611

# S T #

5971

Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung über die Beigabe einer amtlichen Erläuterung zu den Abslimmungsvorlagen (Postulat Häberlin) (Vorn 1. Dezember 1950)

Herr Präsident!

Hochgeachtete Herren!

In der Sitzung des Nationalrates vom 19. März 1946 begründete Herr Nationalrat Häberlin ein Postulat vom 10. Dezember 1945, das folgenden Wortlaut hatte: «Bei kantonalen Abstimmungen ist es üblich, dass alle Stimmberechtigten zum Text der Absthnmungsvoiiage hinzu noch eine von amtlicher Seite verfasste Erläuterung (Weisung) erhalten. Da dies im Interesse einer sachlichen Auiklärung der Stimmberechtigten hegt, laden wir den Bundesrat ein, die Frage zu prüfen, ob bei eidgenossischen Abstimmungen nicht das gleiche Verfahren eingeschlagen werden sollte.» In Beantwortung dieses Postulates stellte dei Vorsteher des Eidgenossischen Justiz- und Polizeidepartements fest, dass schon am 1. Juli 1875, also knapp ein Jahr nach Annahme der Bundesverfassung von 1874, die eidgenossischen Eate den Bundesrat eingeladen hatten, zu prüfen und darüber Bericht zu erstatten, ob nicht vor den eidgenossischen Abstimmungen die Bundesversammlung oder der Bundesrat eine Botschaft oder einen Bericht zur Abstimmungsvorlage an die Stimmberechtigten herausgeben sollten, wie dies in verschiedenen Kantonen geschieht. Der Vertreter des Bundesrates fugte bei, dass die nämliche Frage seither noch Gegenstand von fünf weitern Postulaten bildete, zuletzt eines vom Nationalrat angenommenen Postulats Eeichling vom 27. März 1934.

Auch das Postulat Häberlin wurde im Nationalrat ohne Widerspruch erheblich erklart, nachdem der Bundesrat erklart hatte, es zur Prüfung entgegenzunehmen. Bevor noch der Bericht darüber erstattet werden konnte,

612 äusserten die Kommissionen der eidgenössischen Bäte für die Behandlung der Finanzordnung 1951-1954, über die am 2./8. Dezember d. J. abgestimmt wird, dem Bundesrat gegenüber den Wunsch, es möchte dieser Vorlage ein solcher erläuternder Bericht mitgegeben werden. In Anbetracht der Tatsache, dass dieser Bundesbeschluss sich zum grossen Teil auf die Aufhebung früherer Massnahmen beschränkt und der Stimmbürger sich nur schwer ein klares Bild von der Tragweite dieses für die Zukunft des Landes so wichtigen Beschlusses machen kann, beschloss der Bundesrat, dem Wunsch der Kommissionen nachzukommen, obwohl die eidgenössischen Räte selbst sich zur Frage erläuternder Berichte weder dem Grundsatz nach noch in Einzelheiten ausgesprochen haben.

Die besondern Umstände nötigten zu raschem Handeln. Und da füi die Finanzvorlage ein Kommentar als geboten erachtet wurde, ergab sich von selbst die Beifügung eines solchen auch für die dem Volke gleichzeitig zur Abstimmung vorgelegte Änderung der Wahlgrundlage des Nationalrates.

Die dem Volk zur Abstimmung unterbreiteten Vorlagen gehen aus den Beratungen der gesetzgebenden Bäte hervor. Insofern hätte die Erläuterung für die Abstimmung vom 3. Dezember von diesen Bäten ausgehen sollen. Da es nicht mehr möglich war, ihnen einen Text dafür zu unterbreiten, verfassten und unterzeichneten wir selbst einen solchen, ersuchten aber die Präsideriten der beiden Bäte, ihre Unterschrift ebenfalls beizusetzen; damit sollte hervorgehoben werden, dass der Inhalt der Vorlage dem (in diesem Falle fast einstimmigen) Willen der eidgenössischen Bäte und nicht nur den Absichten des Bundesrates entspricht. Die beiden Batspräsidenten schlössen sich dieser Auffassung an.

Der Bundesbeschluss über den Transport von Personen und Sachen mit Motorfahrzeugen auf öffentlichen Strassen (Autotransportordnung), gegen den das Beferendum ergriffen worden ist, sollte möglichst bald zur Abstimmung gelangen, damit der noch zu fassende dringliche Beschluss zur Überbrückung des Zeitraums zwischen dem Ablauf der bisherigen Ordnung am 81. Dezember dieses Jahres und dem neuen Beschluss nicht länger als unbedingt nötig in Kraft bleiben muss. Wir haben diese Abstimmung auf den 25. Februar 1951 festgesetzt. Der Augenblick scheint uns deshalb gekommen, den Bäten unsern Bericht über das Postulat Häberlin ungesäumt
zu unterbreiten, um womöglich schon auf jene Abstimmung hin Ihre grundsätzliche Aufassung hinsichtlich der Erläuterung von Abstimmungsvorlagen zu kennen. Drei Fragen sind es, über welche wir den Entscheid der eidgenössischen Bäte erbitten: 1. Sind überhaupt dem Bürger amtliche Erläuterungen zu den Abstimmungsvorlagen mitzugeben ?

2. Soll es bei allen oder nur bei bestimmten Abstimmungen geschehen?

3. Soll die Erläuterung von der Bundesversammlung oder vom Bundesrat oder von beiden Behörden zusammen ausgehen?

In der ersten, grundsätzlichen Frage neigen wir zur Ansicht, dass die Erklärung einer Abstimmungsvorlage sich als nützlich, wo nicht sogar notwendig

613 erweisen kann, obwohl wir uns bewusst sind, dass keine Gewissheit darüber besteht, ein wie grosser Teil der Bürger einen solchen Bericht aufmeiksam lesen wird. Immerhin scheint die Annahme uns begründet, dass viele Stimmberechtigte dankbar sein werden für eine Erläuterung, die sachlich gehalten ist und die in Drucksachen zu Abstimmungsvorlagen häufigen Schlagwörter vermeidet.

Andererseits ist zuzugeben, dass die Zustellung eines amtlichen Kommentars, die in vielen Kantonen unbekannt ist, mit der ziemlich verbreiteten Empfindung nicht übereinstimmt, die Behörden sollten es vermeiden, sich in dieser Weise zu ihren eigenen Vorlagen zu äussern. Bei dieser Sachlage möchten wir den Entscheid den eidgenössischen Eäten überlassen, würden es aber jedenfalls für angezeigt halten, während einiger Jahre einen Versuch mit der Neuerung zu machen.

Erklärt man sich im Prinzip mit erläuternden Berichten einverstanden, so ist in zweiter Linie zu entscheiden, ob sie allgemein oder nur bei bestimmten Vorlagen eingeführt werden sollen. Was einmal die auf dem Wege der Gesetzgebung dem Volk und den Ständen vorgeschlagenen, dem obligatorischen Referendum unterliegenden Verfassungsbestimmungen betrifft, sind jedenfalls keine rechtlichen Gründe gegen die Beigabe einer amtlichen Erläuterung ersichtlich.

Wie verhält es sich bei Gesetzen und Bundesbeschlüssen, die zufolge eines Beferendumsbegehrens der Volksabstimmung unterworfen werden ?

In Beantwortung einer Kleinen Anfrage Gut hatten wir im Jahre 1941 gewisse Befürchtungen wegen des polemischen Charakters geäussert, den die Erläuterung eines Entwurfes, der Gegenstand eines Referendumsbegehrens gebildet hat, also umstritten ist, annehmen könnte. Nach erneuter Prüfung sind wir zum Schluss gekommen, dass es möglich sein sollte, eine Vorlage zu erläutern und zu vertreten, ohne Grund zu dem Voiwurf zu geben, man lasse den Bericht zu einer polemischen Streitschrift zur eigenen Verteidigung werden. Dies um so mehr, als heutzutage manche Gesetze sich so sehr mit fachtechnischen Fragen zu befassen haben, dass es am Platz ist, dem Bürger in dem Bemühen behilflich zu sein, die Aufgaben und den Zusammenhang der vorgeschlagenen Bestimmungen wenigstens in allgemeiner Weise zu erfassen. Zudem empfiehlt es sich, bei den Gesetzen gleich zu verfahren wie bei Verfassungsbestimmungen;
es würde den Stimmberechtigten nicht einleuchten, weshalb sie im einen Falle einen Kommentar erhalten, im andern nicht.

Bei Verfassungsinitiativen kann es sich nicht um eine'Erläuterung handeln, da die Behörden eine durch Volksbegehren vorgeschlagene Verfassungsbestimmung weder zu erklären noch zu kommentieren haben. Anders verhält es sich mit einer Darlegung der Gründe, aus welchen die Bundesversammlung dem Volk und den Ständen die Annahme oder die Verwerfung einer Initiative empfiehlt ; es ist nicht einzusehen, wie man dem Bundesrat (oder den eidgenössischen Räten) das Recht bestreiten wollte, die im Beschluss der Bundesversammlung enthaltene Empfehlung der Annahme oder Verwerfung Bundesblatt. 102. Jahrg. Bd. III.

43

614 zu begründen. Bin allfälliger Gegenentwurf der Bundesversammlung hinwiederum könnte ebensogut wie eine andere von den gesetzgebenden Räten ausgehende Voilage Gegenstand eines erläuternden Berichts sein.

In dritter Linie ist zu entscheiden, von wem die Erläuterungen ausgehen sollen. Das Postulat Häberlin spricht sich hierüber nicht aus. Die zur Abstimmung gelangenden Entwürfe bilden das Ergebnis der Beratungen der eidgenössischen Räte. Es ist möglich, dass sie nicht mehr ganz den Absichten des Bundesrates entsprechen. Vom Standpunkt des öffentlichen Rechts und selbst der Logik läge es daher am nächsten, wenn die gesetzgebende Behörde selbst die Erläuterung verfasste, was die Verwaltung nicht hindern würde, bei der Ausarbeitung des Textes mitzuwirken. Dieses Verfahren wird z. B. in den Kantonen Bern und St. Gallen eingeschlagen. In der Eidgenossenschaft könnte es etwelche praktische Schwierigkeiten mit sich bringen, sofern wenigstens die beiden Räte nicht ihre Präsidenten ermächtigen würden, in ihrem Namen den Text zu unterzeichnen. Wir denken namentlich an den Fall, dass ein erläuternder Bericht in einem Zeitpunkt verfasst und versendet werden muss, in welchem die eidgenössischen Räte nicht versammelt sind. Wenn diese eine Delegation an ihre Präsidenten nicht für angängig erachten sollten, könnten wir uns aus praktischen Erwägungen der Auffassung anschliessen, dass die Erläuterung vom Bundesrat und nur von ihm ausgehen soll. Für diesen Fall möchten wir freilich um einen ausdrücklichen Auftrag in diesem Sinne ersuchen.

Damit würde für den Bund das in einigen Kantonen, insbesondere in Zürich, beobachtete Verfahren übernommen.

Abschliessend ersuchen wir Sie, vcm vorliegenden Bericht Kenntnis zu nehmen, über die aufgeworfenen Fragen Beschluss zu fassen und das Postulat Häberlin abzuschreiben.

Genehmigen Sie, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

Bern, den I.Dezember 1950.

405

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates, Der Bundespräsident: Max Petitpierre Der Bundeskanzler: Leimgruber

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Beigabe einer amtlichen Erläuterung zu den Abstimmungsvorlagen (Postulat Häberlin) (Vorn 1. Dezember 1950)

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1950

Année Anno Band

3

Volume Volume Heft

49

Cahier Numero Geschäftsnummer

5971

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

07.12.1950

Date Data Seite

611-614

Page Pagina Ref. No

10 037 258

Das Dokument wurde durch das Schweizerische Bundesarchiv digitalisiert.

Le document a été digitalisé par les. Archives Fédérales Suisses.

Il documento è stato digitalizzato dell'Archivio federale svizzero.