Verfahren die denkbar einfachste. Diese Lösung ist nirgends angenommen worden und ist auch für die proportionale Wahl des Natioualrar.es hauptsächlich deshalb abzulehnen, weil die Listenwahl in der Schweiz eingebürgert ist und ihre Beseitigung grossen Widerständen begegnen würde.

Die Art. 16 bis 18 regeln das Verfahren für die proportionale Verteilung der Sitze unter die Listen.

Die älteren Verhältniswahlgesetze (zur Zeit noch Freiburg und Neuenburg) teilten die Gesamtstimmenzahl durch die Zahl der zu wählenden Vertreter und bezeichneten den so erhaltenen Quotienten als Wahlzahl, d. i. diejenige Stimmenzahl, für welche jede Liste je einen Vertreter zugewiesen erhält. Dieser Quotient ist jedoch zu hoch und führt sozusagen nie zu einer restlosen Verteilung der Mandate. Die richtige Wahlzahl wird erhalten, wenn man die Gesammtstimnienzahl durch die um l vermehrte Zahl der Vertreter teilt und die nächsthöhere ganze Zahl nimmt. Es ist dies die kleinste Verteilungszahl, die nie zu viel Vertreter gibt. Im Einerwahlkreia fällt sie mit dem absoluten Mehr zusammen, im Zweierkreis ist sie die dem Drittel der Stimmen nächsthöhere ganze Zahl usw. Diese
Wahlzahl ist in den meisten Verhältniswahlgesetzen vorgeschrieben. Wenn aber mehrere Listen vorhanden sind, so ist es vielfach möglich, ddss wegen der Zersplitterung der Stimmen auch sie zu hoch ist, um die volle Zahl von Vertretern zu liefern. Es bleiben unverteilte Mandate, sog. Restmandate. Diese werden in einzelnen Proportionalgesetzen an die stärksten Listen, in ändern an die Listen mit den grössten Stimmenresten

135 verteilt. Die Zuweisung der Restmandate an die stärksten Listen ist willkürlich, besser ist die Zuweisung der Restmandate an die grösslen Slimmenreste. Aber auch diese ist nicht vollkommen, weil sie eben nur auf die Grosse der Stimmenreste abstellt und nicht auf die Gesamtstimmenzahl.

Die beste Verteilungsmethode ist die von Prof. D'Hondt (Brüssel) vorgeschlagene, die in mathematisch sicherer Weise sämtliche Sitze so auf die einzelnen Listen verteilt, dass auf die gleiche Verteilungszahl bei allen Listen je ein Vertreter komt. Prof. Hagenbach-Bischoff hat ein Verfahren vorgeschlagen, das nichts anderes ist als die Methode D'Hondt, aber die Ausrechnung etwas abkürzt.

Das abgekürzte D'Hondtscbe Verfahren ist fast von allen neuern Proporzgesetzen angenommen worden, so auch von den Gesetzen der Kantone Zürich, Schwya und Basel. Es ist daher auch in Art. 17 vorgesehen.

Nach diesem Verfahren wird folgenderrnassen vorgegangen : Zunächst erfolgt die Verteilung der Sitze auf Grund der vorstehend als richtig bezeichneten Wahlzahl. Ergibt die Verteilung nicht genügend Sitze, so wird die Stimmenzahl jeder Liste durch die um l vermehrte Zahl der ihr bereits zugewiesenen Sitze geteilt und der erste noch zu verteilende Sitz derjenigen Lisle gegeben, welche den grössten Quotienten aufweist, mit andern Worten derjenigen Liste, bei der nach Zuteilung dieses weitern Sitzes die Zahl der auf den einzelnen Sitz entfallenden Stimmen grösser ist, als sie bei einer der andern Listen nach Zuteilung dieses Restmandates wäre. Das gleiche Verfahren wird wiederholt, solange weitere freigebliebene Sitze vorhanden sind.

Beispiel : Es sind 10 Sitze unter die Listen A, B und C mit 12,013, 4876 und 1537 Stimmen zu verteilen. Die Summe aller Stimmen ist 18,426. 18,426 :11 (10 -|- 1) = 1,675Vii. Die nächsthöhere ganze Zahl ist Wahlzahl (vorläufige Verteilungszahl): 1676.

Erste Verteilungsrechnung.

Sti m en z ah| "

Wahlzahl

Liste A . . . .

12,013 : 1,676 = 7 Vertreter ,, B . . . . 4,876 : 1,676 = 2 ,, ,, C . . . . 1,537 : 1,676 = 0 ,, 9 Vertreter Zweite Verteilungsrechnung.

Stimmen..

...

Divisor

,.

Quotient

Liste A . . 12,013 : 8 (7+1) == 1,501 5/s = 7 Vertreter ,, B . . 4,876 : 3 (2-j-l) = 1,625 Vs = 3 ,, ,, C. .

1,537 : l (0-j-t) = 1,537 =0 ,, 10 Vertreter

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Den 10. Sitz erhält die Liste B mit dem grössten Quotienten 1625Va. Dieso Zahl ist endgültige Verteilungszahl. Jede Liste erhält fili- je 1625J/3 Stimmen einen Vertreter.

Hätte man den 10. Sitz der Liste mit dem grössten Stimmenrest zugewiesen, so wäre er der Liste C zugefallen, denn die bei der ersten Verteilungsrechnung sich ergebenden Stimmenresto betragen bei Liste A 281, bei Liste B 1524 und bei Liste G 1537 Stimmen. Dann hätte Liste C auf 1537 Stimmen einen Sitz erhalten und Liste B hätte sich mit zwei Sitzen begnügen müssen, trotzdem ein Drittel ihrer Stimmenzahl mit IßSSVa wesentlich über 1537 steht.

In der Praxis bietet die Verteilungsrechnung keine Schwierigkeiten.

Art. 18 regelt vorsorglich einige selten vorkommende Fälle von Stimmenkonkurrenz.

Die Frage, ob zur Vermeidung zu starker Stimmenzersplitterung ein sogenanntes Quorum festzusetzen sei, in der Meinung, dass Listen, deren Stimmenzahl unter diesem Quorum bleibt, nicht zur Verteilung der Sitze zugelassen werden, findet bei der vorgeschlagenen D'Hondt-Hagenbachschen Verteilungsrechnung ihre ungezwungene und befriedigende Beantwortung. Alle Listen sollen bei der Verteilungsrechnnng mitkonkurrieren und jede soll diejenige Zahl der Sitze erhalten, die ihr nach der Rechnung zukommt.

Die Verteilungszahl versieht die Funktion eines Quorums. Jedes andere Listenquorum wäre als willkürlich abzulehnen.

In Art. 19, Abs. 2, ist ein Stimmenquorum für Kandidaten in der Höhe der Hälfte der Kandidatenstimmen, welche die Kandidaten der betreffenden Liste im Durchschnitt erhalten haben, festgesetzt.

Art. 20 regelt den Fall, dass eine Liste mehr Sitze zugeteilt bekommt, als die Zahl ihrer Kandidaten beträgt. Die Bestimmung der meisten Proporzgesetze, dass in einem solchen Falle die Kandidaten der betreffenden Partei zunächst als gewählt zu erklären seien und hernach alle übrigen Sitze proportional unter die ändern Listen zu verteilen seien, entbehrt der Billigkeit. Es ist daher im Entwurf vorgesehen, dass für die überzähligen Sitze der Partei, die zu wenig Kandidaten portieri hatte, eine Ersatzwahl stattzufinden habe.

In Art. 22, Abs. l ist ein Fall von stillschweigender Wahl vorgesehen.

Abs. 2 dieses Artikels regelt den Fall, dass keine gültigen Listen vorliegen. Es findet dann freie Wahl nach relativem Mehr statt.

Art. 25. Wenn auf einer Liste keine Kandidaten mehr figurieren, die als Ersatz für ausscheidende Mitglieder nachrücken können,

137 >30 ist eine Ersatzwahl unvermeidlich. Damit durch solche Ersatzwahlen die ursprüngliche Mandatverteilung unter den Parteien nicht .geändert wird, schreibt das Gesetz des Kantons Neuen bürg vor, dass nur diejenige Gruppe, auf deren Liste die zu ersetzenden Vertreter standen, zur Einreichung einer Liste berechtigt sei. Nur wenn diese Gruppe von dem ihr eingeräumten Recht keinen Gebrauch machen will, oder wenn sie nicht mehr existiert, findet 'freie Wahl statt.

In der Expertenkommission wurde diesem Grundsatz zugetstittimt, wenn auch dessen Ausführung in der Praxis, z. B. bei erfolgter Spaltung von Parteien, auf Schwierigkeiten stossen mng, und der Umstand, dass die gesamte Wählerschaft an eine Parteiliste gebunden wird, zu Bedenken Anlass geben kann. Wir haben für angemessen erachtet, den Grundsatz des erwähnten neuenburgischen Gesetzes, der zweifellos dem System der Proportionaltät ·entspricht, in den Entwurf aufzunehmen.

Gestützt auf diese Erörterungen empfehlen wir Ihnen, auf ·den in Anlage I enthaltenen Entwurf eines Bundesgesetzes einzutreten.

Für den Fall, dass die Bundesversammlung es aus politischen ^Gründen für angezeigt erachtet, die Neuwahl des Nationalstes mach dem Grundsatz der Proportionalität so rasch als möglich 'herbeizuführen, ist es notwendig, zu prüfen, unter welchen Voraussetzungen eine solche Massnahme verfassungsrechtlich einwandfrei getroffen werden kann.

A.

·Was die Vornahme von Neuwahlen vor Ablauf der im Dezember 1920 zu Ende gehenden Legislaturperiode anbelangt, -so ist von verschiedenen Seiten, auch in der Expertenkommission, behauptet worden, dass für diesen Zweck eine Verfassungsrevision ;nicht erforderlich sei, da der revidierte Art. 73 eine genügende 'Grundlage biete. Demgegenüber ist zunächst zu bemerken, dass der Bundesblatt. 70. Jahrg. Bd. Y.

11

138 Absatz 3 dieses Artikels, da er nach seiner ganzen Entstehungsgeschichte nur auf die nähere Ausführung des Artikels, nicht aber auf die politische Frage vorzeitiger Neuwahlen hinzielt, nicht angerufen werden kann. Dagegen .wird der Volks- und Ständeentscheid von einem Teil der Anhänger des Proportionalsystoms nicht nur als ein grundsätzliches Begehren, sondern als die Feststellung eines gewissen Gegensatzes zwischen Volk und Nationalrat gedeutet. Dem ist folgendes entgegenzuhalten : einmal enlhitlt Art. 73 der Bundesverfassung nur Grundsätze für die Gestaltung eines erst zu erlassenden Wahlgesetzes, aber keinerlei Bestimmungen über die unmittelbare Anwendung des Verfassungsartikels.

Es kann deshalb nicht vermutet werden, dass dadurch der Bestimmung des Art. 76 über die dreijährige Legislaturperiode derogiert werden soll. Sodann ist die Institution der Vertrauensvoten, aus denen eine gewählte Behörde Konsequenzen für ihr Bleiben oder Zurücktreten ziehen soll, unsenn Staatsrecht fremd, und es könnte auch nicht im Interesse der politischen Autorität eines neu gewählten Nationalrates und des von ihm gemäss Art. !)6 der Bundesverfassung zu wählenden Bundesrates liegen, wenn die Grundlage solcher Neuwahlen verfassungsrechtlich im mindesten anfechtbar wäre.

Vom Standpunkte der strengen Verfassungsmässigkeit und der Demokratie aus erscheint es deshalb geboten, eine vorzeitige Neuwahl des Nationalrates eventuell durch eine Verfassungsabstimmung festzusetzen. Dass durch Volks- und Ständcrnehr jede Änderung der Verfassung, auch eine blosse Übergangsbestimmung, beschlossen werden kann, ist unbestreitbar.

Es kann sich alsdann nur noch fragen, welches die Legislaturperiode des neuen Rates sein soll. Gegen den Eintritt des neuen Rates in die Amtsdauer des alten, analog dem Verfahren bei Ergänzungswahlen, spricht der Umstand, dass zweimalige Nationalratswahlen innerhalb der Jahre 1919 und 1920 unzweckmässig wären und dem neuen Bäte nicht genügende Zeit zur Inangriffnahme der grossen, seiner harrenden Aufgaben Hessen.

Die Ansetzung einer neuen dreijährigen Periode, beginnend mit der vorzeitigen Integralerneuerung, würde eine ganze Reihe von Änderungen in der Gesetzgebung zur Folge haben, welche die ordentliche Dezembersession als Beginn der Legislaturperiode voraussetzt. Eine Lösung, welche den gegen die
beiden vorgenannten Bestimmungen der Legislaturperiode sich erhebenden Bedenken begegnen würde, wäre die Festsetzung der Amtsdauer des neuen Nationalstes auf den dem ersten Montag im Dezember

139 1923 vorangehenden Sonntag. Dadurch, dass der Rest der laufenden Legislaturperiode der Amtsdauer des neuen Rates hinzugefügt wird, vermeidet man eine Änderung im bisherigen System der ordentlichen Erneuerungswahlen.

Was endlich die Festsetzung der Neuwahlen anbelangt, so sollte diese vom Bundesrat innerhalb einer durch die neue Verfassungsbestimmung bezeichneten möglichst begrenzten Frist erfolgen. Ebenso ist der Zusammentritt des neuen Rates in ähnlicher Weise zu normieren, wie dies für den Fall der ordentlichen Gesamterneuerung im Gesetze geschehen ist.

fiDie verfassungsmässige Anordnung von Neuwahlen ist die Hauptvoraussetzung für eine beschleunigte Neubestellung des Nationalrates. Es ist aber möglich, diesen Zeitpunkt dadurch noch früher eintreten zu lassen, dass die Frist für das Zustandekommen des mit dieser Botschaft vorgelegten Bundesgesetzes betreffend die Nationalratswahlen abgekürzt wird. Angenommen, Jass der Bundesbeschluss betreffend die unter lit. A erwähnte Verfassungsrevision und der Beschluss über das Wahlgesetz gleichzeitig von den Räten gefasst werden, so kann der erstgenannte Beschluss Volk und Ständen sofort zur Abstimmung vorgelegt werden, während das Gesetz frühestens nach Ablauf der unbenutzt gebliebenen Referendumsfrist in Kraft treten kann.

Wenn nun aus politischen Gründen diese Frist sollte abgekürzt werden, damit der Beschluss über die vorzeitige Integralerneuerung und das zur Ausführung nötige Wahlgesetz möglichst gleichzeitig rechtskräftig werden könnten, so sind drei Wege denkbar : Die sofortige Herbeiführung eines Referendums durch acht Kantone ist möglich, erscheint aber gekünstelt und würde vom Volke nicht verstanden. Als eine natürliche, dem demokratischen Empfinden entsprechende Lösung könnte ein Beschluss der Bundesversammlung betrachtet werden, durch welchen diese das von ihr angenommene Gesetz sofort dem Volke zur Annahme oder Verwerfung vorlegen würde. Während eine Reihe von Kantonsverfassungen ein solches Vorgehen ausdrücklich zulassen, schweigt die Bundesverfassung darüber. Es geht aber aus der Verfassungsberatung von 1872 hervor, dass man eine derartige Überwälzung von in der Kompetenz der Räte liegenden Entscheidungen an das Volk nicht zulassen wollte, und es hat sich

140

auch anlässlich der Gottharddebatto 1878 der Nationalrat ÌID diesem Sinne ausgesprochen.

Damit jedes verfassungsrechtliche Bedenken dahinfalle, wäre der Besehluss der Bundesversammlung, wonach das Wahlgesetz in Abweichung von dem in Art. 89 BV vorgesehenen Verfahren sofort der Volksabstimmung unterworfen würde, als Verfassungsnorm der Abstimmung des Volkes und der Stände zu unterstellen.

Wenn es sich darum handelt, die Neuwahlen rasch herbeizuführen, so kann man nicht zuerst über die Zulässigkeit der Volksabstimmung und erst nach deren Bejahung durch das Volk über das Wahlgesetz abstimmen lassen, sondern beide Abstimmungen müssten> am gleichen Tage erfolgen. In diesem Falle würde die Abstimmung über das Wahlgesetz in ihrer Rechtsgültigkeit bedingt sein durch die Annahme des Ver/'assungsartikelsT welcher diese Abstimmung anordnet. Solche bedingten Volksabstimmungen über Gesetze sind bisher im Bunde nicht üblich gewesen, wohl aber sind sie in vielen Kantonen eine ganz regelmässige Erscheinung, und es ist nicht anzunehmen, dass sie nicht in der ganzen Schweiz von den Stimmberechtigten sofort verstanden würden. Es ist auch im höchsten Grade unwahrscheinlich,, dass die Verfassungsbestimmung und das Gesetz nicht gleichzeitig angenommen oder verworfen werden. Sollte dennoch der Fall eintreten, dass nur das Gesetz verworfen würde, so würde die Rechtslage die gleiche sein, wie wenn das Gesetz vom Volke in, der ordentlichen Referendumsabstimmung verworfen worden wäre.

Würde dagegen nur der Verfassungsartikel oder dieser und da» Gesetz verworfen, so wäre die Lage die gleiche, wie wenn das letztere dem Volke überhaupt nicht vorgelegt worden wäre.

Es wäre auch möglich, eine Eventualabstimmung über das Gesetz dadurch zu umgehen, dass der Verfassungsartikel bestimmte, dass das von den Räten angenommene Wahlgesetz mit Annahme dieses Artikels rechtskräftig werden solle. Die Annahme des Verfassungsartikels hätte ohne weiteres diejenige des Gesetzes zur Folge. Damit erhielte aber das Gesetz selber Verfassungscharakter, welche Eigenschaft ihm im Hinblick auf kommende Revisionen durch eine ausdrückliche Bestimmung wieder entzogen werden müsste. Es geht auch nicht wohl an, dass etwas, -das nur dea Charakter eines gewöhnlichen Gesetzes hat, für seine Gültigkeit die Voraussetzungen erfüllen muss, die nur an die
Verfassungsnormen gestellt werden. Es erscheint deshalb die Anordnung einer Gesetzesabstimmung mit nur eventuell gültigem Resultat neben der Verfassungsabstimmung als die natürlichere Lösung.

14Î

C.

Wenn die Neuwahl des Nationalstes vor Ablauf der jetzigen Legislaturperiode erfolgen und wenn überdies die durch die Referendumsfrist für das Wahlgesetz bedingte Hinausschiebung der Wahlen nach Möglichkeit abgekürzt werden soll, so empfehlen wir Ihnen die Annahme des in Anlage II folgenden Entwurfes eines Bundesbeschlusses betreffend Aufnahme von Übergangsbestimmungen zu Art. 73 der Bundesverfassung (Wahl des Nationalrates nach dem Grundsatz der Proportionalität).

Genehmigen Sie die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

B e r n , den 26. November 1918.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates,, Der Bundespräsident: Calonder.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft; Schatzmann.

142

(Entwurf.)

Anlage L

Bundesgesetz betreffend

die Wahl des Nationalrates nach dem Grundsatze der Proportionalität.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, in Ausführung von Art. 73 der Bundesverfassung, nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrates vom 26. November 1918, bcschliesst: Art. 1. Die Wahlen für den Nationalrat finden nach dem Grundsatze der Proportionalität gemäss dea Bestimmungen dieses Gesetzes statt.

Jeder Kanton und jeder Halbkanton bildet einen Wahlkreis.

In Wahlkreisen, die nur einen Vertreter zu wählen haben, findet die Wahl nach relativem Mehr statt. Die Artikel 3 bis 21, 22 Absatz l, 24 bis 26 finden in diesen Wahlkreisen keine Anwendung.

Art. 2. Die Wahlen für die ordentliche Gesamterneuerung des Nationalrates finden jeweilen am letzten Sonntage im Oktober statt.

Art. 3. Die Wahlvorschläge sind bei der Kantonsregicrung spätestens 20 Tage (am drittletzten Montag) vor dem Wahltage einzureichen.

Sie müssen bis spätestens abends G Uhr der Behörde oder der Post übergeben werden. Diese Bestimmung gilt auch für die übrigen, in diesem Gesetze vorgesehenen Fristen.

Art. 4. Die Wahlvorschläge dürfen höchstens so viele Narnen wählbarer Personen enthalten, als Mitglieder des Nationalrates in dem betreffenden Wahlkreis zu wählen sind, und keinen Namen mehr als einmal.

Art. 5. Jeder Wahlvorschlag rnuss von wenigstens 15 im Kanton wohnhaften Stimmberechtigten unterzeichnet sein und soll am Kopfe zu seiner Unterscheidung von ändern Wahl vorschlagen eine Bezeichnung tragen.

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Ein Stimmberechtigter darf nicht mehr als einen Wahlvorschlag unterzeichnen. Er kann nach Einreichung des Wahlvorschlages seine Unterschrift nicht zurückziehen.

Die Unterzeichner des W ahi Vorschlages haben für den Verkehr mit den Behörden einen Vertreter und einen Stellvertreter desselben zu bezeichnen.

Der Vertreter ist berechtigt und verpflichtet, im Namen der Unterzeichner die zur Beseitigung von Anständen erforderlichen Erklärungen rechtsverbindlich abzugeben.

Art. 6. Steht ein Vorgeschlagener in demselben Wahlkreis auf mehr als einem Wahlvorschlag, so ist er sofort aufzufordern, bis zum 1.6. Tage (drittletzten Freitag) vor dem Wahltage zu erklären, auf welchem von diesen Vorschlägen sein Name stehen soll. Ist eine Erklärung innert dieser Frist nicht erhältlich, so entscheidet das Los, auf welchem Wahl vorschlage er stehen bleiben soll. Das Los wird vom Präsidenten der Kantonsregierung in Gegenwart von zwei Beamten gezogen. Auf den ändern Wahlvorschlägen ist der Kandidat zu streichen.

Art. 7. Zwei oder mehreren Wahlvorschlägen kann bis spätestens am 13. Tage (zweitletzten Montag) vor dem Wahltage die übereinstimmende Erklärung der Unterzeichner oder ihrer Vertreter beigefügt werden, dass die Vorschlage miteinander verbunden seien (verbundene Listen).

Eine Gruppe miteinander verbundener Listen gilt gegenüber ändern Listen als eine einzige Liste.

Art. 8. Vorgeschlagene, welche spätestens am 16. Tage (drittletzten Freitag) vor dem Wahltag die schriftliche Erklärung abgeben, dass sie eine Wahl ablehnen, sind von Amtes wegen auf dem Wahlvorschlag zu streichen.

Art. 9. Die zuständige kantonale Amtsstelle prüft die eingereichten Wahlvorschläge und setzt den Bevollmächtigten der Unterzeichner erforderlichen Falles Frist an, innert welcher sie nachträglich fehlende Unterschriften zu ergänzen, Ersatzvorschliige für gestrichene Vorgeschlagene einzureichen, die Bezeichnung von Vorgeschlagenen zu verbessern oder die Bezeichnung des Wahlvorschlages zum Zwecke einer bessern Unterscheidung von ändern Vorschlägen zu ändern haben.

Den Ersatzvorschlägen muss die schriftliche Erklärung der Vorgeschlagenen, dass sie die Kandidatur annehmen, beigelegt

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-werden. Fehlt diese Erklärung oder findet sich der betreffende Name schon auf einer ändern Liste, oder ist der Kandidat nicht wahlfähig, so wird der Ersatzvorschlag gestrichen.

Sofern der Vertreter der Liste nichts anderes verlangt, werden die Ersatzvorschläge am Ende der Liste angereiht.

Nach dem 13. Tage (zweitletzten Montag) vor dem Wahltag -dürfen an den Wahlvorschlägen keine Änderungen mehr vorgenommen werden.

Art. 10. Die bereinigten Wahlvorschläge heissen Listen.

Die Listen werden nach der Reihenfolge ihres Eingangs mit Ordnungsnummern versehen.

Tragen zwei oder mehrere Listen die gleiche Bezeichnung, ·so werden sie durch eine weitere Ordnungsnummer voneinander unterschieden.

Die Listen werden mit ihrer Bezeichnung, jedoch ohne die Namen der Unterzeichner, öffentlich bekanntgemacht. Bei verbundenen Listen ist die Listenverbindung mitzuteilen.

Art. 11. Die Kantonsregierungen werden entweder gedruckte Wahlzettel gestatten, die je eine der amtlich veröffentlichten Listen enthalten, oder sämtliche Listen von Amtes wegen den Wählern zur Benutzung als Wahlzettel spätestens am Freitag vor dem Wahltag gedruckt zustellen.

In jedem Falle soll den Stimmberechtigten spätestens am Freitag vor dem Wahltag ein leerer Wahlzettel, enthaltend den nötigen Raum für eine Listenbezeichnung und für die Namen der Kandidaten, amtlich zugestellt werden.

Das Geheimnis der Abstimmung ist unter allen Umständen zu wahren.

Art. 12. Über Beschwerden gegen die behördlichen Verfügungen über das Vorverfahren (Art. 3 bis 11) entscheidet die Kantonsregierung unter Vorbehalt der Befugnisse des Nationalrates.

Art. 13. Jeder Wähler ist berechtigt, mittels einer gedruckten Liste oder durch ganzes oder teilweises Ausfüllen des leeren Wahlzettels mit Namen von Vorgeschlagenen, welche auf irgendeiner der veröffentlichten Listen stehen, sein Wahlrecht auszuüben. Es ist ihm gestattet, an dem gedruckten Wahlzettel Streichungen, Änderungen oder Ergänzungen handschriftlich vor.zunehmen.

145 Es ist nicht gestattet, den Namen eines Kandidaten mehr ·als einmal auf einen Wahlzettel zu setzen.

Art. 14. Enthält ein Wahlzettel weniger gültige Stimmen, als in dem betreffenden Kanton Mitglieder des Nationalrates zu wählen sind, so gelten die fehlenden Stimmen als Listenstimmen für diejenige Liste, deren Bezeichnung auf dem Wahlzettel gedruckt oder geschrieben ist. Fehlt eine Listenbezeichnung, so .gelten die fehlenden Stimmen als leer.

Enthält ein Wahlzettel mehr Namen, als Vertreter in dem betreffenden Wahlkreis zu wählen sind, so werden die am Schlüsse überschiessenden Stimmen gestrichen.

Namen, welche auf keiner Liste stehen, fallen ausser Betracht; die auf sie gefallenen Stimmen werden jedoch als Listenstimmen gezählt, wenn der Wahlzettel eine Listenbezeichnung trägt.

Wahlzettel, die eine Listenbezeichnung, jedoch keinen gültigen Kandidatennamen enthalten, sind ungültig.

Wablzettel, die ehrverletzende Bemerkungen enthalten, sind ungültig.

Art. 15. Nach Schluss der Wahlverhandlung wird durch die Kantonsregierung auf Grund der Protokolle der Bureaux festgestellt : 1. die Zahl der Stimmen, welche die einzelnen Kandidaten jeder Liste erhalten haben (Kandidatenstimmen); 2. die Zahl'der Stimmen nach Art. 14, Abs. l und 3, welche jede Liste erhalten hat (Listenstimmen); 3. die Summen der Kandidaten- und Listenstimmen, welche den einzelnen Listen zugefallen sind ; 4. für die verbundenen Listen die Gesamtzahl der auf die Listengruppe vereinigten Stimmen.

Art. 16. Hierauf werden die zu wählenden Mitglieder des Nationalrates auf die einzelnen Listen im Verhältnis ihrer Stimmenzahlen (Art. 15, Ziffer 3) so verteilt, dass auf die gleiche Verteilungszahl bei allen Listen je ein Vertreter kommt.

Dabei wird nach Massgabe der Art. 17 bis 20 verfahren.

Art. 17. Die Gesamtzahl der gültigen Stimmen wird durch die um eins vermehrte Zahl der zu wählenden Mitglieder des Nationalrates geteilt. Die nächsthöhere ganze Zahl, welche auf den so erhaltenen Quotienten folgt, ist die vorläufige Verteilungszahl.

Jede Liste erhält soviel mal ein Mitglied des Nationalrates zugeteilt, als die vorläufige Verteilungszahl in ihrer Stimmenzahl enthalten ist.

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Wenn durch diese Verteilung nicht so viele Mitglieder des Nationalrates herauskommen, als zu wählen sjnd, so wird dio, Stimmenzahl jeder Liste durch die um eins vermehrte Zahl der ihr schon zugewiesenen Mitglieder geteilt und der erste noch zu vergebende Sitz der Liste gegeben, welche hierbei den grösston Quotienten aufweist.

Das gleiche Verfahren wird wiederholt, solange noch weitere freigebliebene Sitze zu vergeben sind.

Art. 18. Ergibt die Teilung zwei oder mehr gleiche Quotienten, so erhält je diejenige Liste den Vorzug, welche bei der Teilung mit der vorläufigen Verteilungszahl den grössern Rest aufwies.

Sind auch dio Gesamtstimmenzahleu dieser Listen gleich, so erhält diejenige Liste den Vorzug, bei welcher der in Betracht kommende Kandidat die grössere Stimmenzahl aufweist.

Sind auch die Kandidatenstimmenzahlen gleich, so entscheidet das Los.

Art. 19. Von jeder Liste sind entsprechend der vorgenommenen Verteilung die Kandidaten gewählt, welche die meisten Stimmen erhalten haben. Bei Stimmengleichheit entscheidet das Los, welches vom Präsidenten der Kantonsregierung unter Kontrolle der letztem zu ziehen ist.

Ist jedoch die Stimmenzahl eines Kandidaten geringer als die Hälfte der durchschnittlichen Stimmenzahl der Kandidaten der betreffenden Liste, so ist er nicht gewählt. Diese Bestimmung gilt nicht für diejenigen Fälle, in welchen Art. 22, Abs. 2, Anwendung rindet.

Art. 20. Sollten eine oder mehrere Listen mehr Kandidaten zugeteilt bekommen, als sie JSIamen enthalten, so sind vorerst alle ihre Kandidaten gewählt. Für die überzähligen Sitze findet eine Ersatzwahl nach Art. 25 statt.

Art. 21. Jede Gruppe miteinander verbundener Listen wird im Vollzug der Art. 17, 18 und 20 zunächst als eine einzige Liste behandelt.

Die Gesamtzahl der auf sie entfallenden Sitze wird sodann auf die Einzellisten der Gruppe unter entsprechender Anwendung der Art. 17 bis 20 verteilt.

Art. 22. Ist nur eine Liste vorhanden oder überschreitet die Gesamtzahl der Kandidaten 'aller Listen nicht die Zahl der

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zu wählenden Vertreter, so werden alle Kandidaten ohne Wahlverhandlung von der Kantonsregierung als gewählt erklärt.

Falls keine Listen vorhanden sind, so können die Wähler für beliebige wählbare Personen stimmen, und es sind diejenigen gewählt, welche am meisten Stimmen erhalten haben. Bei gleicher Stimmenzahl entscheidet das Los, welches durch den Präsidenten der Kantonsregierung unter der Kontrolle der letztern zu ziehen ist.

Art. 23. Ist die Wahl in mehreren Wahlkreisen auf die gleiche Person gefallen, so hat der Bundesrat den mehrfach Gewählten ungesäumt zu einer beförderlichen Erklärung, in welchem Wahlkreise er die Wahl annehme, zu veranlassen.

Nach Eingang dieser Erklärung wird der Bundesrat sofort in demjenigen Wahlkreis, wo die Wahl nicht angenommen worden ist, die Kantonsregierung einladen, nach Massgabe der Artikel 24 und 25 für Ersatz zu sorgen.

In gleicher Weise wird verfahren, wenn ein Mitglied des Nationalrates im Laufe einer Amtsperiode den Austritt erklärt.

Art. 24. Die Wiederbesetzung von Stellen im Nationalrate, die während der Amtsdauer des letztern erledigt worden sind, erfolgt in der Weise, dass die Kantonsregierung von der Liste, auf welcher das ausscheidende Mitglied gewählt worden ist, denjenigen der nicht gewählten Kandidaten als gewählt erklärt, welcher arn meisten Stimmen erhalten hat. Bei gleicher Stimmenzahl entscheidet das Los, welches vom Präsidenten der Kantonsregierung unter Kontrolle der letztern zu ziehen ist.

Bei Tod oder Wahlunfähigkeit eines Ersatzmannes rückt der Nachfolgende an seine Stelle.

Art. 25. Ist auf der betreffenden Liste oder bei verbundenen Listen auf der betreffenden Einzelliste kein wählbarer Ersatzmann vorhanden, so findet eine Ergänzungswahl statt.

Für die Ergänzungswahlen haben zunächst nur die Unterzeichnet derjenigen Liste, zu welcher die ausgeschiedenen Mitglieder des Nationalstes gehörten, das Recht auf Einreichung eines gemeinsamen Vorschlages. Sie sind ermächtigt, Mitunterzeichner der ursprünglichen Liste, deren Unterschrift nicht erhältlich ist, durch Zuzug anderer Stimmberechtigter zu ersetzen.

Machen die Unterzeichner der ursprünglichen Liste von dem Vorschlagsrechte keinen Gebrauch oder können sie sieh nicht auf einen Vorschlag einigen, so finden die Ergänzungswahlen nach den für die Hauptwahlen geltenden Vorschriften statt, wobei

148

jedoch auf die Ersatzwahl für einen einzigen freigewordenen Sitz Art. l, Abs. 3, Anwendung findet.

Art. 22 gilt auch für die Ergänzungswahlen.

Art. 26. Die Kantonsregierungen sind .berechtigt, nach Massgabe der besondern Verhältnisse des Kantons mit Genehmigung des Bundesrates die in den Art. 3, 6, 7, 8 und 9 Absatz 4 festgesetzten Fristen zu verkürzen oder zu verlängern.

Art. 27. Der Bundesrat ist mit der Vollziehung dieses Gesetzes beauftragt. Er erlässt hierfür die nötigen Vorschriften.

Art. 28. Die Art. 16,19 bis 23, 26 und 33, Schlusssatz, des Bundesgesetzes vom 19. Juli 1872 betreffend die eidgenössischen Wahlen und Abstimmungen, sowie das Bundesgesetz betreffend die Nationalratswahlkreise vom 23. Juni 1911, treten auf den Zeitpunkt der nächsten Gesamterneuerung des Nationalrates ausser Kraft.

Art. 29. Dieses Gesetz tritt auf den Zeitpunkt der nächsten Gesamterneuerung des Nationalrates in Kraft.

149

(Entwurf.)

Anlage II.

Bundesbeschluss betreffend

die Aufnahme von Übergangsbestimmungen zu Art. 73 der Bundesverfassung (Wahl des Nationalrates nach dem Grundsatze der Proportionalität).

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrates vom 26. November 1918, beschliesst: I. Zur Durchführung des durch die Abstimmung vom 13. Oktober 1918 abgeänderten Art. 73 der Bundesverfassung vom 29. Mai 1874 werden folgende Übergangsbestimmungen in die Bundesverfassung aufgenommen : Art. 1. Das Bundesgesetz vom betreffend die Wahl des Nationalrates nach dem Grundsatz der Proportionalität wird gleichzeitig mit dem gegenwärtigen Beschluss dem Volke zur Annahme oder Verwerfung vorgelegt. Das Gesetz ist als angenommen zu betrachten, wenn die Mehrheit der stimmenden Schweizerbürger sich dafür ausgesprochen hat, und wenn gleichzeitig der gegenwärtige Beschluss von der Mehrheit der stimmenden Schweizerbürger und der Mehrheit der Stände angenommen worden ist.

Art. 2. Die nächste Gesamterneuerung des Nationalrates nach Massgabe des abgeänderten Art. 73 der Bundesverfassung findet spätestens acht Wochen nach Annahme des in Art. l vorgesehenen Bundesgesetzes betreffend die Wahl des Nationalrates nach dem Grundsatze der Proportionalität statt. Der Bundesrat bestimmt den Wahltag.

150

Der neugewählte Nationalrat tritt am ersten Montag des Monats Juni 1919 zur konstituierenden Sitzung in der Bundesstadt zusammen. An dem diesem Tage vorhergehenden Sonntag endigt die Amtsdauer des gegenwärtigen Nationalrates.

' Die Amtsdauer des neuen Nationalrates endigt ausnahmsweise an dem, dem ersten Montag des Monats Dezember 1923 vorangehenden Sonntag.

II. Dieser Beschluss wird dem Volke und den Ständen zur Abstimmung unterbreitet.

III. Der Bundesrat ist mit dem Vollzuge des Beschlusses beauftragt.

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Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die Wahl des Nationalrates nach dem Grundsatze der Proportionalität. (Vom 26. November 1918.)

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